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5. Das Recht auf Bildung im 1. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention

5.3 Die Definition des Rechtes auf Bildung

Das Recht auf Bildung ist ein universelles subjektives Recht.199 Es steht allen Menschen zu, unabhängig von Alter sowie ethnischer oder sozialer Herkunft.200 Dieses Recht wird zu den sozialen Rechten gezählt da es zu den elementaren Menschenrechten und Grundfreiheiten gehört und grundlegend für eine demokratische Gesellschaft ist. Denn ein gebildeter Mensch kann seine bürgerlichen und auch politischen Rechte nur dann wahrnehmen, wenn er die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten dazu besitzt. Darin liegt somit die besondere Bedeutung des Rechtes auf Bildung, da es einen Schlüssel zur Wahrnehmung anderer Menschenrechte verkörpert. Eng mit dem Recht auf Bildung verknüpft ist die akademische Freiheit, weil eine höhere Bildung nur auf einer Grundschul- und Sekundarbildung aufbauen kann. In erster Linie stützt sich das Recht auf Bildung aber auf die Ausbildung in einer Elementarschule.201 Das Recht auf Bildung ist ein klassisches liberales Abwehrrecht gegen den Staat. Damit wird ausgedrückt, dass der Staat die freie Entwicklung der Persönlichkeit durch Bildung zu

198 Bergmann, Das Menschenbild in der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1995, 159

199 Nach der Rechtssprechung des EGMR wird ein subjektives Recht auf Bildung gewährleistet. Vgl.

Adamovich/Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, 418 f

200 Tomann-Rosos, Das Recht auf Bildung, 12

201 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention³, 2008, 236

gewährleisten hat. Ein Eingriff in dieses Recht durch den Staat darf nur in engen und genau definierten Grenzen erfolgen, genauso wie eine Beschränkung oder Behinderung.202

Mehrere Elemente scheinen also in Art 2 ZP auf und zwar das Recht auf Bildung und das Recht der Eltern. Dieser Artikel ist eng mit der akademischen Freiheit verbunden, welche sich wiederum weitgehend mit den Bereichen der Meinungsbildungs- und Meinungsäußerungsfreiheit, der Gedankenfreiheit sowie der Versammlungsfreiheit deckt. Es sind somit viele verschiedene Materien in diesem einen Recht auf Bildung integriert.

5.3.1 Das Recht auf Bildung

Artikel 2 Satz 1 des 1 ZP EMRK ist negativ formuliert. Sein Schutzbereich umfasst allerdings trotz dieser Formulierung ein Grundrecht, nämlich das allgemeine Recht auf Bildung. Es beinhaltet insbesondere das Recht auf den Zugang zu allen bestehenden öffentlichen Schulen und eine Anerkennung der abgeschlossenen Studien nach nationalen Gesetzen.203 Dadurch entsteht eine, wenn auch nicht direkte Verpflichtung des Staates, auf seine Kosten ein bestimmtes Schulsystem einzurichten oder zu subventionieren.204 Dieser Artikel gründet sich auf ein bestehendes und auszubauendes Schulsystem, dass durch den Staat sichergestellt wird.

Ferner kennen die Vertragsstaaten eine generelle Schulpflicht. Trotzdem gewährt die Vorschrift keinen Anspruch auf die Schaffung einer bestimmten Ausbildung und auch nicht auf die Finanzierung einer Privatschule.205

Anspruchsberechtigte ist nach Satz 1 „jedermann“, was aus dem Verbot niemandem die Bildung zu verwehren, abgeleitet werden kann. Somit stellt es eine Spezialnorm des Gleichheitssatzes dar, da jedem die gleiche Bildung gewährt werden soll.

Anspruchsverpflichteter aller Konventionsgarantien ist der Staat. Somit kann primär der Staat, nicht nur hinsichtlich des staatlichen Schul- und Bildungswesens sondern auch jeder Form von staatlicher Handlung, die in diesen geschützten Bereich gestaltend eingreifen könnte wie Gerichte, Sozialämter und Fürsorgebehörden, auch die Norm verletzten.206

202 Tomann-Rosos, Das Recht auf Bildung, 13; Das Recht auf Bildung enthält Elemente eines Abwehrrechtes gegen den Staat sowie Elemente eines Anspruchrechtes des Einzelnen.

203 EGMR, Belgischer Sprachenfall, EuGRZ 1975, 298 ff

204 Juranek, Schulverfassung, I, 103

205 Peters, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, 2003. Bd. 161, 171

206 Bannwart-Maurer, Das Recht auf Bildung, 72 ff

5.3.2 Das Elternrecht

Das Elternrecht ist in Art 2 Satz 2 des 1. ZP zur EMRK geregelt und steht in Österreich im Verfassungsrang und hat Vorrang vor dem staatlichen Erziehungsauftrag. Der EGMR umschreibt das Erziehungsrecht der Eltern als ein Recht, seine Kinder aufzuklären sowie ihnen beratend zur Seite zu stehen.207 Es normiert einen Schranken für den Staat, da dieser bei der Ausübung des Rechtes auf Bildung nicht in die religiösen Vorstellungen und in die Weltanschauung der Eltern eingreifen darf. Die Überzeugungen der Eltern müssen auch bei Disziplinarmaßnahmen berücksichtigt werden. So darf es keine körperliche Züchtigung gegen den Willen der Eltern geben.208 Da das Elternrecht den Charakter eines Individualrechtes besitzt, können es nur natürliche Personen beanspruchen. Sobald das Kind das Alter der

„Religionsmündigkeit“ erreicht hat, greift die Schranke des Elternrechtes auch gegenüber den Eltern selbst. Ziel ist es also, die Erziehung und den Unterricht der Kinder entsprechend der Überzeugungen der Eltern sicherzustellen.209 Die Vorschrift erlaubt zwar keine Einschränkungen, dennoch gibt es immanente Grundrechtsschranken. Ungeschriebene Gründe für Eingriffe sind das Recht des Kindes auf Ausbildung und Erziehung. Werte der demokratischen Gesellschaft bilden ebenfalls eine Grenze. Diese Ziele müssen aber mit dem Elternrecht abgewogen werden.210 Der Unterricht muss objektiv, kritisch und pluralistisch sein, aber keine Indoktrination vornehmen.211

207 EGMR, 7.12.1976, Kjeldsen u.a,

208 EGMR 25.2.1982, Campell und Cosans, EuGRZ 1982,153

209 Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, 1988, 223 ff, Rz 822 ff

210 EGMR 7.12.1976,Kjeldsen,Busk, Madsen und Pedersen vs. Dänemark, EuGRZ 1976, 478 und EGMR 18.12.1996, Valsamis vs. Griechenland, ÖJZ 1998, 114 Vgl.: Peters, Europäische Menschenrechtskonvention, 171, Berka, Grundrechte, 155

211 Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention², 2006, 362

5.3.3 Das Recht auf Bildung in Österreich

„Die Bildungs- und Unterrichtsfreiheit besteht aus einem Komplex von Programmsätzen und subjektiven Rechten, die durch die Rechtsprechung österreichischer und internationaler Organe konkretisiert worden sind“.212 Das Recht auf Bildung setzt sich aus mehreren Bildungsrechten zusammen, die gemäß Art 144 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistet sind. Diese Rechte sind das Elternrecht, das Recht auf private Schulgründung und privaten Unterricht, das Recht der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften und das Recht auf häuslichen Unterricht. Als Rechtsquellen für das Recht auf Bildung werden in Österreich Art 17 StGG, Art 2 des 1.Zusatzprotokolls der EMRK sowie Art 14 Abs 7 B-VG herangezogen.213 Neben diesen verfassungsrechtlichen Normen gibt es noch eine Fülle von Vorschriften, die das Erziehungs- Schul- und Unterrichtswesen regeln.214

Artikel 17 Abs 2 StGG ermächtigt jeden österreichischen Staatsbürger, wenn er seine Befähigung nachweisen kann, dazu, eigene Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu errichten und dort auch Unterricht zu erteilen.215 Dieser Grundsatz der Unterrichtsfreiheit ist aber vor allem in der Verbindung mit dem Grundsatz der staatlichen Unterrichtshoheit zu sehen, der sich aus Art 17 Abs 5 StGG ableiten lässt.216 Dem Staat stehen also die oberste Leitung und die Aufsicht über das gesamte österreichische Erziehungswesen und Unterrichtswesen zu, aber kein Monopol. Nach Art 14 Abs 7a B-VG besteht eine neunjährige Schulpflicht. Die öffentlichen Schulen sind ein Teil der Verwaltung. Die im StGG gewährleisteten Rechte dienten in erster Linie zur Durchsetzung der staatlichen Befugnisse gegenüber dem mächtigen Einfluss der Kirche auf die Schule und zur Abgrenzung des Elternrechtes gegenüber dem Unterricht in öffentlichen Schulen. Der häusliche Unterricht ist gemäß Art 17 StGG ohne jegliche Einschränkung zu gewährleisten und dies stellt die sogenannte Unterrichtsfreiheit dar.

212 Ermacora, Grundriß, 224, Rz 817

213 Öhlinger, Verfassungsrecht6, 2005,413 f, Rz 927 ff

214 Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte. Ein Kommentar zu den österreichischen Grundrechtsbestimmungen, 1963, 465

215 siehe PrivatschulG BGBl 1962/244 idgF BGBl I 2001/75

216 Adamovich/Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, 418 f

Art 14 Abs 7 B-VG normiert das subjektive Recht des Erhalters einer Privatschule, dass ihm das Öffentlichkeitsrecht verliehen wird, soweit bestimmte gesetzliche Bedingungen erfüllt werden.217

Art 2 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK normiert das Recht auf Bildung. Dieses Recht „darf niemandem verwehrt werden“. Es umfasst den Zugang zu allen verfügbaren Schuleinrichtungen und das Recht auf die amtliche Anerkennung von absolvierten Studien.218 Diese Bestimmung beinhaltet auch das Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder nach ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. Dies hat der Staat zu achten.219 Österreich hat die Europäische Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten mit dem 1. Zusatzprotokoll im Jahr 1958 ratifiziert.220 Der multilaterale Staatsvertrag der EMRK wirkt als „regional-supranationales Rechtsschutzsystem“ weit über die gewohnten Dimensionen eines völkerrechtlichen Vertrages hinaus auf die verfassungsrechtliche nationale Rechtsordnung. Vor allem durch den unmittelbar anwendbaren Grundrechtskatalog ist er für die österreichische Schulverwaltung und Schulgesetzgebung bedeutend.221

Die nationale Bildungspolitik hat also mehrere Komponenten zu gewährleisten. Als Unterform der Meinungsfreiheit hat der Staat das Recht zu Lehren sowie das Recht eine Bildungseinrichtung nach eigner Wahl zu besuchen zu gewährleisten. Auch das Recht auf die Gründung einer Schule und das Betreiben dieser Schule muss auf allen Ebenen des Bildungswesens sichergestellt werden. Als letztes Element hat die nationale Bildungspolitik die Selbstverwaltung und die demokratische Willensbildung in allen Bildungseinrichtungen zu garantieren.

217 §§ 13 ff PrivatschulG

218 EGMR, Belgischer Sprachenfall, EuGRZ 1975, 298

219 EGMR, Kjeldsen, EuGRZ 1976,478

220 BGBl 1958/210

221 Andere internationale Abkommen die Grundrechte beinhalten, stehen zwar im Verfassungsrang, wurden aber mit einem Erfüllungsvorbehalt beschlossen und sind deshalb nicht unmittelbar anwendbar. Indirekte

Auswirkungen auf die österreichische Schulgesetzgebung und auch in die Bildungspolitik haben unter anderem die Konvention über die politischen Rechte der Frau (BGBl 1969/390) und auch das internationale Abkommen über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung (BGB 1972/377 und das BVG BGBl 1973/390) und die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (BGBl 1982/443). Vgl:

Juranek, Schulverfassung, I, 97