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1.2 Grundlagen und Begrifflichkeiten der Einzelhandelsforschung

1.2.1 Der Einzelhandel in funktioneller, institutioneller und warenorientierter Sicht

betrachtet, die sich zwischen der betriebswirtschaftlichen (z.B. SCHRÖDER 2012, S. 30ff.) und der geographischen Handelsforschung (z.B. HEINRITZ et al. 2003, S. 20ff.) unterscheiden. Im Folgenden werden die funktionelle, institutionelle und warenorientierte Sichtweise auf den Einzelhandel grob skizziert, was zugleich die Vorstellung einiger zentraler Grundbegriffe und -zusammenhänge mit sich bringt, die für das weitere Verständnis notwendig sind.

Der Wirtschaftszweig des Einzelhandels ist in funktioneller Hinsicht, d.h. nach seiner Stellung im Wirtschaftsgefüge, als letzter Distributionskanal zwischen Erzeugern und Konsumenten für den Absatz bzw. die Verteilung von Gütern an Endverbraucher (d.h. private Haushalte) zuständig. Die Güter werden dabei von den Einzelhandelsunternehmen bei den Herstellern oder im Großhandel beschafft und i.d.R. ohne weitere Be- oder Verarbeitung direkt an die privaten Nachfrager verkauft. Der Einzelhandel erfüllt also die Funktion eines Intermediärs zwischen den Herstellern und den Verbrauchern; hierbei überbrückt er die (zeitliche und räumliche) Trennung von Produktion und Konsum, wirkt maßgeblich bei der Preis- und Mengenanpassung bei Konsumgütern mit, aggregiert diese zu einem Sortiment und sorgt für ihre Bekanntmachung und die Darbietung zugehöriger Informationen (HEINRITZ et al. 2003, S. 20ff.; SCHRÖDER 2012, S. 38f.). Aufgrund seiner Zielgruppe ist der Einzelhandel eine konsumentenorientierte Dienstleistung und gehört somit dem tertiären Wirtschaftssektor an (KULKE 2009, S. 142).

In der amtlichen Wirtschaftszweigklassifikation des Statistischen Bundesamtes (WZ 2008) wird der Einzelhandel mit der Wirtschaftsabteilung 47 erfasst, die sämtlichen Einzelhandel in sowie außerhalb von Verkaufsstellen einschließt; hierzu zählen z.B. auch Apotheken, Tankstellen und der Gebrauchtwarenhandel, nicht jedoch der Kfz-Handel (WZ2008-Abteilung 45). Nach dieser wirtschaftsstatistischen Definition gehört das Lebensmittelhandwerk (d.h.

Bäcker und Metzger) nicht zum Einzelhandel, da die vertriebenen Produkte durch die Anbieter selbst hergestellt werden und diese daher dem Handwerk (WZ2008-Abteilung 10) zugeordnet sind. Aus der Perspektive der geographischen Handelsforschung ist es jedoch aufgrund der vergleichbaren Kundenbeziehungen und der räumlichen Nähe zu Einzelhandelsanbietern angebracht, sie ebenfalls als solche zu berücksichtigen (HEINRITZ et al. 2003, S. 24). Daher werden sie im Folgenden dem Einzelhandel zugerechnet.

Nach KULKE (2009, S. 142) zählen alle Dienstleistungen, deren Zielgruppe die Haushalte bzw. Endverbraucher sind, zu den konsumentenorientierten Dienstleistungen (z.B. auch Frisörsalons, Reinigungen, Reisebüros oder gastronomische Einrichtungen). Viele dieser Dienstleistungsformen sind häufig in räumlicher Nähe zu Einzelhandelsangebot angesiedelt (z.B. in Innenstädten oder geplanten Einkaufszentren) und werden kundenseitig auch in Verbindung mit Einzelhandelsanbietern frequentiert; diese werden daher auch als einzelhandelsnahe Dienstleistungen bezeichnet (GIF 2000, S. 22).

Der Einzelhandel wird institutionell hinsichtlich seiner Erscheinungsformen differenziert;

hierzu gehören u.a. die Vertriebskanäle, die Betriebsformen sowie die Systemtypen des Einzelhandels (HEINRITZ et al. 2003, S. 23ff.; SCHRÖDER 2012, S. 32ff.).

Die Vertriebskanäle definieren die Art und Weise des Kundenkontaktes bzw. des Warenabsatzes (HEINEMANN 2008, S. 14ff.):

Im stationären Einzelhandel befindet sich der Einzelhandelsanbieter an einem festen Ort, den der Kunde zwecks Erwerb der nachgefragten Güter aufsucht

Sucht der Anbieter an einem bestimmten Platz (Markt) oder durch direkten Kontakt (Haustürverkauf) die Nähe zum Kunden, liegt ambulanter Einzelhandel vor

Im Distanzhandel werden Produkte über Medien (z.B. Katalog, Internet) beworben, angeboten und verkauft, ohne dass ein persönlicher Kontakt zwischen Verkäufer und Kunde stattfindet; zum Distanzhandel gehört also auch der Onlinehandel

Die konsumentenseitig direkt wahrnehmbare Erscheinung eines Einzelhandelsanbieters ist durch seine Betriebsform bestimmt; diese stellt eine definitorische Zusammenfassung der Kombination verschiedener absatzpolitischer Instrumente von Einzelhandelsbetrieben in Gruppen von Anbietern mit ähnlichen Ausprägungen dar. Absatzpolitische Instrumente sind alle anbieterseitigen Handlungsparameter, die einen Einfluss auf das nachfrageseitige Einkaufsverhalten haben und auf diese Weise den Anbieter charakterisieren; anhand ihrer Ausprägungen lassen sich die Betriebsformen des Einzelhandels abgrenzen (HEINRITZ et al.

2003, S. 26ff. u. 68f.; MÜLLER-HAGEDORN et al. 2012, S. 50ff.; SCHRÖDER 2012, S. 32f.):

 Die Bedienungsform bezieht sich auf die Ausprägung des Kundenkontaktes im Geschäft (Fremd- oder Selbstbedienung, Vorwahlsystem)

Die Sortimentsgestaltung drückt sich in der Sortimentsbreite (Zahl verschiedener Warengruppen), der Sortimentstiefe (Zahl von Artikeln innerhalb der Warengruppen, d.h. Auswahl bzgl. verschiedener Varianten eines Gutes) und der Sortimentshöhe (vorrätig gehaltene Anzahl der Stücke pro geführtem Artikel) aus

Die Preisgestaltung lässt sich in vielerlei Hinsicht differenzieren; sehr häufig werden zwei preispolitische Konzepte unterschieden: Sonderangebotspolitik (auch: High-Low Promotion Strategy, HILO) ist gekennzeichnet durch regelmäßige, aber zeitlich eng befristete preisbezogene Aktionen (z.B. Sonderangebote für sonst teurere Waren, Rabatte). Eine Dauerniedrigpreispolitik (auch: Every Day Low Price Strategy, EDLP) bezeichnet das Angebot der Waren zu konstant niedrigen Preisen über lange Zeiträume bei gleichzeitig weitgehendem Verzicht auf Sonderangebote

Mit der Sortimentsgestaltung ist die Größe der Verkaufsfläche (zum Verkauf dienender und den Kunden zugänglicher Teil der Geschäftsfläche, v.a. Fläche für Warenpräsentation) verbunden. Ein darauf aufbauendes Differenzierungsmerkmal zwischen Branchen als auch zwischen Betriebsformen derselben Branche stellt die Flächenproduktivität (Umsatz pro qm Verkaufsfläche und Jahr) dar

Der Standort eines Einzelhandelsanbieters (siehe Kap. 1.2.2) ist ebenso ein absatzpolitisches Instrument und eng mit allen genannten Komponenten verbunden

Die Systemtypen des (Einzel-)Handels beziehen sich auf den organisatorischen Aufbau von Einzelhandelsunternehmen im Hinblick auf die Warenbeschaffung und – im Fall von Mehrbetriebsunternehmen – den gemeinsamen Marktauftritt (SCHRÖDER 2012, S. 37f.):

In Filialsystemen (auch: vertikal integrierte Systeme) sind die Groß- und die Einzelhandelsebene unmittelbar miteinander verknüpft, da sie zum selben Unternehmen gehören. Die Filialen (Einzelhandelsebene) beziehen hierbei ihre Waren (fast) ausschließlich aus einer gemeinsamen Zentrale (Großhandelsebene).

In Filialsystemen ist der Marktauftritt (z.B. Logo, Sortiment etc.) zumeist einheitlich, wobei die absatzpolitischen Instrumente in jeder Verkaufsstelle identisch oder nahezu identisch eingesetzt werden (Beispiele: Aldi, Lidl)

Handelskooperationen bestehen aus rechtlich und wirtschaftlich überwiegend selbständigen Einzelbetrieben, die sich vertraglich an eine übergeordnete Zentrale gebunden haben. Betriebe, die Kooperationen angeschlossen sind, können ihre absatzpolitischen Instrumente aufeinander abstimmen, müssen es aber nicht, sondern haben auch die Möglichkeit, diese den lokalen Gegebenheiten anzupassen.

Zu den Kooperationen gehören z.B. Verbundgruppen, Konsumgenossenschaften und Einkaufsgenossenschaften, in denen selbständige Kaufleute ihren Einkauf über eine Zentrale abwickeln (Beispiele: Euronics, Electronic Partner/EP)

In vielen Einzelhandelsunternehmen herrscht eine Hybridform beider Systeme vor, d.h. die Kombination von weisungsgebundenen Filialen und kooperativ organisierten selbständigen Kaufleuten unter dem Dach einer Zentrale (Beispiele: Edeka, Rewe)

Einzelbetriebe ohne jede Zugehörigkeit zu einem Filial- oder Kooperationssystem werden auch als freie, vertikal nicht-organisierte Unternehmen bezeichnet

Eine weitere Differenzierung des Einzelhandels erfolgt warenorientiert, d.h. anhand der Eigenschaften der angebotenen Ware (SCHRÖDER 2012, S. 39f.); hierbei sind vielfältige Differenzierungen möglich, von denen an dieser Stelle zwei Varianten vorgestellt werden.

Aus einer Generalisierung der angebotenen Produkte oder Produktgruppen werden Branchen abgeleitet; diese lassen sich wiederum grob anhand von konsumentenseitigen Bedarfsstufen kategorisieren, die sowohl Verwendungszweck und -dauer der angebotenen Güter (Fristigkeit) als auch die Häufigkeit ihres Einkaufs widerspiegeln (HEINEBERG 2006, S.

181; HEINRITZ et al. 2003, S. 32f.):

Zu den Gütern des kurzfristigen Bedarfs (auch: täglicher Bedarf) zählen vor allem Nahrungs- und Genussmittel sowie Drogerie- und Pharmazieprodukte

Der mittelfristige Bedarf (auch: periodischer Bedarf) beinhaltet unter anderem Bekleidung, Schuhe oder Spielwaren

Zu den Gütern des langfristigen Bedarfs (auch: episodischer Bedarf) werden unter anderem Möbel und Einrichtungsgegenstände, elektronische Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik sowie Bau- und Heimwerkerbedarf gezählt

Besonders selten erworbene und/oder nur für bestimmte Kundengruppen relevante Güter werden als Sonder- bzw. Spezialbedarf benannt (z.B. Musikinstrumente)

Die Segmentierung nach Bedarfsgruppen ist insbesondere in Deutschland populär. Im angloamerikanischen Sprachraum ist die Einteilung der Branchen nach Aspekten des Käuferverhaltens weit verbreitet (HEINRITZ et al. 2003, S. 33; SCHRÖDER 2012, S. 39f.):

Convenience goods sind vergleichsweise günstige, standardisierte Waren, die häufig benötigt werden, woraus abgeleitet wird, dass Konsumenten hierbei einen möglichst wenig aufwendigen Einkauf anstreben; diese Güterklasse deckt sich weitestgehend mit den Gütern das täglichen Bedarfs

Shopping goods umfassen einen Großteil der mittel- und langfristigen Güter und werden anhand des Preises und des Kaufentscheidungsprozesses von den anderen abgegrenzt; sie sind teurer als convenience goods und werden seltener gekauft, wobei die Kaufentscheidung komplexer ist, da sie eine größere Planung voraussetzt und im Regelfall durch Preis- und Qualitätsvergleiche unterstützt wird

Güter mit hohem Einzelwert, die nur sehr selten erworben werden und deren Kaufentscheidung intensiv vorbereitet wird, werden als Specialty goods bezeichnet 1.2.2 Einzelhandel und Raum

Der Standort eines Anbieters ist der geographische Ort, an dem der (Einzelhandels-)Betrieb seine Produktionsfaktoren kombiniert; er bildet in zweierlei Hinsicht ein absatzpolitisches Instrument, da über die unternehmensseitige Wahl des Standortes einerseits die Distanz zu den Kunden, andererseits die Distanz zu den Konkurrenten festgelegt wird. Der Standort eines einzelnen Anbieters des stationären Einzelhandels wird z.B. als Verkaufsstelle oder Einkaufsstätte bezeichnet (HEINRITZ et al. 2003, S. 67; MÜLLER-HAGEDORN/NATTER 2011, S.

161; SCHRÖDER 2012, S. 57). Dieser Standortbegriff bezieht sich in seiner gängigen Gebrauchsform zumeist auf einen einzelnen Anbieter und wird häufig genutzt, um die angebotsseitige Perspektive zu beschreiben („Das Unternehmen X wählt seinen Standort in Stadtteil Y“). Zur unternehmerischen Standortpolitik gehören v.a. die Wahl des Standortes sowie Entscheidungen zu Anpassungen an den Standort und seiner Gestaltung sowie – bei Misserfolg – die Aufgabe oder der Wechsel des Standortes (SCHRÖDER 2012, S. 59ff.).

Die Theorien und Modelle der Handelsforschung beziehen sich häufig nicht (nur) auf die Standorte von Einzelbetrieben, sondern (auch) auf Standorte, an denen mehrere Betriebe angesiedelt sind oder sein können; im Folgenden soll daher für die räumliche Verortung von Einzelhandelsangebot der Begriff Angebotsstandort im Sinne von LÖFFLER (1999, S. 45) verwendet werden, der sich auf beide Fälle bezieht und die nachfrageseitige Perspektive zum Gegenstand hat („Die Konsumenten aus dem Stadtteil Y kaufen bevorzugt am Angebotsstandort Z ein“). Ein Angebotsstandort kann demnach aus einer einzigen Verkaufsstelle bestehen, aber auch eine Einzelhandelsagglomeration sein, d.h. eine räumliche Konzentration von mehreren Einzelhandelsbetrieben gleicher und/oder ungleicher Branchen auf engem Raum, die von den Kunden als zusammengehörig empfunden wird.

Von einer Einzelhandelsagglomeration wird zumeist ab einer Menge von drei Betrieben gesprochen (HEINRITZ et al. 2003, S. 31; SCHNEDLITZ/TELLER 2008, S. 7f.).

Anhand ihrer Entstehung und der Existenz einer zentralen Steuerung lassen sich drei Typen von Einzelhandelsagglomerationen unterscheiden (TELLER 2008, S. 381f.):

Entstandene Einzelhandelsagglomerationen sind in einem längeren Zeitraum ohne zentrale Planung „natürlich gewachsen“, wobei sich die Geschäfte und die zugehörigen Immobilien in der Hand vieler einzelner Inhaber befinden und mögliche Maßnahmen eines gemeinsamen Außenauftritts rein freiwillig sind. Wesentliche Eigenschaften sind das Fehlen einer systematischen Angebotsplanung und eines zentral gesteuerten Managements; diese Agglomerationen können daher auch als ungeplante Agglomerationen bezeichnet werden. Zu diesem Agglomerationstyp gehören insbesondere innerstädtische Geschäftszentren oder Angebotsballungen an hoch frequentierten Verkehrsstraßen innerhalb und außerhalb der Innenstadt

Dagegen zeichnen sich künstlich geschaffene Einzelhandelsagglomerationen durch eine bewusste Planung, eine zentrale Steuerung und einen gemeinsamen, für alle Anbieter verbindlichen Außenauftritt aus. Zu diesen geplanten Agglomerationen zählen die verschiedenen Formen von Einkaufszentren (auch: Shopping-Center) sowie deren (z.T. sehr spezifischen) Weiterentwicklungen (z.B. Factory-Outlet-Center, Urban Entertainment Center)

Es existieren ferner Agglomerationen, die eine Hybridform beider Typen darstellen:

Einkaufsparks sind agglomerierte Angebotsstandorte, die als solche zweckgerichtet aufgebaut werden, jedoch aus freistehenden, unabhängigen Anbietern bestehen und auch nicht zentral gesteuert oder nach außen vermarktet werden1; sie sind häufig das Ergebnis planerischer Ausweisungen von Einzelhandelsflächen in Gewerbe- oder Sondergebieten. Ein weiterer Hybridfall sind zumeist kleinere Agglomerationen voneinander unabhängiger Betriebe, die ebenso kein Einkaufszentrum im o.G. Sinne bilden, jedoch gezielt von Einzelhandels- und/oder Immobilienunternehmen als Funktionseinheit mit komplementärem und/oder kompetitivem Angebot errichtet werden. Für diesen Agglomerationstyp wird auf der Grundlage von SCHRAMM-KLEIN

(2012, S. 504) der Begriff Standortkooperation verwendet

Unabhängig vom Agglomerationstyp sind in aller Regel ein oder mehrere Magnetbetriebe dort lokalisiert; dies sind Einzelhandelsanbieter, die von besonderer Relevanz für den Angebotsstandort sind, da sie aufgrund ihrer eigenen Anziehungskraft maßgeblich für die Kundenfrequenz sorgen und somit den anderen Anbietern entscheidend zugutekommen. Bei Magnetanbietern handelt es sich zudem meistens um den oder die (flächenmäßig) größten Betriebe (GERMELMANN/NEDER 2012, S. 331; KULKE 2009, S. 158).

Bezogen auf die Kontaktaufnahme zwischen Anbietern und Nachfragern ist der stationäre Einzelhandel, genau wie viele andere konsumentenorientierte Dienstleistungen, eine anbieterbasierte Dienstleistung bzw. eine Angebotsform nach dem Residenzprinzip, d.h. die Nachfrager (Private Haushalte) suchen den Angebotsstandort auf, was notwendigerweise deren räumliche Mobilität voraussetzt (KULKE 2009, S. 140; SCHRÖDER 2012, S. 57). Die tatsächliche oder potenzielle Kundschaft (d.h. das Kundenpotenzial) solcher Anbieter lässt sich geographisch abgrenzen und segmentieren. Im Folgenden soll hierfür der Begriff Marktgebiet im Sinne von LÖFFLER (1999, S. 45) verwendet werden; dieses ist ein Ausschnitt der Erdoberfläche, also ein geographischer Raum, in dem die (tatsächlichen oder potenziellen) Nachfrager von Gütern (Waren, Dienstleistungen) eines Angebotsstandortes

1 Dieser Begriff wird v.a. in Österreich verwendet und ist dort auch planungsrechtlich definiert.

ihren Wohnsitz haben (auch: Absatz- oder Einzugsgebiet). Die äußere Grenze des Marktgebietes lässt sich interpretieren als die maximale Entfernung, die Konsumenten bereit sind, auf sich zu nehmen, um bestimmte Güter zu erwerben. Es handelt sich hierbei um ein Konstrukt, da sich Marktgebiete nur theoretisch oder modellanalytisch exakt abgrenzen lassen und ihre Außengrenze in der Realität schwer fassbar ist bzw. Schwankungen unterliegt (HEINRITZ et al. 2003, S. 29; VOGEL 2006, S. 160).

Überschneiden sich die Marktgebiete von Anbietern bzw. Angebotsstandorten der gleichen Branche bzw. mit Gemeinsamkeiten im Angebot, resultiert dies in räumlichem Wettbewerb (SCHÖLER 2005, S. 4); im Einzelhandelskontext lässt sich dieser hinsichtlich der beteiligten Betriebsformen in zwei Ausprägungen unterscheiden (HEINRITZ et al. 2003, S. 29f.):

Intraformaler Wettbewerb besteht zwischen branchengleichen oder sich überschneidenden Anbietern, die der gleichen Betriebsform angehören

Interformaler Wettbewerb bezeichnet das Konkurrenzverhältnis zwischen Anbietern, die verschiedenen Betriebsformen angehören

Marktgebiete sind das Ergebnis der räumlichen Interaktionen von Konsumenten mit Angebotsstandorten des Einzelhandels, d.h. Einkäufen bzw. Einkaufsfahrten. Diese Einkaufsinteraktionen sind Ausdruck des räumlichen Einkaufsverhaltens, also der Orientierung in Richtung der Angebotsstandorte (Einkaufsstättenwahl) sowie der Intensität und Reichweite dieser Beziehungen (KULKE 2005, S. 9f.; LÖFFLER 1999, S. 45). Im weiteren Sinne ist auch das Verhalten am Angebotsstandort Teil des räumlichen Einkaufsverhaltens.

Einkäufe lassen sich nach ihren zu Grunde gelegten Motiven und Strategien bzw. ihrer daraus resultierenden räumlich-zeitlichen Organisation differenzieren.

Die Einkaufsmotive beziehen sich auf den konsumentenseitig bestimmten Hintergrund des Einkaufs (KULKE 2005, S. 16f.):

Bei Bequemlichkeitskäufen suchen die Kunden Anbieter auf, die sie einfach erreichen können und deren Zugang zeitlich nicht oder nur wenig beschränkt ist (z.B.

Tankstellenshops)

Preiskäufe bezeichnen ein Einkaufsmotiv, bei dem sich die Nachfrager hin zu Anbietern mit einem besonders günstigen Angebot orientieren (z.B. Food- oder Non-Food-Discounter)

Bei Erlebniskäufen steht nicht der Versorgungsgedanke im Vordergrund, sondern Aspekte der Freizeitgestaltung; der Einkauf wird häufig mit freizeitbezogenen Aktivitäten verbunden

Die konsumentenseitige Einkaufsstrategie lässt sich anhand der Menge der eingekauften Güter unterscheiden (POPKOWSKI LESZCZYC et al. 2004, S. 86):

Im Fall von Einzweckeinkäufen wird während eines Einkaufs nur ein Gut erworben

Bei Mehrzweckeinkäufen werden mehrere Güter im Zuge eines Einkaufs erworben Diese Einkaufsstrategien finden sich in der räumlich-zeitlichen Organisation des Einkaufs wieder, denn Mehrzweckeinkäufe resultieren in multifinalen Einkäufen, wobei zwischen sachlicher und räumlicher Multifinalität unterschieden wird (HEINRITZ/THEIS 1997, S. 222):

Werden alle gewünschten Güter bei einem Anbieter erworben, liegt ein sachlich multifinaler, jedoch räumlich monofinaler Einkauf vor

Werden nicht nur mehrere Güter erworben, sondern auch mehrere Anbieter in einer Wegekette frequentiert, liegt räumliche und sachliche Multifinalität vor

Werden mehrere unterschiedliche Güter bzw. Zwecke in einem Einkauf miteinander kombiniert, wird auch von Kopplungskäufen gesprochen, die im Hinblick auf die miteinander gekoppelten Tätigkeiten differenziert werden (KÖHLER 2012, S. 36f.; KULKE 2005, S. 20f.):

Bei der Kopplung mehrerer Einkäufe liegt eine Besorgungskopplung vor

Eine Aktivitätenkopplung bezeichnet die Verbindung des Einkaufs mit anderen nicht-einkaufsbezogenen Aktivitäten (z.B. Freizeit, Arbeit)

Besuchen Kunden mehrere Anbieter der gleichen Branche (Konkurrenten) an einem oder mehreren Angebotsstandorten zum Zweck des Preis- und/oder Qualitätsvergleichs innerhalb einer Produktgruppe, liegen Vergleichskäufe vor (HEINRITZ/THEIS 1997, S. 219; POPKOWSKI

LESZCZYC et al. 2004, S. 86); sofern bei diesen nur ein Gut gesucht wird, handelt es sich um sachlich monofinale, jedoch räumliche multifinale Einkäufe, da notwendigerweise mehrere Anbieter aufgesucht werden. Kopplungs- und Vergleichskäufe können kombiniert werden (d.h. räumlich und sachlich multifinale Einkäufe).

1.3 Ausgangssituation im deutschen Einzelhandel

1.3.1 Der Strukturwandel im Einzelhandel: Angebots- und Nachfrageseite

Der deutsche Einzelhandel unterliegt einem kontinuierlichen und facettenreichen Strukturwandel, der an dieser Stelle nur kurz skizziert werden kann. In der einschlägigen Literatur wird diesbezüglich häufig zwischen angebots- und nachfrageseitigen Entwicklungen getrennt (z.B. JENNE 2006, KULKE 2010); diese Aufteilung wird beibehalten, wobei klar sein muss, dass beide Seiten in marktwirtschaftlich organisierten Systemen selbstverständlich ineinandergreifen. Die dargestellten Entwicklungen beziehen sich dabei auf den Zeitraum von ca. 1950 bis heute; konkrete Zahlenangaben zu Bestand und Entwicklung können an dieser Stelle nur exemplarisch erfolgen2.

Auf der Angebotsseite – also hinsichtlich der Erscheinungs- und Organisationsformen der Einzelhandelsunternehmen – sind eine Reihe wesentlicher Entwicklungen zu nennen (KULKE

2010, S. 219ff.; LADEMANN 2013, S. 7ff.; SPERLE 2012, S. 41ff.):

Konsumentenseitig sichtbar ist vor allem das kontinuierliche Aufkommen neuer und das Verschwinden alter Betriebsformen (Wandel der Betriebsformen). Im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist dies vor allem an der Verdrängung kleiner inhabergeführter Fremdbedienungsgeschäfte („Tante-Emma-Läden“) durch Selbstbedienungsmärkte mit weit größerer Sortimentsbreite und Sortimentstiefe

2 Ausführliche aktuelle Branchendaten sowie Zeitreihen bieten z.B. die Publikationen des Handelsverbandes Deutschland (HDE, z.B. Zahlenspiegel), des EuroHandelsInstituts (EHI) und seinen Vorläufern (z.B. Handel aktuell), der Metro Group (z.B. Metro-Handelslexikon) oder der statistischen Ämter. Hierbei gilt zu bedenken, dass die sich wandelnden Definitionen (z.B. der Betriebsformen oder der Verkaufsfläche) die Nachvollziehbarkeit und Vergleichbarkeit von Angaben im Zeitverlauf erschweren.

(Verbrauchermärkte, SB-Warenhäuser) oder, ab den 1970er Jahren, von Lebensmittel-Discountern mit einer Dauerniedrigpreispolitik bei zugleich geringer Sortimentstiefe zu erkennen. Im Non-Food-Einzelhandel sind insbesondere die Entstehung von Fachmärkten (z.B. Bau-, Elektro- oder Möbelmärkte) und die Verdrängung von Fachgeschäften und Kauf- bzw. Warenhäusern spürbare Elemente des Strukturwandels

Eng mit dem Betriebsformenwandel verknüpft ist die kontinuierliche Zunahme der Gesamtverkaufsfläche3. Gleichzeitig geht die absolute Zahl der Verkaufsstellen zurück; auf diesem Wege nimmt die durchschnittliche Größe der Verkaufsstellen zu (Maßstabsvergrößerung). In Kombination mit der seit der Jahrtausendwende feststellbaren Tendenz zur Stagnation der im Einzelhandel getätigten Umsätze bedeutet dies zugleich einen Rückgang der durchschnittlichen Flächenproduktivität

Auf der Seite der betrieblichen Organisationsformen sind ferner massive Expansions- und Internationalisierungsprozesse der Einzelhandelsunternehmen sowie eine Unternehmenskonzentration sichtbar, die v.a. durch Übernahmen und Fusionen bedingt ist. So konzentriert sich z.B. der Umsatz im deutschen LEH faktisch auf fünf landesweit und zumeist auch international agierende Konzerne (Edeka Gruppe, Rewe Group, Metro Group, Schwarz-Gruppe, Aldi Nord/Süd), die über ihre Vertriebslinien unterschiedlicher Betriebsformen (Verbrauchermärkte, Lebensmittel-Discounter, SB-Warenhäuser etc.) ein breites Angebotsspektrum abdecken

Das Aufkommen des Onlinehandels in den 1990er Jahren stellt eine Veränderung zu Lasten des stationären und des sonstigen Distanzhandels dar. Dieser Vertriebskanal ist mittlerweile fest etabliert, wobei seine Bedeutung tendenziell steigt4

Als endogene Einflüsse auf den Strukturwandel im Einzelhandel werden die Umsetzung von (vor allem technischen) Innovationen (z.B. Modernisierung der Warenbestandserfassung und der Kassenvorgänge mittels elektronischer Warenwirtschaftssysteme), ein sich verschärfender Wettbewerb aufgrund einer stärker werdenden Kapitalkonzentration sowie der Anreiz einer günstigen Machtposition (Nachfragemacht) von großen Unternehmen gegenüber den Herstellern und dem Großhandel angeführt (HEINRITZ et al. 2003, S. 42f.;

3 Laut den Statistiken des HDE hat sich die Verkaufsfläche des westdeutschen Einzelhandels im Zeitraum von 1950 bis 1970 von ca. 9,0 auf ca. 35,0 Millionen qm vergrößert (TIETZ/ROTHHAAR 1991, S. 125), was beinahe eine Vervierfachung im Zeitraum von 20 Jahren bedeutet. Der gesamte deutsche Einzelhandel (inkl. neue

Bundesländer bzw. frühere DDR) umfasste im Jahr 1980 ca. 63,0 Millionen qm, was sich bis 2011 auf ca. 122,4 Millionen qm nahezu verdoppelt hat (HDE 2012, S. 24). Im Jahr 2012 ist die Gesamtverkaufsfläche erstmals leicht gesunken, was aber v.a. auf den Verlust von rd. 1,8 Mio. qm Verkaufsfläche in rd. 8.000 Verkaufsstellen durch die Insolvenz des Schlecker-Konzerns zurückzuführen ist (GFKGEOMARKETING GMBH 2012).

4 Der Onlinehandel erreicht offensichtlich nicht den Einfluss, dass er den stationären Einzelhandel ersetzen würde; er ist vor allem auf standardisierte und leicht lieferbare Güter beschränkt (KULKE 2010, S. 223). Die größte Relevanz hat der Onlinehandel im Bereich der Unterhaltungselektronik, wo sein Marktanteil vom

Branchenverband BITKOM (2012, S. 21f.) bei knapp einem Fünftel (19,2 %) angesetzt wird. Demgegenüber spielen Onlinekäufe z.B. im Lebensmittelbereich keine nennenswerte Rolle: Die BBEHANDELSBERATUNG (2011, S.

16) schätzt hier den Marktanteil des gesamten Distanzhandels auf ca. 0,5 %. Vielmehr ist eine Zunahme von Multi- oder Cross-Channeling-Strategien zu verzeichnen, in denen der Onlinehandel als weiterer Vertriebskanal eröffnet oder, wie am Beispiel von Media Markt, mit dem stationären Vertriebsweg verbunden wird (DER HANDEL

2012); umgekehrt steigen mitunter sogar ursprünglich reine Onlinehändler in den stationären Vertrieb ein, wie etwa die Eröffnung eines Zalando Outlet Store im Jahr 2012 zeigt (DER HANDEL 2013). Zudem wird aus der vertriebskanalspezifischen Umsatzentwicklung ersichtlich, dass der Onlinehandel vorrangig zu Lasten des sonstigen Distanzhandels (traditioneller Versandhandel) geht (DEUTSCHE HYPO 2013, S. 13f.).

KULKE 2010, S. 221f.). Den wesentlichsten handelsexogenen Einfluss stellt das (räumliche) Einkaufsverhalten der privaten Haushalte dar, das nach KULKE (2005, S. 10) insbesondere durch das Einkommen, individuelle Einkaufsmotive, die Möglichkeiten räumlicher Mobilität sowie das konsumentenseitige Zeitbudget beeinflusst wird. Auf der Nachfrageseite sind

KULKE 2010, S. 221f.). Den wesentlichsten handelsexogenen Einfluss stellt das (räumliche) Einkaufsverhalten der privaten Haushalte dar, das nach KULKE (2005, S. 10) insbesondere durch das Einkommen, individuelle Einkaufsmotive, die Möglichkeiten räumlicher Mobilität sowie das konsumentenseitige Zeitbudget beeinflusst wird. Auf der Nachfrageseite sind