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Archivalische Hinweise auf die Datierung

6. BAUPHASE 1 – DAS LANGHAUS (UM 1290 BIS 1. HÄLFTE 14. JAHRHUNDERT)

6.9.4 Archivalische Hinweise auf die Datierung

Die erste Urkunde mit Nennung der Marienkirche vom 4. Januar 1292 lautet sinngemäß: Elf Bischöfe in Rom gewähren im vierten Jahr des Pontifikats von Papst Nikolaus IV. allen Gläubigen einen Ablass von vierzig Tagen, die an den Festtagen der Geburt, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn, am Pfingsttage, an den vier Festen der heiligen Jungfrau Maria, an den Tagen der Schutzheiligen und an den Weihetagen der Kirchen, am Tage des Hl. Michael, des heiligen Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten, Apostel Petrus und Paulus, Märtyrer Laurenz, hl. Bekenner Martini und Nicolai, Hl. Jungfrau Katharina, am Allerheiligentag und Allerseelentag die Kirchen des Hl. Nikolaus und der Hl. Maria in Berlin andächtig besuchen oder zum Bau, zur Verzierung und Erleuchtung oder zu einem anderen Nutzen der Kirchen hilfreiche Hand leisten.423

421 Barth 2005b, S. 90f.

422 Arnold 2005, S. 285.

423 Zitiert nach Fidicin 1837, T. 3, S.192-193. Vgl. Kurzregest Huch / Ribbe 2008, S. 59 mit Hinweis auf die seit 1988 wieder aufgetauchte Originalüberlieferung im BLHA und deren Abschrift in der Urkundensammlung Oelrichs SBB PK. Vgl. auch Riedel in CDB Suppl. 1865, S. 222, der sich auf Küster 1737, S. 220 (in CDB irrtümlich Abth. II angegeben) bezieht, des weiteren Fidicin 1880, S. 20, Nr. XXX. Außer bei Fidicin 1837 und Huch/Ribbe 2008 ist fälschlich Nikolaus V. angegeben.

Papst ist von 1288-92 Nikolaus IV., dann folgen zwei Jahre Sedisvakanz. Bei Schmidt decas III, 1731, S. 1f. ist zwar

Während in der ersten Überlieferung direkt auf ein Baugeschehen in beiden bestehenden, weil schon geweihten (!) Kirchen Bezug genommen wird, belegt die zweite bekannte Urkunde, dass beide Kirchen trotzdem „in Funktion“ gewesen sein müssen. „Im Jahr des Herrn 1294, zur Zeit des Papstes Bonifaz VIII., in dem ersten Jahr seiner Regierung, haben sechs Bischöfe, und zwar ein jeder von ihnen, vierzig Tage Ablass denjenigen gegeben, welche dem Hl. Leichname Christi (Venerabile), wenn er von den beiden Kirchen St. Nicolai oder St. Marien zu Kranken in Berlin getragen wird, mit einem Vaterunser und dem englischen Gruß folgen.“424 Diese beiden Quellen unterstützen, was für die Nikolaikirche mit der Ergrabung der beiden Vorgängerbauten, der romanischen Basilika und der frühgotischen Halle von um 1300 schon nachgewiesen ist,425 auch für die Marienkirche. Es gab in den 1290er Jahren jeweils eine bestehende geweihte Kirche, an der gebaut wurde.

1300 wird ein weiterer Ablassbrief, wieder für beide Kirchen, ausgestellt426 sowie ein in der Marien-kirche befindlicher Nikolausaltar erwähnt. Es handelte sich dabei nicht um eine neue Stiftung, sondern Patronatsrecht und Einkünfte des bestehenden Altars werden von den Kalandsbrüdern aus Teltow an den Bischof von Brandenburg abgegeben.427 1319 ist von einem weiteren bestehenden Altar (Maria Magdalena) die Rede, dessen Patronat der Rat inne hatte.428 1326 wurde der Mauritius-altar, der bereits früher von der Tuchmachergilde und der Elendengilde auf dem Neuen Markt gemeinsam gestiftet worden war, der Tuchmachergilde alleine übertragen.429 Lediglich die nur von Fidicin überlieferte Verpflichtung der Wollen- und Leinenweber zur Zahlung von Kerzengeld für ihren Dreieinigkeitsaltar im Jahr 1331, könnte mit einer Altar-Neustiftung zusammenhängen.430

Auf den 15. Mai 1334 datiert die nächste, wieder konkreter auf ein mögliches Baugeschehen zu beziehende Überlieferung, die nun alle drei Pfarrkirchen im vereinigten Berlin-Cölln betrifft: Zwölf Bischöfe gewähren den Gläubigen, die die Nikolai- oder Marienkirche in Berlin und die Petrikirche in Cölln an den Festtagen ihrer Patrone besuchen und zum Ausbau, zur Verzierung, Erleuchtung, etc.

beitragen, einen vierzigtägigen Ablass.431 Vielleicht diesem Aufruf folgend, stiftet Markgraf Ludwig mit Zustimmung seines Vaters Kaiser Ludwig IV. zum Gedächtnis und Seelenheil aller Markgrafen von Brandenburg und des Grafen Heinrich von Schwarzburg im November desselben Jahres einen Altar zu Ehren der Heiligen Jungfrauen Katharina und Margarete in der Marienkirche am Neuen Markt zu Berlin und dotiert ihn mit 13 Pfund brandenburgischen Pfennigen jährlicher Rente aus der Berlini-schen Münze.432 Ein Jahr später wird von Bischof Cono (Margaricensi episcopus) ein neuer vierzig-tägiger Ablass ausgestellt, der allen denjenigen erteilt wird, welche die Nikolai- oder Marienkirche in Berlin oder die Petrikirche in Cölln besuchen und zum Ausbau der, jetzt als baufällig (!) bezeichneten drei Kirchen beitragen.433

Nikolaus IV., aber die falsche Jahreszahl 1294 angegeben. Fidicin 1868, Sp. 24 spricht irrtümlich von zwölf Bischöfen und im Urkundenbuch, ders. 1880, S. 20 von Kardinälen. Vgl. zur Übersetzung des bei Riedel wiedergegebenen Abschnitts der erwähnten Festtage Leh 1957, S. 13.

424 Huch / Ribbe 2008, S. 60; Küster 1737, S. 220; Schmidt decas III, 1731, S. 2; Borrmann 1893, S. 205; Fidicin 1880, S. 20, Nr. XXXI.

425 Vgl. die Ausgrabungsergebnisse in Reinbacher u. a. 1963. Die dort für diesen Bau in Anspruch genommene Ablass-urkunde von 1264 bezieht sich noch auf die Fertigstellung des Vorgängerbaus aus Feldstein. Dazu Badstübner / Badstübner-Gröger 1987, S. 17. Bau II wird mit den für die Nikolaikirche offenbar mehrfach überlieferten Ablässen ab den 1290ern in Verbindung gebracht. Zuletzt in diesem Sinne Schumann 2011b, S. 291.

426 Huch / Ribbe 2008, S. 63. Überliefert ist er durch Oelrichs Urkundensammlung, erwähnt auch bei Küster 1737, S. 220, Schmidt decas III, S. 2.

427 Huch / Ribbe 2008, S. 62; Borrmann 1893, S. 205; CDB, T. I, Bd. 11, S. 207.

428 Fidicin 1837, T. 3, S. 95. Dieses Regest fehlt allerdings bei Huch / Ribbe 2008. Ähnlich lautende Bestätigungen folgen aber 1337 und 1380.

429 Huch / Ribbe 2008, S. 84; Borrmann 1893, S. 205; Küster 1752, S. 442f. in Latein und Deutsch; Fidicin 1837, T. 3, S. 96.

430 Fidicin 1837, T. 3, S. 96, Regest allerdings nicht erwähnt bei Huch / Ribbe 2008.

431 Huch / Ribbe 2008, S. 93f. Fidicin 1837, T. 3, S. 209 datiert diese Urkunde irrtümlich auf 1330, dort jedoch die bei Huch / Ribbe nicht wiedergegebenen genaueren Spezifizierungen: Ausbau, Verzierung und Erleuchtung.

432 Huch / Ribbe 2008, S. 94, Teilabschrift bei Fidicin 1880, S. 63f. Nr. XXII; vgl. auch Fidicin 1837, T. 3, S. 96.

433 Huch / Ribbe 2008, S. 95; Schmidt decas III, S. 3.

Ein schlechter oder zumindest nicht befriedigender, vielleicht unfertiger Zustand der Kirchen könnte auf das seit 1324 geltende Interdikt (Kirchenbann) zurückzuführen sein, mit dem Berlin und Cölln für die Ermordung des Probstes Nikolaus von Bernau vor den Toren der Marienkirche bestraft wurden.

Wenn auch das kirchliche Leben nicht ganz zum Erliegen gekommen sein kann, wie die erwähnten Nachrichten von 1326, 1331 und 1334/35 auch für die Marienkirche belegen, so muss es doch Einschränkungen gegeben haben.434 Im Juli 1335 kam es zur Einigung des Rates mit dem Bischof Ludwig von Brandenburg in einem Sühnevertrag, der die Stiftung eines Altars zu Ehren des Ermorde-ten in der Marienkirche (Altar der Märtyrer Hippolyt, Matthias und Stephanus), die Errichtung eines steinernen Sühnekreuzes mit Ewigem Licht und ein hohes Lösegeld für die Bemühungen des Bischofs um die Beendigung des Banns beim Papst verlangte.435 Diese Einigung, die erst 1347 zur endgültigen Lösung des Banns führte,436 hat offenbar keine sofortigen Auswirkungen auf Bestrebungen zur Finanzierung von Bauarbeiten oder auf einen Anstieg von Altarstiftungen, die auf die Fertigstellung eines Bauteiles verweisen könnten. Eine allein auf die Marienkirche bezogene Baunachricht folgt erst als die Ratsmänner von Berlin 1340 „einen Schuldschein der Stadt über die zum Bau der Marienkir-che daselbst durch den Mitbürger und Münzmeister Otto von Buch aufgenommenen 50 Mark brandenburgischen Silbers“ ausstellen.437 1345 werden der Andreasaltar438 und 1350 der Flüchtlings-altar (Hl. Barbara, Cosmas und Damian u. Apostel Matthäus)439 erstmals genannt, die beide der Elendenbruderschaft (auch Elendengilde oder Kaland) vom Neuen Markt gehörten. Unklar bleibt leider, ob es sich um Neustiftungen handelt.440 Am 10. Mai 1348 folgt ein weiterer wieder auf alle Pfarrkirchen Berlins bezogener Ablassbrief für Beiträge zu deren Bau und zur Ausstattung441, der 1352 noch einmal bestätigt wird.442 Danach werden bis zum Brand von 1380 noch einige weitere Altäre erwähnt und einer nachweislich neu gestiftet, jedoch keine weiteren Ablässe ausgestellt.

Aus den vorgestellten Quellen lässt sich allgemein eine enge Verbindung der Kirchen untereinander herauslesen, wenn regelmäßig Ablässe für jede der Kirchen ausgestellt werden. Waren es zunächst nur die beiden Pfarrkirchen Berlins, so ist bei den Ablassbriefen nach der Union beider Städte im Jahr 1307443 bzw. nach der Vereinigung der drei Berlin-Cöllner Pfarren zu einer Propstei im Jahr 1319,444 auch die Petrikirche in Cölln miteingeschlossen, was den Verdacht reiner Formelhaftigkeit erregen könnte. Vielleicht muss man sich gar einen gemeinsamen Topf vorstellen aus dem den Kirchen bei Bedarf Zuwendungen erteilt wurden? Tatsächlich ist außer dem erwähnten Bau II der Nikolaikirche auch ein Bau II der Petrikirche von um 1300 archäologisch erwiesen.445 Diesen beiden durch spätere Umbauten (St. Nikolai) bzw. Zerstörung (St. Petri) nicht mehr vorhandenen Kirchen kann gesichert durch die ausgeführten Datierungshinweise der OSL und des Vergleichs der Ziegelformate das nach wie vor erhaltene Langhaus der Marienkirche zur Seite gestellt werden, wie es schon ohne diese Hinweise von Badstübner vertreten wurde. Allerdings mit der signifikanten Abweichung, dass der

434 Zum Interdikt und den trotzdem vorkommenden Ablassbriefen für Bauvorhaben und Altarstiftungen vgl. z. B. Schich 2002, S. 236f.

435 Huch / Ribbe 2008, S. 96f., Gercken 1771, S. 96-98.

436 Huch / Ribbe 2008, S. 120.

437 Huch / Ribbe 2008, S. 104.

438 Huch / Ribbe 2008, S. 112; Borrmann, S. 205; Fidicin 1837, T. 3, S. 96.

439 Huch / Ribbe 2008, S. 132; Borrmann, S. 205; Fidicin 1837, T. 3, S. 96f. u. 226. Abschrift Fidicin 1837, T. 2, S. 46f., Nr.

XXXVIII.

440 Wenigstens einer der Altäre ist schon für die Zeit um 1326 anzunehmen, als die Elendengilde die zuvor gemeinsamen Rechte des Mauritiusaltars vollständig an die Tuchmachergilde abgab (s. o.). Es wäre unwahrscheinlich, dass die Gilde gar keinen Altar mehr in der Kirche besessen hätte.

441 Huch / Ribbe 2008, S. 121., Fidicin 1837, T. 3, S. 222.

442 Huch / Ribbe 2008, S. 136.

443 Schich 2002, S. 190.

444 Schich 2002, S. 192. Der Berliner Propst war nun Pfarrer aller drei Kirchen. Vgl. Cante M. 2000, S. 76f. Anm. 46.

445 Badstüber / Badstübner-Gröger 1987, S. 17f.

gestreckte Polygonalchor noch nicht, wie immer vermutet, Teil dieser Bauphase war.446 Das bedeu-tet, die Ablässe für Beiträge zum Bau und Ausbau dürften sich bei allen drei Kirchen jeweils auf reale, sicher in gewisser Konkurrenz zueinander stehende Vorhaben beziehen. Ein sich wohl auch auf die Ausstattung, nicht nur die Bauten beziehender Finanzbedarf für die um 1300 erneuerten Kirchen bis in die Jahrhundertmitte ist dabei durchaus vorstellbar.

Während sich die wieder gemeinsam ausgestellten Urkunden von 1334/35 bei der Nikolai- und auch der Petrikirche möglicherweise nur noch auf die Ausstattung beziehen könnten, so spricht die Urkun-de von 1340 im Fall Urkun-der Marienkirche für zu dieser Zeit in jeUrkun-dem Fall noch laufenUrkun-de oUrkun-der im Abschluss befindliche Baumaßnahmen. Bezogen werden könnte die Aufnahme der 50 Mark Silber auf den Bau der Pfeiler und der Einwölbung, da ja die Ziegelformate der Arkadenwände zeitlich schon in diese Richtung gewiesen haben. Als weiteres unterstützendes Argument für die innerhalb des Bauablaufs eher späte Ausführung der Binnengliederung mit den Pfeilern lieferte die Archäologie. Die in der Verfüllung der Baugrube des oben besprochenen Pfeilerfundaments der Südreihe gefundene klingenhart gebrannte Grauware des 13. und 14. Jahrhunderts „bestätigt die Annahme der Baufor-schung, dass der Bau des Langhauses der Marienkirche im Verlauf des 14. Jahrhunderts erfolgte."447 Sämtliche gesammelten Datierungshinweise könnten aber auch in Richtung einer etwas früheren Fertigstellung bis zur Einwölbung schon um 1320 interpretiert werden. Zwischen 1300 und 1319 ist immerhin die längste Periode in der keine Nachrichten über Altäre oder sonstige Hinweise auf das Kirchenleben überliefert sind, was für einen Zeitraum intensiveren Bauens sprechen könnte. In dem Fall würde sich die Nachricht von 1340 zum Beispiel auf den zu vermutenden zugehörigen Schmuck-giebel beziehen oder auf einen möglichen Vorgängerturm der jetzigen Westturmanlage – falls dieser nicht, ähnlich wie bei der Nikolaikirche, als ein Rest der ersten Marienkirche stehen geblieben war.

Allerspätestens mit den beiden letzten Ablässen 1348 und 1352 ist mit einer vollständigen Fertig-stellung der zweiten Marienkirche in ihrer ersten Bauphase zu rechnen. Wahrscheinlicher beziehen sie sich aber nach einer ohnehin schon um die 50 Jahre dauernden Errichtungszeit nur noch auf Ausstattungsmaßnahmen.