• Keine Ergebnisse gefunden

Aspekte der besonderen Intention

Im Dokument Von der Wirkung zur Wertung (Seite 90-94)

Es ist deutlich geworden, dass die Klagenfurter Diskussionen insofern von alltäglichen Sprechsituationen abweichen als sie eine spezifische, klar definierte und allen bewusste Absicht verfolgen: Es sollen Literaturpreise verliehen werden. Diverse Besonderheiten der Diskussionen sind auf diese Intention zurückzuführen, so etwa die thematische Fokussiert-heit und die starke Strukturierung durch Verteilung der Rederechte und Redezeiten.

Damit in Verbindung steht allerdings auch die Konkurrenz der Juroren, die ein Interesse haben, den von ihnen eingeladenen oder favorisierten Autoren eine besonders gute Aus-gangsposition für einen Preis zu verschaffen. Das Argumentationsverhalten der Juroren ist also stark von der Absicht geprägt, die anderen Juroren und das Publikum von dem

Kan-26 Die Frage nach konkreten Topoi der Bewertung konnte aus zeitlichen Gründen nicht direkt behandelt werden. Einige Topoi beinhaltet allerdings die Liste der Forderungen an Literatur in Kapitel 6.1.

didaten zu überzeugen, den sie für den besten halten. Auf der anderen Seite verbindet sich für sie persönlich mit der Überzeugungskraft soziales Prestige. Es ist anzunehmen, dass ein in Klagenfurt besonders erfolgreicher Juror in der Folge als besonders begabter Kenner und Kritiker von Literatur gilt, möglicherweise sogar als Entdecker junger Autoren und er/sie daher zunehmend auch für andere Aufgaben und Veranstaltungen gefragt ist. Das Argumentationsverhalten ist daher – und hier unterscheidet sich der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb deutlich von anderen Preisen, bei denen zum einen hinter verschlossenen Tü-ren über Texte verhandelt wird, zum andeTü-ren bereits anerkannte AutoTü-ren ausgezeichnet werden – deutlich mehr durch die persönlichen Interessen der Juroren geprägt.

5.5 Zusammenfassung

Der Blick auf die Art, wie die Jurorenkommunikation in Klagenfurt grundsätzlich funk-tioniert, das heißt, wen sie erreichen will, was sie erreichen soll und welche Möglichkeiten dafür zur Verfügung stehen, bestätigt noch ein weiteres Mal, dass zu erwarten ist, dass der verwendete Code sich deutlich von dem anderer bekannter Expertentexte unterschei-det. Im Vergleich zur wohl verbreitetesten öffentlichen Form der Literaturbewertung, der gedruckten Rezension, sind die Diskussionen durch ihre Mündlichkeit geprägt. Die sprach-liche Umsetzung der Wertung ist ein Prozess. Es findet eine ständige Annäherung an den Gegenstand der Wertung statt, die sich sowohl in den Bewertungen der einzelnen Juro-ren als auch im Bezug aufeinander aufbaut. Die Bewertungen sind also im Vergleich zu schriftlich ausgearbeiteten Rezensionstexten viel weniger ein fertiges Produkt. Auch durch die gegenseitige Einflussnahme der Wertungsbeiträge aufeinander sind sie dynamischer als schriftliche Wertungen. Das Konkurrenzverhältnis, das man für die Juroren annehmen darf, ihr Wunsch zu überzeugen und anerkannt zu sein, führt außerdem dazu, dass die Bewertungen eine starke rhetorische Komponente haben. In ihrem Bezug auf den Text, der eine große Rolle spielt, ist die Absicht nicht darauf gerichtet, den Text adäquat in Bezug auf dessen vermutete Intention zu erfassen, sondern Aspekte seiner Machart so zu erfassen, dass sie als Zeugnisse seiner Qualität oder Minderwertigkeit taugen. Gespräche mit Kollegen während der Entstehung dieser Arbeit haben immer wieder gezeigt, dass dieser Umgang mit den Texten auf Literaturwissenschaftler befremdend wirken kann. In dieser Irritation zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Literaturwissenschaft und Literaturkritik: Literaturkritik hat häufig nicht den Anspruch, Texte gegenstandsadäquat zu analysieren. Sie will informieren, überzeugen und unterhalten, und zwar mit Bezug auf weitestgehend implizite Wertungskriterien. Dennoch wird auch in den

Bachmann-Preis-Bewertungen darauf geachtet, dass erkennbar bleibt, wie sich die Wertungen auf die Texte beziehen. Auch im Sinne der gemeinsamen Gegenstandskonstitution ist das notwendig.

6 Autor, Leser, literarischer Text und Literaturkritik aus Sicht der Juroren

Die bisherigen Vorüberlegungen über den Wettbewerb im Allgemeinen, Wertungen und die kommunikative Situation im Klagenfurter Wettbewerb bilden lediglich einen kontex-tuellen Rahmen. Sie werfen zweifellos die Frage auf, ob und wie die Juroren ihre eigene Position in den Diskussionen reflektieren und wie sie das Dreieck aus Autor, Leser und Text einschätzen. An dieser Stelle muss ein wenig auf das Korpus vorausgegriffen werden.

Um dem Selbst- und Literaturverständnis der Juroren auf die Spur zu kommen, wurden programmatische Aussagen der Juroren ausgewertet. Diese Aussagen betreffen sowohl das Selbstverständnis der Juroren, ihre Aufgaben und Vorgehensweisen, als auch das Verständ-nis ihres Gegenstandes, also die Voraussetzungen, Funktionen, Wirkungen und Eigenschaf-ten von Literatur. Es handelt sich damit um Aussagen, in denen bewusst Werte formuliert werden. Gegenüber den Wertungen, die auf einen konkreten Text bezogen sind und somit auf die Bedingungen reagieren, die dieser Text mit sich bringt, sind die programmatischen Äußerungen Ausdruck eines reflektierten Wertungswissens.27 In ihm werden Grundan-nahmen und Konfliktzonen sichtbar. Programmatische Äußerungen über Werte müssen nicht unbedingt mit den Werten in konkreten Äußerungen übereinstimmen. Wie Sabine Buck (2011) zeigen konnte, geben Kritiker, wenn man sie nach Kriterien fragt, zwar selten an, ethisch zu urteilen, in konkreten Wertungen, insbesondere im Rahmen von Litera-turskandalen, sind ethische Bewertungen aber dennoch verbreitet. Um programmatische Äußerungen aufzuspüren, wurden im Korpus die Stichworte: „Kriterium/Kriterien“, „Auf-gabe der Kritik/unsere Auf„Auf-gabe“, „Maßstab“ und „Literatur“ gesucht und anschließend ausgewertet.

Besonders fruchtbar war das Suchwort „Literatur“ (einschließlich Komposita wie Litera-turkritiker, Literaturgeschichte, Literaturbetrieb etc.). Für die Analyse wurden nur nor-mative Verwendungsweisen herangezogen, rein deskriptive Verwendungsweisen dagegen ausgeschlossen. Von den 720 Ergebnissen für das Wort „Literatur“ wurden 324, also etwa 45% der Nennungen, als normativ eingestuft. Darunter fielen sowohl eindeutig normative Formulierungen wieLiteratur kann (nicht), muss (nicht), soll(te) (nicht), hat (nicht) die Aufgabe als auch Formulierungen, die generelle Aussagen über Literatur treffen, wie etwa Literatur ist immer/niemals.

27 Dabei stehen die programmatischen Aussagen trotzdem immer im Kontext des diskutierten Texten.

Durch die Art der Formulierung wird allerdings klar, dass es in ihnen um allgemeinere Einschätzungen geht.

Anders als bei der Bewertung eines konkreten Texts, in der durchaus in vielen Fällen das Bemühen zu beobachten ist, sich plausibel auf den Text zu beziehen, geben diese program-matischen Aussagen Aufschlüsse darüber, wie Literatur prinzipiell verstanden wird und welche literarischen Konzepte in aktuellen Debatten umstritten sind. Axiomatische Aussa-gen traAussa-gen dazu bei, dass die Jurymitglieder sich innerhalb der Jury, aber auch geAussa-genüber dem breiteren Publikum, literaturkritisch profilieren können.

Für die Frage danach, wie die Juroren die Rolle des Autors, des Lesers und der außerlite-rarischen Wirklichkeit einschätzen, wurden außerdem exemplarische Auszüge aus Diskus-sionen herangezogen.

Im Dokument Von der Wirkung zur Wertung (Seite 90-94)