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Das Problem Presbyacusis – altersbedingter Hörverlust

Im Dokument 1. Histologische Aufarbeitung (Seite 174-177)

Presbyacusis ist eine der häufigsten Krankheiten, mit der älter werdende Personen belastet sind. Das Problem der Hörbeeinträchtigung im Alter ist mit zwei Symptomen vergesellschaftet. Zum einen stellt sich das Problem des Sensivitätsverlustes, vor allem für hohe Töne. Zum anderen ist das Hauptproblem ein verschlechtertes Sprachverständnis vor allem bei Hintergrundgeräuschen. Beide Symptome sind Ursache von Alterungsprozessen im Ohr und Gehirn. Sensitivitätsverlust beginnt in der Peripherie des Hörsystems und ist vor allem durch Verlust von Haarzellen, metabolischen Zellen, verminderte Durchblutung und Verlust von Hörnervfasern bedingt (Frisina, 2001). Eine verminderte Frequenzselektivität und eine Erhöhung der Schwellenwerte ist die Folge (Salvi et al., 2001). Höhere Lautstärken sind zum Verständnis notwendig. Diese Art „peripherer Hörstörung“ beginnt in der Regel zuerst mit einer Verminderung von Haarzellen im basalen (hochfrequenten) Bereich der Cochlea. Degenerierende Effekte beginnen mit einem Verlust von äußeren Haarzellen, die empfindlicher auf schädliche Einflüsse, wie Hypoxie, Fieber, Lärm, Antibiotika und anderer interner und externer Umwelteinflüsse reagieren. Erst mit dem Verlust innerer Haarzellen verringert sich danach auch die Zahl der Hörnervfasern. Infolgedessen reduziert oder verschlechtert sich die weitergeleitete

Information, was unter Umständen zu Problemen beim Sprachverständnis führen kann. Zudem treten Veränderungen im zentralen Bereich des Hörsystems auf, was sich in verminderter Neuronenzahl, Struktur und Biochemie der Neurone äußern kann. Die dadurch bedingte „zentrale Hörstörung“ tritt infolge direkter Alterungsprozesse im Gehirn und/oder aufgrund altersbedingter Veränderungen im peripheren System auf (Frisina, 2001).

Genau diese zentralen Veränderungen stellen für den Behandler, für den Wissenschaftler und in erster Linie für den betroffenen Patienten ein entscheidendes Problem dar. Trotz Hörhilfen, die den erhöhten Schwellenwert ausgleichen können und so zu einer verbesserten Hörqualität in ruhiger Umgebung führen, liefern sie wenig Hilfe in lautem gesellschaftlichem Umfeld, wie z.B. in Restaurants (Salvi et al., 2001). Zudem weisen manche ältere Patienten trotz normalem peripherem Hörvermögen ein verschlechtertes Sprachverständnis auf. Dies weist darauf hin, dass unabhängig von peripheren Alterungsprozessen zentrale Veränderungen im Laufe des Älterwerdens auftreten (Frisina und Frisina, 1997); Veränderungen, die dazu führen, dass akustische Signale zeitlich nicht mehr richtig verarbeitet werden können. Physiologische und psychoakustische Studien, die auf dem Paradigma der Lückenerkennung arbeiten, machen dies deutlich:

Boettcher et al. (1996) verglichen bei jungen und alten Gerbils die Laufzeiten evozierter Potentiale nach dem ersten und zweiten Klick für Summenaktionspotentiale am Hörnerv und bei Hirnstammpotentialen. Dabei war bei alten Tieren (33-37 Monate) für kurze Lücken zwischen den Klicks die Welle iv beim Hirnstammpotential deutlich verzögert im Vergleich zu Ableitungen am Hörnerv. Die Laufzeiten der Aktionspotentiale nach dem ersten Klick unterschieden sich dagegen kaum. Boettcher et al. folgerten daraus, dass es Veränderungen in der Codierung zeitlicher Informationen auf der Ebene des Hirnstamms gibt, die unabhängig peripherer Veränderungen auftreten. Zudem vermuteten sie einen verminderten inhibitorischen Einfluss als Ursache für die verschlechtere Reizantwort alter Tiere.

Vergleichbare Latenzverlängerungen konnten Poth et al. (2001) beim Menschen unter ähnlichen Reizparametern feststellen.

Hamann et al. (2004) kamen mit psychoakustischen Testverfahren beim Gerbil zu übereinstimmenden Ergebnissen. Zum Vergleich mit jungen Tieren wurden alte Tiere mit nur geringem altersabhängigem Hörverlust herangezogen (Hamann, 2002).

Dabei zeigte sich, dass die minimal erkennbare Lückendauer alter Gerbils im Vergleich zu jungen Tieren signifikant erhöht war. Die Ergebnisse verlängerter Lückenerkennungsschwellen unabhängig von einer peripheren Hörbeeinträchtigung stimmten mit großer Ähnlichkeit mit dem veränderten Zeitauflösungsvermögen bei älteren Menschen überein (Snell et al., 1997, Snell und Frisina, 2000). Sowohl beim Mensch als auch bei der Wüstenrennmaus nahm die inter-individuelle Streuung der Zeitauflösung zu: ein Teil der alten Probanden oder Tiere war deutlich betroffen, während bei einem anderen Teil die Zeitauflösung kaum beeinträchtigt erschien.

In einer Studie von Gleich et al. (2007) wurde unter dem Paradigma des „forward masking“ (Nachverdeckung) der Schwellenwert ermittelt, der für die Detektion eines maskierten Testtones notwendig war. Um den Einfluß peripheren Hörverlusts möglichst zu minimieren, wurden nur diejenigen alten Tiere verwendet, die im unmaskierten Testton keine erhöhten Schwellenwerte aufwiesen. Es zeigte sich bei alten Tieren trotz normalem peripherem Hörvermögen eine altersbedingte signifikante Erhöhung des Schwellenwertes, um den Testton unter der maskierten Bedingung zu erkennen. Im Vergleich zum Paradigma der Lückenerkennung scheint diese Methode zum Messen altersbedingter Änderungen effektiver zu sein (Gleich et al., 2007).

Alle obigen Autoren, die sich mit alterbedingten Veränderungen beschäftigen, legen die Vermutung nahe, dass Veränderungen am inhibitorischen System die Ursache funktioneller Defizite sind. Auch Caspary et al. (2008) macht den Verlust inhibitorischer Neurotransmission für die Beeinträchtigung der Schallverarbeitung verantwortlich. Durch pharmakologische Erhöhung des GABA-Spiegels im Gehirn konnten Gleich et al. (2003) tatsächlich eine Normalisierung der Zeitauflösung bei Gerbils mit gestörter Zeitauflösung feststellen. Die minimal wahrnehmbare Lücke in einem 800ms langem Breitbandrauschen verbesserte sich bei 10 dBSL und 30dBSL durch die Gabe von gamma-vinyl-GABA (Sabril). Dieses Medikament hemmt den Abbau von GABA, das an der Synapse freigesetzt wurde und führt so insgesamt zu einem erhöhten extrazellulären Spiegel von GABA im Gehirn (Löscher und Frey, 1987). Bei Tieren mit gestörter Zeitauflösung führte das Medikament zu einer Verbesserung, wobei es keinen Einfluss auf die Zeitauflösung bei den Tieren mit normaler Lückendauer hatte. Somit konnte nochmals die Bedeutung inhibitorischer

Transmitter, in diesem Fall GABA, für eine optimale zeitliche Verarbeitung akustischer Signale, dargestellt werden.

Entscheidend für die Entwicklung geeigneter Therapien und einer effektiven Behandlung ist deshalb zu wissen, wo und wie sich Alterungsprozesse im Gehirn abspielen. Wie verändern periphere Hörstörungen zentrale Kerne der Hörbahn und wie äußern sich Veränderungen in der zentralen Hörbahn, die durch gemeine Alterungsprozesse bedingt sind. Um dieser Frage nachzugehen, wird in dieser Arbeit der CN auf morphologische Veränderungen untersucht. Es wurden Messungen durchgeführt, die Aufschlüsse über Größenveränderungen der CN-Unterkerne AVCN, PVCN und DCN und Veränderungen von Anzahl und Dichte GABA- und glyzinexprimierender Neurone, liefern. Es kann aber nicht beurteilt werden, welchen Ursprung diese Veränderungen haben. Deshalb werden frühere Arbeiten zum Vergleich herangezogen, die sich mit den rein peripher bedingten und peripher und/oder zentral bedingten Veränderungen beschäftigen.

Im Dokument 1. Histologische Aufarbeitung (Seite 174-177)