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Die Aufgabe der Autorität in der pädagogischen Praxis

In der Pädagogik werden im Aufwachsen der Kinder spezielle Faktoren dafür verantwortlich gemacht, wie sich das Kind entwickelt. Es ist von der vorhandenen Körperlichkeit in Verbindung des Milieus, der individuellen Schwächen und Stärken, aber insbesondere von der Person als PädagogIn abhängig. Im Handeln der Erziehung liegt die Verantwortung, Mittel zur Verfügung zu stellen, die den Heranwachsenden ein sicheres und lebbares Leben ermöglichen.

Indes sind die «Autorität der Person» und die «Autorität der Vernunft, des Gemeinschaftsgefühls» zu unterscheiden, wie sie Leonhard Seif (1967) definiert. In der Autorität der Person liegt ein vermuteter Zwang und eine höhere Stellung des/der ErzieherIn zu den Kindern. Das Große und Mächtige wirkt überlegen, ihm wird mehr zugesprochen als den Kleinen und Schwachen, welche als unwissend gelten. Die Erziehung baut auf Ängsten und Misstrauen auf, welche in den heranwachsenden Individuen einen Pessimismus hervorrufen.

Gegenüberstehend lässt sich die Autorität der Vernunft als Freiheit sehen, spricht ihr Selbständigkeit zu und berechtigt alle Teilhabenden gleich. Paritäten zwischen den Geschlechtern und den Großen und Schwachen gibt es nicht. Es wird Wert auf eigene Intuition und Mut gelegt, damit kritische Lebensereignisse bewältigbar werden und sich ein Optimismus bilden kann. Dabei sind nicht nur Toleranz gegenüber der Situation, Mitgefühl gegenüber beteiligten Personen oder die Hinwendung zum Mitmenschen tragende Faktoren (vgl. Seif 1967, S. 116 ff.).

Kinder und Jugendliche stehen der ungewollt aggressiven Ausübung von Erziehung gegenüber, sei es die Konsumgesellschaft, dem Fernsehen, dem aufgezwungenen Wohlstand, oder ihren Vorbildern. Da der Gehorsam einem nicht in die Wiege gelegt wird, wachsen Kinder vorerst ohne Gehorsam auf, können keine Anweisungen verarbeiten und keine Mittel anwenden, um ihren Willen durchzusetzen. Synchron ist ein hohes Maß an Selbstdisziplin der erziehenden Person vorauszusetzen, um in schwierigen Situationen nicht nachzugeben und die Autorität auszunutzen. Bernhard Bueb (2006) betont in diesem Sinn, dass mehr „Mut zur Erziehung“

(Bueb 2006, S. 17) Einzug in die Pädagogik zu halten hat. Demnach würde die Disziplin aus dem ungebildetem Kind ein pädagogisch erzogenes Wesen werden und alles verkörpern, was

der Mensch eigentlich nicht haben will. Zwang, Verzicht, Unterordnung und die Einschränkung der Selbstentfaltung. Der Disziplin wird, beginnend mit einer fremdbestimmten Handlung, die Absicht zugesprochen, die Selbstdisziplin im heranwachsenden Individuum reifen zu lassen, welche sich schlussendlich durch Liebe gegenüber den Kindern und Jugendlichen zeigt (vgl.

Bueb 2006, S. 13 ff.).

Besitzt eine Person Autorität, wird diese Eigenschaft als positiv bewertet, da sich das Ansehen der Kinder und heranwachsenden Individuen erarbeitet wurde. Wird davon ausgegangen, dass autoritär erzogen wird, wendet sich die positive Zuneigung in einen negativen Beigeschmack.

Sodann tritt die Machtausübung in den Vordergrund, bekommt als gestaltendes Element den Charakter einer persönlichkeitsaufbauenden und -zerstörenden Funktion zugeschrieben und stellt die pädagogische Autorität in Bedrängnis. Es ist eine hohe Verantwortung gegeben, dem Kind die Haltungen des Lebens näher zu bringen und das Kind am Lernprozess aktiv teilhaben zu lassen. Eine äußere Formung in den frühen Lebensphasen durch die PädagogInnen ist deutlich spürbar, es gilt als erlernt und ist nicht änderbar (vgl. Erlinghagen 1973, S. 71 f.).

Der Autor Schmidt (2009) verweist in seinem Rückblick auf die Werke von Bernhard Bueb sowie Michael Winterhoff und sieht deren Annahmen bestätigt. Es benötige mehr Strenge und ein klares hierarchisches Vorgehen, um in der Familie und weiterfolgenden Sozialisationsinstanz Schule „wieder gesündere Kinder und bessere Lernerfolge zu erzielen“

(Schmidt 2009, S. 229). Nach Winterhoff sieht er, dass Verhaltensauffälligkeiten von Kindern auf Beziehungsstörungen zurückgeführt werden können, da sich Eltern und PädagogInnen immer wieder in partnerschaftliche Beziehungen begeben. Durch diese enge Beziehung wird versucht, das Kind vor gefährlichen Situationen zu schützen. Eine, dieser Ansicht nach intuitive Erziehungsart, hätte die Autorität der Eltern und PädagogInnen niemals in Frage gestellt. Dem gegenübergestellt sieht eine moderne Erziehung die Selbständigkeit und Kreativität im Zentrum aller Bemühungen, um die heranwachsenden Individuen mit Fähigkeiten auszustatten und sich als spätere Erwachsene behaupten zu können (vgl. ebd., S. 229 ff.).

Mit dem Beitrag der Psychoanalyse über das Erziehungsgeschehen wurde das Verständnis der kindlichen Lebenswelt neu gedacht und die internen Problemlagen der Heranwachsenden aufgedeckt. Nunmehr orientiert sich die Erziehung an der inneren Lebenswelt der Kinder und ist weniger mit Macht besetzt, wirkt milder auf die Kinder ein und lässt einen freundlichen Umgang zu. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Erziehung von einer autoritären, zu einer partnerschaftlichen gewendet und die Kinder von alten Zwängen und Belastungen befreit.

Wurde damals für eine Trieblockerung protestiert, so stellen sich heute fehlende Strukturen als problematisch heraus. Es gibt keine zu strenge Erziehung mehr, eher ein zu geringes Maß an gebotener Orientierung, Reibung und ein zu hohes Risiko an Versicherungen (vgl. Ahrbeck 2020, S. 180 f.). In der pädagogischen Arbeit sind Toleranz, Anerkennung des Verschiedenen und Offenheit gefragt, um der jungen Generation einen Rahmen der Entfaltung zu gewährleisten (vgl. ebd., S. 190). Die Rollen der PädagogInnen und Eltern haben sich von Grund auf geändert, wobei sich ein schwieriges Interaktionsfeld unter den Generationen auftut.

Früher waren Erwachsene gesellschaftlich gesehen Autoritäten, wo sie in der modernen Zeit eine Legitimation benötigen. Im selben Augenblick gilt es, sich dialogisch mit den Kindern und Jugendlichen auf einer Wellenlänge zu befinden und bestimmende Forderungen zu stellen (vgl.

Schmidt 2009, S. 229).

In der pädagogischen Tätigkeit neigen PädagogInnen schlichtweg dazu, Situationen zu beobachten und anhand ihrer Wahrnehmungen zu diagnostizieren. Eine Interpretation der gezeigten Verhaltensweisen der Kinder, oder gar eine Spiegelung dessen, findet nicht statt, was sich in einer nicht maßregelnden Beziehung niederschlägt. Indessen wäre dieser Schritt entscheidend für die Entwicklung des Kindes, wodurch eine ständig einsetzende Wiederholung die Möglichkeit bietet, Reifeprozesse im Kind in Gang zu setzen und die psychischen Funktionen auszubilden. Eine Weiterentwicklung kann im Kind initiiert und durch immer fortlaufende Spiegelung ihrer Verhaltensweisen gestärkt werden. Das Recht des Kindes auf Orientierung in schwierigen Situationen wird gewährt und identifiziert die Bezugsperson als Ankerfunktion in grenzverletzenden Momenten (vgl. Winterhoff 2010, S. 115 f.).

Die Wahrheit der Gegenwart liegt in einer nicht selbstbewusst durchgeführten Erziehung durch Eltern und PädagogInnen. Es wird weder Gehorsam als selbstverständlich angesehen noch Disziplin gefordert. Die Folgen einer autoritären Erziehung sind prägnant und bieten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich an Vorbildern zu orientieren, sich Ziele zu setzen und Grenzen auszutesten. Durch das Währen gegen Autoritäten, erlangt das Kind, der Jugendliche an Selbständigkeit und sein Charakter kann wachsen. Die Unterordnung des heranwachsenden Individuums ermöglicht es, sich mit der Entdeckung ihres Selbst zu beschäftigen und an sich zu wachsen. Die Autorität wird zeitgleich nur anerkannt, wenn diese authentisch ausgeführt und die Achtung der Kinder und Jugendlichen erreicht wird. Erst eine zugesprochene Autorität kann Respekt einfordern und Achtung von anderen erwarten (vgl. Bueb 2006, S. 54 ff.). Spielt Autorität in der Erziehung mit ein, so ist diese nicht verordnet, nicht gemacht, sondern von der

Anerkennung des Gegenübers, der Kinder und Jugendlichen, abhängig. Die pädagogische Autorität ist eine Qualität und Errungenschaft von Wissen im Handeln, welches sich am adäquaten Alter der Heranwachsenden zu zügeln hat. Es wird gezeigt, dass die erwachsene Person deutlich mehr an Erfahrungen besitzt, Urteile begründen, sich gegen Konflikte stellen, Anteilnahme zeigen, Gelassenheit vermitteln und Empörung zeigen kann. Autoritäre Gebärden wie Herumschreien oder mit dem Finger zeigen, stellen keine pädagogische Autoritätskundgebung dar (vgl. Göppel 2010, S. 40).

Um es mit den Worten von Bueb (2006) auszuführen, geht es um ein Problem in der Erziehung, welches das Aufwachsen der Heranwachsenden erschwert.

„«Eines der größten Probleme der Erziehung ist, wie man die Unterwerfung unter den gesetzlichen Zwang mit der Fähigkeit, sich seiner Freiheit zu bedienen, vereinigen könne.

Denn Zwang ist nötig! Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange? Ich soll meinen Zögling gewöhnen, einen Zwang seiner Freiheit zu dulden, und soll ihn selbst zugleich anführen, seine Freiheit gut zu gebrauchen. Ohne dies ist alles bloßer Mechanism, und der der Erziehung Entlassene weiß sich seiner Freiheit nicht zu bedienen«“ (Bueb 2006, S. 171).

Für die Moderne ist die Auseinandersetzung mit der Aufklärung und ausgehend von Kants Worten «Sapere aude» mit einem rational denkenden und selbstverantwortlichen Subjekt verbunden. Durch dieses Denken wurde die pädagogische Autorität in ihrer Vernunft und Rationalität fragwürdig, was sich in entwerteten Autoritäten niederschlug. Zu verfolgen sei ein Autoritätsverständnis, welches sich an sozialen Verhältnissen orientiert und es würdig ist, für sich einzutreten. Verweisend auf Locke sehen die AutorInnen Schäfer und Thompson (2009) die Aufgabe der modernen Pädagogik darin, eine sittliche Urteilskraft in den Individuen hervorzurufen, um damit eine verbesserte Gesellschaft zu erhalten. Sowohl Immanuel Kant als auch John Locke verfolgen ein Erziehungsverständnis, welches es den Kindern ermöglicht, ihre Gefühle und Neigungen kennenzulernen und diese später kontrollieren zu können. Für diesen Schritt benötigen sie eine autoritäre Führung, welche ihnen von den Eltern und PädagogInnen zu geben ist. Laut der Definition von Locke lässt sich durch Schäfer und Thompson (2009) Folgendes festhalten:

„Solange die Kinder nicht in der Lage sind, ihre Begierden zu kontrollieren und sich der Vernunft zu unterwerfen, steht die pädagogische Autorität dafür ein, dass die Eltern die vernünftige Führung ihrer Kinder übernehmen. Mit zunehmendem Alter der Kinder, dann, wenn sie sich ihrer Verstandeskräfte bedienen können, soll sich das hierarchische Verhältnis auflösen und einer Beziehung des Respekts und der Liebe unter Gleichen Platz machen. Der mit der Autorität verbundene Führungsanspruch soll also mit dem Erwachsensein der Kinder aufhören“ (Schäfer/Thompson 2009, S. 12).

Paradoxerweise gehört es in der pädagogischen Tätigkeit dazu, die Autorität erst als erfolgreich zu betrachten, wenn sich diese aus dem Erziehungsgeschehen zurückzieht. In sozialpädagogischen Modellen, wie etwa der Hilfe zur Selbsthilfe, wird es als sinnvoll erachtet, pädagogische Prozesse zurückziehen. Ein Leitbild, in der Hilfe nur positiv verarbeitet werden kann, wenn sich diese überflüssig macht, hat sich niedergeschlagen. Ebenso ist es mit dem Modell des Empowerments, welches die Person in den Vordergrund stellt. Denn

„von Anbeginn ist danach jede Beziehung zu einem Hilfesuchenden so zu gestalten, dass die Stärkung seiner Ressourcen und Potenzen im Zentrum steht. Professionalität, die nicht bereit ist, sich in diesem Sinne zu transformieren, läuft Gefahr, in einen Paternalismus zurückzufallen, der vorgibt, Macht zum Wohle anderer auszuüben“ (Roth 2016, S. 29).

Im Idealfall löst sich die Autorität von selbst auf, macht sich überflüssig und erreicht die höchste Stufe des Beziehungsaufbaus. Die Abwendung der Autorität ist reifen Individuen zugesagt, sie sind in der Lage sich von der ihnen zugestandenen Führung zu lösen und sich der Gesellschaft zu stellen. Das Ziel ist stets die „innere Sicherheit für das spätere Leben“ (Dietz 1960, S. 37) zu schaffen.

Neuere Konzepte der Autorität stützen sich, wie beispielsweise bei Jesper Juul, auf ein Miteinander und der gegenseitigen Anerkennung, so der Autor Schmidt (2009). Das Aufwachsen benötigt eine führende Hand von PädagogInnen, welche sich durch Respekt und Empathie auszeichnet und die Dominanz ihrer Person nicht in den Vordergrund stellt oder gar Unterwerfung einfordert. Das Nein-Sagen ist der authentische Ausdruck, dem Kind die Autorität der erziehenden Person zu zeigen, ohne mit Macht zu agieren. Darüber hinaus sehen Haim Omer und Arist v. Schlippe einen gewaltlosen Widerstand in der pädagogischen Arbeit als notwendig an, um den Kindern ihr destruktives Verhalten offenzulegen und die elterliche, sowie pädagogische, Dominanz zu festigen. Es geht nicht darum, sich „kampflos der Situation zu fügen, sondern mit Respekt und ohne das Ziel der Unterwerfung um die Wiederherstellung einer tragfähigen Beziehung zwischen Kindern und Eltern zu kämpfen und so den Teufelskreis der Eskalation zu durchbrechen“ (Schmidt 2009, S. 234).