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Das Erfolgsgeheimnis des „nonkonformistischen Intellektuellen“

Im Dokument TATortund TATsache (Seite 167-174)

Adorno und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 125

3. Das Erfolgsgeheimnis des „nonkonformistischen Intellektuellen“

Die Vorstellung einer nachholenden intellektuellen Gründung ist für die frühe Bundesrepublik ebenso unrealistisch wie es der Mythos von der

„Stunde Null“ für die 40er Jahre war. Theoriegebeugte jüdische Remig-ranten in der Triumpfpose politischer Sieger? – dieses Bild ist obszön und entstammt der Mottenkiste des Antisemitismus! Und dennoch steckt in der Provokation ein bedenkenswerter Rest, wenn man nämlich die wirkungsge-schichtliche Frage ernst nimmt und also nicht mehr daran vorbeikommt, dass die Frankfurter Schule in der politisch-intellektuellen Geschichte der Bundesrepublik tatsächlich immer sichtbarer hervortritt. Eine Theorie der kulturellen Hegemoniebildung in der abgemilderten Form einer speziali-sierten Intellektuellengeschichte?

Anlass für eine solche Frage gibt die Studie über die „Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule“, diH$OH['HPLURYLüXQWHUGHP Titel „Der nonkonformistische Intellektuelle“ vorgelegt hat.138 Auf der einen Seite möchte man dieses nicht weniger voluminöse Buch als eine Art

138

$OH['HPLURYLü'HUQRQNRQIRUPLVWLVFKH,QWHOOHNWXHOOH'LH(QWZLFNOXQJGHU.ULWLVFKHQ7Keorie zur Frankfurter Schule, Frankfurt/M 1999.

offiziöser Gegendarstellung zu Albrecht, Behrmann u.a. lesen, weil sein Verfasser nicht nur langjähriger Mitarbeiter des Instituts für Sozial-forschung ist, sondern sein Buch aus einem hauseigenen Habilitations-projekt hervorging und noch dazu im Suhrkamp Verlag gedruckt wurde.

Auf der andern Seite verbietet sich die voreilige Konfrontation: DemirRYLü hat ebenso gründlich in den Archiven des Instituts für Sozialforschung recherchiert und er teilt die Intention, die ideengeschichtliche an der wirkungsgeschichtlichen Perspektive zu brechen und d.h. soziologisch zu argumentieren. Ob er dadurch der nahe liegenden apologetischen Versuchung entgeht, wird zu fragen sein.

Offen gelegt werden zunächst die theoretischen Prämissen dieser 'DUVWHOOXQJGHU)UDQNIXUWHU6FKXOH'HPLURYLüHQWZLFNHOWDOVVHLQH*UXQG -lage eine Soziologie des Intellektuellen, die zwar in enger Tuchfühlung mit den grundlegenden Texten der Nachkriegsperiode, allen voran mit dem Kulturindustriekapitel der „Dialektik der Aufklärung“, bleibt, doch bemüht er für seine verstärkte Aufmerksamkeit auf die dazugehörige „intellektuelle Praxis“ vor allem Gramsci und Foucault: Von Gramsci entlehnt er das Konzept der „kulturellen Hegemonie“ und des dazugehörigen „organischen Intellektuellen“, und die Foucault-Rezeption dient ihm dazu, die Beziehung von „Wahrheit“ auf „Macht“ zu erläutern und im Begriff der „Wahrheits-politik“ die politische Funktion des Intellektuellen festzuschreiben. (vgl.

bes. S. 16ff.). Schon in der theoretischen Grundlegung ergibt sich also eine gewisse Paradoxie: Während der Witz dieser Definition des Intellektuellen darin liegt, dass eine positive Beziehung auf Politik und Machtstreben zumindest impliziert ist, muss die Anwendung dieses Konzepts auf die Frankfurter Schule gerade diesen Zusammenhang wieder relativieren:

'HPLURYLüVWHOOWGHQ%HJULIIGHVÄQRQNRQIRUPLVWLVFKHQ,QWHOOHNWXHOOHQ³LQV Zentrum und legt damit die Praxis der Frankfurter Schule auf die negative Tätigkeit der Kritik fest.

Nur, was heißt in diesem Zusammenhang „Nonkonformismus“? Und inwie-fern lässt sich sagen, dass ausgerechnet die negative Tätigkeit der Kritik mehr ist als Theorie, also den Namen der politischen Praxis tatsächlich verdient? Es ist ziemlich klar, dass an dieser Frage die Plausibilität des gesamten Unternehmens hängt XQG 'HPLURYLü VFKOlJW EHL LKUHU %HDQW -wortung ziemlich genau den entgegen gesetzten Weg ein als das Autoren-kollektiv Albrecht und Co. Er begründet den kritisch-nonkonformistischen Intellektuellen zunächst immanent aus der „Dialektik der Aufklärung“, also dem philosophischen Gemeinschaftswerk der Exilphase, um dann aber darauf zu achten, wie sich diese hochabstrakten Überlegungen in dem Maße

zu wandeln beginnen, wie die Remigrationspläne in den Vordergrund treten und schließlich Gestalt annehmen. (bes. S. 75ff.) Die Rückkehr nach Deutschland war nach dieser Darstellung verbunden mit einer erstaunlich konkreten und positiven Wendung bei Horkheimer und Adorno, so dass sich in den frühen 50er Jahren die brisante Konstellation ergab, dass die keineswegs dementierten pessimistischen Geschichtsspekulationen der letzten Exilphase gleichsam koexistierten mit sich konkretisierenden, aber auch rasch vervielfältigenden Tätigkeiten. Horkheimer in einem späten Rückblick: „Und so war unser Grundsatz, theoretischer Pessimist zu sein und praktischer Optimist“ (S.740).

Es war also eine durchaus widersprüchliche Haltung, hervorgehend aus einem durchaus widersprüchlichen Verständnis von Theorie und Praxis, die das Verhalten Horkheimers und Adornos in der frühen Bundesrepublik SUlJWH8QG'HPLURYLüYHUIlKUWLQVRZHLWNRQVHTXHQWDEHUDXFKLPPDQHQW als er eine Einheit zwischen Haltung und Verhalten annimmt und sich also auf den Denkstil der Frankfurter konzentriert, der zwar in hohem Maße theoretisch konditioniert war, aber eben auch praktisch wirken konnte, weil er einen prägnanten intellektuellen Habitus verkörperte und diesen in der Öffentlichkeit auch zu behaupten verstand. Die Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, so seine These, ist identisch mit der wirkungsvollen Präsentation des kritisch-dialektischen Denkstils, was allerdings seine öffentliche Darstellung, seine vielschichtige Anwendung auf wechselnde Situationen, seine argumentative Verteidigung im Konfliktfalle, aber auch seine institutionelle Verkörperung und seine Verankerung im gesellschaft-lichen und politischen Gesamtgefüge mit einschließt. Es sind diese „diskur-siven Praktiken“, die vom Privatbrief über den Projektantrag bis zum Essay und zum theoretischen Buchtext reichen, also kleine und große „Texte“ in ihrer Vielfalt und Einheit, die es zu analysieren gilt, um zu verstehen, was die Frankfurter Schule historisch war.

'HPLURYLü WXW JXW GDUDQ GLHVH PHWKRGLVFKHQ hEHUOHJXQJHQ JOHLFK GXUFK Kontextstudien zu flankieren. Und weil der Entschluss zur Remigration von Horkheimer an die Wiedererrichtung des Instituts für Sozialforschung geknüpft war, dem er eine Heimstätte in der wiedererstandenen Universi-tätslandschaft sichern wollte, bietet sich eine Analyse der offizieller Rekto-ratsreden an, wie sie an den westdeutschen Universitäten in guter alter Tradition fortgesetzt wurden. Und tatsächlich ergibt der Vergleich mit Horkheimers Reden, der bekanntlich im Wintersemester 1951/2 zum Rektor der Universität Frankfurt gewählt wurde, eine interessantes, aber auch ambivalentes Bild: Während die meisten Universitätsreden – bis hin zu den frühen und bekannten von Karl Jaspers - sich darin erschöpfen, vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Katastrophe an die angeblich

unbe-schädigte Substanz der deutschen Universität anzuknüpfen, stimmt zwar auch Horkheimer in den verbreiteten neuhumanistischen Tenor ein, doch scheinen seine Appelle an die Vernunft und seine Aufforderung an die Studierenden, Zivilcourage zu zeigen, stärker durch die Reflexion auf gesellschaftliche Topoi charakterisiert. Bedient Horkheimer hier eher den

„nonkonformistischen Intellektuellen“ oder verbleibt er im „Diskursfeld“

der „deutschen Mandarine“ (Fritz Ringer)? Es ist interessant, dass sich 'HPLURYLü VFKZHU WXW GLHVH $OWHUQDWLYH NODU ]X HQWVFKHLGHQ ZlKUHQG immerhin offensichtlich wird, dass neben den diplomatischen Ergebenheitsgesten des Rektors Horkheimer gegenüber dem zum akademischen Festakt geladenen Bundeskanzler auch demokratie-theoretische Assoziationen Platz finden, wie sie sich z.B. wenig später in der Untersuchung über das politische Bewusstsein der Studenten niederschlagen. Freilich mussten noch viele politische Skrupel des ängstlichen Institutsdirektors überwunden werden, bis sie dann 1962 unter dem Titel „Student und Politik“ veröffentlich wurden. (S.194ff.).

Einer ähnlichen Doppelstrategie – immanente Rekonstruktion plus Kontext-analyse - folgt 'HPLURYLüZHQQHUGLH:LHGHUEHJUQGXQJGHV,QVWLWXWVIU Sozialforschung darstellt und dabei die disziplinäre Etablierung der Soziologie als Hintergrund nimmt. Sicherlich kann man die Umständ-lichkeit beklagen, mit der hier das Zwerggetrippel aus den Archivkellern auf einen Siebenmeilenschritt der Soziologiegeschichte projiziert wird, doch werden auf diese Weise einige interessante Details beleuchtet: z.B.

dass es zwischen Horkheimer und anderen wissenschaftlichen Gründer-figuren wie Rene König (Köln) oder Arnold Bergstraesser (Freiburg) einen erstaunlich hohen Anfangskonsens gab, der Zerfall in verfeindete „Lager“

also offenbar erst das Produkt späterer Entwicklungen war; oder dass die mehr von Adorno als von Horkheimer betriebene Dominanz des philoso-phischen-hermeneutischen Elements in den Sozialwissenschaften weder die alte Idee der interdisziplinären Forschung über Bord gehen ließ noch auf eine generelle Geringschätzung der empirischen Methoden hinauslief. Im Gegenteil: die wichtigsten Projekte des Instituts für Sozialforschung waren sowohl interdisziplinär wie empirisch orientiert, standen allerdings gleich-zeitig und explizit unter dem Primat der philosophischen Reflexion – die Formierung des „nonkonformistischen Intellektuellen“ hatte eben doch mit der Wiederkehr des Philosophenkönigtums zu tun!

Dazu zählte sowohl die bereits genannte Befragung über das politische Bewusstsein der Studenten, die übrigens die pessimistischen Annahmen über die Kontinuität des autoritären Potentials bestätigte, als auch die schon Anfang der 50er Jahre begonnene Untersuchung über die Repräsentanz des Nationalsozialismus im gegenwärtigen Bewusstsein der Bundesbürger, die

1955 unter dem Titel „Gruppenexperiment“ publiziert wurde. Wurden dort staatstheoretische und ideologiekritische Fragestellungen methodisch verknüpft, so wurden hier psychoanalytische Annahmen zu Schuld und Verdrängung in Beziehung zu demokratischen und zivilgesellschaftlichen Wertvorstellungen gesetzt – mit einem ähnlich ernüchternden Befund. Die detaillierte Darstellung dieser Zusammenhänge ist instruktiv, weil es den spezifischen, d.h. auch begrenzten Beitrag genau zu bestimmen erlaubt, den die Frankfurter Schule für die Ausbildung und Festigung einer demokra-tischen Kultur in Westdeutschland tatsächlich geleistet hat. Er war, wie es scheint, primär methodischer Art und bestand am ehesten in der Aufklärung der komplexen Einbettung bewusster und unbewusster Elemente in die kulturelle Reproduktion, die gegenüber der Demokratie entweder fördernde oder hemmende Wirkungen entfalten konnten, während konkretere Initia-tiven politikberatender Art, die aus den sporadischen Kontakten des Instituts zu Militärs oder zum Verfassungsschutz erwartbar sein könnten (bes. S.367ff.), eher kurios, aber auch bedeutungslos waren.

So geschickt Horkheimer in den 50er Jahren als „großer Kommunikator“

auch agieren mochte und so überraschend sich manche seiner späteren Bekenntnisse zur „Führungsmacht USA“ und zur „Wertegemeinschaft des Westens“ auch anhören – die Frankfurter intendierten oder betreiben zu keiner Zeit eine „Schule für Demokratieerziehung“, sondern reihten sich allenfalls in die in soziologischen Fachkreisen konsentierten Bestrebungen ein, die deutsche Bildungstradition mit ihrer typisch philosophischen und geistesgeschichtlichen Ausrichtung als eine Art „Container“ zu benutzen, in dem empirische Methoden, eingepackt in die moderaten Formen qualita-tiver Analysen, zur Aufklärung der Hindernisse für eine demokratische Kultur beitragen konnten. Verglichen mit dem durchaus beredten Material, das solche Differenzierungen anzubringen erlaubt, sind die überlangen Ausführungen zur akademischen Schulbildung im engeren Sinn, also zur Prüfungs-, Rekrutierungs- und Lehrpraxis der Frankfurter Meister, konkret z.B. die Seminarprotokolle der großen und kleinen Frankfurter Meister-schüler oder die vergeblichen Versuche, die Zeitschrift für Sozialforschung wieder aufleben zu lassen, wieder von sekundärem Interesse.(Vgl. 382-507) Bleibt das Rätsel Adorno. Dass es dieses Rätsel gibt, wenn es um die Nachkriegsgeschichte der Frankfurter Schule geht – dies verdeutlicht das nicht enden wollende Exerzitium, in das DemiroviüVLFKYHUVWULFNWZHQQHU die zweite Hälfte seines 1000-seitigen Buches auf die Analyse der „theore-tischen Praxis“ der Frankfurter Schule verwendet. Offenbar ist Adorno nicht nur der Realtypus des idealtypisch entwickelten „nonkonformistischen Intellektuellen“, sondern auch sein Archetypus, der in der Geschichte der Bundesrepublik majestätisch und einzigartig dasteht. Angesichts dieser

Lage gerät der Rezensent in eine bedrängte Situation, weil der Stil der Darstellung in die kanonische Immanenz abzugleiten droht, und er ist versucht, sich durch eine einfache Unterscheidung zu retten: Instruktiv ist und bleibt DemiroviüEHUDOOGRUWZRWDWVlFKOLFK:LUNXQJVDQDO\VHEHWULH -ben und d.h. die vielfältige und verblüffende Rezeptionsbreite aufgeblättert und vergleichend rekonstruiert wird, die jede der größeren Publikationen Adornos gefunden hat. Problematisch aber wird es dann, wenn diese Wirkung nicht mehr nur als Resultat einer literarischen Praxis verstanden wird, die bestimmten rekonstruierbaren Regeln folgte, sondern wenn Regeln und Wirkung miteinander zu verschmelzen beginnen („theoretische Praxis“!), weil beide als Emanation einer sich selbst begründenden „Wahr-heitspolitik“ erscheinen.

Zum Glück kennt der Verfasser die Suggestion, die von einem „Meister-denker“ wie Adorno ausgehen kann, auch hat er an seiner Hand die Ehrfurcht gebietende Galerie der metaphysischen Sinnsucher hinter sich gelassen. So kann er sich damit begnügen, das mächtige Thema von

„Theorie und Praxis“ mit kleinem Werkzeug anzupacken und die große Wirkung, die Adorno in der Nachkriegszeit ohne Zweifel hatte, vor allem an seiner Sprech- und Schreibweise festzumachen. Zwar ist er nicht so konsequent, Adornos Texte wirklich als Sprach- und Textwissenschaftler zu zergliedern, doch interessiert er sich hauptsächlich für die literarische Haltung, die den philosophischen wie den soziologischen Arbeiten Adornos ihr unverkennbares Gepräge gegeben haben. So analysiert er die „Minima Moralia“, die sein erster Erfolgstitel wurden, einleuchtend unter dem Stichwort der „paradoxen Redesituation“, weil diese philosophischen Reflexionen von der Variation des Gestus leben, die tradierten humanis-tischen Normen an der Erfahrung des „beschädigten Lebens“ scheitern zu lassen. (S. 525ff.) Und überraschend und überaus instruktiv für die intellektuelle Ausgangslage der Bundesrepublik macht sich dann die daneben gestellte Rezeptionsanalyse, die eine breite, sensible und über-wiegend positive Resonanz fast aller intellektuellen Lager zeigt. (S. 537ff.).

Die überragende Dominanz des Kulturellen, und zwar im Stoff wie im Stil seiner Behandlung, setzt sich fort in den 1955 publizierten „Prismen“. Jetzt ist Adorno in seinem eigentlichen Element angekommen, in dem der

„Kulturkritik“, und dementsprechend lebhaft, aber auch kontrovers stellt sich das „Netz der Resonanzen“ dar (S. 585ff.): Adorno beginnt zu einer öffentlichen Figur zu werden, zu einer Autorität in Sachen Kultur - nicht nur angesichts der Breite seiner publizistischen Präsenz, die von der Musik über die Literatur bis zur Philosophie und Soziologie reicht, sondern mehr noch wegen seiner Schreibweise, die essayistisch, aber eben in diesem Genre als sprachprägend und stilbildend anerkannt wird. Das letztere ist

prägnant daran ablesbar, dass diese stilbildende Wirkung gerade auch von denen hervorgehoben wird, die seine Arbeiten kritisieren. Es ist schade, dass Demiroviü DQ GLHVHU 6WHOOH GLH YRQ LKP DXIJHZRUIHQH )UDJH QLFKW wirklich zu Ende verfolgt, wie man das Verhältnis Adornos zur Tradition der deutschen Kulturkritik bestimmen soll, ob man dabei seinem Selbst-verständnis als „kritischem Kulturkritiker“ wirklich trauen darf – oder ob die Übereinstimmungen mit dem tief sitzenden politischen Konservatismus dieser Zunft nicht vielleicht doch sehr viel höher ansetzen muss als es ihm selbst bewusst war. Wichtig ist festzuhalten, dass die Präsenz Adornos in allen bildungsbürgerlichen Medien schon Ende der 50er Jahre überragend war, so sehr, dass es tatsächlich schwer fällt, einen ihm ebenbürtigen kulturkonservativen Gegner auszumachen.

Adorno als Ikone des Bildungsbürgertums – und gleichzeitig die Inkar-nation des „Linksintellektuellen“ in der Bundesrepublik? In der Tat, wie es 1960 ein Gratulant zu seinem 60. Geburtstag ausdrückt: „Man kann Adorno nicht ignorieren. Er hat Schule gemacht. Seine Schüler und Adepten machen Kulturpolitik als Theaterkritiker, Musiktheoretiker, als Lektoren und (Kultur-)Manager. Die musikalisch-literarische Avantgarde beruft sich auf ihn, hört auf ihn, lässt sich willfährig von ihm interpretieren. Außer Philosophie liest er Soziologie und Ästhetik, vor allem Musikästhetik. Er ist Direktor des Instituts für Sozialforschung, das eine einzigartige Stellung auf dem Gebiet der Soziologie in Deutschland einnimmt.“ (S.604/5) Die hege-moniale Stellung Adornos im Spannungsfeld zwischen Feuilleton, Buchmarkt und Universität hat sich bis zu seinem Tod nicht mehr verändert, sie bekam allenfalls noch weitere Stützpfeiler hinzu: durch seine philosophischen Publikationen zu Hegel und Heidegger bis hin zur

„Negativen Dialektik“ (S. 603ff.), durch seine Protagonistenrolle im sog.

Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (S. 741ff.), und natürlich durch die Austragung der für ihn höchst schmerzlichen Konflikte mit den revoltierenden Studenten, die nicht zuletzt deswegen eskalierten, weil sie an das Trauma der Vernichtungsdrohung aus den 30er Jahren rührten (S.

856ff.).

DemiroviüVWHOOWDOOGLHVLQJU|‰WHU$XVIKUOLFKNHLWGDUXQGPXVVGRFKDP Ende darauf verzichten, das Kapitel aufzuschlagen, in dem sich das Erfolgsgeheimnis Adornos am ehesten entziffern lässt: seine „Ästhetische Theorie“, seine Essays zur Literatur und vor allem seine Bücher zur Musik, die bekanntlich einen nicht geringen Teil der Gesammelten Schriften ausmachen. Hier, zumal in den Büchern zu Gustav Mahler und zur neuen Wiener Schule, finden sich nicht nur die Leitmotive seines gesamten Schaffens früh angelegt, greifbar wird auch die traumhafte Sicherheit, mit der Adorno die lebensphilosophisch imprägnierten „geistigen Erfahrungen“

seiner musikalischen Jugend – über alle Turbulenzen des englischen und des amerikanischen Exils hinweg - in sämtlichen „Erscheinungsformen des objektiven Geistes“ wieder erkannte. Vielleicht rührte die schier grenzenlose Produktivität als Schriftsteller, auf der Adornos Wirkung in der Bundesrepublik vor allem beruhte, daher, dass er diese Motive in einer unendlichen Klangreihe zwischen Leben und Denken nur immer neu variiert hat. Und vielleicht erklärt sich eben daraus auch die erstaunliche Konsonanz des remigrierten Linksintellektuellen mit seinem kulturbeflissenen Publikum: er spielte virtuos die geistigen Instrumente weiter, von denen viele in der Epoche des Nationalsozialismus verstimmt worden waren, vor allem aber verstand er neu zu stimmen, was des deutschen Bildungsbürgertums liebstes Instrument immer gewesen und auch nach Hitler geblieben war: die deutscheste aller Künste, die Musik.

4. Adorno in der kulturellen Topographie der Bundesrepublik – fünf

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