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Adorno in der kulturellen Topographie der Bundesrepublik – fünf Thesen

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Adorno und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 125

4. Adorno in der kulturellen Topographie der Bundesrepublik – fünf Thesen

Die Erforschung der Frühgeschichte der Bundesrepublik ist erst nach der Wende von 1989 richtig in Fahrt gekommen. Nach wie vor steht man vor einem „weiten Feld“, das topographisch noch nicht hinreichend erfasst ist.

Wer sich auf Adornos Nachkriegsschaffen einlässt, gerät rasch in das analoge Dilemma: Er steht in einem Gelände, das einem wild wuchernden Geistesgarten gleicht und sich auch durch die probate Einteilung in akade-mische Disziplinen - etwa Philosophie und Soziologie auf der einen, Kultur- und Kunsttheorie auf der andern Seite - kaum übersichtlicher gestaltet. In dieser Situation kann man den hier diskutierten Wirkungs-geschichten nur dankbar sein, dass sie nach dem Ariadnefaden suchen, der aus dem Labyrinth herausführen könnte. Dass sie dabei auf das Gebiet der politischen Kultur geraten, das einen zusätzlichen Hang zum Amorphen hat, wird man ihnen nicht vorwerfen können.

Tatsächlich war die Vergangenbewältigung oder, wie Adorno es vorsich-tiger genannt hat, die „Aufarbeitung der Vergangenheit“ nicht nur ein existentielles Motiv seines eigenes Sinnens und Trachtens, sondern ein objektives Problem der bundesrepublikanischen Gesellschaft, das gelöst werden musste. Und ebenso offensichtlich ist, dass die politische Demo-kratie durch die Interventionen eines professionellen „Nonkonformisten“

wie Adorno an Substanz gewonnen hat. Welche Rolle hat er also für die Entwicklung der demokratischen Kultur in der frühen Bundesrepublik gespielt? Und wie passt umgekehrt sein vieldeutiges intellektuelles

Schaffen in die politisch-kulturelle Topographie, an deren Formierung er maßgeblich mitgewirkt hat? Dazu eine Perspektive in fünf knappen Thesen:

1. Statt Vermutungen zur politisch-strategischen Eignung der Frankfurter Schule anzustellen, für welche Ziele auch immer, sollte man die Wirkungs-geschichte eines Mannes wie Adorno eher mit seiner intellektuellen Physiognomie beginnen. Sein „Erfolg“ war vor allem und vor jeder Spezia-lisierung auf bestimmte Genres und Disziplinen in der persönlichen Ausstrahlungskraft eines akademischen Lehrers begründet, der im vollen Sinne der Wortes ein Intellektueller war, ein Mann des Wortes im Hörsaal wie in der Öffentlichkeit und ein homme des lettre, der keinen Unterschied zwischen Feuilleton, Wissenschaft und Politik kannte. Das genaue Gegen-teil eines „strategischen“ Denkers, passte seine übersprudelnde Produkti-vität in keines der üblichen Schubfächer. Vielleicht war er der vorläufig letzte Universalgelehrte an einer deutschen Universität, und vielleicht lag das Geheimnis seiner stupenden Kreativität darin, dass er der unmittelbaren Erfahrung ihr Recht beließ und sich gegen jede Departmentalisierung des Geistes verwahrte. Eine ungehemmte Improvisationsgabe hielt sich die Waage mit einem ebenso hemmungslosen Mut zur theoretischen Abstraktion. Er war ein Meister der „kleinen Form“, die sich zur großen Wirkung auftürmte. Dies alles macht viele seiner Sätze so unwiderstehlich, aber oft auch schwer überprüfbar.

2. Adornos erstes und letztes Wort galt der Kunst und ihrer philosophischen Reflexion - seine Publikationen in der Bundesrepublik beginnen mit der

„Philosophie der neuen Musik“ und enden mit der posthumen „Ästhe-tischen Theorie“. So groß sein Interesse für die Politik und so sehr es politisch begründet war - es blieb doch immer eingepackt in die dominanten kultur- und kunsttheoretischen Interessen. Seine Äußerungen zu Politik und Gesellschaft halten sich, genauso wie seine soziologischen oder philoso-phischen Schriften, an eine assoziative Methode, die der Kulturkritik näher steht als der systematischen Abhandlung oder der empirischen Analyse. Es ist keineswegs völlig abwegig, Adorno vom intellektuellen Habitus her in die lange Tradition des deutschen Kulturkonservatismus einzureihen, sofern man die folgenden Differenzierungen hinzufügt: Adorno stand entschieden gegen den restaurativen Neuhumanismus, er versuchte wettzumachen, was der Nationalsozialismus ruiniert hatte, in dem er dem klassischen Bildungs-kanon die musikalische und literarische Moderne gleichberechtigt hinzu-fügte. Hier zeigte Adorno größte Parteilichkeit: er war tatsächlich „Kultur-kritiker von links“! Dass ihm dabei rüde Vereinseitigungen unterliefen, wie etwa die Kanonisierung der Schönberg-Schule oder die Abwertung der

engagierten gegenüber der esoterischen Literatur, steht auf einem andern Blatt.

3. Was Adornos Verhältnis zur politischen Kultur im engeren Sinne betrifft, so stellte er für die Bundesrepublik bereits früh die entscheidenden Fragen.

Methodisch grundlegend dafür waren die Annahmen der an Freud geschulten analytischen Sozialpsychologie. Wenn die Focussierung der Forschungsstrategie von den objektiven zu den subjektiven Faktoren, von der Politikökonomie des Nationalsozialismus zu seiner Sozialpsychologie bereits Anliegen der frühesten Programmschriften Horkheimers gewesen war, so stellte die Wende zur Re-education, die dann Anfang der 40er Jahre erfolgte, weit mehr als nur eine Anpassungskurve im Überlebenskampf der Emigration dar: sie war eine hochsensible Einschätzung der kommenden Entwicklung in Deutschland und Europa und dementsprechend die prognostisch „richtige“ Weichenstellung. Adornos Auswertung des empi-rischen Gruppenexperiments von 1951 ist ein Schlüsseltext für das Verständnis der frühen Bundesrepublik, weil er das erste Mal die psycholo-gische und kollektive Tiefendimension dieser seltsamen Zwitterkultur aus

„Schuld und Abwehr“ freilegte. Vor allem stellte er den Zusammenhang mit der Demokratie her: Adorno fragte nach der Art und Weise, wie die Deutschen mit ihrer Verantwortung für die NS-Verbrechen umgingen, und kam zu dem Ergebnis, dass die projektive Abwehr der Schuldgefühle zu gespaltenen Persönlichkeitsstrukturen führte, deren Engagement für die Demokratie zweideutig und fassadenhaft bleiben musste.139 Wenn es später eine politische Pädagogik bei Adorno gab, dann bestand sie vor allem in Gelegenheitsarbeiten und setzte wieder auf eher konventionelle Erziehungsziele wie „Aufklärung“, „Mündigkeit“, „Bildung“.

4. Welch außerordentliches zeitdiagnostisches Potential in der Kombination von kultureller Sensibilität und analytischer Sozialpsychologie steckte, lässt sich nirgends besser studieren als an Adornos Vortrag: „Was bedeutet:

Aufarbeitung der Vergangenheit“ von 1959.140 Diese rhetorische Miniatur, wie man es nennen könnte, war eine Gelegenheitsarbeit und wurde doch ein „echter Adorno“ mit allem, was dazugehört: da ist die freie und improvisierte Rede, da ist das Ausgehen von der subjektiven Erfahrung und ihre politische Dramatisierung, da werden subtile methodologische und sozialwissenschaftliche Probleme popularisiert. Dem thematischen Aufriss scheint eine dramatische oder musikalische Form unterlegt, etwa so: 1. wird das „kalte Vergessen“ der Opfer beklagt und als eine Form des Nachlebens des NS beschrieben; 2. wird ein Zusammenhang mit dem Mangel an demo-kratischer Kultur hergestellt, 3. wird die Pathologie des Vergessens

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Friedrich Pollock (Hg.) Gruppenexperiment, Frankfurt am Main 1955.

140 in: Gesammelte Schriften, Band 10.2, Frankfurt/M 1977, S.555ff.

psychologisch analysiert, 4. steigert sich die Rede zum bedrohlichen Bild des totalen Verblendungszusammenhangs, und 5. verebbt die Erregung in die Aufgabe der „demokratischen Pädagogik“. Bedenkt man den Ort dieses Vortrags (Adorno sprach vor dem Koordinierungsrat für Jüdisch-christliche Zusammenarbeit), bedenkt man vor allem den Zeitpunkt (wenige Wochen vor den berüchtigten und folgenreichen Hakenkreuzschmierereien Weihnachten 1959, die bekanntlich in Köln begannen, aber eine ganze Serie nach sich zogen), so möchte man Adorno fast eine prophetische Begabung zusprechen - hätte er nicht selber zeitlebens davor gewarnt, den Geniebegriff zu hypostasieren und das Aufklärungspotential der Sozial-wissenschaften zumal gegenüber der Politik zu überschätzen. 6. Adorno hat das Kunststück fertig gebracht, zur Demokratisierung der Bundesrepublik mittels eines intellektuellen Habitus beizutragen, der einerseits erstaunlich stark der Tradition der deutschen Kulturkritik verhaftet blieb und anderer-seits maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sowohl die ästhetische wie die sozialwissenschaftliche Moderne nach Deutschland zurückkehrte. In dieser Doppelstrategie, die einer nachholenden Übersetzungsarbeit gleichkam, erneuerte er den Gestus der Aufklärung und richtete ihn zugleich auf die Bedürfnisse der kulturellen Grundlegung der Demokratie. Bezeichnet man dies, wie die neuere Forschung es nahe legt, als „Verwestlichung“ der Bundesrepublik, so fällt bei Adorno auf, dass er ohne den „Mythos Amerika“ auskam. Hier wäre es interessant, den Vergleich mit anderen prominenten Remigranten anzustellen, also etwa mit Ernst Fraenkel in Berlin oder mit Arnold Bergstraesser in Freiburg.141 Wenn diese beiden Portalfiguren der frühen Bundesrepublik die Fundierung der Demokratie durch die Verwissenschaftlichung der Politik zu befördern versuchten und dabei zu wichtigsten Schulgründern der Politikwissenschaft wurden, so operierte Adorno gleichsam vom andern Ende her und dennoch mit demselben Ziel: er betrieb die Befestigung der Demokratie durch die Kritik der Kultur. Das Geheimnis seines Erfolgs lag im indirekten und dennoch äußerst effektiven Verweben von Kultur und Politik.

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Vgl. meine Aufsätze Ernst Fraenkel und die Verwestlichung der politischen Kultur in der Bundesrepublik, in: Leviathan Jg. 30, 2002, S.1ff.; und Normative Verwestlichung.

Der Einfluss der Remigranten auf die politische Kultur der frühen Bundesrepublik, in:

(Hg.) Heinz Bude, Bernd Greiner, Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik, Hamburg 1999, S.72ff.

Literatur

Adorno, Theodor: Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit? in: Gesammelte Schriften, Band 10.2, Frankfurt/M., 1977.

Albrecht, Clemens; Behrmann, Günther, C.; Bock, Michael; Homann, Harald; Tenbruck, Friedrich, H.: Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Franfurt/M, New York, 1999.

Almond, Gabriel A.; Verba, Sidney: The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton, 1965.

'HPLURYLüAlex: Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule, Frankfurt/M., 1999.

Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, 2.Aufl., München, 1997.

Greiffenhagen, Martin und Sylvia: Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur Deutschlands, Frankfurt/M., 1981.

Herf, Jeffrey: Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin, 1998.

Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/M., 1969.

König, Helmut (Hg.): Der Fall Schwerte im Kontext, Opladen, 1998.

Lübbe, Herrmann: Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Gegenwart, in: Martin Broszat (Hg.), Deutschlands Weg in die Diktatur. Internationale Konferenz zur nationalsozialistischen Machtübernahme, Berlin 1983.

Lepsius, Rainer: Die Prägung der politischen Kultur der Bundesrepublik durch institutionelle Ordnungen, in: ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen, 1990.

Mitscherlich, Alexander und Margarete: Die Unfähigkeit zu trauern (zuerst 1967), München, 1977.

Niethammer, Lutz: Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Berlin, 1982.

Pollock, Friedrich (Hg.): Gruppenexperiment, Frankfurt am Main, 1955.

Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Band 1: Der Aufstieg, 1876-1952, München, 1994.

Söller, Alfons: Normative Verwestlichung. Der Einfluss der Remigranten auf die politische Kultur der frühen Bundesrepublik, in: (Hg.) Heinz Bude; Bernd Greiner:

Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik, Hamburg, 1999.

Söller, Alfons: Ernst Fraenkel und die Verwestlichung der politischen Kultur in der Bundesrepublik, in: Leviathan Jg. 30, 2002.

Stefan Mertens

Der Vermittlungszusammenhang von

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