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Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

Im Dokument Von der Wirkung zur Wertung (Seite 42-47)

Der Ingeborg-Bachmann-Preis ist mit einem Preisgeld von 25.000 Euro seit 2006 (da-vor 22.500 Euro (2003-2005), 21.800 Euro (2002), 250.000 ÖS (1999-2000), 300.000 ÖS (2001)) einer der bedeutenderen Literaturpreise im deutschsprachigen Raum. Seit seiner Gründung 1977 ist das Verleihungsverfahren mehrfach leicht geändert worden, der Gesamt-charakter hat sich jedoch kaum verändert: Über die Jahre wurde die Jury verkleinert und dadurch weniger Autoren eingeladen, die Sendezeiten im Fernsehen haben sich mehrfach verschoben, die Anzahl und Dotierung der verliehenen Preise hat sich mit den jeweiligen

10 Es gilt allerdings als ungeschriebenes Gesetz unter den Juroren, dass die Bewertung sich in erster Linie auf den gedruckten und nicht auf den gelesenen Text beziehen sollte. Das betonen die Juroren in den Diskussionen immer wieder explizit. Dennoch entspricht es der Logik der Veranstaltung, dass der vorgetragene Text die aktuellste Variante ist und sich dem Publikum unmittelbar als Gegenstand der Bewertung darstellt (vgl. Kapitel 5).

Sponsoren geändert, die Rolle und Rechte des Moderators haben sich verschoben und durch das Internet hat sich der Wettbewerb neue Präsentationsformen erschlossen. Gleich geblieben ist seit 1977 die Präsentation als Wettbewerb, die den Preis, neben dem An-spruch auf Transparenz, wesentlich prägt. Die Organisation als Wettbewerb erlaubt es, die Bewertung als ein Event aufzubauen und ihm größere mediale Präsenz zu verschaffen.

Im Gegensatz zu anderen Literaturpreisen, bei denen lediglich das Resultat der Juryent-scheidung präsentiert wird, bietet der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb Einblicke in den Prozess der Urteilsfindung. Diese Prozessualität verschafft dem Verleihungsverfahren eine Dynamik, die das literaturinteressierte Publikum dazu einlädt, dem Preis über längere Zeit Aufmerksamkeit zu schenken, mit einem Favoriten mitzufiebern oder, seit der Möglichkeit im Internet für den Publikumspreis eine Stimme abzugeben, die Preisvergabe teilweise mitzubestimmen. Mit dem Anspruch der Transparenz geht die vielfältige mediale Aufbe-reitung einher. Indem der gesamte Prozess der Bewertung offengelegt wird, suggeriert der Wettbewerb eine größere Glaubwürdigkeit. Wettbewerbscharakter, Anspruch auf Trans-parenz und Glaubwürdigkeit sowie Prozessualität sind also jene Eigenschaften, die den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb kennzeichnen, und die in der Auseinandersetzung mit den Bewertungen immer auch in den Blick genommen werden müssen.

Seine mediale Präsenz schafft sich der Preis primär durch seine Anlage als Wettbewerb:

Die von den einzelnen Jurymitgliedern eingeladenen Autoren – jeder Juror hat das Recht, zwei Autoren einzuladen – lesen ihren Text vor; direkt im Anschluss erfolgt die Bewer-tung durch die Jurymitglieder. Die BewerBewer-tung durch die Jury erfolgt zum einen vor einem vor-Ort-Publikum im ORF Theater in Klagenfurt und wird zum anderen live auf dem Fernsehsender 3sat übertragen, sodass Interessierte das Geschehen verfolgen können. Zu-dem gibt die Webseite des Wettbewerbs seit 1998 ausführliche Informationen. Zunächst wurden die Lesungen und Diskussionen als Audio-Dateien zur Verfügung gestellt (1998), in den darauffolgenden Jahren wurden Videos zur Verfügung gestellt. Die Webseite bietet außerdem die gelesenen Texte online und zum Download, Hintergrundinformationen zu den Autoren und Zusammenfassungen der Diskussionen sowie der Preisverleihung. Dar-über hinaus wurden seit Gründung des Preises 1977 im Anschluss an den Wettbewerb zunächst alle Texte als Buch unter dem Titel „Klagenfurter Texte“ veröffentlicht und seit 1990 die Siegertexte mit zugehörigen Diskussionstranskripten und Voten der Jurymit-glieder während der Preisverleihung mit der jeweiligen Jahreszahl unter dem Titel „Die Besten [1990] – Klagenfurter Texte“. Es wird also Wert darauf gelegt, die Transparenz des Wettbewerbs in diversen Medien zu kommunizieren. Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

wird durch die überregionale Presse in Deutschland interessiert, wenn auch häufig kritisch, wahrgenommen.

Die Autoren stehen während des Wettbewerbs in einem direkten Konkurrenzverhältnis zueinander, das heißt, ihre Texte werden gegeneinander abgewogen. Der Wettbewerb ist auf erzählende Texte beschränkt, darüber hinaus gibt es allerdings keine Einschränkungen, sodass davon ausgegangen werden muss, dass das übergeordnete Kriterium eine – nicht näher spezifizierte – Güte, ein Gelungensein, des Textes ist. Dasliterarisch Gelungene ist unter den Voraussetzungen des aktuellen Wertungsdiskurses, das muss man unterstellen, auch das kulturell Hochwertige.

3.2.1 Weitere verliehene Preise

Es wird oft vergessen, dass im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs nicht nur der Ingeborg-Bachmann-Preis, sondern auch mehrere, dem Preisgeld und der medialen Bedeutung nach kleinere Preise verliehen werden. Die Anzahl und Zusammensetzung der anderen, „kleineren“ Preise variiert. Zwischen 1999 und 2009 wurden folgende Preise zu-sätzlich zum Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen:

• Preis des Landes Kärnten (1999), (120.000 ÖS)

• Stipendien der Plattform kulturinteressierter Kärntnerinnen und Kärntner (2000), (50.000 ÖS)

• Preis der Jury (2000 - 2005), (10.000 Euro)

• Ernst-Willner-Preis (1999 - 2009), (6.000 - 8.500 Euro)

• 3sat-Stipendium (1999), (6.000 DM)

• 3sat Preis (2000 - 2009), (7.500 Euro)

• Telekom-Stipendium (1999), (50.000 ÖS)

• Telekom Austria-Preis (2006 - 2008), (10.000 Euro)

• Kelag-Publikumspreis (2002 - 2008), (5.000 - 6.000 Euro)

• Kelag-Preis (2009), (10.000 Euro)

• Hypo-Group-Publikumspreis (2009), (7000 Euro) (Wikipedia „Ingeborg-Bachmann-Preis“)

Auch die unbedeutenderen Preise sind mit Preisgeldern dotiert, die zwar mit den „großen“

Preisen mit Preisgeldern über 20.000 Euro nicht mithalten können, mit Preisgeldern zwi-schen 5000 und 10.000 Euro im Vergleich zu vielen anderen Literaturpreisen jedoch gar

nicht so unbedeutend sind. Allerdings verbindet sich mit diesen Preisen deutlich weniger Prestige. Bei einer Teilnehmerzahl von 14 Autoren im Jahr 2009 und insgesamt fünf zu verleihenden Preisen, um nur ein Beispiel zu nennen, war die Chance der Autoren, mit einer Auszeichnung aus dem Wettbewerb zu gehen, weitaus höher als bei anderen Litera-turpreisen.

3.2.2 Die Jury

Die Jury besteht zwischen 1999 und 2009 aus sieben bis neun Juroren. In der Regel stam-men zwei Juroren aus der Schweiz, zwei Juroren aus Österreich und die restlichen Juroren aus Deutschland. Alle Juroren haben einen großen Bekanntheitsgrad im Literaturbetrieb.

Sie repräsentieren neben den Nationen auch unterschiedliche Berufe: „PublizistInnen, Kri-tikerInnen, WissenschaftlerInnen und SchriftstellerInnen“ (ORF „Richtlinien“). Viele Ju-roren sind dabei in verschiedenen Bereichen tätig, die mit Literatur zu tun haben, sind also gleichzeitig Literaturwissenschaftler und Autor, Literaturkritiker und Übersetzter etc.

Literaturkritiker und Kulturjournalisten sind unter den Juroren stärker repräsentiert als Literaturwissenschaftler und Autoren. Die Übersicht zeigt alle Juroren, die zwischen 1999 und 2009 in der Jury tätig waren – manche von ihnen in mehreren Jahrgängen –, ihre Herkunft und ihren Beruf. Manche Juroren sind in mehreren Rollen im Literaturbetrieb tätig. Es wurde jeweils versucht, ihre Hauptrolle anzugeben.

Literaturkritiker, Publizisten Literaturwissenschaftler Autoren

Karin Fleischanderl (A) Ulrike Längle (A) Robert Schindel (A) Paul Jandl (A) Konstanze Fliedl (A) Josef Haslinger (A) Klaus Nüchtern (A) Daniela Strigl (A) André Vladimir Heiz (CH) Pia Reinacher (CH) Ilma Rakusa (CH) Alain Claude Sulzer (CH) Thomas Widmer (CH) Hildegard E. Keller (CH) Burkhard Spinnen (DE) Martin Ebel (CH) Silvia Bovenschen (DE) Birgit Vanderbeke (DE) Dieter Bachmann (CH) Elisabeth Bronfen (DE) Friederike Kretzen (DE) Hardy Ruoss (CH) Norbert Miller (DE) Thomas Hettche (DE) Iris Radisch (DE) Heinrich Detering (DE)

Ursula März (DE) Thomas Steinfeld (DE) Ijoma Mangold (DE) Meike Feßmann (DE) Karl Corino (DE) Denis Scheck (DE)

Es ist davon auszugehen, dass bei der Auswahl der Jurymitglieder neben den genannten Kriterien (ausgewiesenes Prestige im Kulturbetrieb, Nationalität, Beruf) auch ihre mediale Kompetenz eine Rolle spielt. Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ist für den Literatur-betrieb ein Event, das, wie bereits gezeigt, medial sehr präsent ist, und daher darauf angewiesen ist, dass die Jurymitglieder wissen, wie man sich vor der Kamera geschickt präsentiert.

3.2.3 Die Autoren

Autoren, die beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb lesen, gehören mit durchschnittlich 36 Jahren (Moser 2004, 192)11 eher der jüngeren Autorengeneration an. Die meisten von ihnen haben bereits Texte publiziert und sind von der Literaturkritik wahrgenommen worden. Zugleich handelt es sich in der Regel nicht um etablierte Autoren, deren Prestige bereits gesichert ist. Eine ganze Reihe von Preisträgern ist in den Jahren nach der Teil-nahme am Wettbewerb bekannter geworden: Uwe Tellkamp, Juli Zeh, Julia Franck, Jenny Erpenbeck, Wolfgang Herrndorf, Saša Stanišić, Tilman Rammstedt und Clemens J. Setz sind mittlerweile bekannte Autoren mit größeren oder gar großen Erfolgen geworden.

11 Dieses Durchschnittsalter wurde für die untersuchten Jahrgänge stichprobenartig bestätigt.

Autoren können sich nicht für den Preis bewerben, sondern müssen von einem Jurymitglied zum Wettbewerb eingeladen werden.12Allerdings besteht dabei die Möglichkeit, einem Ju-rymitglied einen unpublizierten Text, in jüngeren Jahren unter Vermittlung durch einen Verlag oder eine Literaturzeitschrift (ORF „Ausschreibung“, 2015), zuzusenden, um mög-licherweise ausgewählt zu werden.

Für die Autoren bedeutet die Teilnahme neben der Chance auf einen Preis vor allem einen Gewinn an Aufmerksamkeit. In der Befragung von Doris Moser (2004, 320) gaben 32% der Autoren an, die Teilnahme habe ihnen zu finanziellen Gewinnen verholfen, und 38% der Autoren gaben an, die Teilnahme hätte für sie zu einem Prestigegewinn geführt. Negative Auswirkungen beobachteten nur 4% (finanzieller Gewinn) und 8% (Prestige) (ebd.).

Die mediale Präsenz des Wettbewerbs fordert auch von den Autoren in zunehmendem Maße die Bereitschaft, aber auch das Geschick, sich vor laufender Kamera zu inszenieren.

Da die Texte von den Autoren vorgetragen werden, spielt der Vortrag für die Einschät-zung eine wichtige Rolle. Im untersuchten Zeitraum lässt sich beobachten, dass Autoren zunehmend auch an der Qualität ihres Vortrags gemessen werden. Es ist anzunehmen, dass Autoren, die zu dieser Art von Inszenierung ihrer Texte nicht bereit sind, sich nicht für die Teilnahme am Wettbewerb bewerben würden. Die Bereitschaft, sich medial zu in-szenieren, ist also nicht nur ein Kriterium, das die Jurorenwahl beeinflusst, sondern das auch die Autoren betrifft.

Die teilnehmenden Autoren können nur punktuell oder nach Aufforderung in die Dis-kussion eingreifen. Dass Autoren auf Lob oder Kritik der Jury reagieren und sich dazu positionieren, ist nicht vorgesehen. Jenseits der Lesung seines Textes ist der Autor also ein weitgehend passiver Teilnehmer.

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