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Der Reichtum der Motivvariationen im Votivteil

Im Dokument IN DEN JAHREN 1632–1656 (Seite 69-74)

IV. Ziel und Aufbau der Dissertation

3. AUFFASSUNG DER GATTUNG DES PROPEMPTIKON IN

3.2. Gattungsbewusstsein in der Stoff- und Motivwahl der

3.2.3. Grundzüge der Motivverwendung der Dorpater

3.2.3.1. Der Reichtum der Motivvariationen im Votivteil

Obwohl der Votivteil für das Abschiedsgedicht von einem Dorpater Propempti-konautor (6.12.) wörtlich als obligatorisch verstanden wurde (s. 3.1.2), enthält sein Gedankengang keine näheren Vorschriften hinsichtlich der Motive, die in diesem Teil zu verwenden sind. Der allgemeinen Empfehlung aus der Poetik J.

C. Scaligers hinsichtlich aller Votivgattungen, dass dem Adressaten vor allem langes Leben, hohe Würde und reiche Vermögen zu wünschen sei,132 wird in den Votivteilen Dorpater akademischen Geleitgedichte nur ausnahmsweise gefolgt. So gehört hier zu den Votivmotiven zwar der Wunsch für ein langes Leben und gute Gesundheit (in 12 Gedichten),133 die Würde und der Reichtum

libellum bekannt ist und zwar das erste Dedikationsgedicht von H. Vulpius an T. Polus (Polus 1639: 1–2).

132 Vita, dignitas, opes, tria sunt primaria (Scaliger 1561: 156, lib. III cap. CIII).

133 Und zwar in den Gedichten 1.2, 3, 9, 10, 11, 14, 15; 2.2, 3; 6.8, 15, 16. Es ist auch interessant zu bemerken, dass in keinem Dorpater Geleitgedicht im Wunschteil über den Tod gesprochen wird, wie es in den schwedischen Geleitgedichten manchmal der Fall ist. Vgl. den Wunsch von A. Magni an A. Petraeus (Acclamationes /../ Aeschillo

werden aber sehr selten genannt (der Reichtum nur zweimal: 3.7.34–35 nullius egentem/ teque rei faciat und 6.3.14 Eveniantque tibi commoda larga; die Würde durch Berühmtheit in 1.1.55 Patrio sis magnus in orbe; 1.6.52 Decus Patriae sis maneasque tuae; 3.6.6 nomen <tibi> ad astra volet). Insoweit die Rolle der zukünftigen Würde und des Reichtums in der Dorpater Abschieds-dichtung selten thematisiert wird, ist es verständlich, dass auch das fraus-Motiv (sei deine folgende Karriere ohne Neider) hier keinen Nachklang hat. Auch in der übrigen Ostseeregion ist es ein seltenes Motiv, ich kenne nur eine Verwendung aus der Feder eines livländischen Studenten in Rostock.134

Im Kapitel CIV über die Geleitgedichte spezifiziert J. C. Scaliger seine Vorstellungen über den Inhalt der Votivmotive zuerst mit der Erklärung, dass im Votivteil auch omina vertreten sein können, und hinsichtlich der Adressaten, die vor einer Seereise stehen, folgend: Etenim ei si est navigandum /…/ votum adversus pericula: sacrificia tempestatibus. In der Rhetorik von Menander Rhetor sind hinsichtlich des Votivteils nur drei Empfehlungen zu finden:

vergiss den zurückbleibenden Freund nicht (398.27–29), die Reise sei schnell, die Götter seien günstig (399.7–10).

Neben und statt den in der präskriptiven Gattungstradition empfohlenen Votivmotiven sind in den Dorpater Geleitgedichten vier Gruppen von Votiv-motiven öfters vertreten, die man für die Kernmotive der praktischen Gattungstradition hinsichtlich des Votivteils halten kann:

1) die Reise sei glücklich,135 d.h. sie sei schnell und leicht,136 das Wetter sei schön, Wind und Meer ruhig137 usw.

O. Petraeo Upsaliae 1629 Gedicht 3 VV. 77–79), dass der Adressat nach dem Tode in den Himmel komme: Taedio tandem Pyliae senectae/ Captus, ascendat supera ad arces/ Quo Deus faxit veniamus omnes) und im Gedicht von A. Haake an P. Ungius (APOPEMPTIKON Upsaliae, 1638, Gedicht 12 VV. 23–24): Ut sic principium, medium, Postremaque tandem/ succedant facili sydere, PETRE, tibi.

134 N. Franck an J. Bothvidi (PROPEMPTIKA Rostochii, 1616 Gedicht 8 V. 23):

Trias /…/ ditet, ut hinc sine fraude tuis, sed laude paratus, /…/ praesis.

135 Diese allgemeine Wendung (z.B. Sit felix/ prosper abitus, ito bonis avibus, bene cedat iter) betrifft man in den Gedichten 1.4, 5, 6, 8, 11, 12, 13, 14; 2.1, 3, 9; 3.1a und b, 3.2a und b, 3.4, 3.5a und b; 4.6, 10, 12; 5.1, 4, 6, 8, 11; 6.1, 4, 5, 7, 8, 9, 11 und 13.

136 Der Wunsch für eine schnelle und leichte Reise wird in den Gedichten 4.3 (Astripotens /…/ det faciles cursus), 4.7 (sit facile hoc et iter) und 6.11 (Et asperitas remoretur nulla viarum) geäußert.

137 Dieser Wunsch kommt im Gedicht 1.10 (haud laedat Boreas tuum cerebrum, was wohl mit der Abreisezeit im Januar verbunden ist) vor und in den Beispielen der sechsten Sammlung, in den die Wünsche mit der ruhigen Meeresfahrt verbunden sind:

6.3 (et tua tranquilli veniant ad littora Ponti/ Carbasa), 6.4. (Sit placidum ventis nigrum mare, fluctibus atris,/ Non Eurus navem pulset et aura Noti), 6.11 (Sit constellatio coeli/

commoda) und 6.12 (Det Deus incolumem ratem, ventumque secundum). Vgl. die entsprechende Empfehlung J. C. Scaligers.

2) Christus sei dein Begleiter. Statt Christus kommen als Variationen noch die Engel, Raphael, die Tugend und himmlische Kräfte im allgemeinen, For-tuna, Fata und Pietas vor.138 Es können mehrere Begleiter auch kombiniert werden, z.B. in 5.11 die Tugend und Christus. Der umgekehrte Wunsch, dass den Adressaten der Teufel und andere Einwohner der Hölle nicht begleiten dürfen, der in einem Greifswalder Geleitgedicht zu finden ist,139 wird in Dorpat nicht geäußert.

3) vergiss mich nicht, ich meinerseits werde dich nie vergessen.140

4) der Wunsch zum (allgemeinen) Glück, der aufgrund jeder Gedichtssitua-tion spezifisch ist. Wenn der Adressat mit der Familie reist, wird der Gattin und den Kindern gute Fahrt gewünscht (1.1, 4, 8, 11); wenn der Adressat zu den Eltern reist, wird auf das glückliche Wiedersehen gehofft (4.6, 7). Es sind auch folgende Variationen vertreten: der Ankunftsort sei glücklich (4.10), deine Zukunft glücklicher (4.5), sei überall und immer glücklich (4.8, 6.4). Es sind also Motive, die mit den anderen Arten der enkomiastischen Gelegenheitsdich-tung gemeinsam sind.

Neben diesen Kernmotiven des Votivteils ist in den Dorpater Abschieds-gedichten noch eine Reihe der Votivmotive vertreten. Eine begrenzte Gruppe der Votivmotive hängt vom gewählten akademischen Stoffbereich ab. So wird in 3.4.11 gewünscht, dass die Lernbegier der Adressaten noch wachsen wird (crescatque cupido studendi), in 4.12.8 und 6.13.55, dass die Verbindung des Adressaten mit den Musen und mit der Weisheit erhalten bleiben wird (entsprechend et Musis prompta promptus adesto manu; und et Sophiae libare stude almae pingvia jura). Drittens kann von den vom akademischen Stoff-bereich abhängenden Motiven das doctior-Motiv hervorgehoben werden. Hier wird der Wunsch geäußert, dass der Adressat beim Rückkehren in jeder Hinsicht gebildeter sei als vor der Reise. Diesem Motiv begegnet man in Dorpat nur in den Propemptikasammlungen, in denen der Adressat aus dem Bildungs-ort Dorpat nach Hause zurückkehrt (an Johannes Petreius 1642 und Andreas Arvidi 1649; im Anhang II in 15.9 und 18.9); als Hoffnung oder Ziel der geplanten Reise wird es nicht genannt. Dieses doctior-Motiv kann durch biblische (oder mythologische) Vergleiche erweitert sein (Vergleich mit Jakob 4.2.1–8) oder erwartungsgemäß den weiteren Grund zu Lobmotiven bieten (es felix, totoque ex asse beatus/ dum potes ad patrios doctior ire Lares 6.5.1–2).

138 Christus in den Gedichten 1.1, 2, 6, 8, 9, 11; 2.8; 3.2b, 3.5a und b, 3.7; 4.3, 6, 7, 9; 5.5, 11; 6.12, 15, 16; Jehova 1.10; Engel in 1.11, 15; 2.9; 4.2; 5.2; 6.3, 4, Raphael 3.3; 6.10; himmlische Kräfte 2.3; 4.5, Virtus in 5.1, 8 und 11; Fortuna in 3.6; 6.8; Fata in 6.12; Pietas in 6.5.

139 Und zwar I felix, Satanae invisus, Satanaeque ministris im Gedicht von N.

Vismar an J. Hambraeus (Clarissimum virum Dn. Ionam Hambraeum Gryphiswaldiae 1617, Gedicht 3 V. 7).

140 In den Gedichten 1.9, 13; 2.2; 3.2a und b, 3.3, 3.5a; 6.4 und 9.

Gewissermaßen bedingt die akademische Sphäre auch das Bittmotiv des Zurückbleibenden, dass der abreisende Mitstudent seine Wünsche auch den in der Ferne weilenden Freunden und Eltern übermittele (3.3.25–27 Me quia magnus amor Patri conjunxit er usus/ et favor, ejus non immemor esse queo./

Dic bonae verba, meo Matremque Patremque saluta/ nomine; 4.3.11–12 nomine avere meo/ dic et amicis).

Nur in den Gratulationen mit einzelnen Propemptikonmotiven (im Anhang II) wird einmal der Aufruf verwendet, sich über den an der Akademie erhaltenen Magistertitel zu freuen: 2.11. hisce vale, titulo fruere hoc sine fine perenni. In den Geleitgedichten aus der Ostseeregion ist dieses Motiv viel häu-figer.141

Vom religiös-politischen Stoffbereich abhängend sind einige Wünsche für den abreisenden Pastor in der Sammlung 1. Ihm wird gewünscht, dass er auch im neuen Ort das Wort Gottes verkünden wird (z.B. 1.6.49–50 Jussu mille Dei tu gentes congrega in orbe/ ad Regnum Christi) und den Herrschern gefallen möge (1.4.25 Principibus placuisse viris sit gloria magna).

Von der konkreten Abreisesituation hängt das seltene Vorkommen des redux-Motivs in den Votivteilen Dorpater Propemptika ab: fast alle Adressaten kehren aus Dorpat endgültig nach Hause. Man trifft dieses Motiv in der Sammlung 5 an, dessen Adressat (Rigaer Herkunft) nach der Studienzeit in Dorpat auf eine längere europäische Studienreise fährt (5.2.6; 5.4.10; 5.6.18 und 5.8.6). Uner-wartet wiederholt sich dasselbe Motiv aber in der letzten Dorpater Propemptika-sammlung an Andreas Arvidi (1649), obwohl der Adressat nach dem längeren Studium in Dorpat nach seinem Vaterland zurückkehrte (Gedichte 6.4.5, 6.5.2, 6.8.24). Einige Beispiele des redux-Motivs sind auch in den Gratulationen mit propemptischen Einzelmotiven zu finden (Anhang II 3.21, 9.22 und 15.12).

Genauso hängt von der Abreisesituation ab, dass die Glückwünsche an den Adressaten für eine interessante Reise und die Wünsche, dass es auch den Betreuern des Adressaten gutginge, fehlen. Dies ist leicht verständlich, da es unter den Dorpater Propemptikonadressaten keine Begleiter der adligen Reisen-den gibt.

Obwohl fast alle Dorpater Abreisenden junge unverheiratete Männer waren, hat auch der Wunsch zur schnellen Heirat, wie er in einigen schwedischen Pro-pemptika vorkommt, z.B. L. Olai Vallius an N. Eschilli in Propemptica /…/ M.

Nicolai Eschilli 1614 Gedicht 1, VV. 154–157:

Prosper amice, Et tibi quaeres

141 Z.B. im Gedicht von S. Kempe an Nicolaus Eschilli (Propemptica /../ M. Nicolai Eschilli Witebergae 1614, Gedicht 3 VV. 11–12), im Gedicht von C. Conradus an Johannes Matthiae (Ad /…/ Iohannem Matthiae, Stetini 1597, Gedicht 5 VV. 12–14) und andere. P. Harsting hält dieses Motiv auch für die dänischen Abschiedsgedichte für typisch (1995: 214).

Ocius IPSAM Semper AMANDAM.

oder im Gedicht von D. Faber an J. Matthiae (Ad /…/ M. Iohannem Matthiae 1597 Gedicht 9 VV. 21–23), nicht zu den Votivmotiven gehört:

…At dum Suecia pulcram Dat tibi Nympham,

Caetera <carmina> mittam.

Seltener kommen im Votivteil der Dorpater Propemptika noch einige be-rühmten Motive vor. So wird in 5.8.5. — den horazischen Gedankengang aus Ars Poetica VV. 412–415 benützend — dem Adressat gewünscht, dass er seine hohen Bestrebungen auch realisieren kann (Ito audax, positam quo possis prendere metam). In derselben Sammlung wird im fünften Gedicht das gleiche Motiv variiert und die Hoffnung ausgedrückt, dass dem Adressaten der würdige Lohn zuteil wird (en comprecor trophaeon/ ut sit tibi brabeion, VV. 13–14).

Die dritte Variation desgleichen Motivs ist in 6.8.13–15 zu finden (tamen concedatur, /…/ continuatum, donec metam propositam tetigeris, perficere).142 Dieses Motiv scheint den Grund für die Behauptung geben, dass die Verfasser beim Schreiben neben der berühmten Horazstelle auch die zeitgenössischen emblematischen Handbücher verwenden konnten.

In 6.4.18 trifft man einmal das debet-Motiv: die Freundschaft zwischen dem dem Adressat und Gedichtverfasser verpflichtet den Verfasser, den Freund nicht zu vergessen. Dieses Motiv scheint auch in der Abschiedsdichtung der Ostseere-gion nicht sehr verbreitet zu sein.143

Nur zweimal ist im Votivteil der Dorpater Geleitgedichte ein Wunsch zu den guten Sitten des Adressaten geäußert (3.1.b 3–4 und 4.9.3–4). In den letzt-genannten Versen wird das Ziel der guten Sitten im Umgang mit den anderen Vertretern der hohen Moralideale (bonis) sowie mit den unmoralischen Leuten (malis) thematisiert: atque Bonis placeas, displiceasque malis. Auch diese Motivverwendung hat einige Parallelen in der Abschiedsdichtung der Ostseeregion.144

142Auch unter den Gratulationen mit einigen Propemptikamotiven ist dieses optatam-tangere-metam-Motiv einmal präsent: 16.9. apprecor, ut portum tangat tua Musa cupitum.

143 Ich kenne die Beispiele von P. Fleming (Ode et propempticon Reval s.a. Gedicht 3 V. 3), von E. Bodinus (APOPEMPTIKON Upsaliae 1638 Gedicht 13 V. 3) und von Folcherus M. (Actus publicus Upsaliae 1658 Gedicht 6 VV. 83–85).

144 Z.B. im Gedicht von N. Vismar an J. Hambraeus certa boni, pravis displicuisse, nota est. (Clarissimum virum Dn. Ionam Hambraeum Gryphiswaldiae 1617, Gedicht 3 V. 8).

In den Dorpater Geleitgedichten findet man keine Bemerkung über das Wirkungsschema der vom Gedichtautor geäußerten Wünsche. Es kann aber aufgrund einiger Geleitgedichte aus Schweden und Norddeutschland ergänzt werden, da es ein interessantes Detail repräsentiert. Es wird nämlich in zwei Abschiedsgedichten im Votivteil gebeten, dass Gott die Wünsche des Gedicht-autors verwirklicht.145

Da das Votum in den Dorpater Propemptika in der Regel am Gedichtende steht und mit dem Hauptteil des Gedichtes oft durch ein Übergangsmotiv ver-bunden ist, sind hier noch kurz die Übergangsmotive zu besprechen. Der Übergang kann als Aufruf zum Votum (z.B. 1.13.15–16 Mecum vel potius tenui hic concine versu,/ Mancelioque Tuo fausta precare modo; 2.1.5 hinc pro carmine suscipe votum) oder von der Dichterposition als eine Art Selbstdar-stellung gestaltet werden (z.B. 4.9.7–8 Jam quia nil aliud restat, quam vota precesque/ syncero fusas pectore fundo preces; 5.11.5. bona verba precantia fundo; 6.10. 5 carminibus faustum tibi comprecor omen ab alto).146

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