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Demokratie ohne Demokraten?

Im Dokument TATortund TATsache (Seite 157-162)

Adorno und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 125

1. Demokratie ohne Demokraten?

Die politische Kultur der westdeutschen Nachkriegsdemokratie - ein Zustand von fundamentaler Zweideutigkeit! Diese Diagnose ist in gewissem Sinn genau so alt wie die Bundesrepublik selber, weil dem Mythos von der

„Stunde Null“ bereits bei ihrer Gründung der Verdacht der „Restauration“

entgegengehalten wurde. Sie wurde durch subtilere Deutungen und spätere Forschungen nicht etwa relativiert, sondern nur noch verschärft und scheint durch skandalöse Enthüllungen, wie die „Enttarnung“ des ehemaligen Aachener Universitätsrektors Schwerte als der SS-Kulturoffizier Schneider, immer neu bestätigt zu werden.126 Blickt man aus der Distanz von zwei Generationen auf den Übergang zwischen Nationalsozialismus und west-deutscher Demokratie und hält sich dabei an die gut belegte Annahme, dass Mentalitäten sich auch in der Politik nur langsam verändern, dann kann es gar nicht anders gewesen sein: Weder war die Identifikation mit dem Hitler-Regime, mit der Unkultur von Antisemitismus und „Herrenrasse“ über Nacht verschwunden, noch stellte sich eine tragfähige Wertschätzung der Demo-kratie in kurzer Zeit ein. Die DemoDemo-kratiekultur der frühen Bundesrepublik musste ein fassadenhaftes und zweideutiges, in jedem Fall ein widersprüch-liches Gebilde sein.

Dabei steht das Jahr 1945 zunächst für einen Schock, wie er eindeutiger nicht sein konnte: Die herrschenden Eliten des Hitler-Regimes hatten nicht nur eine totalitäre Kultur erfolgreich propagiert, sondern sie hatten den Mord an den Juden und die Pläne zur „Germanisierung“ Europas in die Tat umge-setzt. Der Widerstand dagegen war schwach geblieben, auch wenn Teile der Bevölkerung unter dem Eindruck der sich abzeichnenden Niederlage inner-lich auf Distanz gegangen sein mögen. Der Krieg endete mit der totalen Niederlage des deutschen Reiches, das Land wurde in Besatzungszonen aufgeteilt und unter strenge militärische Kuratel gestellt. Auch wenn das Zusammenwirken der vier Besatzungsmächte sich konfliktreich gestaltete

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Zuerst erschienen in: Mittelweg 36, Heft 2: April/Mai 2002, S. 37-52.

126 Vgl. dazu Helmut König (Hg.) Der Fall Schwerte im Kontext, Opladen, 1998.

und bald unter den weltpolitischen Imperativ der Ost-West-Spaltung geriet - sicher ist, dass die archaische Drohung von der „unconditional surrender“

sich nicht nur militärisch und politisch, sondern auch moralisch und kulturell erfüllt hatte: Die Rückkehr zu einer „Normallage“ nationaler Identität war so sehr vereitelt, dass auch nach 50 Jahren nicht imaginierbar ist, was man im Nachkriegsdeutschland darunter hätte verstehen können - die staatliche Zementierung der deutschen Teilung war in dieser Hinsicht nur die politische Schlussfolgerung aus einem totalen moralischen Bankrott.

Dieses düstere Bild hellt sich nur scheinbar auf, wenn man die vielfältigen Pläne und Initiativen in Rechnung stellt, die von den Besatzungsmächten, allen voran von den Amerikanern entwickelt wurden, um dem Chaos zu wehren und den besiegten Deutschen eine Zukunftsperspektive zu geben. Sie werden, was die kulturelle und mentale Dimension der deutschen Nach-kriegsgeschichte betrifft, in der Regel unter den Stichwörtern „Entnazifi-zierung“ und „Re-education“ zusammengefasst. Was an Straf- und Sühne-maßnahmen, als „punitive Politik“ in die Wege geleitet wurde und einen ersten Höhepunkt in den Nürnberger Prozessen erreicht hatte, wurde später bekanntlich schrittweise in deutsche Hände übertragen - mit der Folge, dass von den Beschuldigten nicht mehr nur eine Vielzahl von Ausflüchten und Relativierungen erfolgreich ins Feld geführt wurde, sondern dass mit den Spruchkammern sogar so etwas wie eine „Mitläuferfabrik“ installiert wurde, die der massenhaften Entlastung ehemaliger Nationalsozialisten diente.127 Auch die strafrechtliche Verfolgung der so genannten Kriegsverbrecher im engeren Sinn verlief sich gegen Ende des Jahrzehnts in einigen weniger spektakulären Nachfolgeprozessen gegen NS-Funktionseliten wie Ärzte und Unternehmer.

Gleichwohl gibt es zum Ende der Besatzungsherrschaft ein bemerkenswert produktives Moratorium, was die kulturelle Selbstreflexion der west-deutschen Gesellschaft im Wechselbad zwischen dem Opportunismus des Überlebens, öffentlicher Schulddebatte und der verzweifelten Sehnsucht nach moralischer wie materieller Rehabilitierung betrifft. Diesen Eindruck jedenfalls erhält man, wenn man aus der Periode des Parlamentarischen Rates oder von den Debatten in Zeitschriften wie „Der Ruf“ oder „Die

„Wandlung“ hinüberblickt in die 50er Jahre. Mit dem Amtsbeginn einer frei gewählten Regierung setzt in der Bundesrepublik nämlich sofort ein, was Norbert Frei mit dem Begriff der „Vergangenheitspolitik“ analysiert hat.128 Es handelte sich um ebenso gezielte wie hartnäckig verfolgte Strategien, das meiste vom dem rückgängig zu machen, was die Siegermächte während der

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Die beste Darstellung ist immer noch: Lutz Niethammer, Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizie- rung am Beispiel Bayerns, Berlin 1982.

128 Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, 2.Aufl., München 1997.

Besatzungszeit an Abwehr- oder auch Vorbeugemaßnahmen gegenüber der NS-Vergangenheit durchgesetzt hatten. Mit dem Amtsantritt der Ersten Regierung Adenauer kam es schon 1949/50 zu einer groß angelegten Kampagne zur Beendigung der Kriegsverbrecherverfolgung. Sie endete, trotz scharfer Differenzen mit dem amerikanischen Hochkommissar, in einem Strafbefreiungsgesetz, dem 1954 ein zweites folgte, das sowohl viele bereits verurteilte Kriegsverbrecher wieder auf freien Fuß setzte als auch die weitere Ahndung von NS-Verbrechen einschlafen ließ.

Diese Entwicklung wird ihrerseits nur verständlich vor dem weiteren Hinter-grund, wie das heikelste aller innenpolitischen Probleme durch die neue Demokratie gelöst wurde, nämlich die Übernahme der Staatsbeamten und Richter. Als 1951 die umstrittenen Ausführungsbestimmungen zum Para-graphen 131 des Grundgesetzes in Kraft gesetzt waren, die die „wohler-worbenen Rechte“ der Beamtenschaft garantierten, konnte nicht nur das Gros der Ministerialbeamten wiedereingestellt werden, die während der NS-Diktatur mehr oder weniger reibungslos funktioniert hatten; beinahe noch folgenreicher war, dass dieselbe Regelung auch weite Teile der Justiz reha-bilitierte, die verständlicherweise keinerlei Interesse daran hatte, die juris-tische Durchleuchtung der Vergangenheit zu intensivieren. Man muss diese und andere innenpolitische Anstrengungen der Adenauer-Regierung so trocken und bürokratisch auflisten, um zu verstehen, mit welchem Personal das Institutionengefüge der jungen Demokratie ausgestattet wurde. Nimmt man die Tatsache hinzu, dass auch in den Schulen und Universitäten eine hohe personelle wie strukturelle Kontinuität durchgesetzt war, kann man die mentalen Hypotheken ermessen, die in der ersten Aufbauphase übernommen wurden.

Umgekehrt gibt es keinen Zweifel daran, dass die grundsätzliche Linie, der Adenauer und die von ihm geführten Regierungen folgten, aus einer strikten Abwendung sowohl von den NS-Ideologien im engeren Sinn als auch der älteren Tradition des preußisch-deutschen Nationalismus hervorging. Er steuerte von Anfang an - nicht ohne heftige Anfeindungen von der SPD-Opposition wie von neutralistischen oder revanchistischen Splittergruppen - einen klaren Kurs der politischen und militärischen Westintegration, der auf eine kompromisslose Abgrenzung gegenüber dem kommunistischen Ostblock und damit auf die Inkaufnahme der deutschen Teilung hinauslief.129 Um den Zeitgeist der Adenauer-Ära in der Hochphase des Kalten Krieges zu charakterisieren, muss man mindestens drei Elemente ins Auge fassen und nach ihrem dynamischen Zusammenspiel suchen: den semi-autoritären Regierungsstil der so genannten „Kanzlerdemokratie“: die rasche

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Umfassend dazu Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Band 1: Der Aufstieg, 1876-1952, München 1994, bes. S. 617ff.

Orientierung auf militärische und wirtschaftliche Westintegration, die gleichbedeutend mit scharfer antikommunistischer Polemik war; und die ideologische Überwölbung des immer beschworenen politischen Realismus durch ein christlich-abendländisches Weltbild, dessen Vagheit den großen Vorteil ebenso parater Anpassungsfähigkeit hatte. Nimmt man die

„Vergangenheitspolitik“ als Beispiel, so gehörten zur Integration der alten Eliten eben auch die zügig umgesetzten Wiedergutmachungsleistungen gegenüber Israel, deren rein pekuniärer Charakter selbstverständlich humanitär begründet wurde, ebenso wie die wohlfeile Erinnerungsrhetorik bei diplomatischen Anlässen und offiziellen Gedenkfeiern Teil einer symbolischen Politik war, die der Bundesrepublik die bitter nötige internationale Anerkennung verschaffen sollte.130

Was aber bedeutete diese Konstellation für den Zustand der politischen Kultur im engeren Sinn? Wie war die innere Einstellung von Politikern, Beamten und Bürgern gegenüber der neuen Demokratie? Wie weit war die moralische und kulturelle Fundierung der demokratischen Institutionen in einer Zeit gediehen, die außenpolitisch als die heiße Phase des „Kalten Krieges“ und innenpolitisch als die „Ära Adenauer“ bezeichnet wird? Es besteht wenig Zweifel, dass es hier, auf dem genuinen Feld der politischen Mentalitäten, Kontinuitäten gegenüber der NS-Zeit gab: Nicht nur ist ein hohes Maß an autoritären, antidemokratischen und, wie mit Bestimmtheit hinzuzufügen ist, an antisemitischen Einstellungen anzunehmen, vielmehr dürfte in den „neuen“ Integrationsideologien des Antikommunismus und des christlichen Konservatismus ein gerüttelt Maß an Werthaltungen trans-portiert worden sein, die der Demokratie gegenüber gleichgültig und fremd, wenn nicht reserviert bis ablehnend gegenüberstanden. War für die Ausgangslage der Bundesrepublik eine Art von Generalvorbehalt charakte-ristisch, weil die neue Demokratie nicht von den Deutschen selbst, sondern als „Implantat“ zumal der amerikanischen Besatzungspolitik eingeführt worden war, so blieb die Haltung gegenüber dem demokratischen System bis tief in die 60er Jahre hinein durch eine innere Ambivalenz geprägt, die kaum weniger tief gewesen sein dürfte als der Bruch im kollektiven Bewusstsein nach 1945 insgesamt.

Einen schlagenden Beweis dafür erbrachten zu Anfang der 60er Jahre die Studien, mit denen die Amerikaner Almond und Verba bekanntlich die moderne politische Kulturforschung begründet haben. Obschon ihre Unter-suchung nur vom einem moderaten Verständnis der liberalen Demokratie ausging, zeigte die Bundesrepublik einen hohen Anteil an vor- und anti-demokratischen Werthaltungen und damit ein schwerwiegendes Defizit an

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Vgl. dazu jetzt Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin 1998.

„civic culture“, zumal wenn man den Vergleich mit anderen westlichen Demokratien anstellte.131 Auf einen ähnlichen Befund stützten sich zehn Jahre später bekanntlich Alexander und Margarete Mitscherlich, als sie den politischen Immobilismus der Adenauer-Ära in Zusammenhang brachten mit der Weigerung der etablierten Führungseliten der Bundesrepublik, sich mit der NS-Vergangenheit auseinander zu setzen.132

An den Gegenargumenten, die diese und ähnliche Diagnosen ausgelöst haben, ist interessant, dass sie mehr die Begründung der ungesicherten Demokratiekultur und weniger den Tatbestand selber in Zweifel gezogen haben. Wenn Hermann Lübbe 1983 in einer bekannt gewordenen Rede argumentierte, „dass die gewisse öffentliche Zurückhaltung in der öffent-lichen Thematisierung individueller oder auch institutioneller Nazi-Vergan-genheit, die die Frühgeschichte der Bundesrepublik auszeichnet, eine Funktion der Bemühung war, zwar nicht diese Vergangenheit, aber doch ihre Subjekte in den neuen Staat zu integrieren“133, so bestätigte er damit, wenngleich widerstrebend, wie zwiespältig die kollektive Haltung gegen-über der Demokratie gewesen sein muss. Sicherlich ist die „institutionalis-tische“ Frage berechtigt, ob die Bundesrepublik nicht gerade in ihrer frühen Phase primär durch den Vorlauf der Institutionen geprägt wurde134, doch ist damit die Grundprämisse der politischen Kulturforschung nicht erschüttert, dass die Ausbildung einer demokratischen Kultur sowohl einer gewissen Eigenlogik unterliegt als auch eine lange Reifezeit braucht.

In genau diesem Sinne haben die Studien von Martin und Sylvia Greifen-hagen am Ende der 70er Jahre, jetzt eher aus partizipationstheoretischer Perspektive und auf einer denkbar breiten Materialbasis, den von Almond und Verba konstatierten Rückstand noch einmal bestätigt. Sie stellten die Entwicklung des „schwierigen Vaterlandes“ gleichsam im Längsschnitt dar:

als einen widersprüchlichen und langsamen Prozess, in dem autoritäre und antidemokratische Traditionen nur ganz allmählich durch eine demokra-tische Kultur abgelöst wurden.135

131 Gabriel A. Almond, Sidney Verba, The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1965.

132 Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern (zuerst 1967), München 1977

133 Hermann Lübbe, Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Gegenwart, in:

Martin Broszat (Hg.), Deutschlands Weg in die Diktatur. Internationale Konferenz zur nationalsozialistischen Machtübernahme, Berlin 1983, S.329ff.

134 So M. Rainer Lepsius, Die Prägung der politischen Kultur der Bundesrepublik durch institutio- nelle Ordnungen, in: ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S.63ff.

135 Martin und Sylvia Greiffenhagen, Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur Deutschlands, Frankfurt/M 1981.

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