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Beschäftigte in FuE 1989 und 1992 nach den Branchen Maschinenbau (MB), Elektrotechnik und Elektronik (EE), Chemie-Industrie (Ch),

Zur Industrieforschung und -entwicklung in den neuen Bundesländern Horst Schrauber

Abb 2.: Beschäftigte in FuE 1989 und 1992 nach den Branchen Maschinenbau (MB), Elektrotechnik und Elektronik (EE), Chemie-Industrie (Ch),

Bergbau und Metallurgie (BM), Leicht- und Lebensmittelindustrie (LI) und Glas und Keramikindustrie (GK)

In vielen der verkauften Fabriken Ostdeutschlands werden Forschung und Entwicklung nicht gebraucht, weil sie in den Stammhäusern der Konzerne oder Unternehmen mit erledigt werden. Das sind die verlängerten Werkbänke. Wenn von den noch vorhandenen

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"industriellen Kernen" aber eine Reindustrialisierung mit autokatalytischen Effekten ausgehen soll, dann müssen die Reste der innovativen Kapazitäten unbedingt erhalten bleiben.

Die Industrieforschung in Ostdeutschland dürfte damit fast vollständig verschwunden sein, während geringe Kapazitäten der technischen und technologischen Entwicklung dort noch vorhanden sind, wo Marktchancen für Produkte oder Leistungen bestehen, wie beispielsweise optische Geräte in Jena, Kühlschränke in Scharfenstein, Fernseher in Staßfurt, Sensortechnik in Berlin, Impfstoffe in Dessau, Umwelttechnik an verschiedenen Standorten. Andere Restkapazitäten befassen sich mit Arbeiten zur Anpassung an neue N orm en und Lieferbedingungen, führen Meß- und Prüfdienste aus oder sind m it Pro­

duktion, M arketing und Vertrieb beschäftigt.

Joseph Schumpeter erkannte in der aktiven, schöpferischen Rolle von Pionier-Unter­

nehmern, die in der Volkswirtschaft Innovationen einfuhren, die Hauptantriebskraft für W irtschaftswachstum und Kapitalakkumulation. Der damit verbundene "Prozeß der schöpferischen Zerstörung", der die Wirtschaftsstruktur unaufhörlich von innen heraus revolutioniert, war von Schumpeter aber in historischen Dimensionen gedacht. Gemeint war Zerstörung als Ermöglichung von Neuem in begrenzten Bereichen einer ansonsten intakten Wirtschaft. /?/

In Ostdeutschland zerfallen innovative Potentiale hingegen in historisch sehr kurzer Zeit zusammen m it weiten Bereichen der Industrie bei zunehmender Konjunkturschwäche der gesamten deutschen Wirtschaft und stagnierender Weltwirtschaft.

Teile der industrienahen Forschung und Entwicklung befinden sich noch im Zerfallsprozeß - privatisierte Betriebe und Treuhand-Unternehmen -, während andere sich schon im Anpassungsprozeß befinden - Forschungs-GmbH und kleine technologieorientierte U n­

ternehmen. Der Personalabbau bei ersteren dürfte die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten der letzteren noch überwiegen. Bei den Forschungs-GmbH kann man zudem auch nicht von einem Transformationsprozeß sprechen, weil es in den alten Bundesländern vergleichbare Einrichtungen kaum gibt. Ihre Zukunft ist vielleicht noch unsicherer als die der neugegründeten mittelständischen Unternehmen.

In der W irtschaft gehen Beschäftigungswirkungen, derzeit nur von den Gründungen kleiner und m ittlerer Unternehmen aus.

Zerfall oder Anpassungskrise? - Zur Industrieforschung und -entwicklung in den NBL 53

Für Brandenburg und Ostberlin haben Befragungen innovativer Unternehmen ergeben, daß unter den Beschäftigten im Durchschnitt 7 % bzw. 40 % FuE-Kräfte sind. In Berlin zeigt sich, daß die neuen Unternehmen schon einige der freigesetzten FuE-Kräfte aufgenommen haben, wenn die Gründungen nicht überhaupt von diesen ausgegangen sind. Hochrechnung ergibt, daß in den bis Ende 1991 erfaßten neuen Betrieben in Brandenburg etwa 1.000 und in Ostberlin vielleicht 2.500 Beschäftigte für FuE tätig sind.

A uf welche W eise könnte in Ostdeutschland wieder ein nennenswertes industrielles FuE- Potential entstehen?

Forschung und Entwicklung werden in den neuen Bundesländern m it zahlreichen Programmen wirksam gefördert. BMFT und BMWi stellten allein für die industrienahe FuE (ohne Fraunhofer-Gesellschaft) 1992 zusammen etwa 680 Mio. DM bereit. Nach eigenen Berechnungen werden damit 18.000 /8/ und nach offiziellen Angaben sogar 20.000 FuE-Kräfte unterstützt /9/!

Abgesehen von den Schwierigkeiten dieser Berechnungen und Schätzungen und noch verborgenen Diskrepanzen (Mitnahmeeffekte) bedeuten diese Zahlen offensichtlich, daß die gesamte industrielle FuE in Unternehmen, Forschungs-GmbH und Technologie­

orientierten Unternehmen (TOU) am Tropf staatlicher Fördermittel hängt (vgl. Tabellen 2 und 3).

Tab. 3: Charakteristik der Ziele und Bedingungen der Innovationsförderregelungen der Bundesregierung

TZ BMFT VDI/VDE GR 75 2500 60 TZ 12/93

ZFO BMFT AiF AP 50 250 100 a 1000 KMU 12/93

x) - vorwiegend auf Schaffung und Erhalt von FuE-Arbeitsplätzen gerichtet = AP - vorwiegend auf die Förderung der Nachfrage nach FuE-Leistungen gerichtet = NF

- vorwiegend auf Gründung und Entwicklung, technologieorientierter Unternehmen gerichtet = GR

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Ein Neuaufbau industrieller FuE-Potentiale scheint jedoch au f Jahre hinaus nur m it weite­

ren, den jetzigen Bestand als Kapazitätssockel sichernden Fördermitteln möglich. Wenn dann noch die Investitionen wie zugesagt kommen und damit ab 1993 der Umsatz wieder steigen sollte, dann könnte m it einiger Verzögerung das FuE-Potential wieder langsam wachsen (siehe Abb. 1). Mittelfristig ermöglichen also nur Fördermittel und Umsätze aus traditioneller Produktion oder "verlängerter Werkbank" den Erhalt innovativer Potentiale.

Ein autokatalytischer Aufschwung über Innovationen aus FuE im Schumpeterschen Sinne ist für längere Zeit nicht in Sicht.

In Ostdeutschland entsteht eine Wirtschaft mit - gemessen an industriell entwickelten Ländern - völlig unzureichenden innovativen Potentialen und verzerrten Strukturen der Forschung und Entwicklung:

• Die großen Bundesländer Ostdeutschlands Sachsen und Brandenburg haben industrielle FuE-Potentiale wie die kleinsten westdeutschen Bundesländer (Abbildung 3).

Abb. 3: FuE-Personal der Wirtschaft 1992 nach Bundesländern

• W ährend in der DDR der Mittelstand unterdrückt wurde, fehlt in den neuen Bun­

desländern nun die innovative Großindustrie.

Die Struktur der FuE nach den Sektoren Wirtschaft, Staat und Hochschulen ist weiter denn je von der als international vorbildlich geltenden Westdeutschlands entfernt.

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Was ist im einzelnen zu tun?

Die vielfach vorgebrachte Forderung nach einer Industriepolitik wird von den führenden Wirtschaftsinstituten in ihrer Gemeinschaftsdiagnose vom Oktober 1992 erneut abgelehnt.

/10/

"In Ostdeutschland ist die Lage der Betriebe vielfach dramatisch, weil es an Produkten fehlt, die Abnehmer finden könnten. Selbst hohe Subventionen würden also nicht dazu fuhren, daß Kunden gewonnen werden können. Sie würden lediglich bewirken, daß Betriebe erhalten blieben. Unumgänglich ist es in jedem Fall, bei der Umstrukturierung und dem W iederaufbau der Industrie auf neue Produkte und Fertigungen zu setzen.

Dafür kann die Industriepolitik aber keinerlei konkrete, also für die Praxis nutzbare Handlungsanweisungen geben. Industriepolitik für Ostdeutschland würde deshalb lediglich bewirken, daß ein sich immer rascher drehendes Subventionskarussell in Gang gesetzt würde, weil industriepolitische Wunschvorstellungen und harte Wirklichkeit immer weiter auseinanderklaffen." Im Gegensatz dazu sind aber zusätzliche finanzielle Mittel im Haus­

halt 1993 für sogenannte industrielle Megaprojekte wie die ostdeutsche Chemieindustrie im Gespräch. /1 1/

Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben sich auch erneut gegen eine Mehrwert­

steuerpräferenz zur Förderung des Umsatzes von ostdeutschen Produkten ausgesprochen.

Ungeachtet der vorgebrachten Argumente bleiben Präferenzkonzepte aber weiterhin in der Diskussion.

Der Ankurbelung der W irtschaft dienen weiter die Investitionsforderung, die aber nicht unmittelbar FuE mitzieht, weil die Projekte woanders erarbeitet wurden, und die Arbeitsmarktpolitik, die zw ar Beschäftigte aus FuE auffängt, aber kaum neue Potentiale schafft. Steuervergünstigungen für FuE wurden durch den Einigungsvertrag, Artikel 38, ausdrücklich abgelehnt, obgleich sie in der bundesdeutschen FuE-Förderpraxis seit Jahren angewandt werden.

Die Situation der Industrie Ostdeutschlands ist so kritisch, daß die Bundesregierung und die sie beratenden Wirtschaftswissenschaftler in wesentlichen Fragen der W irt­

schaftspolitik gegensätzliche Auffassungen vertreten. Dabei steht die praktische W irtschaftspolitik ebenso au f dem Prüfstand wie die "reine Lehre der sozialen M arktwirtschaft".

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"Die Institute haben die große Sorge, daß die Weichen in Ostdeutschland jetzt in die falsche Richtung gestellt werden." /10/ Was aber ist die richtige Richtung aus dem Teufelskreis des Abschwungs?

Nach dem Einbruch der FuE-Kapazitäten in Ostdeutschland muß ein W iederaufbau ein- setzen, weil sonst kein selbsttragender Wirtschaftsaufschwung zustande kommen kann. Als wichtige praktikable Arbeitsrichtungen zur Neubelebung des FuE-Potentials der Industrie werden gesehen 151, /8/, /12/, /13/:

• Förderung der Nachfrage nach FuE-Leistungen vor allem aus den alten Bundesländern und der EG

• Zeitweilige Sicherung einer Grundfinanzierung für Forschungs-GmbH

• N utzung öffentlicher Investitionen für den Technologietransfer

• Förderung der FuE kleiner und mittelständischer innovativer Unternehmen

• Förderung und Reintegration von FuE-Personal, das derzeit befristet an ABM- Projekten arbeitet

• Reaktivierung von Naturwissenschaftlern und Technikern im Vorruhestand durch Vergabe von Werk- oder Beratungsverträgen, eventuell auch durch einen "Senior Experten Service"

• W eiterführung der FuE-Förderprogramme bei höherer finanzieller Ausstattung deijenigen Programme, die zu m ehr FuE-Beschäftigung führen.

Finanzhilfen des Bundes und Steuervergünstigungen - zusammen als Subventionen bezeichnet - in ähnlicher Größenordnung wie die FuE-Fördermittel für Ostdeutschland erhalten in Westdeutschland 1992 allein die Industriezweige Stahl- und Leichtmetallbau (546 Mio. DM), Textilgewerbe (556 Mio. DM), Eisenschaffende Industrie (726 Mio. DM) und Schiffbau (769 Mio. DM) /13/. Der Schiffbau und der Luft- und Raumfahrzeugbau weisen mit 16.800 DM bzw. 22.500 DM die höchsten Subventionen je Erwerbstätigen auf.

Konzerne aller Branchen erhalten aber nicht nur diese Subventionen, sondern auch noch öffentliche FuE-Fördermittel. Die ALCATEL SEL AG erhielt 1991 z. B. 14 Mio. DM und die Siemens AG sogar 200 Mio. DM direkte Projektfördermittel /14/.

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In Westdeutschland wirkt also auch heute noch eine derartige Industriepolitik, die nicht durch Stahlkrise, EG-Agrarpolitik oder alarmierende Arbeitslosigkeit m otiviert ist, warum in der schwierigen Situation nicht auch für Ostdeutschland? Im Wochenbericht 46/92 des DIW /13/ heißt es dazu: "Ein integriertes gesamtdeutsches Subventionskonzept muß vor allem Perspektiven eines Subventionsabbaus für Westdeutschland enthalten. A u f Dauer unerträglich ist eine in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Praxis bei den Erhaltungssubventionen. Sie können den Branchen in Ostdeutschland nicht vorenthalten werden, solange in Westdeutschland eine zum Teil jahrzehntelange Praxis beibehalten wird."

Es ist schwer vorstellbar, daß ein so hochindustrialisiertes Land einen Teil seiner potentiellen Wirtschaftskraft brach liegen läßt und au f die Nutzung kreativen H u­

mankapitals, das in der Industrie Ostdeutschlands zweifellos vorhanden war, im härter werdenden internationalen Wettbewerb verzichtet.

Allerdings scheint es, daß selbst die oben genannten Maßnahmenkomplexe nicht ausreichen, um wieder ein leistungsfähiges FuE-Potential in Ostdeutschland aufzubauen.

Zugespitzt formuliert, läuft die wirtschaftliche Entwicklung auf zwei Extreme hinaus:

entweder existieren au f lange Zeit nur verlängerte Werkbänke m it wenig innovativer Industrieproduktion und allmählichem Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland oder ein Paradigmenwechsel der Wissenschafts- und Industriepolitik mit für Deutschland völlig neuen Methoden ermöglicht einen raschen Aufschwung.

Literatur:

/ 1 / Becher, G. et. al.: Forschung und Entwicklung in der Wissenschaft der ehemaligen DDR.

Situations analyse im Juli/August 1990 und Beschreibung möglicher Veränderungen, Karlsruhe, Basel, Berlin, Dezember 1990

/ 2/ Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Juni 1992

/ 3/ Meske, W.: Industrie-F/E in der DDR - Umfang, Strukturen, Tendenzen - in: IGW-report, Erlangen-Nürnberg, 2/1990, S. 19 ff

/ 4/ Bobach, R. und Meier, K.: Zur Situation der Industrieforschung in den neuen deutschen Bundesländern - in: IGW-report, Erlangen-Nürnberg, 4/1990, S. 27 ff

/ 5/ Wirtschaftsnahe Forschung für den industriellen Aufbau in den neuen Bundesländern (Workshop-Dokumentation) FhG-ISI und IWH: Karlsruhe/Berlin, Mai 1992

/ 6/ Lindig, D.: Neuländer brauchen auch Erfinder. - in: Die Wirtschaft, Berlin, Ausgabe 40/92

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/ 7/ Schumpeter, J. A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, München 1950

/ 8/ Kühnrich, K. und Schrauber, H.: FuE-Arbeitsplätze durch Innovationsforderprogramme. - in: INNOSCRIPT Nr. 7, 1992

/ 9/ BMFT: Wirtschaftsbezogene Forschungsforderung in den neuen Bundesländern, Bonn, Juli 1992

/10/ Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Herbst 1992 (Gemeinschaftsdiagnose); DIW, HWWA, IFO-Institut, IWW, RWI; Berlin, 22.10.1992 /11/ Der Tagesspiegel vom 24. November 1992: Koalition einigt sich über weitere Hilfen für

Ostdeutschland

/12/ Beschäftigungswirkungen der Innovation und des Strukturwandels im Systemübergang der ostdeutschen Verarbeitenden Industrie, dargestellt am Beispiel der Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg

(Forschungsbericht zum Vorhaben AG 1/37 der KSPW):

Institut für Innovationsmanagement e. V.; Berlin, 20.10.1992 /13/ Deutsche Vereinigung prägt Subventionsentwicklung;

DIW-Wochenbericht 46/92; Berlin, 12.11.1992 /14/ BMFT-Förderkatalog 1991, Bonn, September 1992

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