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Computer als ”Kultur”-Maschine

Computer sind industriegeschichtlich gesehen ein junges Phänomen. Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts wurden aus reinen Rechenmaschinen, die auf eine bestimmte Anzahl von Ope-rationen festgelegt waren, Geräte, die immer weitgehender frei programmiert werden konnten.

Diese Programme werden als Software bezeichnet und bilden eine zunehmend komfortablere Schnittstelle zwischen Anwender und Hardware, der physischen Maschine. Dadurch wurde die Bandbreite der Aufgaben immer vielfältiger, die durch diese Maschinen übernommen wurden.

Die weitgehende Durchsetzung des Computers als Multifunktionswerkzeug hat mittlerweise dafür gesorgt, dass in sehr vielen Bereichen des wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftli-chen und Freizeitlebens Daten in vorwiegend elektronischer Form erzeugt werden.8

Seit den 1970er Jahren dringt die Informationstechnologie mehr und mehr sichtbar, ge-trieben durch die Fortschritte in Informatik und Mikroelektronik, in weite Bereiche der Volks-wirtschaft und des öffentlichen Lebens ein. Mit Beginn der 1980er Jahre ”demokratisiert” sich die Technologie: Sie beschränkt sich nicht mehr auf eine Anwendung in großen Unternehmen und Rechenzentren. Die Mainframes und teuren Workstations der Pionierzeit werden ergänzt durch ”persönliche” Computer: Sogenannte Home-Computer werden zu Kaufhausmassenware und erlangen eine gewisse Verbreitung in den Haushalten der Industrieländer.

Mit dem Eindringen der Computertechnik in fast alle Bereiche des täglichen Lebens änder-ten sich auch die Techniken zur Speicherung, Verbreitung und Vervielfältigung von Informa-tionen. Das Hauptbuch des Kaufmanns hat ausgedient und der Computer ist an seine Stelle getreten, Musik und Film ist nicht mehr an analoge Medien gebunden, sondern kann effizient digital gespeichert, kopiert und verbreitet werden. Wissenschaftler erheben ihre Daten immer seltener ohne elektronische Maschinen, erfasste Daten nehmen ohne Umweg über Papier und Bleistift den Weg zur Weiterverarbeitung, Auswertung und Archivierung. Rechner sind wie ihre Pendants der industriellen Revolution Arbeitsgeräte. Zweifellos hat der Computer die Datenverarbeitung revolutioniert und deren Effizienz erheblich gesteigert.

Durch jede Generation von neuen und immer schnelleren Computern verschwindet Soft-ware, die auf diesen Rechnern lief. Damit wird der Zugriff auf Gigabytes von Daten mit

8Einen Problemaufriss bieten beispielsweise [Waugh u. a. 2000] oder [Levy 1998].

2.2. COMPUTER ALS ”KULTUR”-MASCHINE 15

eventuell historischer Tragweite unmöglich. Mit den Programmen haben jeweils einige Jahre lang Millionen von Menschen gearbeitet. Wer irgendwann die Briefwechsel von Personen der Gegenwart herausbringen möchte, könnte weitestgehend ohne Material dastehen, weil die Email-Korrespondenz zusammen mit dem alten Computer verschrottet wurde. Ebenso wird

Abbildung 2.1:Entstehungsumgebung digitaler Objekte nach [Rohde-Enslin 2004] mit den Zusam-menhängen verschiedener Software- und Hardwarekomponenten.

es schwer, seinen Kindern zu vermitteln, wie die Anfänge der zunehmenden Begeisterung für Computerspiele auf den Home-Computern ausgesehen haben ([Baumgärtel 2002]). Die letzten verkauften Geräte sind noch nicht einmal 15 Jahre alt, aber kaum noch irgendwo zu sehen. Wenn man Glück hat, findet sich ein altes Gerät vereinzelt und in oft unbekanntem Zustand auf dem Flohmarkt. Darüber hinaus könnte dann das Wissen verlorengegangen sein, wie man Programme auf dieser Maschine ausführt, selbst wenn man die alten Datenträger irgendwo gefunden hat. Vor diesem Problem steht beispielsweise das Computerspiele-Museum in Berlin,9 das über einen Bestand von über 17.000 Spieletiteln verfügt, die über knapp 30 Jahre Computer- und Spielekonsolengeschichte reichen.

Es besteht ein enger Zusammenhang im Erstellungskontext von Daten, der Entstehungs-umgebung (Abb. 2.1), welche in den Kapiteln 6 und 7 von Bedeutung sein wird. Eine Dar-stellung der Problematik aus Sicht der Gedächtnisorganisationen liefert [Rohde-Enslin 2004].

2.2.1 Computer in Wissenschaft und Forschung

Die Entwicklung elektronischer Rechner beförderte einerseits Wissenschaft und Forschung.

Immer komplexere Theorien, neue Forschungsergebnisse in Physik, Astronomie oder bessere Klimamodelle erforderten immer aufwändigere Berechnungen, die andererseits die Weiterent-wicklung der Computer vorantrieben.

Die Einsatzbereiche von Computern in Forschung und Wissenschaft sind durchaus weit gestreut:

• Großforschungseinrichtungen - Diese, durchaus auch mit militärischem Hintergrund, zählen zu den ersten Institutionen, die sich neue revolutionäre Technologie leisten kön-nen.

9Vgl. [CSM 2008] - Dieses Museum wird durch den Förderverein für Jugend und Sozialarbeit e. V. getra-gen. Es betreibt keine dauerhafte Ausstellung sondern bestreitet regelmäßige Wanderausstellungetra-gen.

• Automatisierte Datenerfassung und Ablage - Bei sehr vielen Experimenten in der Physik oder Beobachtungen in der Astronomie fallen an vielen Stellen große Mengen von Daten gleichzeitig an. Diese können nicht mehr manuell abgelesen und abgelegt werden.

Computer sorgen so dafür, dass große Datenmengen generiert und aus diesen neue Erkenntnisse gewonnen werden können.

• Komplexe Anlagen - Teleskope oder Teilchenbeschleuniger lassen sich nicht mehr durch manuelle Steuerungen betreiben. Sie erfordern leistungsfähige Computer, die den kom-plexen Aufgaben und deren zeitlichen Abfolgen gewachsen sind.

• Simulationen - Immer genauere Voraussagen zur Entwicklung des Klimas der Erde oder einzelner Regionen sowie Modellrechnungen in der Ökonomie benötigen gewaltige Rechenleistungen, die oft durch das Zusammenschalten sehr vieler Compute Nodes gewonnen wird.

Automatische Mess- und Beobachtungsdaten werden in den meisten Fällen nur noch in kom-pakter Form maschinenlesbar gespeichert, da sie computerbasiert weiterverarbeitet werden.

Sie sind außerhalb ihres Kontexts nicht mehr sinnvoll interpretierbar.

In der Wissenschaft interessiert noch besonders ein weiterer Aspekt von Computern: Mit ihnen sind jahrzehntelang wissenschaftliche Daten erhoben und verarbeitet worden. Zum je-weiligen Zeitpunkt der Erstellung spielten Überlegungen zur Langzeitaufbewahrung dieser Da-ten keine oder eine nur sehr nachgeordnete Rolle: Mit der Publikation in einer Zeitschrift, mit-hin dem jahrhundertealten, klassischen Medium der Langzeitarchivierung waren viele Projekte abgeschlossen. Die Arbeitswerkzeuge, wie Rechner, Betriebssystem und eventuell selbstentwi-ckelte Spezialsoftware wurden beiseite gelegt und vergessen. Publizierte Ergebnisse, Berech-nungen, Statistiken und Datensammlungen sind damit für die Nachwelt oftmals nicht mehr nachvollziehbar oder für neuere Forschungen verwendbar. Daten, deren Erhebung durchaus mehrere Millionen Euro verschlungen haben mag, sind nicht mehr für die aktuelle Forschung zugänglich, wichtige und wissenschaftlich interessante Vergleiche mit aktuellen Erhebungen somit unmöglich.

2.2.2 Kultur und Alltag

Anfang der 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts setzte im Bereich der Informationstech-nik eine Miniaturisierung und radikale Verbilligung elektronischer Geräte ein. Damit wurden Computer für den Heimanwender erschwinglich und eine erste Welle von Maschinen tauchte im privaten Bereich auf. Dadurch befördert nahm die Auseinandersetzung mit der Technik in breiten Bevölkerungsschichten zu. Dieses trug sicherlich mit dazu bei, die Verbreitung der Technik in den anderen Bereichen zu beschleunigen. Vielfach wurde die erste Generation der Home-Computer als reiner Zeitvertreib wahrgenommen. Es entstand eine komplett neue Unterhaltungsindustrie, die Spiele für den Heimgebrauch programmierte und vertrieb.

Eine neue Alltagskultur10 entwickelte sich um Arcade-Spiele und Games auf den verschie-densten Minicomputern, neue Zeitschriften entstanden. Nach inzwischen 20 Jahren liegt diese

10Das bereits zuvor genannte Museum [CSM 2008] verfügt über eine der umfassendsten Sammlungen aus 30 Jahren Geschichte der Computerspiele.

2.2. COMPUTER ALS ”KULTUR”-MASCHINE 17

Epoche schon wieder weit zurück, eine neue Ära mit neuen Technologien hat die Führung übernommen. Die Kurzlebigkeit des IT-Marktes führt dazu, dass oft die zur Darstellung von digitalen Informationen erforderlichen Programme auf aktueller Hardware nicht mehr ablauf-fähig sind, selbst wenn die Informationen vom Datenträger erfolgreich ausgelesen werden können.

Gesellschaftliche Entwicklungen mit einer bestimmten Relevanz schlagen sich auch kultu-rell nieder. Sie beflügelten zum einen die Fantasie von Buchautoren und Filmemachern. Zum anderen beförderten sie die Auseinandersetzung von Künstlern mit den neuen Möglichkeiten.

Computer wurden technisches Hilfsmittel von Installationen und Performances und Gegen-stand künstlerischen Ausdrucks. Computerbasierte Kunstwerke lassen sich nur schwer oder nicht von ihrer Technik lösen.

Die Entwicklung immer leistungsfähigerer Computer zu immer geringeren Preisen revolu-tionierte ebenfalls die Produktionsverfahren in der Filmindustrie. Wo vorher virtuelle Welten mühsam in Modellen erschaffen oder sehr aufwändig in teuren Kulissen nachgebildet werden mussten, übernimmt der Computer die Virtualisierung. Landschaften,11 Szenen und ganze Zeichentrickfilme werden im Computer nachgestellt und gerendert.12 Hier werden inzwischen unvorstellbare Datenmengen generiert und zu bewegten Bildern animiert.

Seit einigen Jahren bilden sich neue Formen der Online-Interaktion heraus: Hierzu zäh-len Computerspiele, wie ”World of Warcraft”13 der Klasse der ”Massively Multiplayer Online Games” oder Plattformen, wie ”Second Life”.14

2.2.3 Wirtschaft und Verwaltung

Große Rechenanlagen setzten sich schnell in Konzernen und Verwaltungen durch. Besonders leicht ”computerisierbare” Probleme, wie Buchhaltungen wurden auf elektronische Datenver-arbeitung umgestellt. Dadurch konnten viele repetitive Standardtätigkeiten automatisiert und teilweise drastische Kostenreduktionen erreicht werden. Generell hat die informationstechni-sche Revolution zu einer Umgestaltung des Arbeitslebens geführt. Fast kein Arbeitsplatz in klassischen Verwaltungsbereichen kommt mehr ohne Computer aus.

Wirtschaftsunternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, Unterlagen der verschiedenen Geschäftsprozesse für eine bestimmte Zeit aufzubewahren. Wenn ein weitgehender Teil inter-ner und exterinter-ner Kommunikation, Prozessplanung und Entwicklung elektronisch stattfindet, ergeben sich für die Einhaltung der gesetzlichen Auflagen ganz neue Herausforderungen.

Die Aufbewahrungspflichten öffentlicher Körperschaften gehen oft noch über die Ver-pflichtungen der Wirtschaftsunternehmen hinaus. Hierbei geht es oft um die Nachprüfbarkeit von Bescheiden und Entscheidungen. Die Authentizität von Vorgängen muss auch nach vielen Jahren gerichtsfest belegbar sein.

Welche Rolle Daten für die Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungsprozessen

11Atlantischer Ozean oder die Jungfernfahrt in ”Titanic” - http://www.vfxhq.com/1997/titanic.html.

12Siehe hierzu die Darstellungen in http://medien.informatik.uni-ulm.de/lehre/courses/ss02/Modelling-AndRendering/15-film+tv.pdf und http://medien.informatik.uni-ulm.de/lehre/courses/ss02/ModellingAnd-Rendering/16-zeichentrick.pdf.

13Produkt-Hompage - http://www.worldofwarcraft.com.

14Homepage des Projekts und der dahinterstehenden Firma - http://secondlife.com.

besitzen können, war vielleicht zu Teilen anhand der ”Bundeslöschtage” zu den Leuna-Akten15 beim Übergang von der Regierung Kohl auf die Regierung Schröder zu ermessen.