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Baulich-strukturelle Definitionsmerkmale

Im Dokument Die strategische Entwicklung (Seite 123-132)

3   Das Stadtquartier als städtisches Element

3.4   Zwischenfazit: Definition des Stadtquartiers

3.4.1   Baulich-strukturelle Definitionsmerkmale

Ein erstes Merkmal äußert sich in der Tatsache, dass das Quartier sich zwar wie beschrieben vom Stadtteil abgrenzt, dies jedoch nicht impliziert, dass es nicht über zentrale städtische Qualitäten und Eigenschaften verfügt. Um dies darzustellen, prägt KOCHER in seiner Defini-tion das Quartier als „ein Stück Stadt“520. Auch wenn dies auf den ersten Blick lapidar er-scheint, birgt die Vorstellung eine weit reichende Qualifizierung.521

Das Quartier ist ein Stück Stadt.

Die Definition der Grenzen dieses „Stücks Stadt“ stellt sich jedoch durchaus schwierig dar.

Dabei ist nach SCHELTE die „baulich-strukturelle Differenzierung“ des Quartiers gegenüber

517 Lüdtke (1989), S. 145.

518 Vgl. Strohmeier (1983), S. 104-106; Grosskopf/König (2001), S. 79; Häußermann/Siebel (1987), S. 11;

Wiechers (2005), S. 430.

519 Vgl. Herlyn (2000), S. 159-161. Hinsichtlich des Konsums nennt Becker (2000), S. 69-70 die Wichtigkeit von Erlebniskäufen. Peitsch (2005), S. 161-162 und auch Isenhöfer (2001), S. 557 deuten die Relevanz der Selbstverwirklichung von Mitarbeitern durch den jeweiligen Unternehmensstandort an.

520 Kocher (1999), S. 6. Vgl. auch Dangschat (2001), S. 216.

521 Vgl. Schmals (2005), S. 47.

der restlichen Stadt von zentraler Bedeutung für den Erfolg eines neuen Stadtquartiers.522 FRANZ problematisiert diese nutzerperspektivische Schwierigkeit einer linearen Abgrenzung anhand rein objektiver Faktoren. Zwar berücksichtigen Nutzer dabei spezifische räumliche Aspekte wie topografische Eigenschaften oder baulich-räumliche Merkmale.523 Oftmals stellt sich die Orientierung und damit Begrenzung des Quartiers jedoch weitaus subtiler dar.

So versuchen Nutzer vielmehr, objektive Merkmale in einer individuellen Wahrnehmung mit politischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen „unter einer übergreifenden Perspek-tive zu integrieren“524 und darüber eine zwar individuelle, aber häufig auch kollektiv aggre-giert erkennbare Abgrenzung zu schaffen.525 Daher ist zu postulieren:

Das Quartier ist ein intuitiv abgrenzbarer innerstädtischer oder innenstadtnaher Bereich.

Grundlage dieser intuitiven Abgrenzungsfähigkeit ist ein entsprechendes, baulich-räumliches Erscheinungsbild. Dies kann nach CARLINI ET AL. vor allem baustilistisch erreicht werden

„über die Ausbildung und Anordnung der Bautypen und des Baumaterials“.526 TÖLLE spricht von einer spezifischen „Prägung der Ortstypik“527, MIKUNDA hingegen spricht von dem

„[…] Stil der Häuser, der Art der Geschäfte und Menschen, dem Licht [und] dem Geruch“528 als entsprechend prägende Elemente. Auch für LYNCH entsteht über die individuelle Er-scheinung eine „Einprägsamkeit“ als maßgebliche Stärke von Innenstädten.529 Für F ELDKEL-LER liegt die Herausforderung daher in der Entwicklung von „einem charakteristischen Quartiersbild […], das die Erfahrung des ‚Städtischen’ vermittelt“.530 So gilt:

Das Quartier hat ein individuelles Erscheinungsbild.

Weiterhin werden hinsichtlich der baulich-strukturellen Aspekte einerseits durchaus konkre-tere Maßgaben - bspw. hinsichtlich der baulichen Struktur531 und des spezifischen

522 Vgl. Schelte (1999), S. 130.

523 Vgl. Mikunda (2005), S. 54, sowie Lynch (2001), S. 32 für Plätze und S. 42 für Straßen.

524 Franz (1989), S. 26.

525 Vgl. Franz (1989), S. 26-29; Schmals (2005), S. 47.

526 Vgl. Carlini et al. (1977), S. 7.

527 Tölle (2005), S. 238. Diese wird allem auch durch die Integration erhaltenswerten Baubestands gefördert.

Vgl. Schelte (1999), S. 131.

528 Mikunda (2005), S. 51.

529 Vgl. Lynch (2001), S. 20.

530 Feldtkeller (2001c), S. 36.

531 Z.B. Baustruktur, Dichte, öffentlicher/ privater Raum vgl. Carlini et al. (1977), S. 5; Schmals (2005), S. 61.

angebots532 - adressiert und eine Generalisierung entsprechender Merkmale unternommen.

Wie bereits zuvor diskutiert, stellt die Mischung verschiedener Nutzungen darunter die wohl am häufigsten formulierte Voraussetzung dar.533 Nach der BFLR ist hier „ein besonderes Augenmerk […] auf die Verträglichkeit der verschiedenen Funktionen zu richten. Nut-zungsmischung soll in den Quartieren bewahrt werden, wo sie sich erhalten und bewährt hat;

sie soll nachträglich erzeugt werden, wo sie verloren gegangen ist, und sie soll [was beson-ders hier von Relevanz ist] von vornherein geschaffen werden, wo neue Stadtquartiere ge-plant werden.“534 Somit gilt:

Stadtquartiere sind geprägt durch Nutzungsmischung.

Um Nutzungsmischung innerhalb eines spezifischen Quartierskontextes zu qualifizieren, haben LEHMBÖCK und FISCHER eine Darstellung hergeleitet, die mögliche Nutzungen und vor allem deren Entfernung in Gehminuten aufzeigt. Abbildung 14 zeigt diesen, geringfügig an die heutigen Umstände angepassten Radius auf. Auch wenn es sich hierbei um eine ideal-typische Darstellung handelt, sich die Nutzungspräferenzen in den vergangenen 30 Jahren erheblich gewandelt haben und darüber hinaus Kompromisse im räumlichen Umfeld in der Regel unumgänglich sind, wird dennoch ersichtlich, dass innerhalb eines fußläufigen Radius eine Vielzahl von Nutzungen der materiellen, sozialen und medizinischen Versorgung, Frei-zeit, aber auch der Sozialisation (bspw. über Sportanlagen oder gastronomische Einrichtun-gen) nachgefragt wird, welche auch über längere Zeit Bestand haben. Zusammenfassend bedeutet dies:

Das Quartier verfügt über eine funktionierende Nahversorgungsinfrastruktur.

Eng mit der Forderung einer hinreichenden Nahversorgung wird ferner, oftmals eher subtil und implizit, die Relation des Quartiers zur Gesamtstadt angedeutet. So kommt SCHELTE zu dem Schluss, dass die „Verknüpfung der Quartiere mit den umliegenden Nutzungsstrukturen und Stadtquartieren“535 ein zentrales Ziel der Quartiersentwicklung ist. SCHWANKE fordert

532 Dazu zählen u.a. Nutzungsarten und Infrastrukturen. Vgl. Franz (1989), S. 26.

533 Dies schlägt sich auch im Bericht der Enquete-Kommission nieder. Vgl. Deutscher Bundestag (1998). Auch Jessen (1999), S. 6 postuliert grundsätzlich: „Es sollen Stadtteile statt Siedlungen entstehen.“

534 Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) (1995), S. 2.

535 Schelte (1999), S. 131.

neben weiteren Quartierszielen explizit: „Certainly the [mixed-use] project must provide the strength of image, presence, and identity needed for success, but those factors must be ba-lanced […] to contribute to the overall community. The design of mixed-use developments should avoid creating fortresses and monuments and seek to create a place that can serve as a bridge and connector between different areas and uses within the community.“536

Abbildung 14: Elemente einer funktionierenden Nahversorgungsinfrastruktur.

Wohnung Quelle: In Anlehnung an Lehmböck/Fischer (1971), S. 36

Ein bedeutender Schlüssel stadtstruktureller Integration ist dabei die verkehrliche Erschlie-ßung des Areals durch den motorisierten Individualverkehr (MIV), zunehmend aber im Sin-ne der ökologischen Nachhaltigkeit auch in der Erschließung durch ÖPNV. So stellt auch KOLL-SCHREZENMAYR fest, dass „[…]die Lage der Haltestellen des öffentlichen Verkehrs […] eine starke Steuerungswirkung auf die Ansiedlung von baulichen Entwicklungen in

536 Schwanke (2005), S. 179.

Umnutzungsgebieten [haben].“537 Wie dieser Anschluss ausgestaltet sein kann und welche Verbindungen dabei von Bedeutung sind zeigt die Weiterentwicklung in Abbildung 15.

Abbildung 15: Elemente einer funktionierenden Nahversorgungsinfrastruktur aus Bewohnersicht inkl. ÖPNV-Anschluss. Quelle: In Anlehnung an Lehmböck/Fischer (1971), S. 36

537 Koll-Schretzenmayr (2000), S. 12.

Im Sinne der symbiotischen Verbindung sollte unbedingt festgestellt werden, dass diese Verknüpfung der Nahversorgungsstruktur eine Bedingung aus Sicht der gesamten Stadtbe-völkerung ist. „Für die Durchführung von Großvorhaben, welche die Entstehung von inner-städtisch zentralen Quartieren mit gesamtinner-städtischer Relevanz [anstreben,] ist angesichts des hohen Interesses der städtischen Öffentlichkeit sowie der gesellschaftlichen und somit politi-schen Dimension die Verankerung in den gesamtstädtipoliti-schen Kontext […] unerlässlich.“538 Dabei steht auch die Stadt in der Pflicht, das Areal bspw. durch öffentliche Nutzungen mit gesamtstädtischer Bedeutung aufzuwerten.539 „So wird es auch Zielort für Stadtbewohner, die weder dort wohnen, noch arbeiten.“540 So gilt:

Das Quartier hat eine gute infrastrukturelle und nutzungsspezifische Verknüpfung mit der Stadt als Ganzem.

Weiterhin, und vor allem aufgrund der Implikationen auf Nutzungsmischung541 stellt Dichte eine der zentralen Fragen der städtebaulichen Forschung dar und agiert als Gegenstand städ-tischer Maßstäblichkeit.542 SIEVERTS nennt zwei zentrale Vorteile der Dichte. So trägt Dichte einerseits über eine effizientere Nutzung der Stadt und damit der Ressource Boden zu einer ökologischen Nachhaltigkeit bei. Andererseits bildet sie die Grundlage für Urbanität inner-halb der Stadt.543 Daher besteht eine weitgehende Übereinstimmung einer Renaissance der gehobenen baulichen Dichte in innerstädtischen Gebieten, was nicht zuletzt das gegenwärti-ge städtebauliche Ideal prägt.544 „Ein wesentliches Element, das die Entstehung eines urba-nen Stadtqualtiers bedingt, ist die Schaffung einer städtischen Dichte.“545

Jedoch ist das Konzept der städtischen Dichte vielseitig und es ist notwendig, dabei zwi-schen verschiedenen Ausprägungen zu differenzieren546:

538 Tölle (2005), S. 90.

539 Vgl. Koll-Schretzenmayr (2000), S. 12.

540 Jessen (1999), S. 12.

541 Vgl. Feldtkeller (2001c), S. 35; Jessen (1999), S. 15.

542 Vgl. zur Historie der Dichte als städtebauliche Kennzahl insbes. Lampugnani/Keller/Buser (2007).

543 Vgl. Sieverts (1999), S. 40. Feldtkeller (2001b), S. 10 konstatiert, dass es „Ohne Dichte […] keine […]Vielfalt [gibt], die eine notwendige Vorbedingung für lebendige Stadtquartiere ist.“

544 Vgl. z. B. Burton (2000), S. 1969f. Sie spricht auch oft von der kompakten und verdichteten Stadt. Jessen (2000), S. 48-20. Vgl. auch die BfLR, die Nutzungsmischung und Dichte als zentrale Konzepte einer nach-haltigen Stadtentwicklung ansehen. Vgl. BfLR (1995), S. 1-3; BfLR (1996), S. 19f.

545 Pätz/Soehlke (2001), S. 62. Auch Tölle spricht beispielsweise von der „Dichte und Kompaktheit“ des Quar-tiers. Vgl. Tölle (2005), S. 252.

546 Die Differenzierung an sich geschieht in Anlehnung an Sieverts (1999), S. 40.

• Die bauliche Dichte stellt dabei das Grundverständnis der Dichte dar. Hierbei handelt es sich um eine objektive Feststellung des Ausmaßes der Gebäude innerhalb eines be-stimmten städtischen Bereiches. Bedeutende Kennzahlen sind dabei u.a. die Grundflä-chenzahl (GRZ) und die GeschossfläGrundflä-chenzahl (GFZ).547

• Neben der baulichen Dichte spielt auch die wahrgenommene Dichte eine bedeutende Rolle im städtischen Kontext. HUSEMANN differenziert dabei zwischen objektiver und subjektiver Dichte.548 Dabei ist wahrgenommene Dichte insbesondere aufgrund der Ge-fahr des „Crowding“ bedeutend. „Crowding“ beschreibt dabei das Gefühl einer negativ oder übermäßig wahrgenommenen Dichte. Damit einher gehen Assoziationen wie Be-engtheit oder Unsicherheit zu Unbehaglichkeit und Angst.549

Soziale Dichte beschreibt hingegen die interpersonale Dichte innerhalb eines bestimm-ten Gebietes. Dabei geht es insbesondere um die Anzahl und Qualität der sozialen Kon-takte.550 Das Zusammenspiel von baulicher und sozialer Dichte zeigt dabei LOO auf in-dem soziale Dichte über eine variable Anzahl von Menschen in einer fix definierten Flä-che, im Gegensatz zu baulicher Dichte als variable Flächengröße in einem fixen Raum verstanden wird.551

Dabei haben die drei Dichtedimensionen nicht notwendigerweise einen positiven Einfluss aufeinander und es ist häufig notwendig, entsprechende Faktoren abzuwiegen. Eine hohe bauliche Dichte wird beispielsweise nur dann akzeptiert, „wenn sie tatsächlich zu attraktiver [städtischer] Vielfalt beiträgt und wenn sie durch innerstädtische Freiräume ausgeglichen wird, die einen hohen Gebrauchswert besitzen.“552 So kann z.B. eine hohe soziale Dichte städtische Vielfalt erzeugen, die hohe bauliche Dichte kompensiert. Wenig Vielfalt kann wiederum zu einer hohen wahrgenommenen Dichte unabhängig von der baulichen Struktur führen. Somit kann festgehalten werden:

Neue Stadtquartiere haben eine angemessene bauliche Dichte.

547 Vgl. Lichtenberger (1998), S. 96-100. Zur Erläuterung der Kennzahlen vgl. Schulz-Eickhorst/Focke/Pelzeter (2005), S. 153; Alexander (1993), S. 181-202.

548 Vgl. Husemann (2005), S. 26-28.

549 Vgl. zu Crowding insbesondere Schmidt/ Goldman/Feimer (1979), S. 105-130; Stokols (1972) S. 275-277;

Stokols/Smith/Prostor (1975), S. 792-814; Rapaport (1975), S. 133-158.

550 Vgl. Sieverts (1999), S. 40.

551 Vgl. Loo (1972), S. 372–381 oder auch Fox/Fox/Marans (1980) S. 349-359.

552 Feldtkeller (2001c), S. 35.

Ein weiteres Merkmal, das im Zusammenhang mir Dichte oftmals diskutiert wird, ist der öffentliche Raum.553 Die Elemente des öffentlichen Raums sollten vielfältig und hierarchisch angeordnet sein.554 Ausgangpunkte stellen dabei häufig Plätze oder Parks dar, welche das umliegende Gebiet über eine zentrale Achse erschließen und sich ggf. über weitere kleine Plätze in Seitenstraßen untergliedern.555 Dabei bildet der öffentliche Raum das strukturelle Grundgerüst des Quartiers. Nur über den öffentlichen Raum wird es erschließbar, aber auch ablesbar, erlebbar und begreifbar. Ferner wird die Bedeutung des öffentlichen Raumes vor dem Hintergrund der gegenwärtig gesellschaftlichen Trends stetig steigen. Somit lässt als weiteres Definitionsmerkmal festhalten:556

Das Stadtquartier hat einen qualitativ gehobenen und ablesbaren öffentlichen Raum.

In der Diskussion um die Definition und Funktion eines gut ablesbaren öffentlichen Raumes wird mit einer robusten Stadtstruktur ein eng damit zusammenhängender Aspekt aufgewor-fen. Robustheit wird dabei beschrieben durch die stellenweise genannte Ablesbarkeit des öffentlichen Raumes, aber auch durch eine entsprechende Flexibilität gegenüber langfristi-gen Veränderunlangfristi-gen.557 Die Bedeutung eines so verstandenen robusten städtebaulichen Kon-zeptes signalisiert STACHEL mit der Frage „nach der Dauerhaftigkeit konkreter Strukturele-mente [des städtebaulichen Konzeptes] und nach den Reaktionen auf grundlegende Verände-rungen im materiellen oder semiotischen Gefüge einer Stadt.“558 Flexibilität kann dabei durch eine Flexibilität der Planung aus zeitlicher Perspektive erreicht werden. So sollten städtebauliche Entwürfe, meist auf viele Jahre im Voraus geplant, Raum für Anpassungen aufgrund verschiedener Umweltveränderungen gewährleisten. Die Krux eines robusten Pla-nungskonzeptes liegt dabei zugleich in der Beibehaltung der Grundidee: Ein robustes städte-bauliches Konzept kann derlei Veränderungen kompensieren, ohne dass dabei die Grundidee des Entwurfes verloren geht.559

Das Stadtquartier hat ein räumlich und zeitlich robustes, städtebauliches Konzept.

553 Vgl. Jessen (1999), S. 14.

554 Vgl. Schwanke (2005), S. 179-180.

555 Vgl. Sieverts (1990a), S. 6-10.

556 Vgl. Sieverts (1999), S. 36; Breuer (2003), S. 10; Pätz/Soehlke (2001), S. 72.

557 Vgl. Pätz/Soehlke (2001), 63.

558 Stachel (2007), S. 14.

559 Vgl. Jessen (1999), S. 25.

Aus den Überlegungen zu robusten Strukturen ergibt sich vor dem Hintergrund eines hoch-wertigen öffentlichen Raumes eine weitere Implikation. Denn wenn LYNCH von einer Orien-tierungsfähigkeit spricht, die Veränderungen kompensieren kann, stellt sich unweigerlich die Frage, was die Ankerpunkte dieser Orientierung sind, die das Bewusstsein prägen und über die Zeit bestehen bleiben.560 CARLINI ET AL. sprechen hier von den „Schwerpunkten des Quartiers“ oder auch von einem „Zentrum im System“561, das über die Struktur einen ge-meinsamen Orientierungspunkt darstellt. Bezogen auf innerstädtische oder innenstadtnahe Stadtquartiere ist somit eine Entwicklung eines gemeinsamen, raumwirksamen Zentrums als Fixpunkt unumgänglich. Die konkrete und ortsspezifische Ausgestaltung hingegen stellt sich als Herausforderung dar. „Die Bestimmung von Lage und Größe dieses zentralen Bereiches in den Quartieren scheint einer der entscheidendsten und schwierigsten Planungsaufgaben zu sein.“562

Dabei kommen jedoch häufig vergleichsweise generische Grundstrukturen zur Anwendung.

Der Grund dafür liegt in der von LYNCH genannten notwendigen Orientierungsfähigkeit in-nerhalb des Quartiers, welche sich in der spezifischen Wahrnehmung des Nutzers im Quar-tier erschließt. Die Abbildung der Realität strukturiert er sich dabei mithilfe einer „kogniti-ven Landkarte563“ bzw. einer „Mental Map“ als individuellem Orientierungsplan. Innerhalb dieser werden Ankerpunkte gesucht, welche die Struktur der kognitiven Karte bilden.564 Zentrale Elemente „sind vertraute Wegweiser, die besondere Hilfestellung leisten, um uns trotz Abkürzung oder Umweg zum Ziel zu führen.565“ Ziel vieler erfolgreicher Orte ist daher ein schnelles und intuitives Verständnis eines Ortes im Sinne einer schnell einprägbaren kognitiven Landkarte. Dies reduziert sich nicht nur auf den wirtschaftlichen, sondern auch auf den soziologischen Bereich. „Klar lesbare morphologische Elemente wie Wege, Grenzli-nien, abgegrenzte Bereiche, Schnittpunkte und Merkzeichen erfüllen Orientierungsbedarf

560 Vgl. v.a. Lynch (1990). Sieverts (1999), S. 56 thematisiert den Fixpunkt der Orientierung: „Was wäre New York ohne Brooklyn und Queens, Paris ohne seine Banlieue, eine Hafenstadt ohne Ozean, Kairo ohne Wüs-te?“

561 Carlini et al. (1977), S. 7 und S. 38.

562 Jessen (1999), S. 11.

563 Das Konzept der „kognitiven Landkarte“ stammt von dem Psychologen Tolman und beschreibt das innere Bild, was sich Menschen von einem Ort machen. Vgl. Tolman (1948), S. 189-208.

564 Dies wird durch die sog. „Anchor Point Hypothesis“ beschrieben. Vgl. u.a. Hellbrück/Fischer (1999), S. 63-65 und S. 74; Couclelis et al. (1987), S. 99-106; Aronoff/Wilson (1985), S.33; Golledge (1999).

565 Mikunda (2005), S. 52.

und tragen wesentlich zum Wohlbefinden der Bewohner in der Stadt und in weitere Folge zur Identifikation mit der Stadt bei.566“ So gilt:

Das Quartier hat einen oder mehrere, gemeinsame Bezugs- und Orientierungspunkte im öffentlichen Raum.

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