• Keine Ergebnisse gefunden

D AS ERNESTINISCHE W ITTENBERG – U NIVERSITÄT UND S TADT 1486–1547

Handwerk in der Stadt – Ofenstrukturen und ihre Begleitfunde

Ralf Kluttig-Altmann FORSCHUNGSPROJEKT: DASERNESTINISCHE WITTENBERG

-UNIVERSITÄTUND STADT: 1486–1547 STIFTUNG LEUCOREA, COLLEGIENSTR. 62, 06886 LUTHERSTADT WITTENBERG

www.wittenberg-forschung.leucorea.de Martin-Luther-Universität

Halle-Wittenberg

Katasterplan Wittenbergs mit ausgewählten Ofenbefunden und typischen Begleitfunden. Plangrundlage: Liegenschaftskarte LVermGeo Sachsen-Anhalt, Bearbeitung: R. Kluttig-Altmann.

Dass feuergefährliches Handwerk generell aus der spätmittelalterlich/frühneuzeitlichen Stadt verbannt worden ist und sich in den Vorstädten außerhalb der Stadt mauern anzusiedeln hatte, ist eine oft kol-portierte Vorstellung historischer Stadt entwicklung.

Aber stimmt diese Verallgemeinerung? Ein diffe-renzierter Blick lohnt sich – gerade in Wittenberg stehen wir vor einer völlig anderen Situation.

Zunächst wurde aus den schriftlichen Quellen be-kannt, dass Handwerksmeister der uns hier interes-sierenden „heißen“ Gewerbe – Töpfer, Schmiede, Plattner etc. – Häuser in der Stadt besessen haben.

Ob sie dort auch direkt produzierten, oder ob es sich nur um Wohnhäuser bzw. Immobilienbesitz handelte, dieser Nachweis ist rein historisch oft schwierig.

Nachweise aus Grabungen

Durch die Ausgrabungen der letzten 20 Jahre in Wittenberg gelang überraschend häufig der direkte Nachweis feuergefährlicher Handwerke mitten in der Stadt. Technische Öfen und ver-gleichbare Strukturen sowie Produktionsüberreste, Halbfabrikate und Ausschuss, Werkzeuge und Geräte, traten ans Tageslicht. Diese Funde und Befunde streuen dabei über einen langen Zeit-raum und belegen, dass mindestens vom 13. bis ins 18. Jh. hinein feuergefährliches Handwerk in der Innenstadt Wittenbergs geduldet wurde. Da-bei sind diese Handwerke nicht auf Randbereiche der ummauerten Stadt beschränkt. Brennöfen zur Keramikherstellung oder Metallverarbeitung sowie Braupfannen finden wir über die gesamte Südsei-te der Collegienstraße verSüdsei-teilt sowie nördlich und nordwestlich des Marktes.

Die gewerbetypischen Funde kommen sowohl auf Parzellen mit Ofenbefunden als auch ohne diesen Zusammenhang vor. Hier spielen selbst-verständlich die Überlieferung im Boden sowie der Forschungsstand eine große Rolle – viele Spuren

Auch eine Berücksichtigung weiterer gewerblicher Siedlungsstrukturen wie Gerbergruben, in den Bo-den eingelassene Kalkfässer oder (ausgemauerte) Arbeitsgruben wird das Bild in Zukunft schärfen und komplettieren.

Geschirr- und Kachelproduktion

Einer der ältesten Töpferöfen Wittenbergs aus der 1. Hälfte des 13. Jh. wurde in geringen Resten im Hof der Leucorea, Collegienstr. 62 aufgedeckt.

Auch in der Juristenstr. 16 (dem sog. Zeughaus) wurden mehrere Öfen noch ungeklärter Funk-tion aus dem 13. und 14. Jh. archäologisch nachgewiesen. Eine weitaus jüngere keramische Produktion deutet sich jüngst nicht nur auf dem Arsenalplatz, sondern bereits früher im Bereich Collegienstr. 58/59 an, wo sich neben vielen Fragmenten von Brennhilfen auch neuzeitliche

Ausschusskeramik sowie Kachelmodel aus der Mitte bzw. 2. Hälfte des 17. Jh. fanden, eines mit der rückseitigen Inschrift „CK 1652“. Zusätzlich gab es hier wie auf den Nachbarparzellen 56/57 zahlreiche (Metall-)Schlackenfunde. Diesen Hin-weisen zufolge waren hier vom Spätmittelalter bis zur Neuzeit zeitweise sowohl metall verarbeitendes Gewerbe als auch Geschirr- und Kacheltöpferei ansässig.

Im Zeichen des Hexagramms

Historisch verbürgtes Braurecht besaßen einst viele Parzellen – der substanzielle Nachweis dafür ist schon schwieriger. Der Unterbau einer Brau-pfanne vom Ende des 15. Jh. konnte auf der Collegienstr. 90/91 nachgewiesen werden. Eine

Fragment eines Kachelmodels von der Collegienstr. 58/59, mit der

rückwärtigen Inschrift „CK 1652“. Foto: LDA Sachsen-Anhalt Fundament eines Braukesselofens von der Collegienstr. 90/91. Foto:

LDA Sachsen-Anhalt

bares gewesen sein. Bedauerlicher weise wurde die Zusage des Bauherrn, diesen ein maligen Befund zu erhalten, letztlich nicht einge halten. In diesem Zusammenhang zu erwähnen sind weiterhin ein neuzeitlicher T-förmiger „Schmiedeherd“ von der Collegienstr. 74/Am Stadtgraben sowie zwei Lehm-kuppel-Backöfen von der Marstallstr. 13a.

Die bisherigen archäologischen Nachweise ergeben, obwohl weit entfernt von jeder Voll-ständigkeit, ein lebendiges Bild des feuergefähr-lichen Handwerks in Wittenberg. Seine selbstver-ständliche Ausübung inmitten der (meist) dicht bebauten Stadt zeigt eine ganz andere Situation als z. B. in Leipzig, wo sich die Töpferei- und Schmiedezentren des hier untersuchten Zeitraums vor den Toren der Stadt befanden.

alten Gewerbetreibens auf den Hinterhöfen sind durch spätere Kellergründungen verschwunden oder konnten mangels aktuellem Grabungsanlass noch nicht gefunden werden.

Gusstiegel, wie sie z. B. aus dem Bugenhagenhaus Kirchplatz 9, aus Markt 4, dem Vorschloss und anderen Parzellen bekannt sind, können auch für neuzeitliche Heim-Alchemie stehen. Jedoch spre-chen Ausschuss und Halbfabrikate, Schlacken, Kachelmodel oder Brennhilfen eine deutlichere Sprache. Besonders reiche Fundpunkte sind die Parzellenkomplexe Collegienstr. 56-59 und 90/91. Bei aller Unvollständigkeit zeichnen sich durch die parallele Einbeziehung historischer und archäologischer Informationen bereits deutliche Tendenzen im Stadtbild ab.

1,5 x 2 m große Fläche aus trocken gesetzten Ziegeln war von starken Feuerspuren gezeich-net. Reste von Hopfenblättern legen hier einen Brauofen nahe. Zahlreiche, in Mauern der 1.

Hälfte des 15. Jh. verbaute Eisenschlacken las-sen auch auf dieser Parzelle eine Nähe zu metall-verarbeitendem Gewerbe erkennen.

Selten allerdings ist ein Ofen so gut erhalten, wie das 2009 auf der Fläche des ehemaligen östlichen Anbaus von Schloßstr. 10 gefundene Exemplar.

Der aus Ziegelsteinen gemauerte Kesselofen mit Heiz kanal, einer von vier auf dieser Fläche ausge-grabenen Ofenbefunden, bestand vermutlich vom 16. bis ins 18. Jh. Auf seinem runden Abschluss, der nach oben offen war, wurde ursprünglich ein großer Kessel erhitzt – dies kann ebenfalls eine Braupfanne, ein Färberkessel oder etwas

Vergleich-Außergewöhnlich gut erhaltener Kesselofen von der Schlossstr. 10.

Foto: LDA Sachsen-Anhalt

_MSD-2010-12-2_HBF-MA-PROJ_120201-cs5.indd 40

_MSD-2010-12-2_HBF-MA-PROJ_120201-cs5.indd 40 01.02.2012 16:11:5001.02.2012 16:11:50

Prozessfarbe Schwarz Prozessfarbe Schwarz

JAHRBUCH MSD 2010-12 41

D AS ERNESTINISCHE W ITTENBERG – U NIVERSITÄT UND S TADT 1486-1547

Das vorreformatorische Schulwesen in Wittenberg

Antje J. Gornig FORSCHUNGSPROJEKT: DASERNESTINISCHE WITTENBERG

-UNIVERSITÄTUND STADT: 1486-1547 STIFTUNG LEUCOREA, COLLEGIENSTR. 62, 06886 LUTHERSTADT WITTENBERG

www.wittenberg-forschung.leucorea.de Martin-Luther-Universität

Halle-Wittenberg

Kloster-, Dom- und Bürgerschule

Im Mittelalter wurden Kinder hauptsächlich zu Hause erzogen und unterrichtet. Schulen ent-standen zuerst an oder in Klöstern, Stiften oder an den Stadt- und Bischofskirchen. Dabei war die Ausbildung von geistlichem Nachwuchs keinesfalls immer deren Hauptzweck. Im Laufe des 13. Jahrhunderts kam vor allem in den städ-tischen Zentren vermehrt der Wunsch auf, dem bürgerlichen Nachwuchs für die spätere profane Berufslaufbahn entsprechend der sich nun stär-ker entwickelnden Schriftlichkeit in Handel und Verwaltung auch eine angemessene Bildung zu-kommen zu lassen.

mittelalterlichen Schulsystem jedoch, die dahin-ter standen und von denen die Reformen nicht losgelöst zu betrachten sind, gelten hingegen als noch weitestgehend unerforscht. Auch hier ist wiederum in der tendenziösen Reformations-forschung der Grund dafür zu finden, dass das Wittenberger Schulwesen vor der Reformation noch nicht Inhalt moderner wissenschaftlicher Untersuchungen war. Dabei ist die Quellenlage – wie auch für viele andere Bereiche der mittel-alterlichen Wittenberger Stadt- und Kirchenge-schichte – erstaunlich günstig.

Ein Wittenberger Schulmeister, der „rector scola-rium“, wird erstmals 1336 im ältesten Stadtbuch und fortlaufend dann in zahlreichen Stiftungen und unter den Lohnausgaben des Stadtrats schriftlich erwähnt. Dabei finden auch bis zu drei Hilfslehrer, sogenannte „locati“ und bis zu 18 Schüler gleichzeitig, u.a. als „communicanten“, zum Teil sogar namentlich Erwähnung. Aus den Namen lässt sich schließen, dass die Schüler der Wittenberger Schule wohl ebenso aus der Umgebung und nicht nur aus der Stadt selbst kamen.

Schulgebäude und Bibliothek

Für den Unterricht in der Schule wurde eine Bibliothek unterhalten, die sich ebenso wie die Kirchenbibliothek an oder in der Wittenberger Marien kirche befand, wie u. a. die Bezahlung eines Buchbinders für Schul- und Kirchenbü-cher in der Pfarrkirchenrechnung von 1428 belegt. Ein vorreformatorisches Schulgebäude muss entgegen bisheriger Forschungsmeinung schon vor 1506 auf oder am Kirchhof existiert haben, denn es finden sich explizit Vermerke über Bauausgaben für ein Schulgebäude in den Kämmerei rechnungen des 15. Jahrhunderts.

Die Ausstattung dieses Vorgängerbaus des La-teinschulgebäudes der 1560er Jahre, das noch heute auf der Nordwestecke des Kirchhofs steht, bedarf noch weiterer Nachforschungen.

Die Rolle der Schule in der Gemeinde Die Wittenberger Schule war organisatorisch an die Stadtpfarrkirche Unser Lieben Frauen angegliedert und wurde von deren Gottes-hausleuten finanziell ausgestattet und verwaltet.

Entsprechend dieser geistlichen Ausrichtung war es selbstverständlich, dass Schulmeister und Schüler bei Gottesdiensten,

Abendmahls-feiern, Festtags prozessionen und Totenmessen als Sänger und Messdiener teilnahmen. Lehrer und Schüler zählten mitunter zu den Mitgliedern der Wittenberger Marienbruderschaft, die als größte und finan ziell am besten ausgestattete Laienorganisation vor Ort das religiöse Leben an der Stadtpfarrkirche ausgestaltete. Diese geistlichen Aufgaben begründeten zudem die Haupteinnahme quellen der Schule und der dort tätigen Lehrerschaft aber auch die Funktion als Bindeglied zwischen kommunaler und religiöser Gemeinde. Mit der zunehmenden Verwaltung geistlicher Stiftungen durch den Stadtrat sicherte sich dieser nicht nur dauerhaft großen Einfluss auf die Stadtpfarr kirche, sondern auch auf die-jenige Einrichtung, welche der Grundausbil-dung des bürgerlichen Nachwuchses diente.

Die mittelalterliche Geschichte des Wittenber-ger Bildungswesens deutet somit schon eine Traditions linie an, auf welche die Universitäts-Gründung und die von hier ausgehenden evan-gelischen Schulreformen durchaus zurückführ-bar wären.

Stadtplan Wittenberg, 1623 (Ausschnitt Kirchhof mit Schulgebäude).

Ratsarchiv Wittenberg

Schulszene: Lateinschule um 1500, Shulamith Shahar: Kindheit im

Mittelalter, 2003 Ersterwähnung Schulmeister, SB I fol. 6v, 1336

Entlohnung Schulmeister, Schüler, Lokaten, KR 1496 fol. 435v.

Marien-Gebet, KR 1494 fol. 221r.

Anpreisung u. kopfstehende Schreibübung, KR 1496 fol. 337r.

Abb. 3-7 Ratsarchiv Wittenberg ABC, KR 1497 fol. 337v.

Üblicherweise wurden die Bürgersöhne ab dem 5. Lebensjahr in solchen Schulen in Lesen, Schreiben, der lateinischen Sprache aber auch in Singen und nach der Ausrichtung geistlicher Schulen auch in den sieben freien Künsten (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik) und in theolo-gischen Lehren ausgebildet. Da diese Inhalte nicht den gesteigerten Anforderungen an Kom-petenzen in Handel, Handwerk und städtischer Verwaltung entsprachen, entstanden zudem pri-vate Schulen in den Städten, die dann solche Fähigkeiten verstärkt ausbildeten. In der Regel war ein hohes Schulgeld zu bezahlen, welches nur wenige Stadtbewohner aufbringen konnten, dennoch wird aufgrund der günstigen Bildungs-situation in spätmittelalterlichen Städten davon ausgegangen, dass praktisch alle Kaufleute und der Großteil der Handwerker des Lesens, Schrei-bens und Rechnens kundig waren (R. Endres).

Die Wittenberger Schule

Die Gründung der Wittenberger Universität Leu-corea 1502 als wesentliche Grundlage für die Rolle der Stadt Wittenberg in der Geschichte der Reformation ist bekannt und unbestritten.

Ebenso unumstößlich gelten die Vorstellungen über die Bedeutung von Bildung für das prote-stantische Menschenbild der hier wirkenden Re-formatoren Martin Luther, Johannes Bugenha-gen und Philipp Melanchthon, des „praeceptor Germaniae“ (Lehrer der Deutschen), als ebenso wesentlich für die Ausrichtung des deutschen Schul- und Universitätswesens der Neuzeit. So sind denn auch die Schriften dieser Männer der frühneuzeitlichen Kirchen- und Schulgeschichte ausführlich erforscht, die kulturellen Einflüsse und persönlichen Erfahrungen mit dem

spät-_MSD-2010-12-2_HBF-MA-PROJ_120201-cs5.indd 41

_MSD-2010-12-2_HBF-MA-PROJ_120201-cs5.indd 41 01.02.2012 16:11:5201.02.2012 16:11:52

Prozessfarbe Schwarz Prozessfarbe Schwarz

JAHRBUCH MSD 2010-12 42

D AS ERNESTINISCHE W ITTENBERG – U NIVERSITÄT UND S TADT 1486-1547

Der Wittenberger Schulbau von 1564 bis 1567 – Ein Prototyp?

Insa Christiane Hennen FORSCHUNGSPROJEKT: DASERNESTINISCHE WITTENBERG

-UNIVERSITÄTUND STADT: 1486-1547 STIFTUNG LEUCOREA, COLLEGIENSTR. 62, 06886 LUTHERSTADT WITTENBERG

www.wittenberg-forschung.leucorea.de Martin-Luther-Universität

Halle-Wittenberg Innenwände 1564, vorhanden

Innenwände 1564, entfernt Innenwände 1564, vermutlich Deckenunterzüge1564, vorhanden

Außenwände 1564

Wunsch nach öffent lichem Ansehen, aber auch auf eine große Identifikation der Einwohner mit dem Schulbauprojekt.

Schulbau der Reformationszeit

Die in Stein gemeißelten Leitsprüche in der Bauinschrift über dem Hauptportal – u. a. In Gott verborgen liegen alle Schätze der Weis-heit und Erkenntnis (Kol 2,3) – fügten sich in das Spruchprogramm auf den Fassaden ein.

Diese Be schriftung hatte der „deutsche Schrei-ber“ Anthonius Lange in schwarzen Buchstaben auf den Putz "gepinselt"; entsprechend führt die Baurechnung Pinsel, Töpfe und Schwärze auf.

Die Inschriften ver schwanden 1702 im Zuge ei-ner Renovierung. Wer die Texte ausgewählt hat, konnte bisher nicht geklärt werden: der Kurfürst, Heilinger, Cranach, Paulus Eber oder dessen Kol-legen an der Leucorea oder andere intellektuelle Köpfe, eventuell aus dem Wittenberger Buchge-werbe?

Jesus Christus als Sitz der Weisheit und die aus der Heiligen Schrift abgeleitete Bildungs-verantwortung machen die Kernaussagen dieser Inschriftenfolge aus. Sie in lateinischer Fassung auf den Außenwänden anzubringen, entsprach dem Zweck des Gebäudes als Lateinschule. Die Notwendigkeit der Kenntnis der alten Sprachen hatte Melanchthon bereits 1518 in seiner Antritts-vorlesung betont. Sein Wappen, die erhöhte Schlange, soll sich zusammen mit der Luther-rose im rechten Baldachin des Sitznischenportals befunden haben, im linken die Wappen Bugen-hagens und Ebers. Zu denen des Kurfürsten und der Stadt traten die Zeichen der geistigen Elite, als die sich die Reformatoren verstanden. Das von Melanchthon, Luther und Bugenhagen ge-prägte protestantische Bildungsideal, das die enge Verbindung von Glauben und Bildung postuliert, wurde mit der Beschriftung des Schul-hauses plakativ nach außen getragen.

Dem Baubeginn im Juli 1564 ging u. a. die Visitation von 1555 voran. Der Bericht be-mängelt die Zustände in der Knabenschule, wo der Unterricht noch in einem einzigen Raum abgehalten wurde. Aus dem Visitationsbericht

ist auch abzuleiten, dass schon zu Lebzeiten Me-lanchthons und Bugenhagens der Neubau eines Schulhauses erwogen wurde.

Das Schulprojekt ordnet sich ein in die vielen Anstrengungen zum Ausbau der Stadt nach dem Schmalkaldischen Krieg. Mehr Studenten denn je strömten an die wiedereröffnete Leucorea. Wit-tenberg erlebte einen grandiosen Aufschwung.

Hintergrund des Baugeschehens der 1560er Jahre sind aber die Bemühungen von Kurfürst August I. um die Festigung des Luthertums. Der Wittenberger Schulneubau steht nicht nur zeitlich im Zusammenhang zum wenig später vollzo-genen Erwerb und anschließenden Umbau des Lutherhauses zum kurfürstlichen Stipendiaten-haus. August könnte seine „Bildungsoffensive“

von Anfang an direkt mit dem Luther- und Melanchthon-Andenken verbunden haben. Die Maurerarbeiten an der Schule wurden von Franz Freywalt geleistet, der 1565 bis 1567 auch den Umbau des Lutherhauses verantwortete.

Ansicht des Schulhauses vom Kirchhof aus mit dem Hauptportal. Foto: E. v. Gaisberg

Grundriss des Erdgeschosses der Schule mit dem rekonstruierten Bestand von 1564-67, Stand 2009. Anwand/Körber

Grundrisse des Melanchthonhauses, nach: F. Bellmann, M. L. Harksen, R.

Werner (Hrsg.): Die Denkmale der Lutherstadt Wittenberg (Weimar 1979)

Bauforschung 2007/09

Zwischen 2007 und 2009 konnten Archivfor-schungen, restauratorische und archäologische Untersuchungen vorgenommen werden, die nun zu einer Betrachtung der Wittenberger Stadt-schule im Kontext der Reformation führen.1 Für das am Kirchplatz situierte Gebäude sind im Wesentlichen drei Bauphasen zu konstatieren.

Anhand der Inschrift über dem Eingangsportal und der erhaltenen Baurechnung ist die exakte Datierung des Ursprungsbaus in die Jahre 1564 bis 1567 möglich. Ein erster größerer Umbau fand 1733/34 statt, bevor 1827/28 tief greifende Bau- und Renovierungsarbeiten auch die Aufsto-ckung des Gebäudes um das 2. Ober geschoss mit sich brachten. Bis dahin verfügte das Schul-haus über zwei Vollgeschosse und ein ausge-bautes Dach mit Zwerchhäusern.

Der Grundriss der beiden Hauptgeschosse glie-derte sich in drei Drittel; im westlichen ist die Raumaufteilung kleinteiliger, hier befanden sich Wohnräume. In der Gebäudemitte und östlich davon lagen im Erdgeschoss zwei Lektorien. Im Obergeschoss befand sich im östlichen Drittel ein haustiefer Saal. Ein vierter Schulraum war im Dachgeschoss eingerichtet. Der Grundriss zeigt eine rasterartige Konstruktionsweise, die auf den Maurer Franz Freywalt zurückgehen dürfte, der eng mit dem Zimmermann Hans Voigtlender zusammenarbeitete. Als Vorbild könnte das zwi-schen 1536 und 1538 errichtete Wohnhaus Phi-lipp Melanchthons in der Collegienstraße gedient haben, das nach ähnlichen mathematischen Prinzipien konstruiert und durch einen gedrittelten Grund- und Aufriss charakterisiert ist. Es markiert in Wittenberg den Übergang von der Spätgotik zur Renaissance.

Bauherren und Finanzierung

Die Baurechnung enthält auch Angaben zur Finan zierung des Vorhabens. Beteiligt waren der Kurfürst, die Universität, der Rat, der Gemeine Kasten und die Bürgerschaft, die ein gutes Viertel der Gesamtkosten aufbrachte. Insgesamt ent-hält die Liste 404 Namen von Spendern. Den höchsten Einzelbetrag steuerte Merten Kellner bei, der ein Jahr später Ratsherr wird. Der Bür-germeister Thomas Heilinger zahlte 7 ß 12 gr, der Drucker Hans Lufft 7 ß, der Verleger Samuel Seelfisch 6 ß 12 gr. Hohe Beträge steuerten auch Conrad Rühel, Gabriel Schnellbolz, Bar-thel Vogel, Hans Crafft und Georg Rhau bei, alle Drucker, Verleger und Buchhändler. Der von den Bürgern aufgebrachte Anteil deutet auf wirtschaftliche Interessen der Spender und den

1 Beteiligt waren Dipl. Rest. Joachim und Albrecht Körber, Wittenberg, und der Archäologe Matthias Zirm, Halle. Die Verfasserin war mit der Archiv recherche beauftragt. Das Aufmaß stammt von Dipl.-Ing. Jens Anwand, Dresden. Den Kollegen sei an dieser Stelle noch einmal für die gute Zusammenarbeit gedankt wie auch für die Zustimmung zur Ver öffentlichung von Teilen Ihrer Dokumentationen, der SELK für den Forschungsauftrag.

N

_MSD-2010-12-2_HBF-MA-PROJ_120201-cs5.indd 42

_MSD-2010-12-2_HBF-MA-PROJ_120201-cs5.indd 42 01.02.2012 16:11:5401.02.2012 16:11:54

Prozessfarbe Schwarz Prozessfarbe Schwarz

JAHRBUCH MSD 2010-12 43

D AS ERNESTINISCHE W ITTENBERG – U NIVERSITÄT UND S TADT 1486-1547

Die Bewohner der Wittenberger Kollegien in der Frühen Neuzeit

Ulrike Ludwig FORSCHUNGSPROJEKT: DASERNESTINISCHE WITTENBERG

-UNIVERSITÄTUND STADT: 1486-1547 STIFTUNG LEUCOREA, COLLEGIENSTR. 62, 06886 LUTHERSTADT WITTENBERG

www.wittenberg-forschung.leucorea.de Martin-Luther-Universität

Halle-Wittenberg

Die Kollegien in Wittenberg

Nach der Universitätsgründung in Wittenberg im Jahr 1502 wurden im Laufe des 16. Jahr-hunderts in der Stadt einige stattliche Gebäu-de – die Kollegien – neu erbaut. Sie dienten verschiedenen universitären Zwecken. Ab dem Jahr 1503 entstand zuerst das alte Kolleg, kurz darauf folgte in den Jahren 1509 bis 1511 das neue Kolleg. Beide Häuser befanden sich auf einem gemeinsamen Grundstück im Südosten der Stadt im Elsterviertel. Der Gebäudekomplex wurde nach Kurfürst Friedrich dem Weisen, der die Errichtung angeordnet und finanziert hatte, auch Fridericianum genannt. Als nächstes ent-stand ab dem Jahr 1519 das Juristenkolleg.

Es war für damalige Verhältnisse weit entfernt von den übrigen universitären Einrichtungen im Nordwesten Wittenbergs gegenüber dem ehemaligen Franziskanerkloster gelegen. Seine Errichtung wurde ausschließlich aus universi-tären Geldern bestritten und zog sich bis zum Ende der 1530er Jahre hin. Es diente nach seiner Fertigstellung als Fakultätshaus für die Juristen, außerdem befand sich hier das Kon-sistorium. Das vierte Kolleg war das Collegium Augusteum, das der Unterkunft landesherrlicher Stipendiaten dienen sollte. Im Jahr 1564 hatte der sächsische Kurfürst August 27 Stipendien-plätze in Wittenberg eingerichtet und in einer Verordnung festgelegt, dass die Begünstigten gemeinschaftlich wohnen und lernen sollen.

Daher wurde den Erben Martin Luthers dessen Wohnhaus im Osten der Stadt abgekauft und zu einem Stipendiatenkolleg umgebaut. 1580 er-höhte der Landesherr die Anzahl der Stipendien noch einmal drastisch. Für deren Unterbringung ließ er in der Folge das Kolleg erweitern und ei-nen Vorder- sowie eiei-nen Seitenflügel errichten.

Der gesamte Gebäudekomplex erhielt nach dem Kurfürsten die Bezeichnung „Augusteum“.

Fragestellungen und Quellenlage

Anhand der in großem Umfang überlieferten schriftlichen Quellen wird im Beitrag der Frage nachgegangen, welcher Personenkreis die Wit-tenberger Kollegien bewohnte. Woher kamen die studentischen Bewohner? Welche Universi-tätslehrer und universitären Bediensteten hatten Wohnungen in den Kollegienbauten inne? Wel-che Aufgaben und Funktionen hatten die Be-diensteten für den Kollegienbetrieb? Gab es im Laufe der Jahrhunderte Veränderungen inner-halb der Bewohnerschaft? Aus der Beantwor-tung dieser Fragen lassen sich wertvolle Rück-schlüsse auf den akademischen Alltag in den

Kollegien ziehen. Zugrunde gelegt werden unter anderem Rechnungsbücher mit Namenslisten der Mieter, Stipendiatenlisten, Korrespondenzen, im Rahmen von Visitationen entstandene Schrei-ben, Bestallungsurkunden, Instruktionen und Verordnungen, wie die Stipendiatenordnungen der Jahre 1564 und 1580. Oft zeigt sich die Differenz zwischen den Vorschriften und dem tatsächlichen universitären Alltag.

Die Bewohner der Kollegien

In allen Kollegienbauten befanden sich neben den Räumlichkeiten für die Lehrveranstaltungen, Prüfungen und universitären Festakte auch unterschiedlich große Wohnräume. In diesen waren nicht nur Studenten und Lehrer der Uni-versität untergebracht, sondern auch weitere Universitätsangehörige, vor allem die Bedien-steten der Kollegien. Darüber hinaus wohnten dort auch Bedienstete verschiedener Einrich-tungen, die in den Kollegien angesiedelt waren, wie Biblio theken, Institutionen der Gerichtsbar-keit oder der botanische Garten.

Für das Hintergebäude des Augusteums lie-ßen sich im Rahmen der Quellenrecherchen im Zeitraum zwischen 1566 und 1578 die Namen der Miete zahlenden Studenten nach-weisen. Im Abgleich mit der Matrikel konnten für die meisten von ihnen die Herkunft und das Jahr der Immatrikulation ermittelt werden, in einigen Fällen wurden weitere biografische Angaben ge wonnen. Es zeigte sich unter ande-rem, dass nicht alle Bewohner des ab der Mitte der 1560er Jahre eigens für die Stipendiaten eingerichteten Kollegs tatsächlich landesherr-liche Stipendien empfänger waren. Es war also durchaus berechtigt, dass 1578 Kurfürst August energisch forderte, dass die Fremden das Augu-steum zu räumen hätten. Allerdings hatte diese Anweisung wohl keinen längerfristigen Erfolg.

1589 wurde die Vorschrift des gemeinschaft-lichen Wohnens durch den Nachfolger Augusts, Christian I., gelockert. Die Universität durfte die Stuben im Augusteum nach Gefallen vermieten, um durch die Mieteinnahmen die Gebäude in einem besseren baulichen Zustand zu erhalten.

Während die Unterkünfte für die Studenten, die sich oftmals mehrere Personen teilten, eher beengt waren, stand den Universitätslehrern und Bediensteten samt ihren Familien mehr Wohnraum zur Verfügung. So bewohnte der Magister Albertus Lemeier im Hintergebäude des Augusteums mehrere Räume. Gleichzeitig nahm er Aufsichts funktionen über die landes-herrlichen Stipendiaten wahr. Aufgrund seiner

Funktion hatte er freies Logis im Kolleg. Ebenfalls im Augusteum wurde ein auf dem Grundstück gelegenes Haus mit Garten an Professoren der Universität vermietet. Weiterhin wohnten im Kol-leg unter anderem der Gärtner des botanischen Gartens, der Speiser als Verantwortlicher für die gemeinsamen Mahlzeiten der Studenten in der Kommunität, der sogenannte Aufwärter, der für Ordnung und Sauberkeit auf dem Kollegienge-lände zu sorgen hatte sowie der Pedell und die Biblio thekare. Diese Dienstwohnungen waren in der Regel mietfrei. Die Einrichtung von Woh-nungen für Universitätsbedienstete nahm im Laufe der Zeit zu. Vor allem im 18. Jahrhundert lassen sich beispielsweise für das Vordergebäu-de Vordergebäu-des Augusteums eine Reihe größerer Woh-nungen mit mehreren Stuben und Kammern nachweisen. Dies ging zu Lasten der Stuben für die Studenten, deren Anteil an den Kollegien-bewohnern immer geringer wurde. Eine stetige Forderung war, dass die Kollegienbewohner „…

beisammen fridtlich, zuchtick und stille leben", trotzdem blieben Konflikte im Zusammenleben nicht aus, die sich vielfach in den Quellen wi-derspiegeln.

Festzug der Universität im Jahr 1755 vom Augusteum zur Schlosskirche, an Gebäuden sind u. a. zu sehen das Augusteum (a) und das Fridericianum (b). Kupferstich von D. Schleuen, in: C. S. Georgi, Wittenbergische Jubel-Geschichte, 1756. Vorlage: SLUB Dresden

Auszug aus einem Rechnungsbuch der Wittenberger Universität mit Namen der Miete zahlenden Studenten im Hintergebäude des Augu-steums, WS 1566/67. Universitätsarchiv Halle

_MSD-2010-12-2_HBF-MA-PROJ_120201-cs5.indd 43

_MSD-2010-12-2_HBF-MA-PROJ_120201-cs5.indd 43 01.02.2012 16:11:5701.02.2012 16:11:57

Prozessfarbe Schwarz Prozessfarbe Schwarz