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Datierung durch bau- und materialtechnische sowie stilistische Eigenschaften

6. BAUPHASE 1 – DAS LANGHAUS (UM 1290 BIS 1. HÄLFTE 14. JAHRHUNDERT)

6.9.5 Datierung durch bau- und materialtechnische sowie stilistische Eigenschaften

gestreckte Polygonalchor noch nicht, wie immer vermutet, Teil dieser Bauphase war.446 Das bedeu-tet, die Ablässe für Beiträge zum Bau und Ausbau dürften sich bei allen drei Kirchen jeweils auf reale, sicher in gewisser Konkurrenz zueinander stehende Vorhaben beziehen. Ein sich wohl auch auf die Ausstattung, nicht nur die Bauten beziehender Finanzbedarf für die um 1300 erneuerten Kirchen bis in die Jahrhundertmitte ist dabei durchaus vorstellbar.

Während sich die wieder gemeinsam ausgestellten Urkunden von 1334/35 bei der Nikolai- und auch der Petrikirche möglicherweise nur noch auf die Ausstattung beziehen könnten, so spricht die Urkun-de von 1340 im Fall Urkun-der Marienkirche für zu dieser Zeit in jeUrkun-dem Fall noch laufenUrkun-de oUrkun-der im Abschluss befindliche Baumaßnahmen. Bezogen werden könnte die Aufnahme der 50 Mark Silber auf den Bau der Pfeiler und der Einwölbung, da ja die Ziegelformate der Arkadenwände zeitlich schon in diese Richtung gewiesen haben. Als weiteres unterstützendes Argument für die innerhalb des Bauablaufs eher späte Ausführung der Binnengliederung mit den Pfeilern lieferte die Archäologie. Die in der Verfüllung der Baugrube des oben besprochenen Pfeilerfundaments der Südreihe gefundene klingenhart gebrannte Grauware des 13. und 14. Jahrhunderts „bestätigt die Annahme der Baufor-schung, dass der Bau des Langhauses der Marienkirche im Verlauf des 14. Jahrhunderts erfolgte."447 Sämtliche gesammelten Datierungshinweise könnten aber auch in Richtung einer etwas früheren Fertigstellung bis zur Einwölbung schon um 1320 interpretiert werden. Zwischen 1300 und 1319 ist immerhin die längste Periode in der keine Nachrichten über Altäre oder sonstige Hinweise auf das Kirchenleben überliefert sind, was für einen Zeitraum intensiveren Bauens sprechen könnte. In dem Fall würde sich die Nachricht von 1340 zum Beispiel auf den zu vermutenden zugehörigen Schmuck-giebel beziehen oder auf einen möglichen Vorgängerturm der jetzigen Westturmanlage – falls dieser nicht, ähnlich wie bei der Nikolaikirche, als ein Rest der ersten Marienkirche stehen geblieben war.

Allerspätestens mit den beiden letzten Ablässen 1348 und 1352 ist mit einer vollständigen Fertig-stellung der zweiten Marienkirche in ihrer ersten Bauphase zu rechnen. Wahrscheinlicher beziehen sie sich aber nach einer ohnehin schon um die 50 Jahre dauernden Errichtungszeit nur noch auf Ausstattungsmaßnahmen.

Seiten der Kunstgeschichte und Bauforschung seitdem gute Gründe angeführt, die auf eine Eingren-zung der Datierung aller dieser Bauvorhaben auf das spätere 13. Jahrhundert weisen. So ist, wie schon erwähnt, die für die Datierung der Stadtmauer herangezogene Nikolaikirche II nicht schon um 1264, sondern wesentlich überzeugender, erst in den 1290ern im Bau gewesen.451 Ähnliches gilt auch für die Franziskaner-Klosterkirche, für die nun ebenfalls erst ein Baubeginn nach 1290 höchstwahr-scheinlich geworden ist.452 Zwangsläufig wird der mit der Kirche verbundene Stadtmauerteil dadurch ebenfalls in diese Zeit datiert.453 In Zusammenhang mit diesen Neudatierungen zeichnet sich ab, dass die vermauerten Dachziegelreste eher doch erst ein Merkmal von im letzten Jahrzehnt des 13. Jahr-hunderts begonnenen Bauten sein könnten.454 Die einmal, vermutlich um diese Zeit, eingeführte Verwendung von Dachziegelbruch wird dann aber über einen längeren Zeitraum beibehalten, wie am Chorsockel der Marienkirche nachzuvollziehen ist (vgl. Abb. 153).

Einer der Bauten von um 1300, für den die Verwendung von Dachziegelbruch noch nicht bekannt geworden ist – vielleicht weil man auch nichts über eine mögliche Vorgängerkirche weiß, von der sie stammen würden? – ist die Heiliggeistkapelle. Mit ihr hat die Bauphase 1 der Marienkirche die großzügige Verwendung von Feldsteinen auch noch oberhalb des eigentlichen Sockels und die Errichtung in deutlich unterscheidbaren Bauetappen gemeinsam. Die Trennung der Bauabschnitte ist auch dort vor allen Dingen durch die Verwendung leicht unterschiedlicher Backsteinformate möglich.

Darüber hinaus wurden unterschiedliche, mit Fortschreiten des Baus regelmäßiger werdende Läufer-Läufer-Binder-Verbände festgestellt, die als unterstützendes Argument für eine Bauzeit um 1300 angeführt werden.455 Der an der Marienkirche zum Teil feststellbare Parallel-Läufer-Läufer-Binder-Verband kommt nach Perlich um 1300 auf.456 Die zwar in Ansätzen vorhandene, aber noch inkonse-quente, mit andern Verbandsarten vermischte Anwendung an der Marienkirche deutet auf eine Entstehung der Mauern noch in einer Frühphase seiner Einführung.

Datierungsrelevante oder für die stilistische Einordnung brauchbare Merkmale an den Backsteinen selbst sind rar. Immerhin bestätigt das Fehlen von Hinweisen auf gewässerte Ziegelformen eine Datierung vor 1350.457 Die meisten der verwendeten Formsteine (Abb. 99) gehören zum Standard-repertoire und sind zeitlos, wie die einfache Kehle, Fasenstein und Viertelstab. Nach Sünder-Gaß wären die in einer Kehle liegende Wulst (Südportal und darüber liegendes Fenster) immerhin ein Hinweis auf das 14. Jahrhundert und die außerhalb des Gewölbes vorkommende Birn- oder Spitz-stabform (besagtes Fenster) sogar ein noch stärker eingrenzbares Merkmal des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts.458 Schumann beobachtete das Auftreten des von kleinen Wülsten begleite-ten Spitzstabs seit dem späbegleite-ten 13. Jahrhundert, z. B. im Giebel der Heiliggeistkapelle in Berlin.459 Ein derartiger Formstein, zusammen mit anderen in der Bauphase 1 der Marienkirche eingesetzten Typen, war auch in der um 1300 datierten ehemaligen Dominikanerkirche in Berlin verbaut. Die zweitverwendeten, beim Abriss des Nachfolgebaus aufgetauchten Formsteine wurden von Otto Stiehl gezeichnet (Abb. 126). Stein a entspricht etwa dem im Moment nicht aufnehmbaren Formstein des äußeren Fenstergewändes über dem Südportal, g kommt auf dessen Innenseite und am Südpor-tal vor, h an den Kanten der Fensteröffnungen, i entspricht den Diensten im Langhaus und e der etwas dickeren der Gewölberippen. Mit Vorbehalt kann auch auf Stein d verwiesen werden, der dem

451 Babstübner / Badstübner-Gröger 1987, S. 17, Badstübner 2005, S. 50, Schumann 2011b, S. 291.

452 Breitling 2007, besonders S. 120.

453 Michas 2007b, S. 97 sieht für diese stärkere zeitliche Eingrenzung keinen Widerspruch zu den Grabungsergebnissen.

454 Breitling 2007, S. 102f. beschreibt, dass die Vorgänger-Nordwand der Franziskaner-Klosterkirche keine Ziegel- sondern Feldsteinauszwickelung in der in Lagen versetzten Außenseite aufwies.

455 Barth 2005b, S. 90.

456 Dies. 2003, S. 106.

457 Laut Perlich 2007, S. 186 ist die Verwendung von gewässerten Streichformen in Brandenburg ab Mitte des 14. Jahr-hunderts typisch.

458 Sünder-Gaß 2000, S. 671.

459 Schumann spricht von „gespitztem Rundstab“. Vgl. ders. 2005, S. 270, Abb. 267.

nur im Gewändeprofil des Südportals vorkommenden überformten Formstein ähnelt (vgl. Abb. 70) und genauso am Portal des Hohen Hauses vorkommt. Für das im Märkischen Museum aufgestellte Portal aus der ehemaligen Residenz der brandenburgischen Markgrafen in der Klosterstraße in Berlin liegen die Datierungsvorschläge zwischen um 1300 und nach 1320 (Abb. 127).460

Die Verwendung von einzelnen Elementen aus Kalkstein, wie dem mutmaßlich mittelalterlichen umlaufenden Sockelgesims, den Pfeilerbasen, den nicht mehr vorhandenen Dienstkapitellen bzw.

Gewölbekonsolen der Ostwand und den Gewölbeschlusssteinen, stellt eine Verbindung zur etwa gleichzeitig gebauten frühgotischen Halle der Nikolaikirche her. So bestehen die stilistisch mit der Franziskaner-Klosterkirche in Verbindung stehenden Kapitellkämpfer des zu einem Fenster zugemau-erten ehemaligen Südportals (der sogenannten Brautpforte), Schlusssteinfragemente und die Basen der Schiffspfeiler ebenfalls aus Kalkstein.461 Eine im Märkischen Museum aufbewahrte Dienstkonsole aus Kalkstein des späten 13. oder frühen 14. Jahrhunderts mit dem Fragment eines Kopfes aus dem Fundkomplex vom Krögel wird ebenfalls mit diesem Bau oder auch mit dem gleichfalls um 1300 in Bau befindlichen Rathaus in Verbindung gebracht.462 Da dasselbe Material auch bereits in den Okuli des Westriegels der Nikolaikirche, also schon im Vorgängerbau, verbaut wurde,463 scheint der Kalk-stein zumindest ein für Details schon sehr früh übliches oder zumindest vorkommendes Baumaterial in Berlin gewesen zu sein. Der in Berlin im Mittelalter eingesetzte Kalkstein stammt mit größter Sicherheit aus dem nahen Rüdersdorf. Dies wird u. a. belegt durch die petrografisch bestimmten Baudetails der Marienkirche. Kurz vor 1250 gelangte das Gebiet mit den Kalksteinvorkommen als landesherrliche Schenkung in den Besitz des Zisterzienserklosters Zinna,464 womit offenbar der Abbau der Lagerstätten begann. Der vereinzelt nachweisbare Einsatz des Baumaterials in Berlin schon in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts spricht für eine wohl von Beginn der Produktion an bestehende Versorgung der Stadt durch den Klosterbetrieb.465 Folgerichtig wurden auch im Fundament der Stadtmauer in dem Abschnitt am Gasthof „Zur letzten Instanz“ Rüdersdorfer Kalksteine gefunden.466 Trotz der prinzipiellen Möglichkeit der Verwendung von Kalkstein und seinem tatsächlichen Einsatz in der Kirche, hat man sich bei den Dienstkapitellen bzw. Gewölbekonsolen (Nordseite ohne Dienste) für den Einsatz von Gipsstuck entschieden. Bislang sind in Berlin nur zwei andere mittelalterliche Beispiele für den Einsatz dieses Kunststeines bekannt. Es handelt sich um das Pfeilerkapitell der Mittelsäule der Gerichtslaube des Berliner Rathauses467 und die Kämpferblöcke des Eingangsportals des Hohen Hauses, die beide aus dem frühen 14. Jahrhundert stammen (Abb. 127, 128). Neuerdings wird nicht zuletzt aufgrund der Stuckverwendung eine Datierung beider Gebäude auf nach 1320 vorgeschlagen, weil dessen Einführung mit dem Regierungswechsel nach dem Aussterben der askanischen Markgrafen in Verbindung gebracht wird. Demnach hätten die Wittelsbacher eine andere Architektur gefördert als ihre Vorgänger, in deren Regierungszeit eine Blüte des virtuos ausgeführten Backsteindekors fällt.468 Mit der neu entdeckten Parallele in der Marienkirche

460 Für die frühere Datierung siehe Schich 2002, S. 172 nach Julius Kohte, Das Hohe Haus in Berlin, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, 48. Jg, 1936, S. 4-20. Für eine Entstehung erst unter wittelsbachischer Herrschaft spricht sich Schumann aus, ders. 2011a, S. 38.

461 Nitschke in Reinbacher 1963, S. 78; Badstübner 1994, S. 42, ders. 2005, S. 50. Die von Badstübner ebenfalls als Kalkstein angesprochenen Dienstkonsolen werden lt. optischer Beurteilung neuerdings als Sandstein eingeschätzt, Raue 2011, S.

330. Schumann hält sie nun außerdem für nicht wiederverwendet, sondern erst ab 1460 mit dem Langhaus errichtet.

Vgl. Schumann 2011b, S. 316.

462 Knüvener / Schumann, 2011, S. 324, Katalognummer 129.

463 Badstübner 1987, S. 67. Der Kalkstein wurde dort im Farbwechsel mit rotem Granit eingesetzt.

464 Schich 2002, S. 235.

465 Erst ab dem 14. Jahrhundert ist der Stadthof des Klosters in Berlin am Stralauer Tor nachzuweisen, wo sich auch die städtische Kalkscheune befand. Ebd.

466 Schroeder 1993, S. 116.

467 Die Gerichtslaube wurde anlässlich des Neubaus des Berliner (Roten) Rathauses 1861-69 abgetragen und 1871/72 verändert im Babelsberger Park in Potsdam wieder aufgebaut. Vgl. Dehio Berlin 2000, S. 74.

468 Schumann 2011a, S. 38 u. Katalognummer 128. Vor den diese neue Interpretation hervorrufenden Ausgrabungen am Rathaus bzw. der Kaufhalle mit der offensichtlich später angebauten Gerichtslaube wurde das Gipsstuckrelief von

viert sich dieser Bezug, denn es gibt bislang keinen Hinweis, dass die Markgrafen sich unmittelbar nach ihrem Regierungsantritt besonders in der Kirche engagiert hätten. Sie treten erst 1334 mit einer Altarstiftung in Erscheinung.469 Auch müssten die als Gipsstuckquader im Mauerwerksverband der Außenwände verbauten Dienstkapitelle laut der für die Marienkirche vorgeschlagenen Datierung der Bauabfolge schon vor 1320 entstanden sein, wenn um diese Zeit schon die Traufe erreicht war. Es ist zu überlegen, ob die Herstellungstechnik tatsächlich so „exotisch“ und „außerordentlich selten“ für die Mark Brandenburg war, wie es aufgrund der wenigen bislang bekannten Beispiele scheint.470 Die frühesten bekannten Beispiele stammen immerhin schon von um 1250 und sind die Stuckkonsolen in den Seitenschiffen der Klosterkirche von Zinna. Dort wurde aber offensichtlich eine etwas andere (nach Schumann vom Harzvorland beeinflusste) Technik als in der Marienkirche oder im Hohen Haus angewandt, indem der Hochbrandgipsstuck auf Feldsteinrohlinge aufstuckiert wurde. Eine Rotfas-sung sorgt für die Vorspiegelung von Backstein.471 Des Weiteren kennt man die in der Zeitstellung mit den Berliner Beispielen vermutlich vergleichbaren Schlusssteine aus Hochbrandgipsstuck in einem Gewölbesaal im Obergeschoss des Westflügels im Dominikanerkloster Brandenburg.472

Da sich die einzigen bekannten Beispiele in Berlin allesamt ins frühe 14. Jahrhundert datieren lassen, liegt tatsächlich ein Zusammenhang nahe. Aufgrund ihrer vollflächigen Überarbeitung können die Stuckkapitelle der Marienkirche nicht mehr stilistisch mit den Reliefs der beiden anderen Stücke verglichen werden, die ihrerseits keine besondere Verwandtschaft aufweisen. Für nähere Schlussfol-gerungen wären daher Materialuntersuchungen des jeweiligen Stucks wünschenswert, um eine mögliche technologische Beziehung feststellen zu können. Während die Stuckkapitelle der Marien-kirche deutlich bläulichgrau eingefärbt waren, werden die Kämpferfriese des Hohen Hauses als leicht grau beschrieben473 und erscheint der Kämpferfries der Gerichtslaube eher weiß. In allen drei Fällen handelt es sich nicht um auf eine Oberfläche aufstuckierte Reliefs, sondern um blockhafte Werk-stücke, die „konstruktionsfähig“ eingebaut wurden.474 Eine wichtige technologische Frage wäre nun, wie die Reliefs am Blockguss hergestellt wurden. Sie können, wie für die Portalkämpfer des Hohen Hauses beschrieben, vor dem Abtrocknen mit messerähnlichen Werkzeugen geschnitten und modelliert475 oder in abgetrocknetem Zustand mit Steinmetzwerkzeugen gehauen worden sein.476 Eine dritte Möglichkeit wäre die gemeinsame Herstellung von einzumauerndem Block und räumlich hervortretenden Teilen in einer mehrphasigen Gusstechnik, die für das Preußenland für die Zeit seit um 1300 beschrieben wurde.477 Über die Bearbeitungstechnik lassen sich Rückschlüsse auf die Herkunft der Handwerker ziehen. Im Fall des Hohen Hauses könnte es ein in der Bearbeitung von keramischem Baudekor geschulter Meister gewesen sein. Leider kann man über die Herstellung der Dienstkapitelle der Marienkirche dazu aufgrund der Überarbeitungen und der dick aufliegenden Fassungen bislang nichts aussagen.

Schumann um 1300 eingeordnet und die besondere Materialverwendung mit der in Berlin residierenden ottonischen Linie der askanischen Markgrafen im Gegensatz zur einen besonderen Backsteindekor fördernden johanneischen Linie gedeutet. Vgl. Schumann 2008, S. 108.

469 Huch / Ribbe 2008, S. 94, Teilabschrift bei Fidicin 1880, S. 63f. Nr. XXII; Fidicin 1837, T. 3, S. 96.

470 Zitiert nach Raue 2008, S. 161 u. 171.

471 Raue 2005, S. 107, Schumann 2008, S. 93.

472 Raue 2008, S. 161 u. 171. Zahlreiche Beispiele von zumeist Kopfkonsolen und -kapitellen der 2. Hälfte des 14. Jahrhun-derts aus der im Mittelalter zu Brandenburg gehörigen Altmark, Lüneburg und Wismar stellte vor kurzem Rümelin 2011 zusammen, darunter die Stuckkonsolen aus der Marienkirche in Salzwedel, die kurz nach der Mitte des 14. Jahrhunderts datiert werden. Zu Salzwedeler Stuckbeispielen auch Knüvener 2008, S. 55, Abb. 29 S. 54.

473 Schumann 2011a, Katalognummer 128, S. 324.

474 Diesen anschaulichen Begriff nutzte für die Beschreibung des Pfeilerkapitells der Gerichtslaube Pospieszny 2002, S. 186.

475 Schumann 2011a, Katalognummer 128, S. 324.

476 Koller 2002, S. 78 beschreibt für die österreichischen Gipsstuck-Kunststeine beide genannten Techniken.

477 Pospieszny 2002, S. 187.

Als „Einflussregion“ für die Übernahme der Gipsstucktechnik in Brandenburg wurde auf die Küsten-region Norddeutschlands verwiesen,478 wo sich seit 1260 in Lübeck, etwas später in Wismar, dann Rostock, Greifswald und anschließend im ganzen Ostseegebiet Stuck aus Hochbrandgips verbreitete.

Interessanterweise geschah dies parallel zum Import von Naturstein für Bauskulptur und nicht als Alternative.479 So darf auch der Einsatz von Gipsstuck neben Kalkstein an der Marienkirche nicht verwundern. Als Gründe für diese Uneinheitlichkeit werden die in Stuck im Vergleich zur Steinbild-hauerei mögliche raschere Arbeitsweise480 und die Verfügbarkeit von Handwerkern genannt. Beides sind Gründe, die auch im Fall der Marienkirche durchaus zutreffen können. Wo keine Steinmetzen vorhanden waren, konnten Schnitzer, Stuckateure, Maler und andere „Nicht-Steinmetze“ die Dekors ausführen481 oder Backsteinwerkstätten die Herstellung der ganzen Werkstücke übernehmen.482 Als allerdings nicht sehr präzise Datierungshilfe lässt sich ferner noch die farbige Gestaltung des Baus heranziehen. Sämtliche bisherigen Befunde betreffen ohne Putz direkt auf die Backsteinflächen aufgetragene Lasuren, die als typisch für die Zeit ab um etwa 1280 bis ins 14. Jahrhundert gelten.

Dasselbe trifft auch auf die für die Fassaden bislang in kleinen Resten nachgewiesene Farbigkeit Rot und Grau zu. Nach Holst war der Wechsel von Grauschwarz und Rot bereits um 1300 ein beliebtes Farbenspiel.483 In Brandenburg wird nach Raue die Graufassung aus mit Holzkohle versetztem Kalk ab dem 4. Viertel des 13. Jahrhunderts bedeutend.484 Zunächst setzt man Grau ab 1280 für Fassadende-tails ein, in einer Zeit als die Backsteinbauweise und das anfangs hochgeschätzte Rot bereits gängig geworden waren. Beispiele dafür sind das Gesims der Klosterkirche Chorin und das Chorgesims der Dominikanerkirche Brandenburg nach 1281 mit im Werksteinformat aufgemalten Fugen. Um 1300 war Grau eine Alternative zum Rot als flächige Fassadenfassung geworden, so am Küchenhausgiebel und Neuen Pfortenhaus in Chorin und am Ostgiebel von St. Nikolai in Frankfurt/Oder. Grau kann laut Raue sogar als Modefarbe an landesherrschaftlich geprägten Großbauten des letzten Viertels des 13.

Jahrhunderts bezeichnet werden, die in der Folge an Kirchen- und Rathausgiebeln des 14. Jahrhun-derts weite Verbreitung erlangte.485 Bestätigt wird diese typische Fassadenfarbigkeit auch durch eine um 1415 datierte Himmelstor-Darstellung im Chor der Marienkirche in Herzberg/Elbe, die ein rotfar-benes Gebäude mit grauem Stufengiebel zeigt.486

Für die Innenraumgestaltung mit weißer Unterwand und roter Oberwand mit weißen Malfugen gibt es im Chor der Mönchskirche von Salzwedel eine Parallele. Nur findet dort der Farbwechsel nicht oberhalb, sondern unterhalb der Gewölbekonsolen statt (Abb. 129). Da der Chor erst 1435-53 errichtet wurde, können die ausgeführten Fassungen kaum einen besonderen Bezug zueinander haben.487 Ein weiterer, der Marienkirche zeitlich vermutlich vorausgehender Beleg für ein Fugennetz an der Ober- nicht aber der Unterwand könnte in der Berliner Heiliggeistkapelle der Gestaltungs-phase von um 1300 vorliegen. Auch dort ist eine Rotfassung mit Malfugen nur in der oberen Wand-hälfte aus reinem Backsteinmauerwerk nachweisbar gewesen. Die untere Wandpartie besteht wie in der Marienkirche aus Feldsteinmauerwerk mit Ziegelanteilen und einem die hervortretenden Steine

478 Schumann 2011a, S. 38.

479 Holst 2005a, S. 15f. Holst 2005b, S. 362. Zeitliche und örtliche Parallelität des Einsatzes von Kunst- und Naturstein wurde auch in Österreich konstatiert. Dazu Koller 2002, S. 74.

480 Hoernes 2002, S. 20, 22.

481 Hoernes 2002, S. 15-19.

482 Pospieszny 2002, S. 186.

483 Holst 2005, S. 16.

484 Raue 2008, S. 170.

485 Raue 2008, S. 47 und 107.

486 Raue 2005, S. 108, Abb. 189

487 Die Bauzeit ist inschriftlich durch den Baumeister Henricus Reppenstorff am Lettner der Kirche überliefert. Dehio Sachsen-Anhalt I 2002, S. 804f.

sichtbar belassenden „Fugenstreichputz“, was eine durchgängige Malfugenfassung verhindert hat.488 Die Gestaltungsgrenze zwischen Malfugenfassung und vergleichsweise roh belassener Unterwand in dem zu dieser Zeit noch flach gedeckten Saal dürfte genau am Materialwechsel vom Feld- zum Backstein gelegen haben. Leider nur im östlichen Teil der Nordwand lag der Ziegelausgleichslage auf dem Feldsteinunterbau eine Fassung aus horizontalen Linien in der Abfolge Rot-Blau-Rot auf, die vermutlich diese Grenze markierte.489 Die Befunde reichen aber nicht aus, um auf die einheitliche Gestaltung des ganzen Raums mit einer durchgehenden Malfugengrenze auf gleicher Höhe zu schließen.

Wesentlich mehr, ebenfalls über einen größeren Zeitraum verteilte Beispiele finden sich für die einheitliche Raumfassung aus mit Ziegelmehl rötlich gefärbter Kalkschlämme mit weißer Fugen-malerei. Zu nennen ist als frühestes Beispiel in Brandenburg aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts die Marienkirche in Frankfurt/Oder.490 Es folgen bis um 1300 Chor und Querhaus der ersten Baupha-se der Klosterkirche Chorin, Kirche und Konventsgebäude der Dominikaner in Prenzlau, die Franzis-kanerkirchen St. Johannis in Brandenburg/Havel, in Angermünde und Berlin. Auch der Chor der Dominikaner-Klosterkirche in Brandenburg erhält um diese Zeit erstmals eine derartige Fassung, die im Kloster und in der Kirche bis ins 15. Jahrhundert in verschiedenen Ausführungen wiederholt wird.491