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2   Stand der Forschung

2.1   Querkrafttragmechanismen und ihre Einflussparameter

2.1.3   Wichtige Parameter des Querkraftabtrags nicht querkraftbewehrter Bauteile

2.1.3.5   Bauteilabmessungen - Maßstabseffekt

In mehreren Versuchsreihen wurde versucht, den Einfluss der Bauteilabmessungen auf die Querkrafttragfähigkeit zu klären.

In den 1960er Jahren untersuchten LEONHARDT/WALTHER [95] in den bereits erwähnten Stuttgarter Schubversuchen den Einfluss der absoluten Balkenhöhe auf die Querkrafttragfähigkeit, indem sie durch die Änderung der Längsbewehrung die Verbundeigenschaften und daraus resultierend die Rissbildung beeinflussten. Sie erkannten, dass bei vollkommen ähnlichen Balken (d. h.: unterschiedliche Größen mit jeweils gleichem ρl und konstanter Stabanzahl, jedoch proportional zur Abmessung wachsendem Stabdurchmesser) eine kleinere Querkrafttragfähigkeit im Vergleich zu äußerlich ähnlichen Balken (d. h.: unterschiedliche Größen mit gleichem Bewehrungsgrad und gleichem Stabdurchmesser aber veränderlicher Stabanzahl) auftrat. Sie kamen deshalb zu dem Schluss, dass die Querkrafttragfähigkeit vollkommen ähnlicher Balken mit zunehmender Höhe abnimmt. Ab einer Höhe von h ≈ 40 cm ist die Abnahme allerdings von untergeordneter Bedeutung.

In etwa zur selben Zeit führte KANI seine Schubversuche sowohl zum Einfluss der absoluten Balkenhöhe als auch zur Balkenbreite durch. In [78] legt er dar, dass sich bei vier Versuchsreihen, bei denen die Balkenhöhe jeweils verdoppelt wurde, ein progressiv ansteigender Tragfähigkeitsverlust zeigte. Unter Beibehaltung aller anderen Parameter gab er für den höchsten Balken ein um 40 % reduziertes Sicherheitsniveau im Vergleich zum niedrigsten Balken an.

Aus seinen Ergebnissen leitete er ebenfalls ab, dass die relative Tragfähigkeit bei Balken mit gleichem Seitenverhältnis, sowie mit gleichen Festigkeitswerten der Materialien, aber unterschiedlichen Absolutmaßen mit zunehmender Bauteilgröße geringer wird. Dies wird als Maßstabseffekt bezeichnet.

Eine mögliche Ursache für den Maßstabseffekt der Querkrafttragfähigkeit wurde in einigen Forschungsarbeiten der letzten Jahre den größeren Rissöffnungen von höheren Bauteilen zugeschrieben. So wird in [4], [29], [30] darauf hingewiesen, dass eine größere Rissöffnung wcr eine verminderte Übertragung von Querkräften über die Risse und somit eine Reduzierung der Gesamtquerkrafttragfähigkeit infolge kleinerer Rissverzahnung Vc,r bedingt. Ergänzend fügt SHERWOOD [150] hinzu, dass der Maßstabseffekt infolge eines schlecht kontrollierten

Risswachstums durch die Längsbewehrung bei steigender Bauteilhöhe zunimmt. Resümierend wird in [151] festgehalten, dass alle Faktoren, die die Rissverzahnung negativ beeinflussen, die Querkrafttragfähigkeit verringern und einen Maßstabseffekt verursachen. Dazu gehören bspw. größere Rissöffnungen, größerer Rissabstand infolge Risssteuerung durch die Längsbewehrung oder kleinere Zuschlagskörner (Kapitel 2.1.3.6)

Analog zum „Dehnungsfaktor“ des Längsbewehrungsgrads wird der Maßstabseffekt im CSA [35] besonders anschaulich durch einen „Maßstabseffektfaktor“ ausgedrückt, durch den die aufnehmbare Querkraft mit wachsender Bauteilhöhe bzw. wachsendem Rissabstand verringert wird (Kapitel 2.2.5.4).

WALRAVEN [171] seinerseits verneinte, dass eine verminderte Rissverzahnung den Maßstabseffekt hervorruft. Er begründete dies mit Querkraftversuchen an Balken unterschiedlicher Höhe, bei denen die Querkrafttragfähigkeit stets die etwa gleiche Abhängigkeit von der Balkenhöhe aufwies. Dabei machte es keinen Unterschied, ob die Balken aus Normal- oder Leichtbeton waren. Da zu erwarten gewesen wäre, dass der Traganteil der Rissverzahnung bei den Leichtbetonbalken infolge Zerreißen der Zuschlagskörner deutlich geringer hätte ausfallen müssen, war ein Maßstabseffekt alleine durch die Abnahme der Rissverzahnung bei wachsender Bauteilhöhe für ihn nicht zu bestätigen.

In anderen Forschungsarbeiten wird versucht, den Maßstabseffekt aus bruchmechanischer Sicht zu erklären. REINHARDT [123] legte dar, dass Risslängen ähnlicher Versuchskörper ebenfalls ähnlich sind und höhere Bauteile damit größere Risslängen aufweisen. Diese wiederum bestimmen die erreichbaren Traglasten. Die nach der linearen Bruchmechanik erreichbare Querkrafttragfähigkeit ist unter der Voraussetzung einer reinen Zugbeanspruchung in der Rissspitze proportional zur Wurzel der Trägerhöhe.

BAŽANT/KIM führten in [12] aus, dass die Anwendung der linearen Bruchmechanik, wie sie von REINHARDT vorgenommen wurde, nicht immer zufriedenstellende Übereinstimmung zwischen Versuchsdaten und Berechnungsergebnissen liefert. Sie verwendeten deshalb für Balken und Platten ohne Querkraftbewehrung die nichtlineare Bruchmechanik. Damit entwickelten sie eine Formulierung, bei der der Einfluss des Maßstabs auf die Querkrafttragfähigkeit vom Verhältnis zwischen der statischen Höhe d und dem Durchmesser des verwendeten Größtkorns dg, sowie einemdimensionslosen empirisch ermittelten Faktor λ0

abhängt. Der Ansatz ist in Gl. 2.1-20 dargestellt:

2 / 1

g 0

1

⎟⎟

⎜⎜

⋅ +λ

=

φ d

d (2.1-20)

WALRAVEN/LEHWALTER [172] hielten hingegen die Abhängigkeit vom Korndurchmesser dg ebenso für zweifelhaft wie diejenige von einer verminderten Rissverzahnung und führten ihrerseits den Maßstabseffekt analog zu ZINK [179] und GRIMM [57] darauf zurück, dass innerhalb der Bruchprozesszone nahe der Rissspitze noch Zugspannungen senkrecht zum Riss übertragen werden (Kapitel 2.1.2.5).

45°

Bild 2.1-14: Einfluss der Größe der BPZ nach ZINK [179] bei a) großen b) kleinen Balken

Anhand Bild 2.1-14 und der von HILLERBORG [64] angegebenen Länge der Bruchprozesszone von 0,3·lch … 0,5·lch wird ersichtlich, dass die Länge der Bruchprozesszone von Bauteilen mit geringer statischer Nutzhöhe d (Bild 2.1-14b) einen größeren prozentualen Anteil am Gesamtriss besitzt als bei Bauteilen mit größerer statischer Nutzhöhe (Bild 2.1-14a). Somit nimmt die Fähigkeit, Zugspannungen in der Bruchprozesszone zu übertragen mit zunehmender Bauteilhöhe ab, was die Querkrafttragkomponente VBPZ

ebenfalls verringert.

ZARARIS/PAPADAKIS [177] führen den Maßstabseffekt neben der Abhängigkeit von der statischen Nutzhöhe d auch auf die Schubschlankheit a/d zurück. In dem von ihnen entwickelten Modell, das an Trägern mit a/d > 2,35 kalibriert wurde, hängt die Länge lcr nach dem Eindrehen des Schubrisses vom Abstand der Last a im Verhältnis lcr = 0,4·a ab. Der Anteil innerhalb lcr, bei dem infolge hoher Betondruckspannungen Querzugspannungen herrschen, liegt nach [177] bei 0,16·a. Für die Ermittlung der Querzugspannungen geben sie folgende Formel an:

cr

In den gängigen Normen wird der Maßstabseffekt unterschiedlich behandelt. In EC2-1-1 [39], CSA A23.4 [35], Model Code 2010 [107] und SIA 262 [144] wird er durch unterschiedliche Faktoren berücksichtigt. Diese sind in den Gln. (2.1-22) bis (2.1-25) dargestellt. In ACI 318 [5] findet er keine Berücksichtigung. Das führt zu deutlich weniger konservativen Ergebnissen bei großen Bauteilen ohne Querkraftbewehrung [152], [153].

Europäische Norm: EC2-1-1: 200 2,0

Schweizer Norm: SIA 262:

d

Man erkennt die direkte Abhängigkeit von der Nutzhöhe in EC2-1-1. In der Schweizer Norm tritt eine direkte Abhängigkeit auf, wenn die Biegebewehrung voll ausgenutzt ist. Dann strebt der Faktor kv = 2,2∙mEd/mRd gegen 2,2. Andernfalls korreliert der Maßstabseffekt mit der Schubspannweite a [112]. In der Kanadischen Norm sowie Model Code 2010 wird der „size effect factor“ über den Rissabstand (abhängig vom inneren Hebelarm z) in Kombination mit der Korngröße dg ausgedrückt. Weitere Ausführungen zum „size effect factor“ erfolgen in Kapitel 2.2.8.3.

Parallel zu seinen Untersuchungen zur Bauteilhöhe nutzte KANI die vier Versuchsreihen auch, um den Einfluss der Balkenbreite zu untersuchen. Dazu verglich er die Summe der Traglasten von vier schmalen Balken mit jeweils der Breite b mit der eines einzelnen Balkens der Breite 4b. Es zeigte sich, dass der breite Balken in etwa die gleiche Traglast erreichte, wie die Summe der vier schmalen Balken, weshalb für KANI keine Auswirkung der Balkenbreite auf die Querkrafttragfähigkeit vorhanden war. Dies wurde später u. a. durch SHERWOOD et al. [153] bestätigt.