• Keine Ergebnisse gefunden

6.3 Kinder und Jugendliche

6.3.1 Aufwachsen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe

Das Ankommen in einer Wohngemeinschaft, einem betreuten Wohnen oder einer anderen Form der Kinder- und Jugendhilfe bietet einen Ort des geborgenen Aufwachsens. Durch die professionelle Hilfe können sich Kräfte im Kind und Jugendlichen entfalten. Um einen Platz zu finden, benötigt es Zeit. Es sind genügend Freiraum zu lassen und einen Entfaltungsrahmen für die Kinder und Jugendlichen zu schaffen.

„Wir wissen alle, wenn wir Kinder in den Einrichtungen kriegen, die brauchen mindestens 1 Jahr bis sie Platz einnehmen können. Natürlich zeigen uns die alle Register, die sie haben.

Wie soll ein Kind sich, da irgendwo, wo es überhaupt nicht da sein will, in 3 Sekunden niederlassen können. Die wollen ja testen, mit wem haben sie es zu tun. Und die haben ja Überlebensstrategien entwickeln müssen, dass sie irgendwie reagieren, dass sie emotional überleben “ (I1, 52).

Als pädagogische Verantwortung versteht sich die Förderung des Kindes und die Bereitstellung von Schutz in allen Lagen. Wie in Kapitel 2.2 angegeben, liegen die Ziele in der Entfaltung von Fähigkeiten und Entwicklung der Persönlichkeit. Die heranwachsenden Individuen sollen sich als autonome AkteurInnen in der Gesellschaft integrieren.

Im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe ist es notwendig, den Kindern und Jugendlichen Schutz zu bieten. Schutz vor Eingriffen in ihr Leben, Schutz vor Übergriffen und Schutz, um sich individuell entwickeln zu können.

„Dass eine gewisse Sicherheit, das ist ja ein Grundbedürfnis, nach Sicherheit des Kindes.

Dass das ganz ganz oben steht natürlich. Dass ich, dass diese Autorität sich auch um die Sicherheit der Kinder Gedanken macht. Um das Wohlbefinden, um die Gesundheit, um die körperliche Unversehrtheit“ (I3, 65).

Um den Schutz aufrecht erhalten zu können, bieten traumapädagogische Inhalte eine geeignete Grundlage in der pädagogischen Arbeit. Durch diese ist die Möglichkeit geboten, sich mit dem Erlebten auseinander zu setzen und dieses zu verarbeiten.

„Da geht es ja ganz viel, wenn ich ein Kind verstehe oder versuche, da sind wir ein bisschen in der Traumapädagogik. Es hat ja immer einen guten Grund, warum wer etwas macht“ (I1, 29).

Die Erziehung trägt dazu bei, das Kind und den Jugendlichen mit lebensnotwendigen Strategien auszurüsten, um in der Gesellschaft überlebensfähig zu sein. Durch Selbstbewusstsein und -bestimmung hat sich das heranwachsende Individuum zu positionieren (vgl. Kapitel 3.3).

Strukturell betrachtet benötigen pädagogische Einrichtungen eine gute Beziehung zwischen den Kindern und Jugendlichen zu den pädagogischen Fachkräften. Um sie für die Gesellschaft vorzubereiten, gilt es, sich mit den Voraussetzungen zu beschäftigen und diese zu vermitteln.

„Ich glaube, dass die Zielrichtung schon die ist, angepasste Individuen zu erzeugen oder heranzuziehen, aber ich glaube, wenn das zu autoritär ist, wird eher so ein Gegenmechanismus aktiviert, bei den Jungen“ (I3, 96).

Sich gegen die Meinung anderer zu stellen und die Welt entdecken, steht für die Kinder und Jugendlichen an oberster Stelle. Sie möchten sich die Welt zu eigen machen. Sie spielen alle Register, versuchen gegen das System anzukämpfen und sich selbst in Gefahr zu bringen.

„Die armen rennen ununterbrochen an, weil es kein Ende mehr gibt. Die betteln, die betteln auch wörtlich und sagen, warum bist du nicht strenger zu mir, warum gebittest du mir das nicht mehr ein, dass ich das und das tue“ (I1, 58).

Um die Standfestigkeit des Systems und von Autoritäten zu testen, wird das Verhalten variiert und Regeln gebrochen (vgl. Kapitel 2.3.2).

Es geht um ein Austesten, wie weit kann gegangen werden, wann werde ich aufgefangen und was muss getan werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Die befragte Person (B1) gibt an, Kinder und Jugendliche wissen genau, was sie zu tun haben, um Erwachsene an sich zu binden.

„Aber nicht, weil sie uns nicht mögen, sondern weil sie einfach jetzt testen und sagen, so, ich habe es eh gewusst, dass mich keiner beschützen kann. Jetzt beweise ich mich selber, jetzt führe ich mich so auf, dass die gar nichts mehr anfangen kann“ (I1, 68).

Für die Problembewältigung ist auf die Hilfestellung erwachsener Personen nicht zu verzichten.

Die Potentiale in den Kindern sind noch nicht zur Gänze ausgefüllt und bedürfen einer pädagogischen Führung (vgl. Kapitel 4).

In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist darauf zu achten, in welcher Verfassung sich diese befinden. Es ist nicht möglich an einem Problem zu arbeiten, wenn das Kind spielen oder der Jugendliche etwas anderes machen möchte. In solchen Situationen verschiebt sich die Aufmerksamkeit, wie es die befragte Person (B3) wiedergibt:

„Das heißt, die Aufmerksamkeit geht in Richtung des Jugendlichen. Wie ist der beinand, ist jetzt ein Startfenster oder ein Zeitfenster, wo dieses oder jenes funktionieren könnte“ (I3, 167).

Handelt es sich gerade um eine Situation, in der sich das Kind oder der Jugendliche, durch etwas gestört oder angegriffen fühlt, gilt es, die Situation zu deeskalieren. „Es hat auch ganz viel mit Deeskalation zu tun“ (I1, 27). Durch diese wird das Kind und der Jugendliche empfänglicher für die pädagogische Arbeit.

Um pädagogisch mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten zu können, ist die Selbstwirksamkeit der pädagogischen Fachkräfte zu stärken. Denn die zu betreuenden Heranwachsenden haben in ihrem, auch noch kurzen Leben, bereits viel erlebt.

„Wenn ich unsicher bin, das spüren ja unsere Kinder schon. Die wissen ja schon vor mir, dass ich heute schlecht aufgelegt bin. Die haben Antennen, die haben überleben müssen. Die haben jede Gefühlsregung von den Eltern spüren müssen. Das heißt, die wissen das vor mir und wenn ich schon reinkomme, das ist immer der, betreten sie einen Raum und sie wissen ganz genau wie sie ankommen“ (I1, 64).

Der Meinung von Kindern und Jugendlichen ist derselbe Stellenwert einzuräumen, wie der von Erwachsenen. Es können Befragungen stattfinden, das Wort an die Heranwachsenden übergeben und diese angehört werden. In diesem Rahmen wird eine Erziehung realisiert, die freie Individuen großzieht, welche sich als selbständige AkteurInnen in der Welt zurechtfinden (vgl. Kapitel 3.2).

Um die Kinder und Jugendlichen bestmöglich unterstützen zu können, sind sie in allen Belangen mit einzubinden. Sie sind zu befragen, haben eine freie Meinungsäußerung und Respekt verdient.

Wenn ich sage, ich will eine Beteiligung haben von unseren Jugendlichen, ich will, dass sie angehört werden, auch wo es um Einrichtung geht, wo es um ihr Leben geht, dass ich sie einbinde“ (B2, 80).