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Bis hin zur antiautoritären Diskussion in der Pädagogik galt die Erziehung als ein „Lenken der Heranwachsenden“ (Schmid 1975, S. 11), um sie zu einem richtigen Leben führen zu können.

Die antiautoritäre Bewegung stellte die Behauptung auf, die Abschaffung des absichtsvollen Eingriffes in das Aufwachsen der Kinder wäre notwendig (vgl. ebd., S. 11). Davon abgesehen, galt bis in das späte 20. Jahrhundert die Annahme, das Menschenbild würde aus Spannungen resultieren und zwischen Gut und Böse, den Trieben und Geistern stehen. Um diese Spannungen zu lösen, wurde Erziehung als Lenkung der Heranwachsenden gesehen, um ihnen den richtigen Weg zu ihrer Bestimmung zu zeigen (vgl. ebd., S. 18).

Im Gegensatz zu einer autoritären Ausübung in der Sozialisationsgeschichte trägt der antiautoritäre Erziehungsstil eine Ausprägung in sich, die einen Menschen erzieht und hervorbringt, der sich durch ein gestärktes Ich-Potential zeigt und sich nicht durch Zwänge und Kontrollmechanismen unterdrücken lässt. Durch eine gezielte Kontrolle seiner Triebe ist der

Mensch dazu befähigt, unabhängig von anderen, Entscheidungen zu treffen und findet Respekt von gegenüberstehenden Personen. Den Trieben wird in einer von Respekt erfüllten Erziehung keine übergeordnete Rolle zugewiesen und bringt die heranwachsenden Individuen dazu, sich als „system-nonkonformen Outsider, der potentielle, glückliche Rebell“ (Bleistein 1973, S. 96) zu identifizieren.

Viel beunruhigender ist die Tatsache, dass sich bereits im jungen Alter der Kinder eine Störung des Konzentrationsvermögens bemerkbar macht und dieses sichtbar auf die Erziehung zurückzuführen ist. Die Kinder werden distanzloser, ein kindliches Verhalten schlägt sich nicht nieder und ein fröhliches, tobendes, sich öffnendes Kind zeigt sich in Kindergärten und den folgenden Schuljahren nur selten. Erwachsene, die bereits im frühen Alter Kinder kriegen, wirken nicht erwachsen und können sich weder selbst reflektieren noch die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, so die Autorin Gaschke (2001).

„Der (bequeme) Glaube, das Kind wisse schon selbst am besten, was gut für es sei, scheint das hartnäckige Sediment der antiautoritären Ideologie zu sein, die dreißig Jahre lang durch alle gesellschaftlichen Schichten, durch alle Formationen des Bildungswesens gesickert ist“

(Gaschke 2001, S. 14).

In der sogenannten 68er-Generation ließ sich ein Erziehungsgedanke nieder, welcher sich am Menschen als Individuum orientierte und die Individualität markiert. Aus dem Bezug der Gesellschaft herausgenommene Individuen galten als selbstbewusst, Kinder waren in diesem Setting nicht mehr von den Erwachsenen abhängig. Ihnen war die Möglichkeit zu gewähren, sich frei zu entwickeln, Erfahrungen zu sammeln und sich so wenig wie möglich beeinflussen zu lassen, um als autonome, selbstbestimmte Individuen aufzuwachsen (vgl. Winterhoff 2010, S. 57). Eine antiautoritäre Haltung würde der Autorität entgegenstehen, indem ein gewisses Maß an Anpassungsfähigkeit vorgeschrieben ist und dem Kind das Ausleben von Trieben auf ein Minimum reduziert, um ein Versagen nicht möglich zu machen. In der antiautoritären Erziehung ist dem Kind eine Sozialisation zugänglich, welche über den Bereich der Familie hinweg vollzogen wird und eine Demokratisierung in allen Belangen vorschreibt. Kurt Butler (1973) sieht diese Form als ein Erziehungsgefüge, durch welches eine freie Gesellschaft zustande kommt und ein positives Umfeld geschaffen wird (vgl. Butler 1973, S. 18). Der Autor Bleistein (1973) verdeutlicht in seiner Auseinandersetzung, dass der Sinn der Erziehung nicht an der Profitgestaltung der Gesellschaft orientiert abläuft, sondern an der Vermittlung von lebensnotwendigen Mechanismen, um das Kind zu einem fähigen und angepassten Individuum erziehen zu können. Aus dem heranwachsenden kleinen Kind soll ein glücklicher Mensch

werden, der sich selbstbewusst und selbstbestimmt in der Gesellschaft integriert (vgl. Bleistein 1973, S. 107).

Freiheiten würden die Entwicklung des Kindes besser fördern, Grenzziehungen wären nicht nötig und natürliche Entwicklungsprozesse würden sich im Kind aufbauen. Mit der Idee der Partnerschaftlichkeit seien die Kinder gesünder, voller Neugier, spontan in ihrer Interaktion, kommunikativer und würden eine bessere, gesündere Gesellschaft entstehen lassen. Mit der Abschaffung der Autorität wurde erhofft, dass weder Gewalt, Unterdrückung oder jegliche Kontrolle in das Erziehungsgeschehen eingreift (vgl. Omer/v. Schlippe 2017, S. 25).

Durch Selbstbestimmung erlangt das Kind in seiner Sozialisation die Erfahrung, Spielräume austesten zu können, keinen Direktiven entgegenzustehen und sich die Welt eigens anzueignen.

Es hat sich nicht nach Begehren der Erziehenden zu richten und hat keine Rollenvorstellungen zu bedienen. Der Autor Bleistein (1973) vergleicht diese Art der Erziehung mit der zur Jahrhundertwende praktizierten Erziehung der Reformpädagogik, welche vom Kind aus ging (vgl. Bleistein 1973, S. 99). Ausgehend diesem Gedanken hat sich die Erziehung danach zu richten, das Kind vor Gewalt und Zwängen zu schützen, da sonst die freie Entfaltung des Individuums nicht stattfinden kann. Die Entfremdung von sich selbst wäre das Resultat. Es geht es um eine Erziehung, welche vom Kind selbst ausgeführt wird und die kindlichen Bedürfnisse miteinschließt. Nicht nur die Erziehungsmethoden, -gedanken und -geschehen haben sich gewandelt, sondern auch die pädagogische Haltung (vgl. Ahrbeck 2020, S. 159).

Mit der Initiierung und dem Aufbau von «Summerhill» wurde schließlich eine Institution geschaffen, in welcher ohne Druck und Autorität erzogen werden konnte. Dessen Gründer Alexander Sutherland Neill hatte das Ziel, Autorität nicht zu dekonstruieren, sondern das Individuum in einer freien Umgebung aufwachsen zu lassen. Eine antiautoritäre Erziehung stand nie zur Debatte, wurde Neill jedoch nachgesagt (vgl. Erlinghagen 1973, 32 ff.).

Die Institution Summerhill stand für eine freie Erziehung, welche das Ziel eines glücklichen Lebens verfolgte und gegen die Normalerziehung protestierte und versuchte, sich gegen Zwang auszusprechen. In ihr wurde vielmehr das Potential gesehen, Kinder eigenständig Grenzen ziehen zu lassen und dennoch Lesen, Rechnen und Schreiben zu lernen. In Bezug auf ihre Freiheiten war ihnen die Möglichkeit gegeben alles ausprobieren zu können. Nicht nur das Wissen erzieht Kinder, es ist mit dem Fühlen zu vereinbaren. So sollen Kinder im späteren Alter nicht nur über geeignetes Wissen verfügen, sondern die Fähigkeit besitzen, ihre

Emotionen zu deuten und frei auszusprechen (vgl. Neill 2004, S. 41 f.). Diese Stellung der Erziehung ist mit folgenden Worten zu verdeutlichen: „Leben nach eigenen Gesetzen, das ist das Recht des Kleinkindes auf freie Entfaltung, ohne äußere Autorität in seelischen und körperlichen Dingen“ (Neill 2004, S. 115).

Neill (2004) sah in den allgemeinen Erziehungsmethoden den Auftrag, das Kind so zu erziehen, um es für die Gesellschaft tauglich zu machen. Disziplin und Ordnung wird eine große Rolle zugeschrieben und setzen die Kinder in Bedrängnis, nicht das zu tun was sie möchten, sondern das was ihnen aufgezwungen wird. In Summerhill wird die klare Haltung vertreten, ein Kind nicht durch Regeln und Gehorsam zu erziehen, sondern die Kinder aus sich heraus, im individuellen Entwickeln, an ein erfülltes Leben heranzuführen. Die Freiheit des Kindes wird als gefährdet angesehen, denn erst in dieser können sie sich entwickeln und zu eigenständigen Individuen heranwachsen (vgl. Neill 2004, S. 118 f.).

Die Frage nach dem Gehorsam wurde diskutiert und brachte den Wunsch nach folgsamen Kindern hervor. Allerdings steht die Autorität der Freiheit der Individuen entgegen, wobei zu betonen ist, dass es in der praktischen Ausübung immer wieder Autoritäten gibt, welche Schutz und Verantwortung in sich tragen. Dem Gehorsam wird eine Art des Gebens und Nehmens zugesprochen, denn eine erwachsene Person kann nicht etwas von einem Kind einfordern, was er/sie nicht auch selbst tun würde (vgl. Neill 2001, S. 158).

Mit der Gründung von Summerhill wurde das Erziehungsgeschehen in Frage gestellt und brachte im deutschsprachigen Raum eine antiautoritäre und repressionsfreie Erziehungsdiskussion hervor. Diese Art der Erziehung verwies auf das Gegenteil, der zur damaligen Zeit vorherrschenden autoritären Auffassung, dem Kind die Entfaltung seiner selbst zu überlassen und diese mit den gesellschaftlichen Einflüssen zu konfrontieren. Die Prioritäten lagen darin, das Kind zu einem/einer lebensfähigen und nützlichen AkteurIn der Gesellschaft zu erziehen und im Vorgang der Sozialisation zu verankern (vgl. Pocket 17 1970, S. 9).

Folglich wurden 1968 die ersten Kinderläden in Deutschland gegründet und hielten Einzug in Erziehungsanstalten, wie Kindergärten und Schulen (vgl. Pocket 17 1970, S. 16). Die Gründung der Kinderläden ging auf das politische Engagement der Frauen zurück, welche mehr Zeit für dieses aufwenden und eine geeignete Kinderbetreuung für diese Zeit benötigten. Das Bedürfnis der Frauen nach Mitsprache und -arbeit ließ sich durch zu geringe Kinderbetreuung und den

angewendeten Erziehungsmethoden einer autoritären Herkunft nicht stillen. In Zusammenarbeit mit dem Aktionsrat wurden die Werke von A. S. Neill studiert, um einen Konsens zu finden, der eine Kindererziehung nach den Wünschen der Politik ermöglichte. Da sich Neill mit seinem Ansatz der antiautoritären Erziehung jedoch gegen einen gesellschaftlichen Bezug stellte, schien dieses Konzept nicht übertragbar. Der Aktionsrat hatte sich in Zusammenarbeit mit den politisch engagierten Frauen an den marxistischen AutorInnen orientiert. Die Umgestaltung der sozialistischen Gesellschaft wurde proklamiert und die Erziehungskonzepte der kapitalistischen Auffassung kritisiert (vgl. Pocket 17 1970, S. 75ff.).

Die wichtigsten Aufgaben der Kinderläden bestand ab der Gründung im Sammeln von Erfahrung innerhalb des Kindergartens. Kinder konnten in der Kindergruppe ihre Bedürfnisse besser und zu ihrer Zufriedenheit äußern, was als positiv zu bewerten galt. Dieser Effekt wäre in einer Eltern-Kind-Konstellation nicht zu tragen gekommen (vgl. ebd., S. 93).

Das Ziel der Kinderläden und der antiautoritären Erziehung liegt für die Autorin Mauritz (2018) in der Schaffung eines neuen Menschenbildes, um eine veränderte Gesellschaft herbeizuführen.

Die Autorin nimmt die Sichtweise von Wolff auf und hebt vier Grundelemente einer antiautoritären Erziehung hervor. Die antiautoritäre Erziehung würde sich gegen die von der Gesellschaft geforderten Anpassungen und Disziplinarmaßnahmen stellen (1), wodurch ein Lernprozess in Gang gesetzt würde, der in Bezug zu der individuellen Libidoentwicklung in Zusammenhang steht (2). Es geht um ein kollektives Erziehungsverständnis, welches sich gegen die kapitalistischen Anpassungen wehrt und die autoritär gekennzeichneten Felder der Macht und Unterdrückung untergräbt (3). Als letzten Punkt werden die Erziehungsverhältnisse der PädagogInnen (4) betrachtet, welche sich mit der verdrängten Komplexität der Erziehungsprozesse beschäftigen (vgl. Mauritz 2018, S. 43 f.).

Übersehen wurde eine abwesende Autorität in der Erziehung, die ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit fordert und gegen die sich das Individuum zu stellen hat. Je mehr Freiheit gegeben wird, umso mehr hat sich das Individuum durch Selbstzwang zu disziplinieren, was von Erwachsenen gefordert, aber Kindern nicht zugemutet werden kann. Werden dem Kind zu viele Freiheiten gelassen, so kann sich keine reife Persönlichkeit entwickeln, die „darauf verzichtet, sich auf Kosten anderer zu entfalten“ (Gaschke 2001, S. 17). Auf diesem Gedanken beruht „der fundamentale Irrtum der antiautoritären Pädagogik, das Erziehungsziel, den freien, verantwortungsvollen Menschen, mit dem Weg zu diesem Ziel verwechselt zu haben“ (Gaschke 2001, S. 17).

Die Autoren Omer und von Schlippe (2017) verweisen auf Forschungsergebnisse von Steinberg und Hassenstein und schildern einen deutlichen Zusammenhang zwischen einer antiautoritären oder permissiven Erziehung, mit dem Aufwachsen und der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Es resultierten ein hohes Aggressionsniveau, Schulabbrüche und Promiskuität.

Das Selbstwertgefühl war kaum vorhanden, was sich die ForscherInnen nicht erklären konnte, denn in diesen Erziehungsformen wurde den Kindern Wertschätzung und Zuwendung entgegengebracht. Das Selbstbild beruhte nicht nur auf einer positiven Reflexion, sondern auf der Bewältigung von schwierigen Situationen. Der Eintritt in den Kindergarten, der erste Schultag oder das Befolgen von Regeln stellten für viele unüberwindbare Herausforderungen dar. Sind Kinder in einem permissiven Umfeld erzogen worden, war es ihnen nicht möglich, auf „positive Erfahrungen der Schwierigkeitsbewältigung“ (Omer/v. Schlippe 2017, S. 27) zurückzugreifen, da ihnen die Erfahrung mit der Bewältigung durch das Eingreifen einer erwachsenen Person abgenommen wurde (vgl. ebd., S. 26 f.).

Der heranwachsende Mensch ist sich selbst zu überlassen, um das Leben meistern zu können.

Eine zu strenge Steuerung bringt wenig Gutes mit sich und lässt das Pädagogische in der Erziehung als negativ bewerten. Eine maßregelnde Strenge hat in der Absicht stattzufinden, die einem Zweck dient und bei Erfüllung dieser in eine mildere Form der Leitung übergeht. Im Vordergrund allen Handelns steht das Kind als vernünftiges Wesen, welches als solches zu behandeln ist (vgl. Locke 1967, S. 35 ff.). Die Kinder und Jugendlichen wollen als vernünftige Wesen angesehen und behandelt werden. Und nur dadurch sei eine Lenkung möglich, da es sich um ein Werkzeug der Kinder handelt, welches sie früh erlernen und durch Beobachtungen internalisieren (vgl. ebd., S. 68).

Wie es bereits Sennett (1985) formulierte, gehöre das Tabu der Autorität gebrochen „damit die Manipulation aufhört. Eine «wirkliche Autorität» ist in meinen Augen kein repressiver oder tyrannischer Herrscher; diese Erwartung selbst ist noch ein Indiz dafür, wie schwer es uns fällt, über das Phänomen der Autorität nachzudenken“ (Sennett 1985, S. 15 f.).

Aus einer pädagogischen Betrachtungsweise sieht der Autor Reichenbach (2011) Ablehnungstendenzen als den ersten Schritt der Trennung von Autoritäten. Da sich das pädagogische Ziel daran richtet, sich als pädagogische Beziehung aufzulösen, ist die Präsenz einer Autorität in der Zwischenphase, vom Kind zum Jugendlichen, als ablehnend zu bewerten.

Eine sichere Umgebung und geordnete Vorgänge sind für das emotionale Wohlbefinden von

Bedeutung. Die Ablehnungsbindung kann „in der Funktionalität für die Person gesehen werden; ihr wird erstens die Illusion oder das Selbstverständnis von Emanzipation und Autonomie (…) ermöglicht und zweitens (…) das Bedürfnis nach Nähe und Kontakt (…) befriedigt“ (Reichenbach 2011, S. 44).

Sowohl die traditionelle Vorstellung von Autorität als auch die antiautoritären (permissiven) Zugänge scheitern in ihrem Auftrag und steuern die Kindererziehung auf ein neues Problem zu.

Wie bereits von Bueb und Winterhoff formuliert, ist in der Erziehung von einer partnerschaftlichen Erziehung abzusehen, da sich diese gegen die Chancen einer gesunden Entwicklung von Kindern stellt (vgl. Omer/v. Schlippe 2017, S. 27 f.).