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2.1 Probiotika

2.1.6 Anforderungen

Für den Einsatz von probiotischen Bakterien gibt es verschiedene Auswahlkriterien.

Grundsätzlich darf keine Toxizität oder Pathogenität bestehen, vielmehr sollen gesundheitsbegünstigende Leistungen messbar sein. Gleichzeitig muss sich der Stamm für eine technologische Massenproduktion eignen, seine erwünschten Eigenschaften müssen während der Kultivierung und Lagerung bis zum Verzehr stabil sein und es darf keine Beeinträchtigung des Lebensmittels stattfinden (KULLEN u. KLAENHAMMER 2000).

Einen Überblick über die Auswahlkriterien bietet die folgende Tabelle 11.

Tabelle 11: Auswahlkriterien für den Einsatz probiotischer Stämme in Lebensmitteln (nach ANONYM 1999a, KULLEN u. KLAENHAMMER 2000, GOLDBERG 2002)

Grundsätzliche Kriterien:

x Korrekte taxonomische Identifizierung

x Spezies muss physiologisch beim Zielorganismus vorkommen x Keine Toxizität und Pathogenität (GRAS-Status)

x Genetische Stabilität

Kriterien, die einer Unbedenklichkeitsüberprüfung bedürfen:

x Bildung von biogenen Aminen (insbes. Tyramin, Histamin, Phenylethylamin) x Aktivierung von Prokanzerogenen (mit Hilfe von Azoreduktase, Nitroreduktase, ß-Glucuronidase)

x Induktion bzw. Abbau von Thromben mit Hilfe spezifischer Hydrolasen x Aktivierung der Thrombozytenaggregation

x Bindung an Fibrinogen und Fibronektin

x Mucinabbau (wurde in bestimmten Bifidobakterien nachgewiesen und kann als Voraussetzung für eine Invasionstätigkeit der Mikroorganismen gewertet werden)

x Hämolytische Aktivität

x Übertragbare Antibiotikaresistenzen Technologische Eigenschaften:

x Zur Massenproduktion und -lagerung geeignet (geeignetes Wachstumsverhalten) x Lebensfähigkeit in großen Populationen

x Stabilität gewünschter Eigenschaften während Kultivierung, Lagerung und Auslieferung x Erzeugung erwünschter organoleptischer Qualitäten (bzw. keine unerwünschten

Qualitäten) nach Einbringen in Lebensmittel bzw. in Fermentationsprozesse Kompetetive Fähigkeiten (Konkurrenzfähigkeit):

x Gallensaft- und Säureresistenz

x Fähigkeit am Zielort zu überleben, sich zu vermehren und metabolische Leistung zu erbringen

x Vorzugsweise Adhärenz- und Kolonisierungsfähigkeit

x Durchsetzungsfähigkeit gegen die normale Mikroflora und gegen Vertreter der eigenen oder ähnlichen Spezies, potentielle Resistenz gegen Bakteriozine, Säuren und andere von der residenten Mikroflora gebildeten antimikrobiellen Substanzen

Fortsetzung Tab. 11: Auswahlkriterien für den Einsatz probiotischer Stämme in Lebensmitteln

Leistung/Wirkung/Funktionalität:

x Fähigkeit, eine oder mehrere klinisch dokumentierte gesundheitsbegünstigende Leistungen zu erbringen („health benefit“)

x Antagonismus gegen pathogene/toxinogene Bakterien

x Produktion antimikrobiell wirksamer Substanzen (Bakteriozine, H2O2, organische Säuren) x Immunstimulation, anti-mutagene und anti-karzinogene Wirkung

x Bildung bioaktiver Komponenten (Enzyme, Peptide)

Die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) und die World Health Organization (WHO) (ANONYM 2002a) fordern zusätzlich eine Hinterlegung der Stämme bei einer internationalen Stammsammlung, funktionale Charakterisierung und Sicherheitsprüfung durch in vitro-Tests und Tierversuche. In humanen Studien (doppelblind, randomisiert, placebo-kontrolliert) soll die Wirksamkeit belegt und die Versuchsergebnisse reproduziert werden. Weiter werden detaillierte Verpackungsangaben über den verwendeten Stamm, die Mindestkonzentration am Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums, Lagerungshinweise sowie eine Kontaktadresse für Fragen gefordert.

Potentielle Pathogenität

Für Laktobazillen und Bifidobakterien gilt der GRAS (generally-recognized-as-safe)-Status (SALMINEN et al. 1999), d.h. durch den teilweise jahrhundertelangen Einsatz dieser Mikroorganismen in der Lebensmittelherstellung kann von ihrer Unbedenklichkeit ausgegangen werden (DE VRESE u. SCHREZENMEIR 2000). Darüber hinaus fordert die Arbeitsgruppe „Probiotische Mikroorganismenkulturen in Lebensmitteln“ des BgVV (jetzt:

BfR, 1999) eine Beurteilung nach „sicher“ und „nicht sicher“ auf Stamm- und nicht auf Speziesebene (ANONYM 1999a).

In einem gesunden Organismus stellen zudem die intakten Schleimhäute des Verdauungstraktes eine für Milchsäurebakterien unüberwindbare Barriere dar. So ist eine durch Nahrungsaufnahme hervorgerufene Infektion nach dem gegenwärtigen Stand der Technik nicht möglich (ADAMS u. MARTEAU 1995). BORRIELLO et al. (2003) setzten das Risiko einer Infektion mit probiotischen Bifidobakterien oder Laktobazillen dem einer

Infektion mit kommensalen Bakterien gleich und sehen den Verzehr von probiotischen Produkten als unbedeutendes Risiko, auch für den immunsupprimierten Verbraucher.

Gesetzlich wird der Umgang mit Mikroorganismen durch die Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA 466) (ANONYM 2006b) und die Biostoffverordnung (ANONYM 1999b) geregelt. In Paragraph 3 der Biostoffverordnung werden vier Risikogruppen für Biologisches Arbeiten unterschieden (1. kein Risiko, 2. geringes Risiko, 3. mäßiges Risiko, 4. hohes Risiko). Die TRBA 466 enthält eine Auflistung und Einteilung aller Bakterien nach diesen Risikogruppen. Die Genera Lactobacillus, Bifidobacterium und Lactococcus sind bis auf wenige Ausnahmen in die Risikogruppe 1 eingeordnet. Die Spezies B. adolsescentis, B. breve, B. scardovi, B. inopatum sowie L. acidophilus, L. crispatus, L. gasseri, L. iners, L. johnsonii, L. plantarum, L. vaginalis und Lactococcus. lactis subsp.

lactis sind zusätzlich mit einem Stern versehen, d.h. sie sind in Einzelfällen als Krankheits-erreger nachgewiesen oder vermutet. Allerdings waren die Betroffenen Personen, bei denen für eine Infektion prädisponierende Faktoren wie höheres Lebensalter, Immunsuppression, eine schwere Grunderkrankung oder ein chronisches Leiden vorlag. Die Identifizierung der Art war dabei oft nicht zuverlässig. So sind Laktobazillen aus Krankheitsgeschehen wie Endokarditiden, Septikämien, rheumatischen Gefäßerkrankungen oder Zahnfäule isoliert worden (HARTY et al. 1994, KLEIN 1998, BOYLE et al. 2006, BESSELINK et al. 2008).

LediglichB. dentium, L. catuaformis, L. psittaci, L. rhamnosus, L. garvieae und E. coli (ausgenommen enterohämorrhagische E. coli) werden als Risikogruppe 2 klassifiziert, wobei L. psittaci zwar als wirbeltier- aber nicht humanpathogen eingestuft wird. L. rhamnosus sowie E. coli werden als langjährig sicher in der technischen Anwendung eingestuft und fallen damit nach den Einstufungskriterien wieder in die Risikogruppe 1. Dennoch sollten neu eingesetzte Stämme besonders auf die in Tabelle 11 aufgeführten Eigenschaften hin untersucht werden.

Auf Ebene der Europäischen Union hat die European Food Safety Authority (EFSA) ein Konzept zur „Qualifizierten Sicherheitsannahme“ (Qualified Presumption of Safety, QPS) entwickelt, welches vor dem Inverkehrbringen zur Sicherheitsbewertung von Mikroorganismen herangezogen werden soll. Basierend auf den Punkten

x Sichere Identifizierung der Art des Mikroorganismus x Vorhandenes Wissen

x Mögliche Pathogenität

x Endverwendungszweck

können taxonomische Gruppen beurteilt werden und – wenn keine Sicherheitsbedenken bestehen oder diese ausgeräumt werden können – den QPS-Status zuerkannt bekommen, wodurch sich weitere Sicherheitsbewertungen erübrigen würden. Ferner ließen sich durch ein einheitlich definiertes Vorgehen die verschiedenen wissenschaftlichen Gremien der EFSA besser harmonisieren. Es wurde eine Einteilung der Mikroorganismen in vier Gruppen vorgenommen: 1. Gram-positive nicht sporenbildende Bakterien, 2. Bacillus-Spezies, 3. Hefen, 4. Fadenpilze. Zur Gruppe 1 zählend wurden unter anderem die Genera Bifidobacterium, Lactobacillus, Lactococcus und Streptococcus (S. thermophilus) zur vorläufigen Abschätzung ihrer Eignung für den QSP-Status ausgesucht.

Für den QPS-Status wurden B. adolescentis,B. animalis,B. longum,B. breve und B. bifidum vorgeschlagen, andere Bifidobacterium-Spezies könnten im Anschluss an ihre industrielle Nutzung mit aufgenommen werden. Ausgeschlossen ist die mit Karies assoziierte Spezies B. dentium, welche auch wie oben beschrieben in der TRBA 466 eine Ausnahmestellung innehat.

Von den über 100 Lactobacillus-Spezies sind folgende für den QPS-Status vorgeschlagen worden:L. acidophilus, L. amylolyticus, L. amylovorus, L. alimentarius, L. aviaries, L. brevis, L. buchneri, L. casei, L. crispatus, L. curvatus, L. delbrueckii, L. farciminis, L. fermentum, L. gallinarum, L. gasseri, L. helveticus, L. hilgardii, L. johnsonii, L. kefiranofaciens, L. kefiri, L. mucosa, L. panis, L. paracasei, L. paraplantarum, L. pentosus, L. plantarum, L. pontis, L. reuteri, L. rhamnosus, L. sakei, L. salivarius, L. sanfranciscensis und L. zeae.

Die milchtechnologisch relevanten Spezies Lactococcus lactis subsp. lactis mit dem Biovar diacetylactis und Lactococcus lactis subsp. cremoris wurden aufgrund des traditionellen Einsatzes als Starterkulturen und der hervorragenden Dokumentation für den QPS-Status vorgeschlagen. Gleiches gilt für S. thermophilus. Als Voraussetzung für den QPS-Status gilt außerdem das Fehlen von erworbenen Antibiotikaresistenzen.

Bei Einführung dieses Systems wäre eine jährliche Aktualisierung, kontinuierliche Überprüfung und möglicherweise Modifizierung der Liste der Mikroorganismen mit zuerkanntem QPS-Status erforderlich (ANONYM 2007a). Mit dieser Einteilung und den

„qualifizierten Sicherheitsannahmen“ befindet sich die EFSA im Einklang mit den zuvor

besprochenen Forderungen anderer Gruppen. Die angestrebte Harmonisierung und Vereinfachung der Bewertungssysteme würde eine Einsparung von Kosten und Zeit bedeuten.

Das QPS-Schema hat bislang nur für den Futtermittel- und Pflanzenschutzbereich Relevanz, kann aber auf Mikroorganismen für den Einsatz in Lebensmitteln einfach übertragen werden.