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De-Kolonialisierungsbewegung, Ökosophie

Die Dichotomie von Natur und Kultur ist in Bezug zum Diskurs der De-Kolonia-lisierung als Kernelement der Aufklärung in der westlich-modernen Denkweise erkennbar. Das, was aus dieser Dichotomie folgte und noch folgen kann, ist für das Denken und Handeln der Menschen auf diesem Planeten prägend (gewesen).

Eine Befreiungsmetaphorik und Erlösung von den Fesseln der Natur, ein Ver-standes- und Vernunftspostulat, die Zusammenfassung der Gesetzmäßigkeiten

1In der Einleitung zum Band „Das Paradigma der Angewandten Kindheitswissenschaften – Eine Einführung“ (2016c, S. 1–52) habe ich anhand der Arbeiten von Guérin-Plantin (1999) dargestellt, wie Kinder in der Öffentlichkeit „gesprochen“ werden und wie sie in den Kontexten der Deutung von dominierenden Gruppierungen jeweils eine Aufgabe zugesprochen bekommen bzw. einen Auftrag an die Gesellschaft stellen, der jeweils mit Nutzen und Schaden für die Gesellschaft in Zusammenhang gebracht wird.

des Lebens in linear-deterministischen Kausalitäten, eingeschlossen die plan-baren Interventionen der Menschen, die Einteilung der gegenständlichen Welt in Differenzen und Attribute und deren Klassifikation, das Herrschen und sich Beherrschen durch Wissen, all diese Errungenschaften spiegeln sich in dem wider, was Mignolo (The Darker Side of Western Modernity, 2013) als Vorherr-schaft einer einzigen auf alleiniger Gültigkeit bedachten, imperialistischen Onto-logie, Epistemologie und Kosmologie beschreibt. Diese Errungenschaften hatten und haben positive Effekte auf das Leben der Menschen gehabt. Sie hatten und haben aber auch Konsequenzen für Menschen, die das alles ganz anders sehen und erleben, was mit dem Leben und der Lebendigkeit auf diesem Planeten zu tun hat (vgl. Mignolo 2002a, b, 2007).

Das Anders-Sehen und Anders-Erleben fand sich irgendwann, so möchte ich es beschreiben, in den vielen „Gegenwelten“ unvereinbar miteinander und nicht gegen die Errungenschaften gerichtet, sondern nur für sich selbst bedeutsam, verstreut, und zwar dann, als alles kolonialisiert war, was kolonialisiert werden sollte. Dort blieb es aber nicht stumm. Es wurde in den eigenen Sprachen weiter-gesprochen. Die Zeitdimension und die Raumdimension, die Anordnung der eige-nen Körperlichkeit wurden den Subjektivierungsgefügen, die die dominierenden Strukturen durchsetzen, vielleicht nicht entgegenhalten, aber im Privaten und in eben einer anderen Verbundenheit mit sich, den Menschen und den Lebens-prozessen bleiben sie erreichbar.

Die De-Kolonialisierungsprojekte und die Ökosophie, so möchte ich es nun darstellen, machen Vielfalt eben nicht an Pigmentierung, Geschlecht, Ability etc.

erkennbar, wenn sie auch in die Grammatik der Moderne eingeflochten und von dort aus begründet werden. Sie lassen vielmehr die Vielfalt an Bezügen zu Men-schen, zur Gemeinschaft, zu Lebensweisen und Lebensräumen erkennbar werden und vor allem die Zusammenhänge zwischen diesen Dimensionen. Es werden Logiken erkennbar, in denen es überhaupt keinen Sinn ergibt, diese Differenz-linien, die das westlich-moderne Zusammenleben strukturieren und legitimieren, zu ziehen und Essenzialisierungen und entsprechende Zuschreibungen mit der Intention der Hierarchisierung von Menschengruppen vorzunehmen. Darüber hinaus wird in Hinblick auf die Konzepte, auf die ich mich berufen werde, ein existenzieller Bezug zu den Lebensumwelten erkennbar, der sich nicht universal beschreiben lässt und keinen Kategorien entspricht. Schon die Bezeichnungen

„Ritornell“ und „existenzielle Verankerung“ gehen zu weit, um sie mit wissen-schaftlichen Methoden zu erfassen und ihren Sinn in Bezug zu den bestehenden Rahmenkonzepten, z. B. von Selbst und Subjektivität, zu postulieren. Eine Ein-ordnung in ein denkbares Raster und eine Reflexion von Seinsweisen als nor-mative Setzungen werden von der Heterogenese, einer Vervielfältigung, um hegemoniale Vorherrschaft zu transformieren, verunmöglicht.

Diese existenziellen Praktiken, auf die ich eingehe, um eine spezifische poli-tische Agency zu konzipieren, die die Vervielfältigung von Referenzuniversen betrifft, lassen sich nur aisthetisch-ästhetisch artikulieren und rezipieren, im Sinne einer Rezeption von Kunstwerken. Kunstwerke, die einen berühren und die man nicht kunst-kritisch analysiert und mit Wissen übersät, fordern heraus, sich affektiv ansprechen zu lassen, an den Grenzlinien eines anderen Sehens einen neuen Blickpunkt zu entdecken, sich von den gewohnten Mustern des visuellen Erlebens oder des Raumerlebens zu entwöhnen etc. Charles R. Garoian (2013) hat in seiner Schrift „The Prothetic Pedagogy of Art“ diese ontologische Über-schreitungsebene, die Kunst herstellen kann, beschrieben. Das Stolpern, wenn man nicht mehr verstehen kann, aber dennoch weiter mit dem Leben und den Menschen verbunden bleibt, stellt er als ein „Momentum“ dar, das den Verstand und die Mittel des Verstehens außer Kraft setzt und in dem man nur noch auf seine Verwandlung warten kann (vgl. Garoian 2013, S. 152).

Sich in diesen Dimensionen zu bewegen, wenn es um Unterdrückung, mate-rielle Not und gesellschaftlichen Ausschluss geht, mag naiv sein. Dass auf dieser Ebene eine andere Art von Unterdrückung thematisiert wird, darauf kommt es mir in meiner Darstellung an.

Die Entdeckung der Gegenwelten

Wie Heterotopien (siehe oben und Eingangszitat) gibt es auch „Heterochronien“.

Dies sind Räume mit anderen Ordnungen und Zeitdimensionen, die nicht auf rückwärts- und vorwärtsgewandte Linearität orientiert sind. Wie in den Museen und Bibliotheken des 17. und 18. Jahrhunderts gibt es Möglichkeiten, die Zeit anzuhalten und alles in einer Simultanität zusammenzustellen, was aus unter-schiedlichen Zeiträumen und womöglich aus unterunter-schiedlichen Kontinenten und Kulturen hergebracht worden ist. Das British Museum in London ist ein solcher Kontext, der Artefakte aus scheinbar allen Zeiten und allen Orten beherbergt.

Eine Unendlichkeit und zumindest eine Gegenwelt zur Gegenwart der Straßen und Lebensweisen um das Museum herum sind spürbar.

Foucault schreibt es den Erwachsenen zu, diese Gegenräume in die Welt der Kinder transportiert zu haben. Sie hätten es den Kindern als ein Geheimnis ins Ohr geflüstert, dass es sie gibt. Auf diese Weise wurden die Gegenräume von den Kindern „erfindbar“. Sie waren nicht schon da. Die Erwachsenen haben ihre eigenen Gegenräume längst etabliert. Foucault beschreibt Gärten, Friedhöfe, Irrenanstalten, Bordelle, Gefängnisse, Dörfer, den Club Méditerranée etc. als die Gegenwelten der Erwachsenen.

Foucault (2013) hat sich gefragt, auf welche Weise diese Welten untersucht werden könnten, und er hat die Heterologie als Untersuchungsform benannt. Wie er sie hätte untersuchen wollen und in welchen Kontexten, hat er nicht ausgeführt.

Das Zurücktransportieren der Gegenwelten in die offiziellen Räume und Regime wird nicht gelingen, denn diese Welten sind unvereinbar. Die Dynamiken sind ver-schieden. Was Foucault in Bezug zu seinen Arbeiten interessiert hat, so nehme ich an, waren die Bezugspunkte für die Subjektivierungsprozesse, die von diesen Hete-rotropen und Heterochronien ausgingen. Er erkannte Heterotopien im Modus eines Festes, eines singulären Ereignisses, im Theater, auf dem Jahrmarkt mit den Buden, auf dem Weihnachtsmarkt oder in den Feriendörfern. Was an diesen Orten geschieht, hat etwas Magisches und geht über das Erleben von sich im Alltag hinaus.

Strukturelle Merkmale der Heterotopien sind eine Öffnung oder Abschließung, die die Orte von der Umgebung isolieren. Man kommt nur hinein, wenn man entweder dazu eingeladen wird oder Eingangsrituale absolviert. Die Sauna oder das Hamam sind Beispiele für solche Orte. Andererseits kann man Gegenräume betreten, ohne dass man es weiß, und man kann eingeweihte Räume betreten, ohne dass man sie als solche begreift. Es ist strukturell ein offener Raum und man meint, einfach Zugang zu haben, wenn man drinnen ist, merkt man jedoch, dass es ein geweihter, geheimer Raum ist. Wenn man ihn betritt, befindet man sich mitten in einem Geheimnis.

Was diese Räume strukturell auszeichnet, ist, dass sie von der Außenwelt und ihren Ordnungen, Kategorisierungen, zeitlichen Kausalitäten und räumlichen Standpunkten völlig abgeschlossen sind und eine Privatheit der Existenz bergen, dennoch können sie auch an öffentlichen Orten lokalisiert sein.

Das Besondere der Heterotopien ist aber, dass sie alle anderen Räume infrage stellen. Sie heben deren Gesetzmäßigkeiten auf: Insofern stellen sie das Gegebene, das Universelle, die Ideale und Zielsetzungen und schließlich das End-gültige infrage und beantworten und erweitern es, wenn sie Flucht- und Wider-standslinien bilden, wie Deleuze und Guattari (1992) sagen würden, was noch eine weitere Dimension ist, die ich an die heterologische Forschung anschließen möchte.

Heterotopien schaffen Illusionen, die von der eigentlichen Realität jeder-zeit als Illusion entlarvt werden können, oder sie schaffen ganz real einen ande-ren Raum. Dieser andere Raum sind zum Beispiel die Gärten, die im Orient angelegt wurden und sich auf Teppichmustern wiederfinden, auf denen Kinder spielen und sich eine eigene Welt in die Muster hineinträumen können. Hetero-topien sind auch die Gärten der Sinti, die diese anlegen, um die Geometrie der Kathedralen zu installieren. Diese Geometrie macht die „Quadratur des Krei-ses“ sichtbar. Sie ist eine Dimension des Wahrnehmungsapparates, die über die

Anordnungen geometrischer Körper im Raum hinausgeht. Gilles Deleuze (1969, S. 39) beschreibt diese Geometrie als minoritäres Wissen, das im Mittelalter vom Staat bekämpft wurde. Die euklidische Geometrie wurde dann vorherrschend.

Dennoch blieb die Geometrie der Kathedralen für Eingeweihte ebenso real und existent. Deleuze fragt, ob das minoritäre Wissen eben jenes „umfassende[s] Wis-sen [ist], das zu den Widerstandslinien gehört und das nicht dieselbe Form hat wie das andere Wissen“ (1969, S. 39).

Andere Ordnungen lassen andere Wissensspektren und Verbindungen zur Realität entstehen. Ein Heterogenengefüge funktioniert als Prozess und als affek-tive Intensität, das ist das Gegenteil von einer Subjektivierung, die eine Person zu einem „Ding“ hin verkörpert. Die Beseelung von Orten und Gegenständen, der Genuss außerhalb eines Kalküls von Lebensführung, Rituale, die die Welt mit anderen Bedeutungen verbinden, haben affektive Effekte, die die Dynamiken der Subjektivierung in einem homogenisierenden Gefüge vom Subjekt aus öffnen.

Diesen Moment nennen Deleuze und Guattari „Re-Singularisierung“. Die Mus-ter des Denkens der Aufklärung und der westlichen Kultur sind nicht immer vor-herrschend und nicht die einzigen Bezüge. Die „anderen“ Bezüge sind aber nicht gegen diese Muster hegemonial angelegt.

Heterotope entstehen im Gegensatz zu einer wirren Unordnung, z. B. eines Staates. Eine vollkommene Ordnung sollte errichtet werden, als die Puritaner im 17. und 18. Jahrhundert aus England kommend nach Nordamerika umgesiedelt sind, um dort eine völlig perfekte Gesellschaft zu gründen. Es gibt in diesem Sinne auch eine Kolonie der Jesuiten in Paraguay. Die Gegenwelt zu den dama-ligen Gesellschaften in Europa wurde auf einen anderen Kontinent transportiert.

Zu Europa wurde eine Gegenwelt intentional, affektiv als neue Ordnung kons-truiert. Da hegemoniale Ansprüche mit der Landnahme der Siedler*innen verbunden waren und eine Überlegenheit ihrer Lebensweise über andere Lebens-weisen impliziert war, wurde die Gegenwelt zu Europa zur dominierenden Haupt-welt in Nordamerika. Die Siedler*innen und ihre Nachfahren bekämpften und bekämpfen noch immer die Lebensweisen und das Wissen der ursprünglichen Bewohner*innen des Landes. Diese Lebensweisen und das Wissen der ursprüng-lichen Bewohner*innen gibt es noch. Da es aber an das Land gebunden ist und keine rein geistige Quelle einer Subjektivierung darstellt, das Land aber von den Siedler*innen okkupiert wurde, ist ihre Welt nun als Gegenwelt verankert, aber mehr noch: Sie ist abgewertet und das Wissen ist entwertet.

Die Art und Weise, wie Menschen miteinander und im Kontext von Land, Flora und Fauna und in Bezug zu einem Erklärungsrahmen von biologischen, chemischen, physischen etc. Zusammenhängen leben, ist als „Tradition“ ver-ankert. In diesem Sinne bleibt die Welt der indigenen Völker Nordamerikas

lebendig in einer Heterochronie. Entgegen der Zeitlinie des Fortschritts erhalten sich ein Wissen und eine Lebensweise, die als Involviert-Sein in das Land und seine Gesetzmäßigkeiten, wie es den Ahnen eigen war und als existenzielle Ver-bundenheit mit dem Leben gepflegt wurde, fortbesteht.

An diesem Punkt möchte ich ansetzen, um die Dynamiken, die die Hetero-genese, d. h. die Vervielfältigung von Ontologien, Epistemologien und Kosmo-logien, mit sich bringt, in Bezug zur Fragestellung des Beitrags zu ordnen.

Die Gegenwelten stellen eine Alterität dar, die im Kontext der Transformation von Gefügen, z. B. Gemeinschaften, Lebensweisen, in Bezug zu den natür-lichen Ressourcen, urbanen und ländnatür-lichen Lebensformen Sinn ergibt. Die Alterität entsteht nicht als Essenzialisierung von Körpermerkmalen und Essen-tialisierung der Hierarchisierung von Menschengruppen in sozialen Systemen, wie sie, wie ich anschließend darstellen werde, der „Logik der Kolonialität“

entsprechen, wie Mignolo sie konzipiert. Insofern ist die Alterität nicht in erster Linie mit der Chancengleichheit und der Egalisierung verbunden. Im Gegenteil, die Alterität als Heterotrope und Heterochrone stellt die Unvereinbarkeit unter-schiedlicher Lebenspraktiken in den Vordergrund. In Bezug dazu stellen die De-Kolonialisierungsprojekte Versuche dar, die dominierenden Gefüge und die Menschen, die sie repräsentieren, aufzufordern, gemeinsam Möglichkeiten zu fin-den, dass alternative Ontologien, Epistemologien und Kosmologien koexistieren könnten und sich so die ausschließende Dominanz der modernen nord-westlichen Subjektivierungsgefüge auflösen würde. Wesentlich ist in den Projekten die Ten-denz, sich selbst zu behaupten und eine Affirmation z. B. des eigenen Wissens, des Anspruchs auf Land und des Wissens um die Zusammenhänge von Lebens-prozessen, die Menschen und ihre Umwelt verbinden, zu fordern.

Die Logik der Kolonialität

Mit der Rezeption der De-Kolonialisierungsprojekte (siehe unten) habe ich eine Bewegung kennengelernt, die zwischen dem Diskurs und der Praxis der Hetero-genese eine besondere Bedeutung des Verständnisses von Sein und Welt hervor-gebracht hat. Es geht um ein Verständnis, das nicht beliebig ist im Sinne der postmodernen Überschreitungen der Grenzen von Stilen, Genres und Konzepten, sondern existenziell auf einer expressiven Ebene von Lebendigkeit. In einem libe-ralen Kontext der Akzeptanz und des Tolerierens würde dieses Verständnis von Sein und Welt doch wieder in dasselbe dominierende Handlungsmuster einer

„Praxis der Vielfalt“ eingeordnet werden, das sich durch sein Harmonisieren mit allem, auch mit dem, was different ist, hervortun will, aber nur, um wieder die

Oberhand zu bekommen und über die Register zu verfügen. Die Aneignungs-praktiken des Harmonisierens werden dann in dem Moment erkennbar, wo es nicht um einen Widerstand der „Eingeborenen“ gegen die Herrschenden geht, sondern darum, dass diejenigen, die das Land okkupiert und ausgebeutet und die Menschen versklavt haben, sich ihrer Schuld stellen, Existenz ausgelöscht zu haben. Sie haben nicht einfach nur das Land und die Menschen für das Kapital oder zum Wohle des Volkes ausgebeutet. Sie haben die Bezüge zum Lebendigen dieser Menschen, die mit der Lebensweise an bestimmten Orten verbunden sind, in Gefahr gebracht. Das ist existenziell für jeden einzelnen Menschen eine Katas-trophe. Was aber im Siedler*innen-Kolonialismus in Nordamerika geschehen ist, ist, dass alle 500 indigenen Völker nun als „Indianer“ und entsprechend als eine einzige Kategorie in der Ordnung der Moderne erschaffen wurden. Für das Harmonisierungsprojekt der nachimperialistischen Moderne sind die Social-Jus-tice-Bewegungen eine (Er-)lösung, zumindest für die privilegierten Menschen, die sich die Positionen der Fürsprechenden und die Solidarität aneignen. Diesen Widersinn zwischen De-Kolonialisierungsbewegung und Social-Justice-Aktionen zu verstehen, kann einem zunächst aufgrund seiner modernen moralischen Kon-zepte schwerfallen, aber hier liegt der Kern der De-Kolonialisierungsprojekte.

Die Kämpfe um Anerkennung sind in den Social-Justice-Bewegungen struk-turell bereits etabliert, die Forderung nach Affirmation und die Koexistenz nicht.

Dies ist eine andere Rezeptionsebene. In Bezug zur Praxis der De-Kolonialisie-rung wird deutlich, dass die Expression der Lebensweise nicht in diesen Formen der Bewegungen eingelagert werden kann, umso weniger, wenn Menschen für andere Menschen sprechen möchten, um sich deren Themen, wenn auch soli-darisch, anzueignen. Oft sind dies Menschen, die zur Gruppe der Privilegierten gehören. Von dieser Position aus strukturieren sie ihre eigene Beteiligung, wenn auch im Kontext einer Gruppenzugehörigkeit (nicht auf der Ebene der existen-ziellen Verankerung) und nicht persönlich. Dabei profitieren sie von dem Privi-leg, Unterdrückung und Ausschluss, die im Moment stattfinden, nicht zum Thema machen zu müssen, wenn sie schon mitmachen. Als eine „Bewegung hin zur eigenen Unschuld“ werden diese Haltung und diese Aktionen für die Belange der ausgeschlossenen und diskriminierten Menschen beschreibbar. Das Wissen, die Lebensweise und die existenzielle Seinsverbundenheit werden in den Prak-tiken und Diskursen nicht repräsentiert. (Der Kampf ist auf eine andere Ebene bezogen.) Doch geht es in den De-Kolonialisierungsprojekten genau darum.

Deren Sinn, existenzielle Verankerung oder etwas als eine Alterität, die nicht gegenhegemonial präsentiert ist, fordert eine Affirmation ein und das Eingeständ-nis der Unvereinbarkeit mit den Verstands- und Vernunftformen der Moderne.

Die Koexistenz von Alternativen ist das Ziel der De-Kolonialisierungs-bewegung. Dabei bleiben die Ontologien, Epistemologien und Kosmologien in sich geschlossen, unvereinbar nebeneinander, unverstehbar und nicht universali-sierbar. Das ist ein riesiger Schritt, um die Hegemonie des Wissens der Moderne zu hinterfragen. Worauf es der De-Kolonialisierung ankommt, ist eine Öffnung der Aussage- und Subjektivierungsgefüge über die Hierarchisierung und die Differenzlinien hinaus, die zum einen das Wissen, seine Vorherrschaft und die Ausbeutbarkeit der indigenen Bevölkerungen ermöglichte und zum anderen die Zukunft der modernen Menschen sichert.

Die Koexistenz von Alternativen zu erreichen, so beschreibt Mignolo (2000) das Ziel der De-Kolonialisierungsprojekte, ist jedoch vor dem Hintergrund der Ökosophie, wie sie Guattari erarbeitet hat, nicht genug bzw. führt in eine Stagnie-rung der Alterität, so möchte ich behaupten. Doch darauf werde ich später näher eingehen.

Was Foucault nicht gemacht hat, ist, die Gegenwelten in einen Bezug zu domi-nierenden Praktiken der Subjektivierung zu setzen. Das möchte ich in meinem Beitrag tun, jedoch nicht in dem Sinne einer Interessenpolitik oder einer zivil-gesellschaftlichen Bewegung, sondern im Sinne einer politischen Agency im Alltag einzelner Menschen. In Bezug zu den dominierenden Anordnungen von Räumen, Zeiten und Körpern stellen die Heterotopien und Heteronomien inten-tionale Formen der Expression von Seinsweisen und somit Subjektivierungs-gefüge dar, die andere Bezugspunkte erobern als die, die von Institutionen als soziale Praktiken angeboten werden und entsprechend auf eine „allgemeine“

Ontologie, Epistemologie und Kosmologie rekurrieren.

Ich behaupte, dass die Alterität der Gegenwelten mit einer politischen Agency verbunden ist, die die Subjektivierung fernab der Kontexte der Hegemonie und Gegenhegemonie ermöglicht, als existenzielle Ritornelle. Das Problem ist nicht, dass sie unterdrückt werden, weil sie gar nicht erkannt werden. Das Problem ist, dass das Land nicht mehr da ist, das als existenzielles Territorium die Sub-jektivierung und entsprechend die Ontologie, Epistemologie und Kosmologie auf-nimmt, sinnvoll und lebendig macht. (Die Siedler*innen sind nicht in der Weise auf „Land“ bezogen, wie es andere Völker sind. Land ist in der Moderne etwas ganz anderes geworden).

Die Menschen, die Nachfahren der ursprünglichen Bevölkerung Nordamerikas oder Südamerikas sind, leben nun heterotrop und heterochron auf ihre Weisen, wenn auch nur zeitlich und im Alltag sporadisch. Sie bestehen intentional und aktiv auf ihren Selbstausdruck und auch darauf, dass sie eben diese existenzielle Verbundenheit zum Leben pflegen und nicht nur in einem System „funktionie-ren“, das als Regieren und Regiert-Werden konzipiert ist und von dem aus ihre

heterotropen und heterochronen Welten nicht erkennbar sind. Sie verbinden sich mit den offiziellen Praktiken und transformieren diese auf ihre Weise. Was reicht von dieser Transformation in die Hauptwelten zurück und welche Effekte hat das? Diese Frage kann Foucaults Konzept nicht aufnehmen. Er hat sie sich nicht gestellt oder hat er sie absichtlich ausgelassen?

heterotropen und heterochronen Welten nicht erkennbar sind. Sie verbinden sich mit den offiziellen Praktiken und transformieren diese auf ihre Weise. Was reicht von dieser Transformation in die Hauptwelten zurück und welche Effekte hat das? Diese Frage kann Foucaults Konzept nicht aufnehmen. Er hat sie sich nicht gestellt oder hat er sie absichtlich ausgelassen?