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4. Diskussion

4.3 Copeptin als Risikomarker

Dass mit Hilfe einer Copeptin-Bestimmung bei unterschiedlichsten Krankheitsbildern ein Beitrag zur Risikostratifizierung geleistet werden kann, wurde bereits in zahlreichen Studien dargelegt.

Neuhold et al. [33] zeigten 2008 in einer Studie unter Patienten mit Herzinsuffizienz der unterschiedlichen NYHA-Klassen eine signifikante Korrelation zwischen Copeptin-Konzentration und Mortalität. Es wurde sogar eine Überlegenheit des Copeptins als prognostischer Marker gegenüber dem bisher als Richtwert geltenden NT-proBNP herausgestellt. Dies stellt in diesem Kontext nicht nur den Wert des Copeptins als diagnostischer Biomarker heraus, sondern auch als therapeutischer Index zur möglichen Therapie mit einem AVP-Rezeptor-Antagonist.

Weiterhin stellten Ponte et al. [38] dar, dass ein Zusammenhang zwischen Copeptin-Konzentration und renaler Morphologie bzw. Funktion besteht. In einer multizentrischen Studie mit 1000 Probanden der Allgemeinbevölkerung konnte gezeigt werden, dass bei höheren Copeptin-Konzentrationen eine erniedrigte glomeruläre Filtrationsrate und kleinere Nierenlänge vorliegen, während Osmolarität und Albuminurie mit steigender Copeptin-Konzentration ebenfalls erhöht messbar waren. Auch die Bildung renaler Zysten scheint demnach bei höheren Copeptin-Werten häufiger aufzutreten. Offenbar hat Copeptin auf verschiedene Zielstrukturen eine ganz unterschiedliche Wirkung.

Ferner zeigte sich Copeptin in vergangenen Studien als wertvoller Biomarker in der Risikostratifizierung von cerebrovaskulären Ereignissen [20]. Sowohl beim apoplektischen Insult als auch einer transienten ischämischen Attacke zeigten die Patienten erhöhte Copeptin-Konzentrationen, was eine große Hilfe in der Risikostratifizierung zukünftiger ischämischer Ereignisse darstellen kann.

Auch ein hoher prognostischer Wert im Sinne eines schlechten Outcomes bei hohen Copeptin-Serumspiegeln im Rahmen einer subarachnoidalen oder intracerebralen Blutung konnte aufgezeigt werden [13, 60].

In einer aktuellen Studie von 2015 [50] konnte anhand der Daten von 14.395 Patienten nachgewiesen werden, dass erhöhte Copeptin-Konzentrationen sowohl bei kardiovaskulären als auch bei cerebrovaskulären Erkrankungen mit erheblich schlechterer Prognose und erhöhter Gesamtmortalität einhergehen.

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In der hier vorliegenden Arbeit kann gezeigt werden, dass eine Kombination von erhöhten Copeptin- und Troponin-Spiegeln einen großen prognostischen Wert hat.

Aus dem Studienkollektiv weisen 96 Patienten bei Aufnahme Troponin- und Copeptin-Serumspiegel oberhalb des cut-offs auf. Von diesen haben knapp die Hälfte (PPV 48,5%) als endgültige Diagnose einen Nicht-ST-Strecken-Elevationsinfarkt. Die übrigen Krankheitsbilder dieses Kollektivs gehen ebenfalls mit einer erhöhten Mortalität einher: kardiale Dekompensation, ischämische, dilatative und Tako-Tsubo-Kardiomyopathie, in-Stent-Stenosen, interventionspflichtige koronare Gefäßerkrankungen, hypertensive Entgleisungen, Mitralklappeninsuffizienzen, Aortenaneurysmen, Lungenarterienembolien, (Stauungs)-pneumonien oder gastrointestinale Blutungen. Dies berücksichtigend, sollten solche Patienten einem höheren Risiko zugeordnet werden und intensivere Diagnostik und Therapie erhalten.

Jene Patienten mit besonders hohen Copeptin-Serumspiegeln (>100 pmol/l) sind ebenfalls vorwiegend ernstzunehmend erkrankt. Die Copeptin-Konzentration zeigt also nicht nur ein hohes Risiko für einen akuten Myokardinfarkt an (35% der Patienten mit Copeptin >100 pmol/l), sondern auch schwere Erkrankungen wie Lungenarterienembolien, Aortendissektion oder –aneurysma, gastrointestinale Blutungen und weitere.

Unter den 4 primär verstorbenen Patienten befand sich einer mit einem initial hohem Copeptin bei negativem Troponin (rupturierte Aortendissektion).

Zusammenfassend lässt sich also feststellen: Einer erhöhten Copeptin-Konzentration sollte grundsätzlich ein hoher Stellenwert in der Risikostratifizierung von Patienten eingeräumt werden. Die Patienten sollten je nach übrigem Risikoprofil nicht nur in Bezug auf das akute Koronarsyndrom eine weiterführende Diagnostik erhalten, sondern insgesamt in der weiteren Behandlung eine Priorisierung erfahren und eine schwerwiegende Erkrankung möglichst schnell ausgeschlossen beziehungsweise diagnostiziert werden.

4.3.1 Korrelation von Copeptin-Konzentration und etablierten Risikofaktoren und Risikoscores

Risikoscores wie der GRACE-Score oder der TIMI-Score werden in der Diagnostik und Risikostratifizierung des akuten Koronarsyndroms regelhaft berücksichtigt, ebenso Risikofaktoren wie eine positive Familienanamnese für einen akuten

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Myokardinfarkt in jungem Alter, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Rauchen und Hypercholesterinämie. Es finden sich mehrere Studien, die sich mit dem Zusammenhang zwischen einigen dieser Risikofaktoren und Copeptin-Konzentrationen auseinandergesetzt haben. Diese stellen nicht zwingend einen Zusammenhang mit dem akuten Koronarsyndrom her.

Tenderenda-Banusiuk et al. [51] konnten in einer Studie mit jungen Erwachsenen eine positive Korrelation zwischen arteriellem Hypertonus und erhöhter Copeptin-Konzentration herausstellen. Auch weitere Komponenten des metabolischen Syndroms zeigten dort einen Bezug zur Höhe der Copeptin-Serumspiegel. In der hier vorliegenden Studie haben die Patienten mit einem arteriellen Hypertonus als Risikofaktor ebenfalls höhere Copeptin-Serumspiegel, als die Patienten ohne arteriellen Hypertonus. Die Hypercholesterinämie geht hier jedoch ohne erhöhte Copeptin-Konzentration einher. In der Aufnahmesituation unterschieden sich die gemessenen Blutdruckwerte von Patienten mit positivem oder negativem Copeptin nicht signifikant (137/77 mmHg vs. 139/76 mmHg).

Der Diabetes mellitus stellt ebenfalls einen wesentlichen Risikofaktor für das akute Koronarsyndrom dar. Auch hierbei konnte ein Zusammenhang mit Copeptin-Konzentrationen bereits in früheren Studien nachgewiesen werden. Es stellte sich sogar heraus, dass erhöhte Copeptin-Spiegel mit einem erhöhten Risiko, einen Diabetes mellitus zu entwickeln einhergehen, unabhängig von Risikofaktoren wie Nüchternblutzucker oder Insulinspiegel [9].

In dieser Studie konnte ebenfalls dargestellt werden, dass Patienten mit Diabetes mellitus signifikant höhere Copeptin-Konzentrationen aufwiesen, als jene ohne Diabetes mellitus in der Vorgeschichte.

Von den Patienten mit der Diagnose NSTEMI weisen 36% einen Diabetes mellitus auf, einen arteriellen Hypertonus sogar 85% der als NSTEMI diagnostizierten Patienten. Kombiniert man beide Risikofaktoren sowie einen positiven Copeptin-Test, hat knapp die Hälfte dieser Patienten einen akuten Myokardinfarkt. Das sind immerhin 30% der als NSTEMI diagnostizierten Patienten. Der positiv prädiktive Wert beträgt damit 44%, der negative prädiktive Wert sogar 95%. Nimmt man weiterhin die initiale Troponin-Messung hinzu, beträgt der negativ prädiktive Wert für den akuten Myokardinfarkt bei dieser Betrachtung 100%.

Nach den Ergebnissen dieser Studie wäre also eine frühzeitige Entlassung dieser Patienten auch ohne weitere Troponinbestimmung möglich. Dies könnte den

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diagnostischen Algorithmus stark verkürzen und Kosten sparen. Es bedarf hierzu selbstverständlich noch weiterer Studien, um eine größere Kohorte als repräsentatives Patientenkollektiv vorzuweisen. Weiterhin sollte eine prospektive Studie erfolgen, die ähnlich einer aktuellen Arbeit von Möckel et al. [27] das Outcome der nach dieser Risikostratifizierung behandelten Patienten mit jener nach gewohntem Standard behandelten Patienten vergleicht.

Betrachtet man den Nikotinabusus als kardiovaskulären Risikofaktor, zeigt sich in dieser Studie keine positive Korrelation mit den Copeptin-Konzentrationen. Die rauchenden Patienten weisen niedrigere Serumspiegel auf als solche, die nicht rauchen. Dies entspricht nicht den Daten einer aktuellen Studie von van Gastel et al., die eine positive Korrelation zwischen Nikotinabusus und erhöhten Copeptin-Konzentrationen nachweisen konnten [55].

Eine positive Familienanamnese gibt in Kombination mit Copeptin nur begrenzt einen diagnostischen Vorteil. Bei negativer Familienanamnese und negativem Copeptin-Wert beträgt der negativ prädiktive Wert zum Ausschluss eines AMI nur 87%. Der positiv prädiktive Wert liegt bei 36%.

Es eignen sich somit nicht alle genannten Risikofaktoren und ihre Korrelation mit Copeptin zur Risikostratifizierung des akuten Koronarsyndroms.

Die Risikofaktoren positive Familienanamnese, Nikotinabusus und Hypercholesterinämie scheinen in keinem Zusammenhang mit der Copeptin-Konzentration dieses Patientenkollektivs zu stehen, während der Diabetes mellitus und die arterielle Hypertonie positiv mit erhöhter Copeptin-Konzentration korrelieren.

Wie im Ergebnisteil dargestellt, stehen der GRACE- und TIMI-Risikoscore in positiver Korrelation mit den untersuchten Biomarkern. Während die Copeptin-Konzentration vor allem bei hohem GRACE-Score steigt, erhöhen sich die Copeptin-Werte in Bezug auf den TIMI-Score annähernd linear. Dennoch stellen die Ergebnisse dieser Studie ebenfalls heraus, dass bei Betrachtung des Zusammenhangs zwischen kombinierten Biomarkern und GRACE-Score, der positive Troponin-Wert die entscheidendere Rolle spielt (vgl. Abb. 17).

In der Risikostratifizierung der Patienten mit dem Verdacht auf einen akuten Myokardinfarkt erscheint es demnach sinnvoll, den Patienten mit arteriellem Hypertonus, Diabetes mellitus und hohem TIMI- oder GRACE-Risikoscore ein

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höheres Risiko zuzuschreiben und sie priorisiert einer weiteren Diagnostik und Therapie zuzuführen.

4.3.2 Copeptin und akuter Myokardinfarkt

Wie vorangehend dargestellt, weisen Patienten mit erhöhten Copeptin-Serumspiegeln schwerwiegende Erkrankungen auf, darunter auch der akute Myokardinfarkt. Der positiv prädiktive Wert des Copeptin allein liegt mit 32,9%

deutlich unterhalb des positiv prädiktiven Wertes des Troponin (43%). Die Betrachtung des negativen Vorhersagewertes zeigt ein deutlich besseres Ergebnis. Jedoch ergibt sich in der vorliegenden Arbeit daraus kein Zusatznutzen, den negativ prädiktiven Wert für Troponin allein oder in der Kombination mit Copeptin zu verwenden, beide betragen 98%.

Es konnte jedoch in einer 2015 veröffentlichten Studie [27] gezeigt werden, dass der Behandlungsalgorithmus durch die kombinierte Messung der beiden Biomarker durchaus verbessert werden kann. So wurden 902 Patienten in 2 Gruppen aufgeteilt, wobei die eine nach bisherigem Standard und damit einhergehend seriellen Troponinbestimmungen behandelt wurde, die Patienten der zweiten Gruppe wurden bei negativem Troponin und Copeptin als Patienten mit niedrigem Risiko eingestuft und eine frühzeitige Entlassung aus dem Krankenhaus angestrebt. Möckel et al. konnten heurausstellen, dass jene Patienten, die nach diesem Vorgehen früher entlassen wurden, kein schlechteres Outcome im Sinne von schweren kardialen Komplikationen im Follow-up aufwiesen, als jene mit bisherigem Behandlungsalgorithmus.

Nach dem genannten Studienergebnis könnte auch die Fragestellung dieser Studie, der der prospektive Studienanteil bisher fehlt, positiv beantwortet werden.

Mithilfe von Copeptin ist eine Optimierung des bisherigen diagnostischen Algorithmus möglich und durch Etablierung von Copeptin in die Diagnostik von Patienten mit dem Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom, könnte auf zeitaufwändige serielle Blutentnahmen verzichtet werden. Damit ließe sich der Behandlungsablauf sowohl für den Patienten als auch für die Ressourcen des Krankenhauses verbessern und Zeit und Geld könnten eingespart werden.

Auch der positive Vorhersagewert von Copeptin sollte Berücksichtigung finden, da Patienten mit erhöhten Serumspiegeln eine Gruppe mit höherem Morbiditätsrisiko

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darstellen und demnach eine höhere Priorisierung in der weiteren Diagnostik und Therapie erhalten sollten.