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3. Besprechung relevanter Analysen zu den Variationen

3.5 Formbasiert-pragmatischer Ansatz

3.5.4 Bogusławski (2001)

Die Arbeit von Bogusławski (2001) kommt in vielen zentralen Annahmen den Analysen Hentschels (1991, 1993a) entgegen. Sie befasst sich allerdings mit dem Polnischen und dort ‘nur’ mit prädikativen Substantiven (NPn).

Bogusławski betrachtet den Gegensatz zwischen Nominativ und Instrumental an polnischen substantivischen Prädikatsnomina als “Variation im eigentlichen Sinne”, worunter er das (völlige) Fehlen semantischer Unterschiede versteht:

Zwischen den Spracheinheiten “Kopula + Nom.”, “Kopula + Instr.” besteht tat-sächlich das Verhältnis der Variation im eigentlichen Sinne; sie sind keine zwei verschiedenen semantischen Entitäten. Meine Voraussetzung dabei ist, daß wir den Terminus Variation eben auf das Fehlen der semantischen Unterschiede (im strengen Sinne) beziehen. (Bogusławski 2001, 127)

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang einmal mehr ein Vergleich mit der Analyse Geists (2006). Während Bogusławski den Instrumental als Default be-trachtet, der im Vergleich zum Nominativ “negativ bestimmt” sei, kommt Geist zu dem geradezu konträren Schluss, wenn sie den (russischen) Nominativ als

“neutral” einstuft bzw. ihm jene semantische Komponente (die Maienbornsche

“Spezifizitätspräsupposition”) abspricht, die dem Instrumentalsuffix zueigen sei.

Schwerer als diese Differenz wiegt, dass Bogusławski (wie Hentschel) in der Ka-susvariation ein lediglich ‘diakritisches’ Phänomen erblickt, wohingegen Geist – wenn auch in Bezug auf den Instrumental – eine “semantischen Formel” aufstellt, die Bogusławski explizit ausgeschlossen wissen will:

Man sieht sich außerstande, eine semantische Formel für den [] Nominativ [] anzusetzen, die einen ausreichend allgemeinen Charakter hätte und zugleich untilg-bar (“uncancellable”) wäre; d. h. eine Paraphrase (oder irgendeine andere Reprä-sentation), die n i c h t w i d e r s p r u c h s l o s verneint werden könnte. (Bogusławski 2001, 127)

Die “Untilgbarkeit”, von der Bogusławski hier spricht, ist etwas, das jede Analyse des “semantischen Lagers”, die eine Invariante als Grundlage der Variationen be-trachtet, anstreben muss, da einmal vorhandene semantischen Anteile nicht getilgt werden können (siehe Zimmermann 1999, 134). Eine solche ‘Neutralisierung’

findet sich aber de facto bei Geist (2006).

Bogusławski stellt sehr detailliert jene Fälle im Polnischen zusammen, in denen der Nominativ prinzipiell un/zulässig ist. Diese Kompilation möchte ich hier we-nigstens z. T. nachvollziehen, da es sich bei ihr um die geschlossenste ihrer Art mit Blick auf die Verhältnisse im Polnischen handelt. Der Autor stellt zunächst die folgenden Punkte fest:

Nicht-Personen als Subjekte von Kopulasätzen lassen prinzipiell keine nominativi-schen Prädikatsnomina zu (Bogusławski 2001, 109-112).

Bei Partizipialformen der Kopula ist der Nominativ ausgeschlossen (Bogusławski 2001, 112-113).

Beim Infinitiv der Kopula ist der Nominativ nur zulässig (aber nie obligatorisch) bei (i) charakterisierenden Ausdrücken, deren primäre (idiomatisierte!) Markierung der Nominativ sei (z. B. pies na kobiety ‘scharf auf Frauen’); bei (ii) Eigennamen und Ethnonymen in der metonymischen Bedeutung ‘eine Rolle spielen, welche derjenigen ähnlich ist, die von einer bestimmten Person gespielt wurde’ (insb. auch mit taki); bei (iii) Nachnamen in der metonymischen Bedeutung ‘Angehörige(r) der Familie/Sippe X’ (Bogusławski 2001, 113).

Bei unpersönlichen Sätzen mit dem Reflexivmarker się (jest/było/będzie się …) ist ausschließlich der Instrumental möglich (Bogusławski 2001, 114).

Bei Subjektausdrücken, die eine numerische Quantifikation beinhalten, die in Präteri-tum und Konjunktiv eine neutrale/‘impersonale’ Form des Verbs (było) erfordern (z. B. dwóch), ist ausschließlich der Instrumental zulässig (Bogusławski 2001, 115).

Als Hauptbereich der Kasusvariation identifiziert Bogusławski (2001, 117) Sätze mit Personenbezeichnungen und finiten Kopulaformen. Für das Erscheinen des

“doppelten Nominativs” in solchen Sätzen müssen die Prädikatsnomina ihm zu-folge die zu-folgenden notwendigen Bedingungen erfüllen:

Sie müssen sonst als standardisierte Bestandteile ‘kurzer’ Subjektphrasen auftreten (z. B. dureń ‘Dummkopf’). Bei Eigennamen sei es auch häufig so, dass diese sonst als Bestandteile vollständiger Subjektphrasen auftreten (Bogusławski 2001, 116):

(i) On jest dureń. ‘Er ist ein Dummkopf.’

(ii) Mój brat jest Stefan. ‘Mein Bruder ist Stefan.’

Sie dürfen weder ganz allgemeine Konzepte für Personen noch ausdrücklich Einzelmengen denotieren (Bogusławski 2001, 116-117):

(iii) Pilot tego UFO jest człowiekiem/*człowiek. ‘Der Pilot dieses UFOs ist ein Mensch.’

(iv) Osoba, o którą chodzi, jest mężczyzną/*mężczyzna. ‘Die Person (…) ist ein Mann.’

Sie dürfen nicht von attributiven oder argumenttragenden Ergänzungen begleitet werden (Bogusławski 2001, 117-119).

Sie dürfen nicht mit iterierenden Adverbialen auftreten (z. B. dwa/trzy/kilka razy

‘zwei/drei/ein paar Mal’) (Bogusławski 2001, 119-120).

Schließlich, so Bogusławski (2001, 120-121), ist die nominativische Markierung in einigen ‘lexikonbasierten’ Fällen praktisch die einzig mögliche, an der auch die genannten Bedingungen kaum etwas ändern können, so z. B. (43a-d):85

85 Vgl. Geist (2006, 69-70), die russische ‘idiomatisierte’ Ausdrücke nennt, die den Nominativ am Prädikatsnomen ebenso ‘fordern’:

(i) a. On byl vylityj otec. (Rus)

‘Er war ganz der Vater’.

b. Ona byla koža i kosti.

‘Sie war Haut und Knochen.’

c. On byl živoj trup.

‘Er war ein lebendiger Leichnam.’

(Der Instrumental würde zum Verlust des idiomatischen Charakters führen.)

(43) a. Ona była herod-baba.

‘Sie war ein Dragoner.’

b. On był zewłok człowieka.

‘Er war ein lebendiger Leichnam.’

c. On był skóra i kości.

‘Er war Haut und Knochen.’

d. Ona jest wykapana matka.

‘Sie ist ganz die Mutter.’

Andererseits liegen laut Bogusławski (2001, 122) aber auch ‘lexikonbasierte’

Substantive vor, die als Prädikatsnomen auf den Instrumental festgelegt sind, z. B.

nicość ‘Nichtigkeit’, piękność ‘Schönheit’, znakomitość ‘Bekanntheit’.

Ferner beobachtet der Autor eine Reihe anderer, namentlich charakterisierender und bewertender Ausdrücke, die im Prädikat in ihrer Markierung schwanken, wo-bei der Nominativ aber überwiege, z. B. bankrut ‘Bankrott’, brudas ‘Schmutz-fink’, leniuch ‘Faulpelz’, polityczny trup ‘politische Leiche’, skurwysyn ‘Huren-sohn’, śpioch ‘Schlafmütze’ (Bogusławski 2001, 122).86

Schließlich werden noch fünf weitere Typen von Prädikativen mit ihrem spezi-fischen Markierungsverhalten beschrieben, die ich hier aus Platzgründen vernach-lässige (siehe Bogusławski 2001, 122-125).

Unbedingt erwähnt werden sollten die Feststellungen zu negierten Deklarativ- und Interrogativsätzen (Bogusławski 2001, 125-127). In diesen sei der Instrumental die absolut vorherrschende Form. Diesen Befund wertet Bogusławski als Folge der zuvor beschriebenen Regeln zur Nominativverwendung. So trete der Nomi-nativ – abgesehen von einigen wenigen metonymisch gebrauchten oder ‘lexikon-basierten’ Fällen – in beiden genannten Satztypen nur dann auf, wenn diese als Korrekturen verwendet würden. Dies wird vom Autoren mit der Annahme in Ver-bindung gebracht, der “doppelte Nominativ” verfüge über die charakteristische Eigenschaft der “Konsequenzialität”, die sich ihrerseits ausschließlich mit nicht negierten Ausdrücken verbinde. Diese Eigenschaft sei ein Reflex des (von

86 Es wird vermerkt, dass der Nominativ durch eine Temporalangabe deutlich beschränkt werde.

Das deutet m. E. darauf hin, dass Sätze, in denen diese Lexeme als Prädikative auftreten, tendenziell als Idiome gewertet werden, dass ihr Idiomcharakter jedoch nicht so ausgeprägt wie bei den zuvor genannten Wendungen ist, so dass der Instrumental und/oder eine Temporal-angabe den idiomatischen Charakter mindern oder ganz aufheben kann.

sławski demnach als kongruenzgebend betrachteten) Subjektnominativs, da Sub-jektausdrücke praktisch nie negiert seien. Als solche würden sie auch nur mit ge-eigneten, also nicht negierten Prädikaten verknüpft. In einem negierten Kopula-satz entspricht die Negation i. d. R. dem bloßen Fehlen der prädizierten Eigen-schaft. Solch ein Fehlen habe wiederum keine spezifizierbaren Konsequenzen, die aber der seiner Natur nach “konsequenziale” Nominativ erfordere. Daher seien, so Bogusławski, in negierten Kopulasätzen nominativische Prädikative nahezu aus-geschlossen, der “nicht konsequenziale” Instrumental dagegen werde in ihnen folgerichtig (und signifikant) bevorzugt.

Bogusławskis Betrachtung ist für die vorliegende Arbeit wertvoll, da sie dem

“formbasierten” Lager angehört und sich auf die Verhältnisse im Polnischen kon-zentriert, was ansonsten generell vergleichsweise selten ist. Sowohl die Nullhypo-these als auch die Schlussfolgerung Bogusławskis decken sich mit jenen von Hentschel (1991, 1993a) und besagen, dass der Kasusvariation keine semantische Distinktion i. e. S. zugrunde liegt. Anhand von Bogusławskis Detailbeobach-tungen offenbart sich aber m. E., dass die Kasusvariation im Polnischen einge-schränkter als im Russischen erfolgt.

Der Instrumental ist an substantivischen Prädikatsnomina im Polnischen in einem weit höheren Maße als im Russischen der Normalfall (vgl. eine mögliche Er-klärung in Abschnitt 5.5.2). Dem Autor kann daher zugestimmt werden, wenn er schreibt, dass “die instrumentalische Markierung n e g a t i v (by default) be-stimmt” (Bogusławski 2001, 127) sei. Das heißt, der Instrumental erscheint am polnischen substantivischen Prädikatsnomen, falls nicht auf Grund irgendwelcher

‘speziellen’ Umstände der ‘markierte’ “doppelte Nominativ” zum Einsatz kommt.

Letztlich belegt Bogusławskis Arbeit, dass sowohl für das Russische als auch für das Polnische der “formbasierte” Ansatz greift, auch wenn für beide Sprachen die konkreten Bedingungen der Wahl der einen oder anderen Form unterschiedlich aussehen mögen.