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KAPITEL 4 : GRÜNE GRÜNDERINNEN

4.4 D ER ÖKOLOGISCHE L EBENSMITTELSEKTOR ALS B EISPIEL FÜR G RÜNE

Kapitalismusfeindlichkeit liegen, die die Weltsicht der Alternativ- und Umweltbewegung in den 70er-Jahren prägte. Es mag von daher hilfreich sein, einen – im Rahmen dieser Arbeit notwendigerweise stark begrenzten – Blick in die Geschichte der Umweltbewegung zu werfen. Mit Blick auf den empirischen Schwerpunkt wird dieser auf das Themenfeld Landwirtschaft und Ernährung fokussiert. Hierbei wird auch klar werden, warum die zunächst gestellte Frage nach umweltbewegten Gründerinnen und Gründern ins Leere stieß: Die Schlagworte heißen stattdessen, wie schon in Abschnitt 4.2 deutlich wurde, Alternativprojekt, Kollektiv und alternative Ökonomie. Erst mit der Professionalisierung und dem Beginn des Ausbruchs aus der Nische seit etwa Mitte der 80er-Jahre (je nach Sektor früher oder später) näherten sich die Formen der ökologischen Unternehmen denjenigen konventioneller Unternehmen an.

4.4 Der ökologische Lebensmittelsektor als Beispiel für Grüne

Agenda gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Bereits 1924 konstatiert Rudolf Steiner „Dasjenige, was für eine Weiterpflege der Natur notwendig ist, das ist ja vollständig in das Nichtwissen hineingekommen im Laufe des materialistischen Zeitalters. ... Die Traditionen verschwinden. Die Leute werden mit Wissenschaft die Äcker düngen. Die Kartoffeln, das Getreide, alles wird immer schlechter“

(Steiner 1989/1924: 21). In seinem landwirtschaftlichen Kurs gab Rudolf Steiner umfangreiche Anleitungen zur biologisch-dynamischen Landwirtschaft, die in der Folge durch anthroposophische Landwirte praktisch umgesetzt und praktiziert wurden. 1939 schrieb dann Sir Albert Howard (1976/1939) „Mein landwirtschaftliches Testament“, das als einer der Ursprünge für „organic farming“

gesehen wird. In den 50er-Jahren erforschten die Schweizerin Dr. Marie Müller und ihr Mann Hans Müller Möglichkeiten zur Bodenverbesserung durch organische Düngung. Diese "organisch-biologische" Richtung wurde durch Hans-Peter Rusch wissenschaftlich vertieft und findet seither, u. a. unter dem Markenzeichen Bioland, zunehmend Anhänger (Kurtz 2001). In den 20er- bis 70er-Jahren entstanden so die Ursprünge der ökologischen Landwirtschaft. Die Verarbeitung von ökologischen Produkten dürfte bis in die 70er-Jahre hauptsächlich in der Hand der Reformkostunternehmen gelegen haben.

Noch in den 70er-Jahren spielte nämlich in der Alternativbewegung vor dem Aufbau einer ökologischen Ernährungsalternative die Kritik am herrschenden System die dominante Rolle. Das folgende Zitat aus dem Protokoll der Ernährungsgruppe vom Alternativen Umweltfestival in Berlin im Juni 1978 zur Bewertung des üblichen Nahrungsmittelangebots gibt ein wenig den Zeitgeist wieder: „Wir bezahlen den ganzen Mist auch noch! Und oben drein bezahlen wir noch, daß uns die Industrieherren mit raffinierter Werbung zu mehr Konsum verleiten, daß sie uns mit Fernsehaugen und Kaufhausbullen170 beobachten lassen“

(Dokumentationsgruppe 1979: 101). Als Alternative in der Nahrungsmittelversorgung wurden Food-Coops gegründet, die größtenteils ökologische Lebensmittel von Landkommunen und Großhändlern besorgten und die auf eine Höchstzahl von 20 bis 100 Mitgliedern ausgelegt waren. Nur wenige GründerInnen arbeiten zu dieser Zeit am Aufbau ökologischer Unternehmen171. Meist war die alternative Produktion von Gütern oder Dienstleistungen zu dieser

170 Gemeint sind Überwachungskameras und Ladendetektive.

171 Einer von ihnen war der Chef der heutigen Rapunzel Naturkost AG, Josef Wilhelm, der als

„langhaariger Bio-Apostel“ 1976 erstmals in die Türkei fuhr, um unbehandelte Trockenfrüchte für das

„Original Rapunzel Müsli“ aufzutreiben (EVE 2002: 17). Ein zweiter, Heinz-Dieter Gasper als Gründer des Naturkostunternehmens Heuschrecke, wird in Abschnitt 5.4.2 vorgestellt.

Zeit in Kollektiven bzw. selbst verwalteten Betrieben organisiert, die dem sozialen, politischen und basisdemokratischen Anspruch der Bewegung am besten entsprachen. Aber die Phase der Kollektive war kurz. Schon 1981 konstatiert Josef Huber „ ...stehen die Betroffenen über kurz oder lang vor neuen Weichenstellungen.

Zu den wichtigsten gehört zweifelsohne die Professionalisierung (oder ihr Ausbleiben). So oder so gehen sie dabei in einer sehr viel umfassenderen gesellschaftlichen Entwicklung auf, und was die Alternativbewegung hervorgebracht, lebt in einer Reihe von anderen Zusammenhängen weiter. Ich möchte sechs unterscheiden:

die Entwicklung der ´neuen Selbständigen´,

die Entstehung einer sozial- und kulturberuflichen Dienstwirtschaft,

usw.“ (Huber 1983: 56 f.)

Die neuen Selbständigen scheint Huber deshalb mitzudenken, weil sie und die von ihnen gegründeten kleinen und mittleren Unternehmen ihm als eine Gegenkraft zu Großunternehmen erscheinen, die nur Arbeitplätze wegrationalisieren. Die Alternativprojekte können als neue Selbständige mitmischen, müssen eine gewisse Professionalisierung schaffen und sich im Markt bewähren. Ziel ist also, im Strom der neuen Selbständigen aufzugehen172. Wie aber kann diese Professionalisierung aussehen? Für das Umweltschutzpapier-Kollektiv173 „Blätterwald“ (1983) war dabei die steigende Nachfrage der wichtigste externe Faktor, und mit professionellerem Vertrieb, der Schaffung von Vollzeitarbeitsplätzen sowie der Übernahme von Verarbeitungsprozessschritten durch das Kollektiv wurde reagiert.

Auch die Betonung der wirklichen ökologischen Qualität „Original Umweltschutzpapier“, z. B. aus Post-Consumer-Waste, in Abgrenzung zu Recycling Papier, z. B. aus Prozessabfällen, war schon Thema. Bereits 1983 wird über den Markteinstieg der Marktführer Brunnen, Leitz, Herlitz und Zweckform berichtet. Mit dem Ziel „nur noch abzusahnen“ wurde durch diese das graue Papier

„auch im hintersten Zipfel des Landes angeboten und von den Leuten offensichtlich auch gekauft“ (Blätterwald 1983: 48). Blätterwald nahm nun den Kampf um Marktanteile auf, begann mit gezielter Werbung, mit Sonderangeboten und

172 In Klammern fügt Huber hinzu: „ideologische Reinlichkeitsapostel würden wohl sagen:

unterzugehen.“

173 Ein Beispiel aus dem Lebensmittelsektor habe ich leider nicht gefunden. Ich vermute, dass dort die hier beschriebenen Effekte langsamer und später abgelaufen sind, was sie aber nicht weniger typisch macht.

Vertreterbesuchen. Die Kollektivansprüche (z. B. jeder kann alles) wurden relativiert, die Individualqualifikation erfuhr mehr Wertschätzung. Höhere Preise aufgrund des „alternativen Projektcharakters“ erschienen Blätterwald jetzt unrealistisch. In diesem Prozess wurde der ideelle Anspruch fokussiert, aber nicht, wie von Schaltegger und Petersen (2001: 20) vermutet, komplett aufgegeben.

Blätterwald setzte bis zum Konkurs 1994 weiterhin auf „original Umweltschutzpapier“ und schloss auch Spitzenverdiener mit Dienst-Mercedes aus.

Aufbauend auf seit 1983 bestehenden Vorläuferorganisationen (Gasper 2003) gründeten 1988 engagierte Naturköstler ihren ersten Unternehmensverband, den

„Bundesverband Naturkost“. Hintergrund war der Wunsch, die Zusammenarbeit besser zu strukturieren und die mittlerweile entstandenen regionalen Treffen der Bio-Firmen zu einer bundesweiten Kraft zu entwickeln. Ein wichtiges Instrument für eine aussagekräftige Antwort auf Bio-Skandale waren die Qualitätskontrollen des Bundesverbandes. Durch intensive Arbeit in der Richtlinienkommision wurde ein Anforderungskatalog an kontrolliert-biologische Erzeugnisse erstellt und bundesweit jeder Mitglieds-Hersteller und -Bioladen auf die Einhaltung der Richtlinien kontrolliert (Kurtz 2001) - ein groß angelegtes und kostspieliges Unterfangen, welches eine Reaktion auf beginnende Glaubwürdigkeitsprobleme zur damaligen Zeit war174. Die 90er-Jahre standen dann im Zeichen der Professionalisierung. Ein kontinuierliches Marktwachstum ließ auch im Lebensmittelsektor die ersten konventionellen Unternehmen einsteigen und parallel dazu wuchs die Zahl der Grünen Gründungen beständig. Diese wurden aber mittlerweile nicht mehr als Kollektive, sondern als Privatunternehmen im Eigentum von Einzelpersonen gegründet.

Das seit Ende der 80er-Jahre dann zu beobachtende, kontinuierliche Wachstum der Produktion und Vermarktung ökologischer Lebensmittel wurde dadurch begünstigt bzw. ermöglicht, dass der Gesamtmarkt ausgesprochen groß ist: Die Ernährung175 macht heute immerhin noch 11,7 % der Ausgaben der privaten Haushalte aus (Statistisches Bundesamt 2001: 665). Weiter besteht der Vorteil, dass sich Umweltentlastungen in der Produktion nicht nur in einem Sozialnutzen für die

174 Schon 1982 fragte der Spiegel in einem Titelbeitrag: „…aber ist die Ware aus den grünen Läden gesünder und ist sie auch wirklich frei von Gift?“ (Spiegel 1982: 66). Der Artikel dokumentiert umfangreiche Rückstandsuntersuchungen und fokussiert stark auf die Belastungsproblematik.

Hinsichtlich der Art des Anbaus werden eine Reihe von Selbstdeklarationen wie „ungespritzt“ und

„gesunder Geschmack reiner Natur“ zitiert und resümiert: „Von Zweifeln am Wahrheitsgehalt solcher Reklamepredigten hat sich die Bioten-Bewegung bislang nicht aufhalten lassen“ (Spiegel 1982: 67 f.).

175 Angabe für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke.

Gesellschaft, sondern auch in einem Individualnutzen für die KonsumentInnen niederschlagen, denn Produkte aus der ökologischen Landwirtschaft sind in der Regel gesünder und schmecken häufig besser als konventionelle Lebensmittel (Hansen und Schrader 2001: 31). Große Unterstützung erfährt das Marktsegment auch aus vielfältigen Projekten im Rahmen der lokalen Agenden 21 sowie aus Projekten zum ökologischen Konsum176. Das Marktwachstum ist seit Jahren hoch, allerdings bei immer noch niedrigem Marktvolumen. Neben den Kollektiven und Nischenanbietern, die das Segment bis in die 90er-Jahre hinein geprägt haben, sind erste Großunternehmen (z. B. Frosta, Nestlé, Edeka, REWE und Tegut) bereits eingestiegen und vermarkten ökologische Lebensmittel außerhalb der Öko-Nische.

Damit werden neue Zielgruppen relevant, die eine höhere Preissensibilität haben, den Individualnutzen stärker gewichten, denen andere Qualitätseigenschaften wichtig sind und die daher weniger empfänglich für stark ökologisch positionierte Produkte sind, die Convenience wünschen und die Zugangsbarrieren zu klassischen Vertriebskanälen (Ökoladen) empfinden (Wüstenhagen et al. 2001: 181 f.). Der Ausbruch aus der Nische lässt aber den klassischen Bio-Vertriebskanälen (Ökoladen und Reformhaus) und ihren Lieferanten immer noch Raum. Ihr Umsatz bleibt „bislang stabil, was darauf hindeutet, dass einigen Pionieren eine erfolgreiche Re-Positionierung mit noch höherer ökologischer Qualität oder professionelleren Angeboten gelingt“ (Wüstenhagen et al. 2001: 185).

Zurzeit scheint also ein doppelter Diffusionsprozess stattzufinden: Neben den Nischenanbietern treten angebotsseitig die ersten Großunternehmen sowohl im Handel wie in der Herstellung auf den Plan; nachfrageseitig bedienen diese allerdings zu einem erheblichen Teil eine neue, zusätzliche Kundschaft, was im Effekt zu einem erheblichen Marktwachstumspotenzial führt177. Dass dies nicht noch schneller erschlossen wurde, führten Gerhard Bodenstein und Achim Spiller (2001: 203) noch im Jahr 2000 auf eine dauerhaft verfolgte Abschöpfungsstrategie in der Preisfindung zurück. Zwar findet Spiller (2002: 296) im Lebensmitteleinzelhandel mit über 800 m2 Verkaufsfläche deutlich niedrigere

176 So bearbeitet z. B. das Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt im Rahmen des Bundesprogramms ökologischer Landbau z. Zt. das Projekt „Neue Zielgruppen für Bio-Produkte – Die Marktchancen von Bio-Produkten verbessern“, ein Projektverbund unter Leitung des Öko-Instituts das Projekt „Ernährungswende - Strategien für sozial-ökologische Transformationen im gesellschaftlichen Handlungsfeld Umwelt-Ernährung-Gesundheit“.

177 Der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel vermarktete 2002 etwa 35 % der ökologischen Lebensmittel (CMA 2003). Einen vergleichbaren Wert von 30 % berichtet Christy Porter Humpert (2000) auch aus den USA.

Preise für ökologische Produkte als im Öko-Fachgeschäft, diese liegen aber für fast alle untersuchten Produkte immer noch weit oberhalb der von den KonsumentInnen voraussichtlich tolerierten Höchstpreise178. Der ausbleibende Preiswettbewerb in Verbindung mit begrenzter Preisbereitschaft der KonsumentInnen179 hat nach Meinung von Bodenstein und Spiller (2001: 204) negative Folgen für Gesellschaft, Landwirtschaft und KonsumentInnen. Nach Meinung anderer Autoren hat der Preiswettbewerb spätestens 2002 eingesetzt. Wolfram Dienel (2003: 30 f.) berichtet, dass der Lebensmitteleinzelhandel fast nur an der Größe „Preis“ arbeitet, um die Mehrpreisbarriere zu überwinden, und dabei die Qualität vernachlässigt. Ein Zeichen für den einsetzenden Preiswettbewerb sei auch der Markteinstieg erster Discounter wie ALDI oder PLUS. Dienel vertritt die Ansicht, die Mehrpreisbarriere könnte auch auf der Qualitätsseite überwunden werden, z. B. durch den Einstieg von Marken-Herstellern180.

Zwischen den späten 70er-Jahren und der Gegenwart durchlief der ökologische Lebensmittelsektor also eine zunächst durch alternative Kollektive und danach durch IndividualgründerInnen geprägte Aufbruchsphase (bis ca. 1988), an die sich eine Phase des Aufschwungs in der Nische anschloss (bis ca. 1995). Die jüngste Vergangenheit wird stark bestimmt durch den Einstieg konventioneller Unternehmen in die Öko-Produktion, was zu starken Veränderungen von Markt-, Preis- und Kooperationsstrukturen führt.

Bis hierher standen die Grünen GründerInnen als Teil einer Bewegung und in ihrer Funktion als UnternehmerInnen im Mittelpunkt. Darüber hinaus existiert aber eine Reihe von Arbeiten, die ihre Bedeutung in Bezug auf die Menschenbilder und Persönlichkeitseigenschaften Grüner GründerInnen entwickeln. Ein kleiner Einblick in solche Arbeiten soll im folgenden Abschnitt erfolgen.

178 Spiller (2002: 297) geht von einer Mehrpreisbereitschaft um die 10 % aus und berichtet von anderen Studien, die diese optimistischer auf zwischen 20 % und 30 % schätzen.

179 Der Grund „zu teuer“ für den Nichtkauf ökologischer Lebensmittel wurde nach Spiller (2002:

295) 1996 von 31 % der Nichtkäufer genannt, in 2000 sogar von 57 %.

180 Auch hiervon ist im Jahre 2003 schon zu berichten, z. B. durch Bonduelle, der als Qualitäts-Gemüsehersteller jetzt die ersten Biogemüse in Dosen anbietet.

4.5 Menschenbilder und Persönlichkeitseigenschaften der Grünen