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3.3 Ökonometrische Marktgebietsmodelle

3.3.1 Das Multiplicative Competitive Interaction Model von N AKANISHI /C OOPER

3.3.1.1 Grundprinzip und Herleitung des Modells

Das Multiplicative Competitive Interaction Model (kurz: MCI-Modell) wurde aus einer wirtschaftspsychologischen bzw. Marketing-Perspektive von NAKANISHI/COOPER (1974 u.

1982) entwickelt. Es bildet einerseits eine inhaltliche Generalisierung des HUFF-Modells und einen Transfer dieses Ansatzes in ein ökonometrisches Modell. Andererseits stellt es ein allgemeines Marktanteilsmodell auf dem Fundament der Marktanteilstheoreme dar. Die verhaltenswissenschaftliche Grundlage des MCI-Modells ist aus den nutzentheoretischen Entscheidungsmodellen abzuleiten; das Modell unterstellt den Entscheidungsträgern ein probabilistisches Wahlverhalten (wie das HUFF-Modell) auf der Basis einer Nutzenfunktion mit einem deterministischen bzw. „erklärbaren“ und einem stochastischen bzw. „nicht erklärbarem“ Anteil (siehe Kap. 3.1.2).

Das MCI-Modell wird von NAKANISHI/COOPER (1974, S. 303) in ähnlicher Weise wie das HUFF-Modell operationalisiert (siehe Kap. 3.2.2.2), jedoch werden die erklärenden Variablen explizit nicht festgelegt. Auch wird offen gelassen, ob überhaupt räumliche Aspekte (z.B.

Fahrtzeiten) in das Modell integriert werden bzw. ob es dafür genutzt wird, räumliche Märkte (z.B. Marktgebiete von Einkaufsstätten) oder nicht-räumliche Märkte (z.B. Marktanteile von Marken oder Unternehmen) zu analysieren. Die Zielgröße ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Konsument in der i-ten Entscheidungssituation für die Alternative j entscheidet.

Grundlage der Abwägung der Alternativen ist eine multiplikative Nutzenfunktion mit h Eigenschaften der Alternative j, die jeweils mit dem Parameter γh exponentiell gewichtet werden. Die Entscheidungswahrscheinlichkeit ergibt sich aus dem Produkt der gewichteten Teilnutzen dividiert durch die Summe aller Produkte (siehe Formel 16).

 

pij = Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Konsument in der i-ten Entscheidungssituation für die Alternative j entscheidet Ahj = h-te Eigenschaft der Alternative j

γh= Gewichtungsparameter der Eigenschaft h

Die ausschlaggebende Neuerung im MCI-Modell ist jedoch nicht die Einführung einer beliebigen Zahl von Erklärungsgrößen, sondern die Übertragung der Methodik empirisch-ökonometrischer Marktanteilsanalyse auf das (inhaltlich generalisierte) Interaktionsmodell.

Hatte die nicht-lineare Struktur des HUFF-Modells eine ökonometrische Schätzung der Parameter bisher unmöglich gemacht, zeigen NAKANISHI/COOPER (1974, S. 304ff.) einen Weg auf, das Modell zu linearisieren und einer empirisch gestützten Parametrisierung mittels konventioneller linearer Regressionsanalyse zugänglich zu machen:

Ein Störterm (εij) wird hinzugefügt, der den stochastischen Teil der Modellgleichung repräsentiert, d.h. alle Einflüsse auf den Marktanteil, die im Modell nicht berücksichtigt werden bzw. werden können (z.B. nicht-beobachtbare Einflussgrößen, Spezifikations- oder Messfehler). Der Konsumentennutzen wird also in eine

„erklärbare“ und eine „nicht-erklärbare“ Komponente aufgeteilt (siehe Kap. 3.1.2)

Die nicht-lineare Modellgleichung (Formel 17) wird zunächst mittels geometrischer Mittelwerte standardisiert und dann logarithmiert, um die durch Potenzfunktionen gewährleistete Gewichtung linear darzustellen (Log-centering-transformation)

Im Ergebnis steht ein multiples lineares Regressionsmodell mit h verschiedenen Produkt- bzw. Anbietereigenschaften als unabhängige (d.h. erklärende) Variablen (siehe Formel 18). Als abhängige (d.h. zu erklärende) Variable fungieren empirisch beobachtete Marktanteile von Produkten oder Anbietern bzw. Entscheidungen, die z.B. anhand von Kundenbefragungen ermittelt werden

Das Modell wird mit Hilfe der linearen Regressionsanalyse (Kleinste-Quadrate-Methode) geschätzt. Diejenigen Produkt-/Anbietereigenschaften, die für die Ausprägung der Zielvariable einen statistisch signifikanten Beitrag leisten, werden mit einem Parameter in das Regressionsmodell aufgenommen, der die Richtung und die Stärke ihres Einflusses wiedergibt

εij = Stochastischer Störterm bzw. Residuum (Abweichung der Modellfunktion von den Echtdaten) Interaktionsmatrix mit i Entscheidungssituationen (bzw. Nachfrageorten) und j Alternativen (bzw. Angebotsstandorten) abgetragen. Die Daten werden im o.g. Sinne transformiert, um

daraufhin die Zusammenhänge zwischen Marktanteil und den unabhängigen Variablen statistisch ermitteln zu können. Die multiple lineare Regressionsanalyse liefert als Ergebnis eine Prüfung der Eingangsvariablen auf statistische Signifikanz, die geschätzten Parameter und ein Modellgütemaß (COOPER/NAKANISHI 2010, S. 110ff.; HUFF/MCCALLUM 2008, S. 23ff.).

Nachdem die relevanten Variablen und die Ausprägung ihres Einflusses bestimmt wurden, werden die geschätzten Parameter in das ursprüngliche, nicht-transformierte Modell (Formel 17) eingesetzt, um als Modellergebnis logisch konsistente Marktanteile zwischen null und eins zu erhalten33. Die Parameter können entweder direkt als Exponenten in das Ursprungsmodell überführt werden (siehe Formel 19), was der Struktur des HUFF-Modells entspricht, oder in transformierter Form in einen anderen funktionalen Zusammenhang gebracht werden (siehe Formel 20 und 21) (NAKANISHI/COOPER 1982, S. 316f.). Das Modell kann nun auch zur Simulation bzw. Prognose (z.B. bei Neuansiedlungen von Einzelhandelsbetrieben) eingesetzt werden; die Anwendung entspricht dann der des HUFF -Modells (HUFF/MCCALLUM 2008, S. 25ff.).

= Geschätzte(r) Interaktionswahrscheinlichkeiten/Marktanteil der Alternative j für den Entscheidungsträger i γ^hi = Im Regressionsmodell geschätzter Gewichtungsparameter der h-ten Eigenschaft

 

y^ij = Transformierte Nutzenfunktion

In einer MCI-Modellanalyse wird einerseits empirisch geprüft, ob eine bestimmte Produkt- oder Anbietereigenschaft einen Einfluss auf den Marktanteil hat, andererseits wird im Falle einer statistisch signifikanten Auswirkung bestimmt, wie dieser Einfluss charakterisiert ist.

Das Modell kann prinzipiell auf alle Sachverhalte angewandt werden, in denen Marktanteile

33 Das Regressionsmodell selbst verfügt über keine obere oder untere Begrenzung der Zielvariable, so dass hiermit theoretisch Marktanteile unter null oder über eins (bzw. über 100%) berechnet werden könnten, die in der Summe nicht eins ergeben; solche Ergebnisse würden aber dem Grundprinzip von Marktanteilsmodellen (siehe Kap. 3.1.2) widersprechen, logisch konsistente Marktanteile zu ermitteln (NAKANISHI/COOPER 1982, S. 315).

bzw. (Konsumenten-)Entscheidungen auf der Grundlage angebots- und/oder nachfrageseitiger Struktureigenschaften untersucht werden. Es kann sowohl in räumlicher (als Marktgebietsmodell) als auch in nicht-räumlicher Perspektive (als Marktanteilsmodell) genutzt werden; ebenso können objektive und/oder subjektive Struktureigenschaften als Erklärungsgrößen einfließen. Sofern das MCI-Modell explizit räumlich auf Angebotsstandorte angewandt wird und die Transportkosten einen statistisch signifikanten Einfluss besitzen, ist sie Teil der Nutzenfunktion im Modell (CLIQUET 2006, S. 144f.; HUFF/MCCALLUM 2008, S. 4f.).

Obwohl das MCI-Modell allgemein formuliert und für verschiedene Formen von individuellen oder aggregierten (Konsumenten-)Entscheidungen konzipiert ist, wird es im Einzelhandel für gewöhnlich zur Modellierung lokaler Marktanteile auf der Ebene geographisch definierter Gebiete verwendet; es bildet also keine individuellen Entscheidungen ab, auch wenn diese die Grundlage lokaler Marktanteile darstellen, sondern aggregierte Entscheidungen auf der Ebene von Teilräumen (DION/CLIQUET 2006, S. 41).

In den MCI-Modellanalysen zur Einkaufsstättenwahl erfolgt die Ermittlung der empirischen Marktanteile, die die abhängige Variable im Modell darstellen, meistens auf der Grundlage von konsumentenseitigen Primärerhebungen; es werden hierbei insbesondere telefonische, schriftliche oder mündliche Haushaltsbefragungen zur Einkaufsorientierung benutzt (z.B.

COLOMÉ PERALES 2002, GHOSH 1984, GONZÁLEZ-BENITO et al. 2000, SUÁREZ-VEGA et al.

2011, TIHI/ORUC 2012). Das MCI-Modell zählt zu den Revealed-preference-Ansätzen, d.h.

die Konsumenten werden nach ihrem tatsächlichen Einkaufsverhalten in der Vergangenheit befragt; hierbei wird beispielsweise nach dem am häufigsten besuchten Angebotsstandort oder nach allen besuchten und/oder in Frage kommenden gefragt (COLOMÉ PERALES 2002, S. 9ff.; HUFF/MCCALLUM 2008, S. 23). Point-of-sale-Erhebungen zur Abgrenzung von Marktgebieten werden nur selten benutzt (z.B. KUBIS/HARTMANN 2007).

Werden als erklärende Größen nur die Verkaufsfläche der Anbieter und die Fahrtzeit zwischen Nachfrage- und Angebotsstandorten verwendet, entspricht dies inhaltlich dem ursprünglichen HUFF-Modell. Das MCI-Modell ist dementsprechend dazu tauglich, dessen erklärende Variablen auf ihre Aussagekraft hin zu testen und somit das theoretisch-deduktive HUFF-Modell zu verifizieren bzw. zu falsifizieren; in diesen Fällen sind die beiden genannten Einflussgrößen stets als statistisch signifikant befunden und entsprechend den theoretischen Vorstellungen HUFFs parametrisiert worden (z.B. GHOSH 1984, KUBIS/HARTMANN 2007, SUÁREZ-VEGA et al. 2011). Jedoch sind auch breiter angelegte Erweiterungen auf eine Vielzahl von Größen möglich, die objektiver und/oder subjektiver Natur sein können (z.B.

CLIQUET 1995, COLOMÉ PERALES 2002, GONZÁLEZ-BENITO 2005, GONZÁLEZ-BENITO et al.

2000, TIHI/ORUC 2012, TIMMERMANS 1981). Im Großteil der angeführten Studien wird das MCI-Modell nur zur Analyse der Einflussfaktoren von Marktgebieten genutzt, wohingegen Simulations- und Prognoseanwendungen eher selten sind (z.B. SUÁREZ-VEGA et al. 2011).

In der praktischen Anwendung des MCI-Modells können Probleme auftreten, die auf dessen mathematischen Eigenschaften beruhen. Da das Modell unter Zuhilfenahme des geometrischen Mittelwertes und Logarithmen linearisiert wird, dürfen die Ausprägungen der Modellvariablen weder negativ noch gleich null sein; alle Teilnutzenwerte (z.B. Distanz) und empirischen Marktanteile müssen also größer null sein (COOPER/NAKANISHI 2010, S. 153ff.).

Sofern z.B. aus einzelnen Nachfrageorten keine Interaktionen mit einer oder mehreren Alternativen erhoben wurden, muss die zugrunde gelegte Interaktionsmatrix nachbearbeitet werden (z.B. COLOMÉ PERALES 2002, KUBIS/HARTMANN 2007, TIHI/ORUC 2012). Wie bei allen

(linearen) Regressionsmodellen besteht bei MCI-Analysen zudem das Problem möglicher Verzerrungen der Parameter, wenn die grundsätzlichen Annahmen eines linearen Regressionsmodells (z.B. durch Heteroskedastizität oder Multikollinearität) verletzt werden (HARTMANN 2005, S. 35f.; TIMMERMANS 1993, S. 354).

3.3.2 Das diskrete Entscheidungsmodell nach MCFADDEN