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Alternativen im politischen Leben des Iran

Im Dokument TATortund TATsache (Seite 131-140)

Eine andere Welt ist möglich;

[nur wie und wo?]

Von einer „konservativen Revolution“ schrieb die Frankfurter Rundschau am 24.02.04 unter Bezugnahme auf die für den Iran so charakteristischen Wahlen 2004. Der mehrheitliche Boykott durch die Stadtbevölkerung konnte dabei nicht verhindern, dass sich die autoritären Elemente gegen die demokratischen Reformer durchsetzten. Was ist schon eine Wahl, die sich zwischen konservativen und orthodoxen Kräften entscheidet und bei der nicht das zur Wahl steht, was eine Mehrheit wählen würde? Das Resultat ist unabhängig von der Stimmauszählung: Unzufriedenheit, Ohnmacht, und Wut.

Wenn sich die Politikverdrossenheit so rational erklären lässt, dann liegt einiges im Argen; Zustände die durch die Menschen nicht mehr akzeptiert werden können und so ist der Iran heute: „ein Pulverfass“. Die Geschichte der letzten drei Jahrzehnte zeigt warum: drei Golfkriege, die abgesehen von der ausbleibenden „Kriegsdividende“ nichts einbrachten, außer die Präsenz der dominanten US-Amerikanischen Weltpolizei, die zu einer gewaltigen und gewalttätigen Verstimmung der gesamten Region geführt hat. Bereits vor langer Zeit öffnete sich die Büchse der Pandora und der Iran wurde von Saddam Hussein im Dienste des Westens von einem gewaltigen Gaskrieg überzogen (Peter Scholl-Latour). Dieses, kulturell wie ökonomisch eigent-lich reiche Land, das Schauplatz von Unruhen, Revolution und Reaktion war, leidet unter der augenblicklichen Erstarrung sämtlicher vitaler demo-kratischer Elemente, die sich in einem konservativ, autoritären islamischen Korsett befinden.

Unser Thema ist umfassend, zu weit gegriffen, als dass wir hier mehr als einen kurzes schattenhaftes Bild transportieren können, das wir auf Augustusburg erreichen konnten. Vielen Dank an alle Mitwirkende,

beson-ders an Rouzbeh Taheri, dem deutsch-iranischen PDS-Politiker, der uns über die politische Geschichte des Irans informierte und uns dabei einen lebendi-gen Einblick in die Historie gab, wie es kein Buch vermitteln könnte.

Sein aktuelles Statement zu unserem Thema soll hier nicht fehlen:

„Die islamische Republik Iran wird immer wieder als das Schlüsselland im Mittleren Osten bezeichnet. Hier haben viele Entwicklungen, die die gesamte Region geprägt haben, ihren Anfang genommen. So ist nach der Machtüber-nahme der Islamisten in Folge der Revolution von 1979 der politische Isla-mismus weltweit zu einem Begriff geworden.

Die Entwicklungen der neueren Zeit scheinen diese These zu bestätigen.

Nach einer ‚Tauwetterperiode’ seit dem Ende der 90er Jahre, ist mit der Parlamentswahl vom Februar 2004 eine nochmalige Wendung in der Balance der Kräfte eingetreten. Der ‚gemäßigte’ Präsident Chatami steht ohne parlamentarische Mehrheit da. Die konservativen Kräfte haben durch den mächtigen ‚Wächterrat’ eine ‚Bereinigung’ der Kandidatenlisten von fast allen Reformern erreicht.

Der Traum von einer unblutigen Transformation des islamischen Systems scheint zu Ende zu sein. Aber so voreilig die Jubelschreie bei der Wahl Chatamis gewesen sind, so voreilig ist jetzt der Abgesang auf alle Reformer.

Gescheitert ist der viel zu mutlose, viel zu sehr am Erhalt des Systems interessierte Teil des Reformlagers.

Die Masse der Bevölkerung, besonders in den Großstädten, hat mit dem Wahlboykott ihre Unzufriedenheit abermals bewiesen. Sie sind von den führenden Kräften der Reformer enttäuscht, werden sich aber nicht langfris-tig mit dem politischen System arrangieren. Die Geschichte Irans zeigt auch, dass das Aufbegehren meistens dann kommt, wenn alles schon verloren scheint.“ (R. Taheri)

Der Druck durch geopolitische Interessen und politische Kämpfe im Inneren manifestieren sich in einem Zustand den man als Belagerungszustand von Innen und von Außen bezeichnen kann und veränderte das Gesicht der Staatlichkeit zu einem autoritären Machtgebilde. Ist eine friedliche Revolu-tion unter dieser Prämisse möglich? Wenn ja, welche Überlegungen kann die

„Linke Theorie“ dazu beitragen oder sind wir aufgrund kultureller Differen-zen und unausgegorener Konzepte dazu nicht in der Lage?

Konkurrierende Elemente im Inneren

Das politische System des Irans spaltet sich in sich und ist nach außen doch Eines. Was auf den ersten Blick paradox klingt, ist Realität. Eine Mischung aus einer säkularen und einer religiösen Staatsdoktrin bilden die, vom Ursprung her konkurrierenden, jedoch im Iran vereinten, Grundpfeiler der Staatsräson. Die Macht determiniert im religiösen Apparat, der alle rele-vanten politischen und kulturellen Bewegungen des demokratischen Systems verhindern kann und somit de facto die wichtigste Autorität im Iran darstellt.

Das Regime der Islamischen Republik Iran weist dabei eine hohe Stabilität durch ausgeprägte Machtdiversifikation auf. Es steht politisch auf zwei Säulen (dem Islam und einer teilweise autonomen Demokratie); darüber hinaus ist kulturell eine deutliche, spürbare Kluft zwischen Stadt- und Land-bevölkerung zu erwähnen. Ferner bietet der Iran vielen Minderheiten eine Heimat und so erweist sich dieser, von seinen Bewohnern „überlebte“ Staat, als überaus resistent gegenüber revolutionären Einflüssen aus den In- und Ausland. Es ist eben keine totalitäre Herrschaft, sondern ein abgestuftes Herrschaftsprinzip, das viel konservierende Kräfte mobilisiert. Das so genannte „Gefangenen Dilemma“ spielt dabei eine große Rolle, denn obwohl viele Menschen hoffen, das Regime würde verschwinden, haben sie nicht den Mut, offen politisch zu agieren, weil damit die Gefahr einhergeht, Rechte und Privilegien zu verspielen. Darüber hinaus kann ein gescheitertes Aufbegehren andere übervorteilen und der ungeliebte Einfluss ausländischer Interessen könnte sich verstärken. Ferner ist eine offene Opposition immer von Repression bedroht und die Autorität des Staatsapparates tut ihr übriges, in einer Zeit, in der politische Alternativen außer Sichtweite geraten sind.

Aber die jüngere Geschichte des Iran ist eine Geschichte von Revolution und Reaktion. Der enorme historische und kulturelle Hintergrund könnte dabei eine Quelle der Identitätsbildung sein, welche hilft Mut gegen Unter-drückung zu finden.

Neben der Trennung von zivilgesellschaftlichen und religiösen Elementen finden wir in der dritten Säule der Machtausübung, der Ökonomie, einen Rentierstaat der Ölindustrie vor. Für diese Region kann aber noch, im Vergleich zu Nachbarstaaten, eine gewisse Diversifikation der Wirtschaft erwähnt werden, sowie eine starke Trennung zwischen industriellen und traditionellen Sphären der Produktion. Die relative Abhängigkeit vom Ölex-port ist die Schwachstelle des Systems. Wie Balsam auf die Wunden der Kriegsgeschichte der letzen 20 Jahre fließen die exorbitanten Gewinne der Ölindustrie in verschiedene, teilweise undurchschaubare Empfängerkreise, häufig in religiöse Stiftungen und befrieden die soziale Schieflage etwas. Die heikle Situation durch Besatzung des Irak und Afghanistans und eine hohe

Arbeitslosigkeit, deren inoffizielle Schätzung von ca. 40 % ausgeht, sind damit verbunden.

Aufstand der Massen

1976/ 77 war eine heftige Rezession und damit ein Bruch des Rentenflusses, Auslöser der Krise des Shah-Regimes. Die USA übten in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten und deren eigenen außenpolitischen Interessen immer stärkeren Druck auf den Iran aus, dem das verkrustete Regime nicht standhalten konnte. Um der Lage Herr zu werden, wurde eine staatlich gesteuerte Liberalisierung eingeleitet, die wiederum zu ausge-prägten Protesten der Bevölkerung führte. Eine besondere Rolle muss dabei dem Stadt-Land-Konflikt zugeschrieben werden. In der Folgezeit übernahm die Ulama, die islamisch religiöse Geistlichkeit „eine strategisch, organisatorisch und ideologisch führende Rolle“. Als Todesstoß für das Regime ist der Generalstreik der Erdölarbeiter zu sehen. Der Shah ging ins Exil, Khomeini kam aus dem Exil zurück. Die „Islamische Republik Iran“

wurde am 01.04.79 ausgerufen. (S. Noor)

Nach der Revolution von 1979 kam es in Folge des ersten Golfkrieges zu einer Verhärtung des Regimes, deren konservative Umkehr in die Unter-drückung der iranischen Nation mündete und deren despotische Folgen tiefe Narben in der politisierten Mehrheit der Iraner hinterließ. Frauen erfuhren intensive Repression, soweit sie nicht völlig konform mit der Auslegung des Korans durch die iranischen Geistlichen waren. Geheimdienste bespitzelten Familien und Menschen verschwanden spurlos. Der Strom der Flüchtlinge war lang und die iranischen Gemeinden in Deutschland wuchsen, auch einer alten Freundschaft wegen, rasch an. Westeuropa profitierte dabei von einer Großzahl von Akademikern und politisch gebildeten Flüchtlingen. Der neue Typ des Exilanten, wie E. Said es nennt. Die Tragik dieses Exilanten liegt in der eigentlich hoffnungsvollen Entwicklung des Irans in den 70er Jahren und der modernen Möglichkeit, physisch binnen Stunden in die Heimat zurück-zukehren, aber diese Möglichkeit durch Vertreibung verloren zu haben.

Durch die große Zahl an akademisch gebildeten und politisierten Bürgern der iranischen Großstädte, die gezwungen waren ihr Land zu verlassen oder es aus Protest verließen, entstand eine relevante Opposition im Ausland. Inter-national organisierte Gruppen, die jedoch keineswegs als politisch homogen angesehen werden können, formierten sich. Die entscheidende Trennung vollzieht sich dabei zwischen progressiven und stärker traditionell orientier-ten, monarchietreuen Bewegungen.

Politisches System nach der Revolution

Die Machtstruktur der Islamischen Republik Iran ist die Hauptursache für die Regimestabilität. Sie stellt keineswegs einen monolithischen Block dar, sie ist vielmehr eine sehr komplexe Struktur, mit zahlreichen Machtzentren, welche zumeist nur lose miteinander verbunden sind. In entscheidenden Fragen erfahren sie alle ihre letztliche Entsprechung durch die religiösen Oberhäupter. Der duale Charakter des politischen Systems, das Neben-einander von demokratischen und autoritären Elementen stellt in dieser Konstellation ein Novum dar. Bei der skizzenhaften Beschreibung des politi-schen Systems, möchte ich mit dem zweitwichtigsten Mann der Republik beginnen: dem Präsidenten. Seit 1997 ist Präsident Chatami im Amt. Er gilt/galt als Reformer, nicht als Revolutionär. Sein Einfluss beschränkt sich auf die Sozial-, Kultur- und Wirtschaftspolitik, er darf nicht außenpolitisch agieren und hat keinen direkten Zugriff auf die Streitkräfte.

Die Außenvertretung steht dem „Obersten Revolutionsführer“ zu, der auf Lebenszeit vom Expertenrat gewählt wird und der ebenso „Oberste Rechts-gelehrter“ ist. Der jetzige Oberste Revolutionsführer heißt: Khamene’i. In seinem Amt hat er Zugriff auf die Streitkräfte und kann den Kriegs- oder Friedenszustand ausrufen. Er ernennt folgende Ämter: Sechs der zwölf Juristen des Wächterrats, den Leiter des Justizwesens, den Vorsitzenden des staatlichen Radio- und Fernsehwesens, den Oberkommandeur der regulären Armee und der zweifelhaften Sicherheitsdienste sowie unzählige kleinere Posten in vielen Ministerien und den Freitagsprediger. Darüber hinaus nimmt auch er an der Sozial- und Wirtschaftspolitik in einem nicht unerheb-lichen Maß teil, da er Einfluss auf eine Vielzahl von Stiftungen hat, denen als Arbeitgeber eine große Bedeutung zukommt. Das Parlament wird seit 1980 alle vier Jahre gewählt und ist unauflösbar. Die Arbeit des Parlamentes wird aber nur in einem gewissen politischen Spektrum geduldet und wiederum vom konservativen Wächterrat kontrolliert. Dieser prüft die Ver-einbarkeit der Gesetze mit der Scharia, dem islamischen Gerichtsstand. Der Wächterrat selbst besteht aus 12 Mitgliedern, die teilweise vom Parlament und teilweise vom Obersten Revolutionsführer bestimmt werden. Der Staat ist eine konfuse Mixtur aus zivilgesellschaftlichen und religiösen Elementen.

Den Iranerinnen und Iranern selbst, die meisten sind durchaus stark politi-siert, kann aber der Mut zum Aufstand zugetraut werden, was in der Vergangenheit des öfteren unter Beweis gestellt wurde. Allerdings ist keineswegs, wie oben bereits erwähnt (Gefangenen Dilemma etc.), davon auszugehen, dass ein Aufbegehren für mehr Demokratie und unveräußerliche Rechte nicht auch auf Gegenwehr stoßen würde. Es gibt zahlreiche Nutznießer des Regimes und der religiöse Fundamentalismus ist ein

besonders gut organisierter und gewaltbereiter Akteur hierbei, der viel zu verlieren hat. Ferner findet der traditionell ländlich angelegte Konserva-tivismus seine Entsprechung im religiösen Diktat Teherans. Schließlich sind auch nicht alle Männer bereit, ihre Privilegien zu Gunsten der Würde und Freiheit der Frauen abzulegen. Weiteres Kopfzerbrechen bereitet den aufständischen Intellektuellen der Einfluss des Auslandes, speziell der USA.

Viele dulden lieber die Unterdrückung durch den Islam als durch den Dollar und sehen die Souveränität nach Außen vor der Souveränität nach Innen.

Die Opposition

„Buchta unterteilt die Führungselite (OjH: der Opposition) zunächst grob in einen ‚rechten’ und einen ‚linken’ Flügel. Diese Einteilung bezieht sich vor allem auf die wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen. Er unterteilt diese beiden Flügel weiter in einen ‚traditionellen Rechten’, einen ‚modernen Rechten’, einer ‚islamischen Linken’ und einer ‚neuen Linken’, wobei er letzteren selbst in Anführungszeichen setzt.“ (S.Noor)

Was ist eine islamische Linke? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Eman-zipatorische Politik, die nach Souveränität der Menschen trachtet, ist säkular geprägt und gegen die Politisierung von Religion. Islamische Politik ist dagegen de facto in den Ländern um den Iran herum und in ihm selbst eine Hülle für Repression, besonders gegen Frauen und ein Mittel zur Konsoli-dierung einer Ordnung aus alten Zeiten. Mit islamischer Politik wurde bereits seit langer Zeit genau das realisiert, was die Linke zu nivellieren sucht: Ungleichheit auf ökonomischer und sozialer Ebene, besonders im Geschlechterregime. Es gibt keine Entfaltung einer freien Presse und Wissenschaft und die Freiheit der Meinung und die Unversehrtheit des Körpers sind kaum geschützt. Dass der Islam solche Zustände nicht verlangt, steht für mich außer Frage, aber die Art und Weise wie in seinem Schein gerichtet und gehandelt wird, ist ebenso eindeutig. Ich attestiere dem Islam wirklich keine besonders aggressive Rolle unter den monotheistischen Religionen, denn auch beispielsweise das Christentum brilliert hier mit einer langen und grausamen Geschichte von Gewalt und Despotie. Meine Vermu-tung, warum der Islam so intensiv politisiert wurde, ist, dass er stärker als die Staatlichkeit oder Parteien vom Zugriff von außen geschützt war (gerade in Zeiten des Kolonialismus und der Golfkriege) und sich deshalb in ihm eine eigenwillige Mischung aus Tradition, Politik und Gesellschaftsordnung, gepaart mit Ansätzen einer industriellen Gesellschaft, verwirklicht hat. Eine revolutionäre Rolle des Islam in dieser Region streite ich vehement ab,

obgleich es sicherlich gemäßigte Reformer unter den islamisch geprägten Politikern gibt.

Vielleicht ist es in den industrialisierten Ländern und auf der Ebene der Globalisierung anders, wo der Islam ebenso als Hülle benutzt wird, nur unter anderem Vorzeichen, nämlich als Schild (bzw. als Schwert) gegen den Kapitalismus. Dabei kann an solche Bewegungen wie die der „Neo Umma“

oder den Kampf von Malcolm Little, alias Malcom X erinnert werden. Das heutige Ausmaß des Terrors mit seiner Angstkommunikation des isla-mischen Fundamentalismus macht eine objektive Bewertung allerdings schwer, nahezu unmöglich. Worauf wollen die radikalen islamischen Terroristen hinaus? (Eine Frage der im medialen Diskurs noch keinerlei Bedeutung zu gekommen ist) Ein bloßes Zerbomben von urbanen Metro-polen (z.B. New York und Madrid) macht dabei deutlich, dass es vor allem um einen ungerechtfertigten und lediglich auf Gewalt basierenden Macht-anspruch geht, dessen Weg durch die Kommunikation von Angst und Schrecken geebnet werden soll.

Die Revolution von 1979 spaltete und schwächte die Opposition im Iran nachhaltig, weil damals viele linke Organisationen die Revolution unter-stützen und sich dann, angesichts der Hinrichtung von Homosexuellen und der Wiedereinführung der Verschleierungspflicht der Frauen durch den Tschador, jener Vermummung, die sich doch erheblich von den modischen Relikten des Islam (den Kopftüchern bei uns) unterscheidet, weil die Frauen nicht einen Strahl Sonnenschein auf der Haut verspüren. Dass die Unter-drückung der Frau konstitutiv für die islamische Republik war, hatten viele linke Organisationen nicht erkannt und waren mit den Muhllas Hand in Hand für die Revolution marschiert, sind ihnen „in die Mosche gefolgt“. Als im Jahr 1979 Demonstrationen von Frauen der Universität Teheran mit Kugeln zerschlagen wurden und sich die neue Ordnung mit einer blutigen Eindeutig-keit zur weiblichen Emanzipation äußerte, war es bereits zu spät. Die juris-tisch fundierte Unterdrückung der Frau und die sozial prekäre Lage von emanzipierten Frauen stellen die aktuellen Konsequenzen dar.

Zugegeben, eine Einschätzung des Irans war und ist schwer, denn oft fehlt das tiefer gehende Verständnis der Region, mit allen kulturellen, religiösen und politischen Traditionen und Tendenzen. Die besonderen Schwierig-keiten, die unser politisches Verständnis erschweren, sind im nationalstaat-lichen Denken und in unserer Vorstellung von scheinbar säkularen Staaten Europas verwurzelt; eine zu tiefst eurozentristische Sicht, wobei angemerkt werden muss, dass der Iran eine lange Tradition der Nationalstaatlichkeit hat, entgegen vieler Nachbarländer.

Der Islam ist dabei ein Element der Sozialmentalität, in dem sich viele politische Forderungen artikulieren und soziale Kämpfe ausmachen. Das betrifft besonders den Palästinakonflikt sowie das Agieren ausländischer Armeen im Persischen Golf. Wir sollten, weil einerseits eine islamische Politik nicht die notwendigen emanzipatorischen Eckpfeiler einer gerechten Gesellschaft (Würde der Menschen und Gleichheit der Geschlechter, soziale Teilhabe und Möglichkeiten und rechtsstaatliche Verfahren) erfüllt und andererseits die westliche Staatsdoktrin mit ihrer Hegemonie des letzten Jahrhunderts dem Iran ebenso nur Krieg einbrachte, offen sein für neue Formen des politischen Selbstverständnisses (auch weil wir noch keine gerechte Gesellschaft verwirklicht haben). Ich plädiere deshalb dafür, nicht die Augen zu schließen, sondern die Emanzipation der Frau als signifikanten Prüfstein positiver Entwicklung anzusehen. Auch Europa hat eine religiöse Geschichte und ebenso auch religiösen Fundamentalismus (sowie Modernen). Sicher haben Aufklärung und Emanzipation dieses Erbe intensiv geschliffen, aber es gibt keinen Grund belehrend zu referieren. Da eine friedliche Revolution niemals gegen den Willen der Bevölkerung möglich ist und der Islam den Menschen nicht genommen werden soll, muss sich damit arrangiert werden. Allerdings warne ich davor, der Religiosität das Tribut der Staatlichkeit anzuerkennen. Religion (oder Konfession bzw. Weltanschau-ung), Ökonomie und Staat bedingen sich seit je her, ihr Ergebnis ist die Öffentlichkeit und die Kultur. Ihre Trennung aber, wenigstens formal, ist eine Bedingung emanzipatorischer Entwicklung, die verteidigt werden muss.

Deshalb sollte sich die Linke nicht im Islam arrangieren, sondern diesen akzeptieren.

Unser Anliegen im Arbeitskreis war es den Blick auf einen politischen Brennpunkt dieser Erde zu schärfen und das Verständnis lokal und global zu verbessern. Dass wir uns damit überfordert haben, ist selbstverständlich, aber notwendig. Zumindest unsere Prognosen für die kürzere Zukunft trafen die Entwicklung, wie sich in den Wahlen im Iran 2004 bestätigte. Mit einem Appell für eine verstärke Kommunikation über die Schranken der kulturellen Kurzsichtigkeit hinweg, möchte ich schließen:

Die Vernunft zirkuliert über unseren Köpfen und wenn wir wollen, auch darin. Wenn wir es schaffen über die Grenzen der kulturellen Verschie-denheit unsere Vorstellung von einer gerechteren und schöneren Welt zu vermitteln, werden religiöse Aspekte in den Hintergrund treten. Sollten wir an den Hürden der Religionen ins stolpern geraten, öffnen wir den fanatischen Kräften den Weg, uns und andere durch Angst und Krieg zu manipulieren.

Literatur

Kommunistische Korrespondenz vom 1. Mai 1979 – Extrablatt: „Arbeiterrevolution gegen die islamische Reaktion“.

Noor, Serwat: Die Islamische Republik Iran - Fünf vor Zwölf? (Arbeit einer Stipendiatin - unveröffentlicht).

Said, Edward W.: Götter die keine sind, Der Ort des Intellektuellen, Berlin, 1997.

Scholl-Latour, Peter: Kampf dem Terror – Kampf dem Islam?, München, 2002.

TAZ von 12.02.2004: „Ein Philosoph der gut lächeln kann“, S. 9.

Frankfurter Rundschau vom 24.02.2004: „Konservativ“.

Frankfurter Rundschau vom 20.02.2004. „Die starken Frauen im Iran“.

diverse Internetquellen

Thomas Schubert

Im Dokument TATortund TATsache (Seite 131-140)