Um
das moralischeArgument
für das Dasein des höch-stenWesens
klar auseinanderzusetzen, ist es erforderlich, Begriffund Wesen
der Moral festzustellen, damit von hier aus die Sicherheit des abzuleitenden Beweises geprüft wer-den könne.Da
es die Moral aber mitdem Wollen
des Menschen zuthunhat, soistzunächstaufdiesesdasAugen-merk
zu richten. Abgesehen davon nun, obman
das Wollen mit Herbart für ein Aufstreben der Vorstellungen erklärt, oder mitKant
es für ein besonderesVermögen
der menschlichen Seele hält, was hier nicht entschieden zu werden braucht, steht überhaupt so viel fest, dass es kein Wollen gebenkann
ohne Motive.Das
sagtJedem
schon eine genauere Beobachtung seiner selbst.Doch
es lässt sich auch bestimmtund
deutlich nachweisen an den Wider-sprüchen, die entstehen müssenbei derAnnahme
des motiv-losen Willens, der sich selbst bestimmt. Hier tritt die Herbartische Philosophie in ihr Recht ein, deren Ausfüh-rungen über diesen Punkt kurz zusammengefasst sind in denWorten
von Drobisch: „Schon Locke ist es nicht ent-gangen, dass die Selbstbestimmung des Willens nichts an-deres bedeutet, alsdas Wollen
wollen. Mit aller Evi-denzund
Schärfe hat aber zuerst Herbart gezeigt, dass der Begriff der Selbstbestimmungaufeine unendliche Reihe ohne einen ersten Anfang führt, daher ganz und gar nichtru;•i^tVvL»: t< .^A.--.Ä.l*lci.
ic« 'riW'nF<l
w-I
86
das erklärt, was er doch begreiflich
machen
soll. Irgend ein bestimmtes Wollen folgt nämlich entweder auf ein Nichtwollen oder auf ein Anderswollen, ist also im erstem Falle ein Uebergang aus der Unthätigkeit in die Thätig-keit,im
anderneinUeberspringenvoneinerRichtungseiner Thätigkeit in eine andere, oft sogar entgegengesetzte. Istnun
aber dieUrsache dieserVeränderungim
Zustande des"Willenswieder der Willeselbst, so musser, bevor er diese Veränderung hervorbrachte, unthätig gewesen, mit der-selben aber aus der Unthätigkeit in Thätigkeit überge-gangen sein. Dies ist aber wieder eine Veränderung
im
Zustande desWillens, die,wenn nun
einmal der Wille sich selbst bestimmen soll, abermals auf eine vorausgegangeneUmwandlung
von Unthätigkeit in Thätigkeit als ihre Ur-sache zurückweist u. s. f. ohne Ende."^Schopenhauer
drückt dasselbe aus, indem er sagt: „Für denmenschlichen Willen giebt es allerdings auch ein
Gesetz,
sofern derMensch
zur Natur gehört,und
zwar ein streng nachweis-bares, einunverbrüchliches, ausnahmloses, felsenfeststehen-des, welchesnicht,wie der kategorische Imperativ,velquasi, sondernwirklich
Nothwendigkeit mit sich führt: es ist dasGesetz der Motivation,
eineForm
des Causalitäts-gesetzes, nämlich die durch das Erkennen vermittelteCau-salität. Dies ist das einzige nachweisbare Gesetz für den menschlichen Willen,
dem
dieser alssolcher
unterworfenist. Es besagt, dass
jede Handlung nur
inFolge
eineszureichenden Motivs
eintretenkann."^
Das
Wollen wirdimmer
angeregt durch einVorge-stelltes. Darauf deutet auch
Kant
hin, indem er darauf aufmerksam macht, dass „alles Wollen einen Gegenstand, mithin eine Materie haben müsse".^Wäre
dasWollen des Menschen motivlos, dann wäre jederEntschluss, jede Hand-lung nur etwasZufälliges.Niemand
könnte von sich selbst wissen, was er indem
nächsten Augenblicke thun wird,87
keiner hätte einen Charakter. Dies führt Herbart in
fol-genden
Worten
aus: „Willman
die einzelnen Entschliessun-gen des Menschen als frei (d. i. motivlos) betrachten? So hat derMensch
keinen Charakter. Jeder Aktus desWil-lens, jeder Entschluss ist nur etwas für sich, ohne
Zusam-menhang
mit frühernund
folgenden Entschlüssen. Die einzelnen Willensbestimmungen fallen zwar unter das sitt-liche Urtheil, aber das ganzeLeben
des Menschen ist ein blosses Aggregat von Selbstbestimmungen, deren jede von vorn anfängt, die Einheit ist verlorenund
derWerth
desganzen
Menschen ist dahin.Wer
gestern der Beste war,kann
heute der Böseste sein."* Erziehung, Einwirkung auf dasWollen einesMenschen ist dann vollkommenunmöglich.Die ersten
und
gewöhnlichsten Motive gehen aus von derNaturalsSinnenwelt,vonderSinnlichkeitdesMenschen.Das
Gesetz derselben lautet dahin, sich das möglichste Wohlbefinden zu verschaffen, dasUnangenehme,
so vielman
kann, von sich abzuhalten, dasAngenehme
aber zu suchen. „DerMensch
ist ein bedürftiges Wesen, sofern er zur Sinnenwelt gehörtund
sofern hat seineVernunft aller-dings einen nicht abzulehnenden Auftrag von Seiten der Sinnlichkeit, sichum
das Interesse derselben zubeküm-mern und
sich praktischeMaximen
auch in Absicht auf die Glückseligkeit zumachen"
(Kant).*Doch
der Gegen-stand des Wollens, der durch diese Sinnlichkeit uns vor-gestellt wird, ist ein unsichererund
schwankender.Der
Eine sucht in diesem seinWohl und
seinen Genuss, der Andere in einemAndern. Balderfreut unsdas, bald jenes.Mit den wechselnden Zeiten
und
Neigungen wechselt auch der Gegenstand unsers sinnlichenBegehrens. „DerMensch
entwirft sich den Begriff der Glückseligkeit auf verschie-dene Art durch seinen mit der Einbildungskraft
und
der Sinnenwelt verwickelten Verstand und ändert diesen (Be-griff) oft."' So äussert sich Kant.> Drobisch,DieMoralstatistiketc.,S. 61.
Die beiden Grundprobleme der Ethik, S. 121.
* Schopenhauer,
»Kant, V, 36.
» Herbart, I, 211.
vgl. V, 36.
« Kant, V, 65. » Kant, V, 443,
88
Ausserdem jedoch wird der Wille des Menschen noch von einer andern Seite angeregt
und
bestimmt, die sich dadurch ankündigtinseinem Innern, dass er,wenn
er den von ihr ausgehendenund
auf ihn einwirkenden Motiven nichtfolgt,Unruhe und
Unzufriedenheitdarüber empfindet.Dieser andere Bestimmungsgrund des Willens sind „die sittlichen
Ideen".
Nicht auf künstliche oder zufällige Weise sind dieselben hervorgebracht, oder nur durch Er-ziehung allmälig entstanden, wie die naturalistische Ethik behauptet, sondern sie sindursprünglich und
können durch die weiterschreitendeBildung nur aufgeklärt werdenund
in ihrer Wirksamkeit verstärkt. Dunkel zeigt sich ihr Einfluss in einem jeden Menschengemüth, indem Alle Missfallenempfinden über widersprechende, disharmonische Willensverhältnisse, sei es dass verschiedene Wollungen gegenseitig sich widersprechen, sei es dass sie in Wider-spruch stehen mitaufgestelltenMusterbildern,mögen, einer mangelhaftenEinsicht gemäss,dieseMusterbilderselbstauch noch so mangelhaft sein.Auch
der roheund
wildeMensch
tadelt in seinem Innern dasThun, welches der herrschend gewordenenSittewiderstrebt, tadeltden Streitunter denen, welche als Stammesgenossen miteinander verbunden sind*,
und
giebt damitzu erkennen, dassinihm
nocheinanderes Gesetz wohntund
sich geltend macht, als nur das der Sinnlichkeit.Den
Inhalt diesesGesetzes, dasKant
fälsch-lich allein in der leerenForm
derNothwendigkeitund
All-gemeinheit suchte, indem er als den Ausdruck desselben den Satz hinstellte: „handle so, dass dieMaxime
deinerHandlung zum
allgemeinen Gesetz werden kann"*, hat*Finden ungebildete, barbarische Völker ein Wohlgefallen am Kriege und gilt Tapferkeit beiihnen als diehöchste Tugend, so ist hier zunächst zu beachten, dass es sich dann immer
um
den Krieg gegen andere Völker handelt, also kein absolutes WohlgefallenamStreit vorhandenist; weiter aber, dass dieseKampfeslust beruht auf demWohlgefallen des Starkem vor dem Schwachem, damit alsoschon den dunklen Keim vonAesthetik und Moral enthält. * Kant, IV, 269 flf.
89
Herbart dargestellt in seinen fünf „praktischen Ideen".
Liesse sich vielleicht auch mit
ihm
darüber streiten, ob gerade diese fünf vonihm
bezeichneten Ideen festzuhaltenund
nicht auf nur drei (Recht, Wohlwollen, Freiheit) zu verringernsind, oderauchaufeinegrössereZahlzubringen, so liegt doch hier,wo
es gilt, aus der Moral den Gottes-beweis abzuleiten, derTon
nicht auf der Zahl der Ideen, sondern aufihrer ürsprünglichkeitund
Unvermeidlichkeit!Die Ideen
müssen
uns gefallen, sie tragen an sich„den
Stempeleinesunvermeidlichen Verhängnisses".Warum
sie aber uns gefallenund
dieNichtübereinstimmung mit ihnen missfällt, hat seine Ursache darin, dass überhauptdem Menschen
Harmonisches gefälltund
Disharmonischesmiss-fällt. Dieses aber beruht wieder auf der
Einheit
unserer Vernunft, sei es dassman
mitKant
hierstehen bleibenwill bei der „Einheit der Apperception", welche die innere Erfahrung uns lehrt, oder mitHerbart weitergeht zur Ein-heit der Seele als eines „einfachen Realen". Diese Einheit macht sich geltend nicht blos in der Aesthetikund
Moral, sondern auch in der Logik, da derMensch
auch nichts Widersprechendes zu denken vermag. „DieVernunft wird durch einenHang
ihrer Natur getrieben, nur in einem für sich bestehenden,systematischen Ganzen Ruhe
zu finden."^ DieserSatzKant's drängt sich mitseinerWahr-heit
Jedem
durch dieeigene innereErfahrung auf Herbart selbst giebt den Unterschied vonMensch und
Thier dahin an, dass das Thier keineGesammteindrücke
habe, derMensch
aber dergleichen besitze, womit deutlich genug auf die „Einheit der Apperception" hingedeutet ist, wenn gleich da,wo Kant
von einer reinen spontanen Synthesis redet, Herbart appercipirende Verstellungsmassen einführt.Daher kann
auch der Herbartianer sich hier mitKant
einverstanden erklären, obschon sein Begriffvon Vernunft wesentlich vondem
Kant's abweicht; denn es handelt sich hier nurum
die Einheit des geistigenWesens
fürdea
'Kant
III, 527. VII,452.90
Menschen, die
faktisch
da ist (da ohne sie ein Selbst-bewusstsein gar nicht möglich wäre), welchedem
„wirk-lichen Ich zu
Grunde
liegt"und
„die Durchdringung der Verstellungen unter einander bewirkt, vermöge deren sie verschmelzen oder einander verdunkeln, sich gegenseitig als grösserund
kleiner, alsähnUch und
unähnlichbe-st/imiiiöii«"^
Diese