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2.3 Die Raumwirtschaftstheorien von C HRISTALLER , L ÖSCH und L ANGE

2.3.3 Die Wachstumstheorie zentralörtlicher Systeme von L ANGE

2.3.3.2 Determinanten und Ausprägungen des (räumlichen) Einkaufsverhaltens

In der Theorie von LANGE wird das Konsumentenverhalten in einen nicht-räumlichen und einen räumlichen Aspekt getrennt, wobei sich ersteres in letzterem wiederfindet, sobald räumliche Aspekte – insbesondere die Notwendigkeit von Einkäufen bei einer räumlichen Trennung von Anbietern und Nachfragern – berücksichtigt werden. Völlig unabhängig vom räumlichen Einkaufsverhalten existieren zunächst individuelle Konsumgewohnheiten bzw.

-notwendigkeiten, die zusammengefasst als Verbrauchsprofil bezeichnet werden. Das Verbrauchsprofil ist „die Menge der von einem Konsumenten oder einer Gruppe von Konsumenten in einem bestimmten Zeitraum nachgefragten Güter“ (LANGE 1973, S. 15), wobei unter „Gütern“ sowohl Waren als auch Dienstleistungen verstanden werden; dieses unterliegt einem zeitlichen Wandel und wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst (z.B.

Einkommen, Beschäftigung, Alter, Geschlecht, Freizeit, Werbung, Preis und Qualität des Angebots etc.), wobei das Einkommen (hier: das Pro-Kopf-Einkommen) die wichtigste Einflussgröße darstellt, da es den Konsum letztendlich am stärksten limitiert und der Konsum das Einkommen langfristig betrachtet nicht übersteigen kann (ebd., S. 18f.).

Die Wirkung des Einkommens auf das Verbrauchsprofil wird anhand der Theorie der Engelkurven (nach ENGEL 1857) hergeleitet, wobei sich der Zusammenhang zwischen Einkommen und Verbrauchsprofil wie folgt zusammenfassen lässt (LANGE 1973, S. 20ff.):

 Je höher (bzw. niedriger) die Verbrauchshäufigkeit eines Gutes ist, desto niedriger (bzw. höher) ist dessen Einkommenselastizität, d.h. desto weniger (bzw. mehr) erhöht sich die Nachfrage bei einem Einkommenszuwachs. So genannte Luxusgüter haben eine sehr hohe Einkommenselastizität, d.h. sobald das Initialeinkommen erreicht ist, ab dem der Erwerb dieser Güter überhaupt möglich ist, steigt deren Verbrauchshäufigkeit überproportional. Lebensnotwendige Güter sind unelastisch, d.h. bei einem Einkommenswachstum steigt ihr Konsum nur wenig. Konsumenten mit geringem Einkommen fragen vorwiegend Güter großer Verbrauchshäufigkeit (z.B.

22 Die Berücksichtigung des politischen Einflusses wird von LANGE (1973, S. 8 u. 12f.) ausdrücklich eingefordert und als notwendig erachtet, jedoch von ihm selbst nicht geleistet.

Nahrungsmittel) nach, weniger Güter mittlerer Verbrauchshäufigkeit (z.B. Bekleidung) und noch weniger Güter kleiner Verbrauchshäufigkeit (z.B. Autos)

 Ab einem bestimmten Punkt ist ein Sättigungsniveau der Verbrauchsmenge erreicht, ab dem mit steigenden Einkommen nicht mehr Güter dieses Typs verbraucht, sondern Varianten höherer Qualität konsumiert werden

 Steigt das Einkommen der Konsumenten, wirkt sich dies in dreierlei Hinsicht aus:

o Das Verhältnis der konsumierten Güter verschiebt sich zu Gunsten von Gütern mittlerer und kleiner Verbrauchshäufigkeit; je höher die Einkommen, desto mehr solcher Güter werden erworben

o Die absolute Anzahl der nachgefragten Güter erhöht sich, da neue Güterarten hinzukommen, die vorher in Ermangelung von verfügbarem Einkommen nicht erworben werden konnten

o Die konsumentenseitigen Ansprüche im Hinblick auf die Auswahl in den nachgefragten Güterklassen steigen; dies betrifft insbesondere Konsumenten, die bereits Erfahrungen mit der jeweiligen Güterart gemacht haben (z.B. nach mehrmaligem Kauf eines Autos)

Eine Umsetzung des Verbrauchsprofils in räumliches Konsumentenverhalten erfolgt durch die Definition des Besorgungsprofils, das die „Menge der von einem Konsumenten in einem bestimmten Zeitraum durchgeführten Besorgungen“ umfasst. Eine Besorgung ist hierbei der

„von einem Konsumenten mit einer Raumüberwindung verbundene durchgeführte oder versuchte Einkauf von Gütern, […] ein Weg mit Start und Ziel“ (LANGE 1973, S. 29)23. Dieser Einkauf umfasst eine Reihe von notwendigen Schritten, die in der Summe den gesamten Aufwand bzw. die gesamten Transport- und sonstige Transaktionskosten dieses Einkaufs repräsentieren (ebd., S. 33ff.):

 Die äußere Raumüberwindung bezieht sich auf alle Schritte des Einkaufs außerhalb des Angebotsstandortes, z.B. die PKW- oder ÖPNV-Fahrtzeit vom Aufenthaltsort der Konsumenten zum Angebotsstandort und zurück

 Die innere Raumüberwindung umfasst alle Kosten, die am Angebotsstandort selbst anfallen, z.B. Suchkosten bei der Parkplatzsuche und der anvisierten Produkte in der Verkaufsstelle; letztere steigen mit der Größe (Verkaufsfläche) der Anbieter

Einkäufe sind also notwendigerweise mit Transaktionskosten verbunden. Auch wenn keine Nutzenmaximierung bzw. Kostenminimierung angenommen wird, sind den Kapazitäten der räumlichen Interaktionen von Konsumenten aufgrund ihrer Zeiteinteilung und anderer Faktoren immer gewisse Grenzen gesetzt; es ist für sie daher nötig, die entstehenden Transport-/Transaktionskosten (im Sinne der investierten Zeit) zumindest einen kritischen Wert nicht übersteigen zu lassen (ebd., S. 32). Daher ist ein Minimum an Kopplungskäufen unerlässlich, jedoch auch nur ein Maximum an Kopplungskäufen möglich; der

23 Hierbei werden nur stationäre Angebote berücksichtigt. Da es Formen des Distanzhandels gibt und so ein bestimmter Teil der nachgefragten Güter ohne Einkaufsfahrten erworben werden kann, wird nicht das gesamte Verbrauchsprofil in das Besorgungsprofil umgesetzt (LANGE 1973, S. 31f.).

verbraucherseitige Handlungsspielraum wird also durch zwei Extreme beschnitten (ebd., S.

36ff.):

 Die minimal notwendige Kopplung ergibt sich aus der notwendigen Zeiteinsparung;

da das Zeitkontingent begrenzt ist, ist ein gewisses Maß an Mehrzweckeinkäufen obligatorisch

 Die maximal mögliche Kopplung kommt hingegen dadurch zustande, dass einerseits bei einem Einkauf nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung steht und andererseits die konsumentenseitige Besorgungskapazität begrenzt ist, d.h. dass nur eine bestimmte Gütermenge im Zuge eines einzelnen Einkaufs transportierbar ist

Die Einflüsse der minimal nötigen und der maximal möglichen Kopplung auf den Handlungsspielraum der Konsumenten werden in Abb. 7 veranschaulicht.

Abbildung 7: Der Handlungsspielraum der Konsumenten in der Theorie von LANGE Quelle: Eigene Darstellung nach KULKE (2005, S. 21), verändert

In Anlehnung an BÖKEMANN (1967) differenziert LANGE (1973, S. 74) zudem das Kopplungsverhalten am Angebotsstandort:

 Die gleichzeitige Besorgung von Gütern gleicher Verbrauchshäufigkeit wird als horizontale Kopplung bezeichnet

 Die vertikale Kopplung umfasst die gleichzeitige Besorgung von Gütern unterschiedlicher Verbrauchshäufigkeit

Beide Formen der Kopplung können parallel während eines Einkaufs stattfinden. Zudem berücksichtigt LANGE auch Vergleichskäufe (z.B. S. 71, 99 u. 129ff.); diese liegen jedoch nicht im Zeitbudget der Konsumenten begründet, sondern in steigenden Ansprüchen.

Nach LANGE ist es nicht möglich, die Wahl eines Angebotsstandortes exakt vorauszusagen, da kein „rationales“ Verhalten im ökonomischen Sinne angenommen wird; es wird weder Nutzenmaximierung noch vollständige Information unterstellt (siehe Kap. 2.3.3.1). Das räumliche Einkaufsverhalten kann dementsprechend verschieden charakterisiert sein, je nachdem wie ausgeprägt die Konsumenten über das Angebot und den in Kauf zu

nehmenden Aufwand (v.a. Transportkosten) informiert sind; hierbei greift LANGE auf die Gedanken von BAUMOL/IDE (1956) zurück. Dieser theoretische Ansatz hat u.a. die räumliche Einkaufsorientierung unter der Bedingung unvollständiger Information bzw. Unsicherheit zum Gegenstand. Der Grundgedanke ist ein probabilistisches Konsumentenverhalten, d.h. dass keine exakten Prognosen zur Einkaufsstättenwahl möglich sind, sondern nur Wahrscheinlichkeiten der Entscheidung für die zur Verfügung stehenden Angebotsstandorte, die von bestimmten Faktoren abhängen. Als Element, das die Einkaufswahrscheinlichkeit erhöht, wird in diesem Zusammenhang die Auswahl an Produkten identifiziert, die ein Angebotsstandort bietet; je mehr Güter dort offeriert werden, desto höher ist demnach die Wahrscheinlichkeit, bei einer Einkaufsfahrt dorthin die gewünschten Güter erwerben zu können, d.h. die eigenen (Konsum-)Bedürfnisse zu befriedigen (BAUMOL/IDE 1956, S. 93f.).

Es ergeben sich somit für unterschiedliche Informationsgrade diverse Möglichkeiten der Wahl zwischen mehreren Angebotsstandorten (LANGE 1973, S. 46ff.):

 Für den (unrealistischen) Fall, dass der Konsument eine komplette Marktübersicht hat und exakt über die Transportkosten Bescheid weiß, trifft er – wie bei CHRISTALLER

und LÖSCH – seine Einkaufsstättenwahl nach der Entfernung. Hierbei entfallen jene Angebotsstandorte als Optionen, von denen bekannt ist, dass dort das gewünschte Angebot nicht vorgehalten wird und/oder der räumlich bedingte Aufwand zu hoch ist

 Der realistischere Fall ist jedoch, dass die Konsumenten nicht oder zumindest nicht exakt über das vorgehaltene Angebot und/oder den in Kauf zu nehmenden Aufwand informiert sind. Hierbei würde die Wahl am ehesten auf den Angebotsstandort treffen, bei dem die Erfüllung der Bedürfnisse am wahrscheinlichsten ist, auch wenn dieser vom Ausgangspunkt möglicherweise weiter entfernt liegt

 Bleiben – unabhängig vom Informationsgrad – nach dem Ausschlussvorgang nur noch zwei Angebotsstandorte übrig, so wäre hier unter ansonsten gleichen Bedingungen die Auswahl des näher gelegenen die wahrscheinlichste Konsequenz Der Zusammenhang zwischen Einkommen bzw. Haushaltsbudget und Konsum schlägt sich im räumlichen Einkaufsverhalten nieder; dieses unterliegt vor dem Hintergrund steigender Haushaltseinkommen einiger Veränderungen (LANGE 1973, S. 70f.):

 Bei steigenden Einkommen werden mehr Güter konsumiert und neue Güter kommen hinzu, wobei zugleich der Auswahlanspruch hinsichtlich dieser Güter steigt. Dies erfordert Veränderungen in der Einkaufsorganisation, da eine größere Gütermenge eingekauft und eine umfangreichere Sortimentstiefe gewünscht wird. Zugleich herrscht keine vollständige Markttransparenz, so dass die Wahrscheinlichkeit eines

„erfolgreichen“ Einkaufs mit dem Umfang des Angebots steigt. Es werden daraus folgend Angebotsstandorte umso mehr bevorzugt, je umfangreicher ihr Angebot ist, d.h. je mehr Möglichkeiten von Kopplungs- und Vergleichskäufen sie bieten

 Das steigende Einkommen hat zudem zur Folge, dass die Konsumenten mobiler sind, da ihnen die Nutzung leistungsfähigerer (d.h. schnellerer und/oder bequemerer) Verkehrsmittel (insb. PKW) ermöglicht wird. Dies wirkt sich einerseits auf die Besorgungskapazität aus, da mehr Güter transportiert werden können (Steigerung der maximal möglichen Kopplung) und andererseits dahingehend, dass weiter

entfernte, gut ausgestattete Angebotsstandorte, die vorher nicht zur Auswahl standen, erreichbar werden