3 Literaturüberblick
3.4 Business Angel Aktivitäten in Deutschland und im internationalen
Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Daten zum Wagniskapitalmarkt ‐ insbesondere den Business Angel Aktivitäten in Deutschland und anderen Ländern ‐ ausgewertet, hierbei wird vor allem auf die EBAN Statistik und das VDI Business Angel Panel zurückgegriffen. Diese Auswertungen werden in Ka‐
pitel 7 um Analysen des MUP, der Zephyr‐Datenbank und der Majunke‐
Transaktionsdatenbank ergänzt. Die Datenlage für einen internationalen Ver‐
gleich speziell zu Business Angel Investitionen ist leider nur spärlich, so dass
sich bei der Analyse der unterschiedlichen Daten nur einige Trends ableiten lassen.
Der deutsche Markt für Kapitalbeteiligungen ist im internationalen Vergleich (vor allem im Vergleich zu den USA) noch relativ jung und schwach entwickelt (Röhl, 2010). Die USA gelten als klassisches Wagniskapitalland, wobei sich die Aktivitäten hier lange Zeit auf das kalifornische Silicon Valley konzentrierten (vgl. Röhl, 2014). Verglichen mit anderen Finanzierungsformen hat Wagniska‐
pital in Deutschland einen eher geringen Stellenwert, das Investitionsvolumen belief sich im Jahr 2015 auf rund 14,6% an allen Investitionen. Neben der län‐
geren Zeit, welche die Marktdurchdringung in Europa im Vergleich zum angel‐
sächsischen Raum benötigt, sind hier auch die Investitionen in Wagniskapital für Gründungen geringer. So wurden in den USA in den vergangenen Jahren jährlich etwa zwischen 485 bis 510 Milliarden Dollar in Wagniskapital für Gründungen investiert, in Europa hingegen nur 88 bis 175 Milliarden Dollar (Axelson und Martinovic, 2013). Deutschland ist in Europa der zweitgrößte Wagniskapitalmarkt (Wilmer et al., 2014).
Die im internationalen Vergleich relativ geringe Größe des Wagniskapitalmark‐
tes in Deutschland zeigt sich auch bei Betrachtung des Anteils der Risikokapitalinvestitionen am BIP (vgl. Abbildung 3‐2). Dieser lag in Deutschland im Jahr 2007 bei 0,32% und sank bis 2014 auf 0,2%. Besonders niedrige Werte zeigten sich während der Finanzkrise im Jahr 2009, wo der Wert nur bei 0,11% lag. Der Durchschnittswert der EU 15‐Staaten liegt in allen Vergleichsjahren über dem deutschen. So betrug der Anteil der Risikokapitalinvestitionen am BIP im Jahr 2007 0,59%, während der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 0,2% und im Jahr 2014 0,3%. Trendenziell ist international langfristig ein leichter Abwärtstrend erkennbar. Besonder hohe Werte von über 0,7% weist das Vereinigte Königreich auf, aber auch Schweden.
Der geringere Entwicklungsgrad des Wagniskapitalmarktes in Deutschland spiegelt sich auch in einer höheren Marktintransparenz wider (Gottschalk et al., 2007). In den USA werden beispielsweise bereits seit 2002 regelmäßig strukturierte Analysen zu Umfang und Art des informellen Beteiligungsmarktes durchgeführt. Im schwächer entwickelten Wagniskapitalmarkt in Deutschland
ist eine höhere Marktintransparenz wahrscheinlich, welche mit einem stärke‐
ren Ausmaß von Marktversagen einhergeht.
Ein Grund für die relativ geringe Bedeutung des Marktes für Beteiligungs‐ und Wagniskapital in Deutschland stellt das Finanzsystem dar, welches ähnlich wie in ganz Kontinentaleuropa traditionell stark bankenorientiert ist. Dem steht ein eher markt‐ und börsenbasiertes Finanzsystem des angloamerikanischen Raums gegenüber, welches die Finanzierung mit Wagniskapital grundsätzlich begünstigt (Zademach und Baumeister, 2013).
Abbildung 3‐2: Entwicklung des Anteils der Risikokapitalinvestitionen am BIP im internationalen Vergleich
Quelle: Eurostat, eigene Darstellung
Im Wagniskapitalmarkt liegt der Anteil von Business Angel Beteiligungen an den Finanztransaktionen in junge Unternehmen in Deutschland im Jahr 2014 bei etwa 17% (vgl. Kapitel 7). Bevor die Business Angel Aktivitäten im interna‐
tionalen Vergleich genauer betrachtet werden, werden zunächst einige Indika‐
toren für Deutschland mit Hilfe des VDI Business Angel Panels (VDI 2008‐2016) dargestellt. Das Business Angel Panel basiert auf einer quartalsweisen Befra‐
gung von Business Angels in Deutschland, die seit 2002 durchgeführt wird.
Aufgrund der geringen Stichprobengröße von etwa 20‐60 Teilnehmern pro Quartal ist Repräsentativität jedoch leider nicht gegeben. Aus den Ergebnissen
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Deutschland
können nur einige grobe Trends abgeleitet werden. Das Bild kann jedoch durch Kombination mit anderen Datensätzen vervollständigt werden.
Abbildung 3‐3 stellt die Entwicklung des durchschnittlich zur Verfügung ge‐
stelltes Wagniskapitals pro Business Angel in Deutschland von 2008 bis 2016 dar. Die durchgezogene Linie gibt den durchschnittlichen Einsatz pro Business Angel für jedes einzelne Quartal an, die gestrichelte Linie den gleitenden jähr‐
lichen Quartalsdurchschnitt. Das Wagniskapital pro Business Angel ging von durchschnittlich etwa 80.000 € im ersten Quartal des Jahres 2008 auf unter 25.000 € im dritten Quartal des Jahres 2012 zurück. Seit 2012 hat sich der Trend umgekehrt, so stieg der gleitende Durchschnitt bis zum ersten Quartal des Jahres 2016 wieder auf über 56.000 € an. Auch wenn aufgrund der gerin‐
gen Stichprobengröße im VDI Business Angel Panel nur begrenzt Aussagen möglich sind, deckt das Ergebnis mit Auswertungen des MUP, welche ebenfalls in den vergangenen Jahren auf steigende Transaktionsvolumen im deutschen Wagniskapitalmarkt hinweisen (Vgl. Abbildung 7‐6).
Abbildung 3‐3: Durchschnittlich zur Verfügung gestelltes Wagniskapital pro Business Angel in Deutschland
Quelle: VDI Business Angel Panel (eigene Darstellung)
Abbildung 3‐4 stellt analog die Entwicklung der Investitionsquote, d.h. den durchschnittlichen Anteil des investierten, für Business Angel Investitionen
0 20000 40000 60000 80000 100000 120000
Einsatz pro Quartal jährlicher Quartalsdurchschnitt
vorgesehen Kapitals pro Business Angel in Deutschland dar. Hierbei zeigt sich, dass die Investitionsquote im gleitenden Durchschnitt von etwa 55% im Jahr 2008 auf rund 65% im Jahr 2016 gestiegen ist. Für den Anstieg sind mehrere Erklärungen denkbar. Ein möglicher Grund ist die Verbesserung der Marktlage insgesamt, darauf deuten unter anderem die Ergebnisse von Abbildung 3‐3 und in Kapitel 7 hin. Darüber hinaus kann die Investitionsquote auch Indizien auf die Informationsasymmetrien im Wagniskapitalmarkt geben (vgl. Kapitel 3.3). Wird beispielsweise das Matching verbessert, z.B. durch die zunehmende Verbreitung moderner Informationstechnologien, können sich Investoren und Gründer leichter finden.
Abbildung 3‐4: Durchschnittlicher Anteil des investierten, für Business Angel Investitionen vorgesehen Kapitals pro Business Angel in
Deutschland
Quelle: VDI Business Angel Panel (eigene Darstellung)
Im VDI Business Angel Panel wird auch für jedes Quartal erhoben, welches die attraktivsten Branchen für Business Angel sind. Hierbei können 19 verschiede‐
ne Branchen auf einer 7‐er Skala von „sehr unattraktiv“ bis hin zu „sehr attrak‐
tiv„ bewertet werden. In Abbildung 3‐5 sind die acht beliebtesten Branchen
40%
45%
50%
55%
60%
65%
70%
75%
80%
Einsatz pro Quartal jährlicher Quartalsdurchschnitt
für Business Angel in Deutschland in den Jahren 2011 und 2015 dargestellt.
Dabei wurden die jeweiligen Jahresdurchschnitte der einzelnen Quartale be‐
rechnet. Die beliebtesten Branchen sind E‐Business, Medizintechnik, Umwelt‐
technik und Energie, gefolgt von Neue Materialen, Medien/Entertainment, Life Sciences sowie Elektrotechnik/Elektronik. Seit 2011 ist die Beliebtheit von Internet/E‐Business, Umwelttechnik und Medien/Entertainment etwas gestie‐
gen, während sie bei Elektrotechnik/Elektronik, Medizintechnik und Energie leicht rückläufig waren.
Abbildung 3‐5: Die beliebtesten Branchen für Business Angels in Deutschland im Jahr 2011 und 2015
Quelle: VDI Business Angel Panel (eigene Darstellung)
Um einen internationalen Vergleich der Business Angel Aktivitäten vorzuneh‐
men, eignen sich die Daten der „European Trade Association for Business An‐
1 3 5 7
Elektrotechnik / Elektronik Life Sciences Medien / Entertainment Neue Materialien Medizintechnik Energie Umwelttechnik Internet / E‐Business
2011 2015
sehr unattraktiv (1) sehr attraktiv (7)
gels, Seed Funds, and other Early Stage Market Players“ (EBAN, 2014). Diese Daten basieren auf einer Befragung der europäischen Business Angel Netz‐
werke, individuellen Business Angels und anderen Wagniskapitalinvestoren im Jahr 2013. Die Befragung konnte dabei sowohl über die EBAN Webseite oder E‐Mail durchgeführt werden. Es wurden Akteure aus 65 Business Angel Netz‐
werken und 4 nationalen Zusammenschlüssen sowie 16 weiteren Wagniskapi‐
talinvestoren befragt. Leider liefert auch dieser Datensatz keine repräsentati‐
ven Informationen, da ein Großteil des unsichtbaren Marktes, die nicht orga‐
nisierten Business Angel, nicht erfasst werden konnten. In Bezug auf den un‐
sichtbaren Markt bestehen auf internationaler Ebene jedoch große Unter‐
schiede. So wird in Italien der Anteil der organisierten Business Angels auf rund 90% geschätzt, während er in den Niederlanden auf unter 15% geschätzt wird (Cambodia – Socio‐Economic Survey (CSES) 2012). In Deutschland liegt der Anteil passiver, nicht‐organisierter Investoren an allen Investoren von jun‐
gen Unternehmen zwischen 25 und 50% (Egeln und Gottschalk, 2014 und ak‐
tuelle Auswertungen mit dem Mannheimer Unternehmenspanel). Die Werte in Ländern, in denen Business Angel einen geringen Organisationsgrad haben, werden tendenziell unterschätzt.
In der folgenden Analyse werden 24 europäische Staaten11 berücksichtigt. Die Summe der Business Angel Investitionen in diesen Ländern beläuft sich für das Jahr 2013 auf knapp 390 Milliarden €. Abbildung 3‐6 stellt die Verteilung auf die einzelnen Länder dar. Im Vereinigten Königreich wurden 227% aller Busi‐
ness Angel Investitionen getätigt, es folgen Spanien mit 158%, Frankreich mit 11% und Deutschland mit 9%. Wesentliche Anteile mit mehr als jeweils 3%
finden sich darüber hinaus in Finnland, Schweden, Türkei, Portugal, Schweiz, in den Niederlanden und Italien. Auf die übrigen Länder entfallen zusammen 13%.
11 Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland,
Irland, Italien, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei, Vereinigtes Königreich, Zypern
Abbildung 3‐6: Verteilung der Business Angel Investitionen in Europa (2013)
Quelle: EBAN (2014), eigene Darstellung
Abbildung 3‐7 stellt das durchschnittliche zur Verfügung gestellte Wagniskapi‐
tal pro Business Angel in der EBAN Datenbank dar. Dieser Indikator lässt noch keine direkten Aussagen über die Menge an Wagniskapital zu, sondern ver‐
gleicht vielmehr strukturelle Unterschiede. Mit einem Wert von 23.258 € liegt Deutschland im europäischen Vergleich im unteren Mittelfeld12. Besonders hohe Werte weisen nordeuropäische Länder wie Estland (89.558 €) und Dä‐
nemark (76.258 €), aber auch Finnland (53.776 €) und Norwegen (38.364 €) auf. Besonders niedrig sind die Werte in Frankreich (9.502 €), Österreich (12.100 €) und in den Niederlanden (12.123 €).
12 Im VDI Business Angel Panel liegt derselbe Indikator für das Jahr 2013 bei einem Wert
von 33500 € (Vgl. Abbildung 3‐3).
Vereinigtes Königreich 22%
Frankreich 11%
Spanien 15%
Deutschland 9%
Niederlande 3%
Schweden 5%
Italien 3%
Portugal 4%
Finnland 7%
Irland 3%
Türkei 4%
Schweiz 3%
Sonstige 13%
Abbildung 3‐7: Durchschnittlich zur Verfügung gestelltes Wagniskapital pro Business Angel
Quelle: EBAN (2014), eigene Darstellung
Im Gegensatz zum durchschnittlich zur Verfügung gestellten Wagniskapital liefert der Anteil der Business Angel Investitionen am BIP konkrete Hinweise auf den relativen Umfang der Business Angel Investitionen im Wagniskapital‐
markt. Dieser Indikator ist für verschiedene europäische Staaten in Abbildung 3‐8 dargestellt. In Deutschland ist der Wert mit 0,012 ‰ auf unterdurch‐
schnittlichem Niveau. Sehr hohe Werte finden sich vor allem in Nord‐ und Westeuropa. In Finnland weist ein Anteil von 0,13 ‰ auf einen sehr hohen Umfang von Business Angel Investitionen gemessen an der Wirtschaftsleistung hin. Ebenfalls hohe Werte zeigen sich in Portugal (0,08 ‰), Irland (0,07 ‰) und Bulgarien (0,07 ‰). Von den großen europäischen Ländern liegt sowohl das Vereinigte Königreich mit 0,041‰ als auch Frankreich mit 0,019 ‰ vor
9502
0 20000 40000 60000 80000 100000 Frankreich
Deutschland. Obwohl der unsichtbare Business Angel Markt in Italien Schät‐
zungen zufolge relativ klein ist (CSES 2012), weist das Land den niedrigsten Anteil von Business Angel Investitionen am BIP in der Vergleichsgruppe auf.
Abbildung 3‐8: Anteil der Business Angel Investitionen am BIP (2013)
Quelle: EBAN (2014), Eurostat, eigene Darstellung
Ein alternativer Indikator ist die Zahl der Business Angel pro Millionen Er‐
werbspersonen in den jeweiligen Ländern (vgl. Abbildung 3‐9). Mit 38 Business Angel pro Millionen Einwohner liegt Deutschland in der Vergleichsgruppe im unteren Mittelfeld. Der höchste Wert findet sich mit 324 Business Angel pro Millionen Einwohner in Luxemburg, gefolgt von Irland (232), Finnland (194), Schweden (159), Frankreich (151) und dem Vereinigten Königreich (145). Inte‐
ressant ist diesbezüglich ein Vergleich mit den Werten in Abbildung 3‐6. So weist beispielsweise Frankreich zwar relativ gesehen deutlich mehr Business Angel als Deutschland auf, die Investitionen insgesamt sind dagegen aber nur geringfügig höher (vgl. Abbildung 3‐6).
0.000% 0.002% 0.004% 0.006% 0.008% 0.010% 0.012% 0.014%
Italien Österreich Norwegen Griechenland Deutschland Niederlande Polen Frankreich Belgien Schweiz Luxemburg Vereinigtes Königreich Schweden Dänemark Spanien Bulgarien Irland Portugal Finnland
Abbildung 3‐9: Zahl der Business Angel pro Millionen Einwohner (2013)
Quelle: EBAN (2014), Eurostat, eigene Darstellung
Zusammenfassend weist der Markt für Beteiligungs‐ und Wagniskapital in Deutschland daher noch erhebliche Wachstumspotenziale auf, vor allem im Bereich der Frühphasenfinanzierung.
Im Rahmen der Expertenbefragung wurden Einschätzungen darüber gewon‐
nen, wie sich der deutsche Wagniskapitalmarkt von dem in den europäischen Nachbarländern unterscheidet.
Insgesamt wird die Entwicklung des Wagniskapitalmarktes in Deutschland als positiv gesehen. Im Vergleich zu Frankreich wird betont, dass es in Deutsch‐
land mehr professionelle Business Angels gibt, die große Summen investierten, wobei die Gesamtanzahl der Business Angels in beiden Ländern ‐ laut deren Aussagen ‐ ähnlich hoch seien. Dadurch seien die Business Angel Investitionen
insgesamt in Frankreich geringer. Als eine Schwäche des deutschen Wagniska‐
pitalmarktes wurden dagegen hohe bürokratische Hürden genannt, welche unter anderem mit einer stärkeren Marktregulierung durch den Staat einher‐
gehen. Ein Standortnachteil Deutschlands ist beispielsweise die Umsatzsteu‐
erbelastung der Managementleistungen von Wagniskapitalgesellschaften.
Andere Länder, z.B. das Vereinigte Königreich, stärken ihren Wagniskapital‐
markt, indem sie solche Leistungen umsatzsteuerfrei stellen.
Mittel‐ und langfristig sehen die Experten ein weiteres Wachstum und eine zunehmende Bedeutung des Wagniskapitalmarktes in Europa. Dabei rechnen sie privaten und öffentlichen Investitionen eine ähnlich wichtige Rolle zu.
Staatliches Handeln wird als wichtiges Element angesehen, um ein weiteres Wachstum des Wagniskapitalmarktes sicherzustellen, da die verschiedenen Formen von Marktversagen (vgl. Kapitel 3.3) auch in Zukunft bestehen wer‐
den.