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Anakreontische Ode

Im Dokument IN DEN JAHREN 1632–1656 (Seite 125-128)

IV. Ziel und Aufbau der Dissertation

3. AUFFASSUNG DER GATTUNG DES PROPEMPTIKON IN

3.3. Grundbestand der Gedichttypen in den Dorpater Propemptika

3.3.8. Anakreontische Ode

Als Einzelform wird in den Dorpater Geleitgedichten (Sammlung 5.5, 1643) auch die anakreontische Ode245 verwendet, so dass auch hier keine längere Traditionskette herausgebildet ist. Sie ist als ein seltener Gebrauch für die Propemptikondichtung in der breiteren neulateinischen Tradition zu inter-pretieren: in den Delitiae Poetarum Germanorum und Delitiae Poetarum Belgi-corum sind unter den Propemptika keine vergleichbaren Beispiele zu finden.

Auch unter den Geleitgedichten aus der schwedischen und norddeutschen Ostseeregion habe ich keine parallelen Beispiele gefunden.

Als Ursache der Verwendung dieses Gedichttypes in einem Dorpater Pro-pemptikon lässt sich das allgemeine Interesse für diesen Gedichttypus in Dorpat Anfang der 1640er Jahre sehen. Nachdem der berühmte schwedische Dichter G.

Stiernhielm mit einer Gratulation an Jacob Skytte diesen Gedichttyp 1632 unter den Dorpater Gelegenheitsdichtern bekannt machte,246 wurde er von Jahr zu

244 Diese verborgenen Warnungen an den Adressat zum besseren Benehmen waren nicht ohne Grund, da Andreas Arvidi während seiner Studienzeit in Dorpat oft wegen seiner leichtfertigen Lebensweise und der Vernachlässigung der Studien vor dem Universitätskonsistorium angeklagt wurde und entsprechend im Kerker der Universität eingesperrt und 1645–1647 aus der Akademie relegiert war (näher s. Sainio 1993b:

279–281).

245 Allgemeine Züge zur Verwendung dieses Gedichttyps in der neulateinischen Dichtung s. Zeman 1976, Ijsewijn und Sacré 1998: 96–97, Zeman 1999: 130–133; zur Wiederentdeckung der anakreontischen Form in den 1550er Jahren Kühlmann 1987, Henze 1990: 148.

246 Neben dieser innovativen Verwendung des anakreontischen Gedichttyps scheint Georg Stiernhielm in Dorpat auch der erste Anwender des anapästischen Versmaßes in der Gelegenheitsdichtung zu sein, s. sein Gedicht an Petrus Schomerus aus dem Jahre 1639 (www.ut.ee/klassik/neolatina 1639 Nr. 56).

Jahr immer aktiver benützt, bis im Jahre 1642 der Höhepunkt erreicht wurde.247 Neben dem Vater und Sohn Stiernhielm, deren anakreontische Oden in der Dorpater Tradition den zeitlichen Rahmen bilden,248 gibt es vor allem zwei aktive Anwender dieses Gedichttyps, die Studenten Jakob Lotichius und Nikolaus Psilander (entsprechend 4 bzw. 5 anakreontische Oden). Der Dorpater Poesieprofessor L. Ludenius hat diesen Gedichttyp vermieden. Seine Haltung zur anakreontischen Ode ist offensichtlich mit der von vielen gekrönten Dichtern des 17. Jahrhunderts und besonders der protestantischen Poeten vergleichbar, die den privaten und freundschaftlichen Zug dieser Dichtung im Gegensatz zu den pompösen heroischen Huldigungsgedichten gering geschätzt haben (Zeman 1976: 398–400, dort auch die Ausnahmefälle E. Lubinus, P.

Melissus, Fr. Taubmann u.a.). Das anakreontische Propemptikon von S.

Panphiliani aus dem Jahre 1643 bildet schon den Endpunkt der Verwendung dieser Gedichtform in Dorpat. Als Hauptgrund für das ziemlich abrupte Ende der Verwendung dieses Gedichttyps kann die Abreise des aktiven Gelegenheitsdichters J. Lotichius im Jahre 1642 vermutet werden. Es könnte aber auch andere Gründe gegeben haben.

Eine allgemeine Eigenart der Dorpater anakreontischen Oden ist, dass dieser Gedichttypus hier nicht primär für Hochzeits- und Liebesgedichte benutzt wurde, wie dies in der europäischen neulateinischen Praxis üblich war (Zeman 1999: 130–131), sondern ganz eindeutig als Form des akademischen Gratu-lationsgedichtes: unter den 22 Dorpater anakreontischen Oden gibt es ein Epithalamium, ein Epikedium, ein Propemptikon und 19 akademische Gratula-tionen. Der Umfang der Dorpater Anacreontea ist sehr unterschiedlich (von 12 bis 116 Verse), durchschnittlich jedoch ziemlich groß (27 Verse). Ein Viertel der Dorpater Beispiele ist gereimt. Das zeigt seinerseits, dass in Dorpat neben der epochemachenden Anakreontikausgabe von H. Stephanus (1544), in der die Gedichte keinen Reim haben, auch die spätere Forderung von Ph. Zesen nach gleichklingenden End- oder Binnenreimen in den anakreontischen Oden bekannt war (vgl. Zeman 1976: 407–408).

Eine mögliche Erklärungsweise, weshalb der anakreontische Gedichttyp in Dorpat in dieser Sammlung für Propemptika benützt wurde, ist die relativ größere Variabilität der Gedichttypen in diesem Sammeldruck verglichen mit den anderen Dorpater Propemptikasammlungen. In dieser Druckschrift findet

247 Tabelle 7. Übersicht über die Verwendung des Gedichttyps der anakreontischen Ode in der Dorpater Gelegenheitsdichtung.

Jahr 1632 1633 1635 1637 1639 1640 1641 1642 1643 1647 Zahl der

anakreon-tischen Oden

1 1 1 2 2 3 3 7 1 1

248 Das letzte Dorpater Gedicht des anakreontischen Gedichttyps (1647) stammt vom Johannes Marquardus Stiernhielm, einem Sohn des berühmten Georg Stiernhielm.

man nur zweimal die traditionellen Epigramme im Hexameter und die Elegie, dagegen eine horazische Ode, ein satirisches Epigramm (in jambischen Trime-tern), einen katalektischen daktylischen Dimeter und ein Gedicht als Kombi-nation von verschiedenen Versmaßen. Sogar die deutschsprachigen Propemp-tika sind vom Metrum her unterschiedlich: neben einem alexandrinischen Gedicht ist hier auch eine anakreontische Ode vertreten. Die deutschsprachige Parallele von Bartholomäus Kerstens konnte auch S. Panphiliani zur Wahl desselben Gedichttyps führen.

Der Motivschatz im Geleitgedicht von S. Panphiliani enthält allgemein typische Propemptikonmotive: die lobende Anrede des Adressaten (VV. 1–2), die Angabe der Abreise (VV. 3–10) und das votum für eine erfolgreichen Reise (VV. 11–14). Vom gewählten Gedichttyp abhängig ist jedoch die Motivgestal-tung im zentralen Teil des Gedichtes: zu der Frage, warum der Adressat die Dorpater Musen verlässt, gehört ein eingehendes schmeichlerisches Lob der Musen (VV. 3–8), das reich an Deminutiven und Komparativen ist. Von anderen der anakreontischen Schreibart charakteristischen Merkmalen sind in diesem Gedicht die Adnominatio (VV. 1–2), das Asyndeton und die parallelen Satzglieder zu nennen (VV. 5–8, 9–10). So kann der Autor die traditionellen anakreontischen Motive und damit den zärtlich spielenden Grundton entwickeln (vgl. Zeman 1976: 400–401, IJsewijn, Sacré 1998: 96). In dieser Hinsicht unterscheidet sich dieses Propemptikon deutlich von vielen anderen Grundtypen der Dorpater Propemptika, in denen die traurigen Klage- und Trostmotive den düsteren Grundton bedingen.

Der Motivwahl und dem Grundton entsprechend wirkt in diesem anakreon-tischen Propemptikon weder die Antithetik der verschiedenen affekterregenden Motive wie in der Elegie oder in den horazischen Oden noch die Abwechslung der affekterregenden und -stillenden Motive wie z.B. im längeren Dorpater Chronogrammpropemptikon (Gedicht 1.8). Die Gefühlsbewegung dieser anakreontischen Ode ähnelt eher den panegyrischen Kurzepigrammen und den episch-heroischen Geleitgedichten.

Das Propemptikon von S. Panphiliani verrät keine Spuren von mangelnden poetischen Kenntnissen des Autors. Die geschickte Verwendung des Reimes bestätigt eher Umgekehrtes: vor allem die Reime frater-character (VV. 1–2) und trophaeon-brabeion (VV. 13–14) weisen auf einen erfahrenen Benutzer der lateinischen Sprache, inklusiv der griechischen Lehnwörter hin.

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