• Keine Ergebnisse gefunden

Die Brisanz einer konkurrierenden Botschaft in einer kleinen, durchweg römisch geprägten Stadt des

IV. Der Gott des Friedens in Philipper 4,9

7. Die Brisanz einer konkurrierenden Botschaft in einer kleinen, durchweg römisch geprägten Stadt des

Dass Paulus mit der Paraklese immer wieder auf das Glaubensleben in Hinblick auf die bestehende Beziehung zwischen Glaubenden und Gott und auf eine Lebensorientierung an dieser Beziehung abzielt, zeigt die mehrfache Verwendung des Ausdruckes ἐν κυρίῳ und Derivaten:

στήκετε ἐν κυρίῳ (Phil 4,1); φρονεῖν ἐν κυρίῳ (Phil 4,2); χαίρετε ἐν κυρίῳ (Phil 4,4); ὁ κύριος ἐγγύς(Phil 4,5) und der abschließende Ausdruck φρουρήσει (…) ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (Phil 4,7) – wobei dieser letzte Ausdruck deutlich macht, dass der gemeinte κύριος Jesus Christus ist. Dieses christologische Element als Ort bzw. Sphäre des Vollzugs des Glaubenslebens als neue bestimmende Wirklichkeit verleiht der Paraklese und der Zusicherung eine besondere theologisch-christologische Geschlossenheit und stammt aus Stellen wie Phil 3,20f.586 In diesem Sinn wird die theologische Grundintention der Paraklese vor ihrem

586 Für eine detaillierte Darstellung der nachdrücklichen Verwendung von ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, ἐν κυρίῳ und ἐν κυρίῳ Ἰησου in Phil und allgemein bei Paulus vgl. bes. G. Friedrich, Philipper, 1981, S. 169ff., der folgendes feststellt: „Es fällt auf, daß die Formel ‚in Jesus Christus‘ (…) und ‚in Christus‘ (…) sich in paränetischen Stücken sehr selten findet. Während Paulus mit dieser Wendung in den meisten Fällen das Heilshandeln und die Heilsgabe Gottes zum Ausdruck bringt, gebraucht er die Worte ‚im Herrn‘ stärker im Bezug auf das Handeln der Glaubenden, die noch in dieser Zeit und in dieser Wirklichkeit leben, aber der kommenden Zeit und der kommenden Wirklichkeit

153

Veranlassungshintergrund erkannt: Trotz der durch ihr soziales Umfeld bewirkten Bedrängnisse werden die Glaubenden die Beziehung zu Gott in Jesus Christus als den bewahrenden Frieden erfahren und ihr Leben wird dadurch gestaltet.587

Die Art und Weise, wie Paulus εἰρήνη in Phil 4,7 und Phil 4,9 einsetzt, bewirkt, dass es nicht nur nach Kontrastierung mit ‚Sorgen‘ und ‚frommen Gefühlen von Geborgenheit‘ klingt.

Das Syntagma ἡ εἰρήνη τοῦ θεοῦin Verbindung mit φρουρέω und in Zusammenhang mit einer hervorgehobenen Verwendung von christologischen Elementen kontrastiert den Frieden Gottes mit dem Umfeld der Glaubenden. Die Unterscheidung des Lebenswandels der Glaubenden von demjenigen ihres sozialen Umfelds mit dem Ausdruck ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει588 in Phil 3,20 und die gerade in diesem Zusammenhang sehr kühne Darstellung Jesu Christi als σωτήρ589 und κύριος590, mit der klare Herrscherprärogative einer Vorstellung wie in Phil 3,21c κατὰ τὴν ἐνέργειαν τοῦ δύνασθαι αὐτὸν καὶ ὑποτάξαι αὐτῷ τὰ πάντα(vgl. Phil 2,10) zum Ausdruck kommen, sind eine gute Vorbereitung darauf, εἰρήνη in einem ähnlichen Zusammenhang zu verstehen. Denn Philippi lebt als römische Kolonie unter dem Schutz Roms und erweist aus Dankbarkeit und Verbundenheit seine Loyalität durch unterschiedlichste Mittel.

Indem Paulus auf Begriffe wie σωτήρ, κύριος, πολίτευμα, φρουρέω und εἰρήνη in so nahem Kontext rekurriert und sie auf die Realität der Glaubenden überträgt, kontrastiert er seine Botschaft geradezu mit bekannten Elementen aus dem Umfeld der Glaubenden.

In einem Handstreich überträgt Paulus z.B. die kaiserlichen Titel auf Jesus Christus und stellt τὰ πάντα als Jesus untertan dar (Phil 3,21), wobei die Anklänge an kaiserliche Machtinszenierung hörbar sind. Dann fast Paulus in Phil 4,1 die Intention des Vorangegangenen zusammen und zeigt, dass es für Glaubende auf ein im Glauben fest stehendes Leben bzw. auf ein Leben im Herrn ankommt und dass von dort her gelebt werden soll. Ab diesem Punkt weist Paulus immer wieder darauf hin, dass seine Ermahnungen ‚im Herrn‘ vollzogen werden. Dieses Element verwendet er bis zum Abschluss der Paraklese, als er auf Jesus Christus hinweist. Am Ende seiner Paraklese verwendet Paulus dann einen Begriff, der als so umfassend und von solcher Bedeutung für das Leben der Glaubenden in Philippi präsentiert wird, dass er den

schon jetzt angehören. Das Denken und Reden, Fühlen und Tun des Menschen, der in Jesus Christus ist, geschieht im Herrn, der das ganze Leben der bis in die Äußerlichkeit des Alltags hinein bestimmt.“

587 Der Nachdruck, der gleich nach Phil 3,20ff. auf das christologische Element gelegt wird, plausibilisiert die Behauptung von M. Tellbe, Sociological Factors, 1994, S. 113f.: „(I)n view of the historical setting of the letter, the distinctive use of the Christology in Philippians is likely to have been deliberately employed in order to encourage the Philippian church to display its first loyalty to the heavenly Saviour and Lord and not to the Roman emperor.”

588 Für den Ausdruck τὸ Ῥωμαῖον πολίτευμα vgl. z.B. Polybius 6.56.6. Für die Bezeichnung der jüdischen Sozialorganisation als πολίτευμα (auch im einfachen Sinn von Stadt) vgl. 2 Makk 12,7; Josephus, Ant. 12,108. Zu πολίτευμα vgl. weiter R. Feldmeier, Fremde, 1992, S. 80ff.

589 Es handelt sich in Phil 3,20 um die bei Paulus einmalige Verwendung von σωτήρ. Zu ‚Retter‘ als Kaiser-Epitheton vgl. z.B. F. Jung, ΣΩΤΗΡ, 2002, bes. S. 309ff.

590 Vgl. z. B. M. Tellbe, Sociological Factors 1994, S. 113f.

154

Eindruck erweckt, dass Paulus an dieser Stelle den Frieden so nah wie möglich in Verbindung mit Gott bringen will, um so in die Beziehung der Glaubenden zu Gott im Herrn bzw. in Jesus Christus einzuführen. Am Ende der Paraklese bringt das Syntagma ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης theologisch genau auf dem Punkt, was Paulus im neuen Leben der Glaubenden als verwirklicht ansieht: den Frieden. Indem er das tut, schafft er eine Kontrastierung mit jedweder anderen im damaligen Kontext vorhandenen Friedensvorstellung und bricht gleichzeitig mit allen anderen vorhandenen Loyalitätsansprüchen.591

Dass Philippis Selbstbewusstsein als Veteranenkolonie im Verbundenheitsgefühl gegenüber dem Kaiser verankert war, belegt schon die Tatsache, dass sich sein Name überall in der Stadt auf Inschriften findet: Colonia Iulia Augusta Philippensis. Zudem fühlten sich die Bürger voller Stolz sowohl der italischen tribus voltinia verbunden als auch dem ius Italicum verpflichtet.592 Da sozio-politische Lage und religiöses Gepräge ineinander verwickelte Aspekte in Philippis Alltag waren, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Paulus eine Botschaft mit universellen Ansprüchen (vgl. Phil 1,27; 2,10; 3,20f.) einerseits unauffällig und konfliktlos verkündigen würde und dass er sich anderseits der politischen Brisanz seiner Verkündigung nicht bewusst war. Vor allem aber die Glaubenden in Philippi sollen sich über die praktische (sozio-politische und religiöse) Bedeutung dieser angenommenen Botschaft und über das von ihnen erwartete neue Ethos bewusst sein. Dieses Konfliktpotential hat schon der Verfasser der Apostelgeschichte verstanden, indem er bei Paulus‘ missionarischer Wirkung in Philippi das aus der Verkündigung des Evangeliums resultierende neue Ethos dem mos maiorum der Römer gegenüberstellt (vgl. Apg 16,20ff.).593

Zusammenfassung und Ausblick

Genau wie der römische Friede Philippi bewahrt, so bewahrt der Friede Gottes die Glaubenden. Da aber die Prinzipien, denen sich die Glaubenden verpflichtet fühlen bzw. sich verpflichtet fühlen sollen, nicht diejenigen sind, die das Leben der Menschen in Philippi bestimmen (mit Paulus‘ Worten in Phil 3,20: ἡμῶν γὰρ τὸ πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς ὑπάρχει

591 J. Reumann, Philippians, 2008, S. 636 stellt diese These auf, ohne darauf einzugehen, und W. Popkes, Philipper 4,4–7, 2004, S. 253 erkennt zwar, dass Paulus den Frieden „in ein Konkurrenzverhältnis“ rückt, aber konzentriert sich mehr auf den allgemeinen Diskurs über die römische Politik bzw. über die Pax Romana mit Verweis auf 1Thess 5,3 und die Verwendung von νοῦς als ‚römische Staatsräson und politische Ratio‘ denn auf die Bedeutung dieses Verhältnisses für Phil 4,7 bzw. für die Glaubenden.

592 Über die tribus voltinia vgl. P. Pilhofer, Philippi, 1995, S. 122f.

593 In einer Stadt mit 5.000 bis 10.000 Einwohnern (so P. Pilhofer, Philippi, 1995, S. 76) blieb eine Gruppierung, die mit dem vorherrschenden Ethos brach (besonders dadurch, dass es unvorstellbar ist, dass die Glaubenden weiter an Prozessionen, Kaiserspielen, öffentlichen Mählern und Kulten anderer Gottheiten teilgenommen haben) sicher auch nicht unbemerkt. Für den Konflikt in Apg 16,11ff. vgl. z. B. M. Tellbe, Paul, 2001, S. 234ff.

155

und in Phil 1,27 ausgedrückt: μόνον ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ πολιτεύεσθε), verleiht Paulus den Syntagmen ἡ εἰρήνη τοῦ θεοῦ und ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης eine brisante politische Nebenbedeutung.594 Indem Paulus zentrale Aspekte des Gemeinwesens einer Stadt wie Philippi in seinen Diskurs einführt, relativiert und ersetzt er durch das gepredigte Evangelium die bestimmenden sozialen Werte seiner Leser und Zuhörer. Dadurch wird Paulus‘ Botschaft zum Politikum und trifft das Herz der römischen Politik: die Loyalität dem Kaiser und dem Imperium Romanum gegenüber durch die Einführung eines neuen Ethos, welches sogar mit dem für die Römer teuer gewordenen Begriff ‚Frieden‘ in Zusammenhang konzipiert wird.595 Indem Paulus die Existenz der Glaubenden von einem Frieden bestimmt sieht, der nicht derjenige ist, nach dem sich Philippi orientiert, bricht er mit dem Gemeinwesen der römischen Kolonie.

Sowohl Paulus als auch die Glaubenden in Philippi leben in einer Realität, die von einer anderen Vorstellung des Friedens bestimmt wird. So wie Paulus das Leben der Glaubenden durch sein Evangelium bestimmt sehen will, ist es unausweichlich, dass diese beiden Ansprüche früher oder später in Konflikt geraten. Da Paulus von den Glaubenden eine Einstellung und ein Verhalten erwartet, welches ihre Loyalität seiner Botschaft gegenüber erweisen soll, fordert er von den Glaubenden ein ebenso zentrales Element, wie es auf politischer Ebene von Philippi dem Römischen Reich gegenüber als Zeichen der Loyalität erwiesen wird. Diese Loyalität erweist sich unter anderem in der Anerkennung des Abhängigkeitsverhältnisses der Philipper von Rom und seinen Herrscherfiguren, die in Philippi feierlich als Gott verehrt werden.

In seiner abschließenden Paraklese, wo Paulus zu umfassenderen Kategorien übergeht, zeigt er deutlich, dass er, indem er das Tun der Glaubenden durch sein Evangelium zu bestimmen versucht, ein neues Ethos im Auge hat, welches dem ganzen Leben der Glaubenden Gestalt geben soll. In diesem Zusammenhang verwendet er wieder den Begriff, der diesen Zustand bezeichnen kann: εἰρήνη. Zum einen subsumiert Paulus, indem er am Ende der Paraklese den Begriff εἰρήνη einführt, das Ziel seiner Paraklese diesem Begriff. Auf den Frieden also läuft alles hinaus, was er vorher parakletisch formuliert hat. Zum anderen bestimmt er, indem er gerade diesen Begriff

594 Auch wenn Paulus dies nicht antithetisch formuliert (so die zentrale These von J. M. G. Barclay, Church, 2011, S. 376ff.) tut er es indirekt trotzdem. Indem Paulus aber seine Ermahnung mit einem μόνον in Phil 1,27 verstärkend einführt, erweckt er schon einen anderen Eindruck. So schreibt R. Feldmeier, Fremde, 1992, S. 81: „(d)urch den Bezug auf das Bürgerrecht vermag Paulus gerade den verpflichtenden, die ganze jetzige Wirklichkeit bestimmenden Charakter der himmlischen ‚Staatszugehörigkeit‘ deutlich zu machen.“ Daraus muss man als Glaubende in einer Militärkolonie die Konsequenzen für das alltägliche Leben ziehen, denn, wie R. Feldmeier, Fremde, 1992, S. 82 selbst auf den Punkt bringt, führt diese von Paulus erwartete Einstellung der Glaubenden zu einer „Entfremdung der Christen von ihrer Umgebung“. Wie oben schon gezeigt wurde, gibt es die Stadt Philippi nur dank Augustus und seiner Politik und eine Entfremdung dieser Realität gegenüber ist eine Entfremdung gegenüber dem römischen sozio-politischen und religiösen Gebilde.

595 Anders als die Auffassung von C. S. de Vos, Church, 1999, S. 281ff. kann man im Philipperbrief nicht feststellen, dass Paulus die Glaubenden ausdrücklich dazu aufruft, ihre politische Loyalität zu wechseln. Dies vollzieht sich erst in der Praxis des Glaubens, soweit die Werte der Glaubenden in Konflikt mit denen ihres Umfelds geraten.

156

in wesentlichen Zusammenhang mit Gott bringt, diesen Zustand in Verbindung mit dem Gott, den er verkündigt. Friede ist letztendlich für Paulus nur in Zusammenhang mit Gott vorstellbar und hat mit dem praktischen Leben der Glaubenden zu tun.

157