In der BCS-Theorie der Supraleitung verwendet man einen Hamilton-Operator der Form (8.1). Hierbei wird angenommen, daß die effektive Zweiteilchen-Wechsel-wirkung attraktiv ist f¨ur Elektronenzust¨ande in der N¨ahe der Fermikante, und zwar f¨ur Zust¨ande oberhalb und unterhalb der Fermikante. Seit Cooper weiß man, daß die Fermiverteilung bei einer attraktiven Wechselwirkung instabil gegen¨uber der Bildung von Paarzust¨anden (k↑,−k↓) ist. Wir erwarten deshalb, daß Matri-xelemente der Form hN −2, G|ck2σ2ck1σ1|N, Gi im Grundzustand makroskopisch
8.2 Bardeen-Cooper-Schrieffer (BCS)-Theorie 163
groß sind f¨urk2 =−k1, σ2 =−σ1. Die Existenz solcher Matrixelemente l¨asst sich am einfachsten im Rahmen einer Hartree-Fock-¨ahnlichen Molekularfeld-Theorie behandeln. Zweckm¨aßig ist es außerdem, ein großkanonisches Ensemble zu vwenden, weil sich dann diese Matrixelemente, bei der die Teilchenzahl nicht er-halten ist, als Erwartungswerte schreiben lassen. Man ersetztK =H−µN durch den Molekularfeld-Operator
KM F =X
kσ
ξkc†kσckσ +X
k
(∆kc†−k↓c†k↑+ ∆∗kck↑c−k↓). (8.16) Die Parameter dieses Molekularfeld-Hamilton-Operators lassen sich selbstkonsi-stent bestimmen, indem man je zwei Operatoren des urspr¨unglichen Hamilton-Operators durch ihren Erwartungswert ersetzt. Ber¨ucksichtigt man nur die an-omalen Erwartungswerte hck↑c−k↓i und hc†k↑c†−k↓i (der Rest ergibt Hartree-Fock-Korrekturen zu den Einteilchen-Energien), dann erh¨alt man die Selbstkonsistenz-Gleichung:
∆k =X
k′
V(k,k′)hck′↑c−k′↓i (8.17) mit
V(k,k′) =h−k,k|V| −k′,k′i (8.18) und
ξk =ǫk−µ . (8.19)
Die Details der Herleitung wollen wir hier nicht weiter diskutieren, da wir sp¨ater mit der Technik der Greenschen Funktionen einen systematischeren Weg ken-nenlernen werden. Bevor wir den allgemeinen Fall mit der echten Zweiteilchen-Wechselwirkung behandeln, wollen wir die Struktur der Anregungen mit Hilfe des Molekularfeld-Hamiltonians analysieren. Dazu m¨ussen wirKM F diagonalisieren, d.h. in folgende Form bringen:
KM Fdiag =X
kσ
Ekσγkσ† γkσ. (8.20) Die Operatorenγkσ sind Linear-Kombinationen der ursp¨unglichen elektronischen Operatorenckσ und m¨ussen ebenfalls die Fermi-Vertauschungsregeln erf¨ullen. Die eleganteste Weise, diese Diagonalisierung durchzuf¨uhren, besteht in der Analyse der Bewegungsgleichungen der Operatoren. F¨ur KM F in Diagonalform gilt:
[KM Fdiag, γkσ] = −Ekσγkσ. (8.21)
Hier kann Ekσ kann als Quasiteilchen-Energie interpretiert werden, γkσ† als Er-zeuger f¨ur ein Quasiteilchen. In der urspr¨unglichen Form von KM F erhalten wir f¨ur den Kommutator mit ck↑:
[KM F, ck↑] =−ξkck↑+ ∆kc†−k↓. (8.22) Hier werden Operatoren mit entgegengesetztem Spin und Impuls gemischt. F¨ur den Kommutator mit c†−k↓ finden wir analog:
[KM F, c†−k↓] = +ξkc†−k↓+ ∆∗kck↑. (8.23) Daher machen wir folgenden Ansatz f¨ur die Quasiteilchen-Operatoren
γ =xck↑+yc†−k↓ (8.24)
und fordern
[KM F, γ] =−λγ . (8.25)
Mit dem obigen Ansatz finden wir
[KM F, γ] = x(−ξkck↑+ ∆kc†−k↓) +y(ξkc†−k↓+ ∆∗kck↑)
= −λ(xck↑ +yc†−k↓). (8.26)
Vergleicht man die Koeffizienten der elektronischen Operatoren, dann erh¨alt man das folgende Gleichungssystem
(λ−ξk)x+ ∆∗ky = 0 (8.27)
∆kx+ (λ+ξk)y = 0. (8.28)
Die Eigenwerte sind
λ=±Ek, Ek = + q
ξ2k+|∆k|2; (8.29) die zwei L¨osungen f¨ur die Quasiteilchen-Operatoren sind:
1. λ1 = +Ek : γ1 =γk↑ =ukck↑−vkc†−k↓ (8.30) 2. λ2 = −Ek : γ2=γ−k↓† =vk∗ck↑+u∗kc†−k↓ (8.31) mit
|uk|2 = 1 2
1 + ξk
Ek
, |vk|2 = 1 2
1− ξk
Ek
, ukvk = ∆k
2Ek
. (8.32)
8.2 Bardeen-Cooper-Schrieffer (BCS)-Theorie 165
Wegen des Vorzeichens des Eigenwertes ist γ1 ein Vernichter, γ2 ein Erzeuger.
Die Bezeichung ist so gew¨ahlt, daß sie weit oberhalb der Fermikante mit der Bezeichnung der Elektronen-Operatoren ¨ubereinstimmt.
Die Absolutwerte der Koeffizientenuk, vksind durch die Forderung bestimmt, daß die Quasiteilchen-Operatoren Fermi-Vertauschungsregeln gen¨ugen m¨ussen:
γkσ† γk′σ′ +γk′σ′γkσ† = δkk′δσσ′ (8.33) γkσγk′σ′ +γk′σ′γkσ = 0. (8.34) Daraus folgt
|uk|2+|vk|2 = 1. (8.35) O.B.d.A. kann uk reell und positiv gew¨ahlt werden. Die Phase von vk ist dann durch die Phase von ∆k=|∆k|exp(iϕk) bestimmt. Beachte: durch die Selbstkon-sistenz-Gleichung sind die Phasenϕkmiteinander gekoppelt. F¨ur s-Wellen-Supra-leiter sind alle Phasen gleich. F¨ur eineneinzelnen Supraleiter (ohne ¨außeres Ma-gnetfeld und Str¨ome) kann diese globale Phase Null gesetzt werden.
Im Allgemeinen kann die Transformation zwischen Elektronen-Operatoren und Quasiteilchen-Operatoren in der kompakten Form geschrieben werden:
γkσ =ukckσ −vksign(σ)c†−k,−σ (8.36) ckσ =u∗kγkσ+vk∗sign(σ)γ−k,−σ† . (8.37) Damit schreibt sich der Molekularfeld-Hamilton-Operator
KM F =X
kσ
Ek(γkσ† γkσ−1). (8.38) Die Konstante (−1) wird meist weggelassen, da sie f¨ur das Anregungsspektrum nicht von Bedeutung ist. In diesem Hamilton-Operator (derH−µN entspricht) kommen nur positive Energien Ek vor. Das sind die Energien der Quasiteilchen (Einteilchen-Anregungen). Der Grundzustand ist ein Zustand ohne Anregungen, d.h. ohne Quasiteilchen.
Das Anregungsspektrum ist in Abb. 8.1 f¨ur konstantes ∆ gezeigt. Es hat eine Energiel¨ucke von ∆ an der Fermikante. Abb. 8.1 zeigt auch die sogenann-ten Koh¨arenzfaktoren uk, vk. F¨ur k-Werte weit oberhalb der Fermikante hat die Anregung Teilchen-Charakter, f¨ur k-Werte weit unterhalb der Fermikante Loch-Charakter und in der N¨ahe der Fermikante gemischten Teilchen-Loch-Loch-Charakter
Ek
εk kF k 0
- µ
vk2 uk2 1
kF k
∆
Abbildung 8.1: Anregungsspektrum f¨ur Quasiteilchen und Koh¨arenzfak-toren im supraleitenden Zustand.
(genau so lassen sich auch Anregungen des Fermisees im Normalzustand charak-terisieren, dann sind uk, vk Stufenfunktionen).
Berechnung der Ordnungsparameter-Funktion ∆k
Der Ordnungsparameter ∆k, der in diesem Fall (keine magnetischen Felder, keine magnetischen St¨orstellen) auch die Energiel¨ucke bestimmt, erh¨alt man aus der Selbstkonsistenz-Gleichung (8.17), d.h. ∆k =P
k′V(k,k′)hck′↑c−k′↓i. Den Er-wartungswert auf der rechten Seite berechnet man mit Hilfe des Molekularfeld-Hamilton-Operators, der diagonal in den Quasiteilchen-Operatoren ist. Dr¨uckt man die Elektron-Operatoren durch die Quasiteilchen-Operatoren aus und ver-wendet deren Fermi-Statistik:
hγkσ† γk′σ′i=δk,k′δσσ′f(Ek), f(Ek) = 1
eβEk+ 1 (8.39) hγkσγk′σ′i= 0, (8.40) dann findet man (wir beschr¨anken uns im Folgenden auf reelle ∆k, uk, vk):
hck↑c−k↓i=−ukvkhγk↑γk↑† i+ukvkhγ−k↓† γ−k↓i=−ukvk(1−2f(Ek)) (8.41) oder
hck↑c−k↓i=−∆k
2Ek
tanhβEk
2 . (8.42)
8.2 Bardeen-Cooper-Schrieffer (BCS)-Theorie 167
Die Selbstkonsistenz-Gleichung lautet dann
∆k=−X
k′
V(k,k′)∆k′
2Ek′ tanhβEk′
2 (8.43)
mit Ek = p
ξk2 +|∆k|2, ξk = ǫk −µ. Da ∆k die Bedeutung einer Energiel¨ucke besitzt, spricht man bei (8.43) auch von einer
”Gap-Gleichung“.
Diese Gleichung hat immer die triviale L¨osung ∆k = 0. Dies entspricht dem Normalzustand. Nichtriviale L¨osungen sind m¨oglich f¨ur tiefe Temperaturen, falls die Wechselwirkung V(k,k′)< 0 ist in der N¨ahe der Fermikante. Je nach Form und Symmetrie dieser Wechselwirkung findet man unterschiedliche Paarzust¨ande (s-Wellen, p-Wellen, d-Wellen-Paarung).
Das einfachste Modell erh¨alt man f¨ur eine in einer Umgebung ±~ωc um die Fermikante konstante attraktive Wechselwirkung (oder etwas allgemeiner: f¨ur eine ink,k′ faktorisierbare Wechselwirkung):
V(k,k′) =
(v <0 f¨ur |ǫki−µ|<~ωc
0 sonst. (8.44)
F¨ur eine durch Phononen induzierte Wechselwirkung entspricht der cut-off ~ωc
der Debye-Energy. Dann lautet die Selbstkonsistenz-Gleichung
∆ = −v X′
k′
∆
2Ek′ tanhβEk′
2 . (8.45)
Hier bedeutet der Strich ein Abschneiden der Summe bei der Cut-off Energie~ωc. Innerhalb diese Energiebereichs ist ∆ unabh¨angig von k, außerhalb Null. Eine nichttriviale L¨osung findet man offenbar nur f¨urv <0.
Wir nehmen an, daß die cut-off Energie klein gegen¨uber der Bandbreite der Elektronenzust¨ande ist und die Zustandsdichte der Elektronen in diesem Bereich durch eine KonstanteN(ǫF) approximiert werden kann, dann erhalten wir:
1 =λ
~ωc
Z
0
1
E(ξ)tanhβE(ξ)
2 dξ (8.46)
mitE(ξ) =p
ξ2+ ∆2 and λ=N(ǫF)|v|. Diese Gleichung bestimmt ∆ als Funk-tion von T (siehe Abb. 8.2).
In den folgenden beiden F¨allen findet man eine analytische L¨osung:
Tc
∆
0∆(T)
Abbildung 8.2: Temperaturabh¨angigkeit der Energiel¨ucke.
a) T = 0,∆(T = 0) = ∆0. Dann ist
1 =λ
~ωc
Z
0
dξ 1
pξ2+ ∆20 =λln
ξ+ q
ξ2+ ∆20
~ωc
0
. (8.47)
Meist ist die cut-off Energie groß im Vergleich zu ∆0. Dann gilt 1 = λln
2~ωc
∆0
, (8.48)
woraus man den Gap-Wert bei T = 0 erh¨alt:
∆0 = 2~ωcexp(−1/λ). (8.49) b) T →Tc,∆→0.
In diesem Grenzfall gilt
1 =λ
~ωc
Z
0
dξ1
ξ tanhβcξ
2 (8.50)
mit βc = 1/(kBTc). Eine grobe N¨aherung f¨ur das Integral erh¨alt man, wenn man die tanh-Funktion durch eine Konstante f¨ur ξ > kBTc approximiert:
1 =λ
~ωc
Z
kBTc
dξ1
ξ =λln ~ωc
kBTc
. (8.51)