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2 Literaturübersicht

2.2 Der kleine Fuchsbandwurm Echinococcus multilocularis

2.2.3 Die alveoläre Echinokokkose des Menschen

In Europa liegt das Durchschnittsalter von AE-Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei 60 Jahren, in Japan bei 50 Jahren. Deutliche Unterschiede bezüglich des Geschlechterverhältnisses sind bei der AE nicht zu beobachten (ECKERT et al. 2001a).

Die Infektion des Menschen erfolgt durch die versehentliche Aufnahme infektionstüchtiger Eier von E. multilocularis (KERN et al. 2003). Im Dünndarm wird aus dem abgeschluckten Ei die sogenannte Onkosphäre freigesetzt, die die Darmwand mithilfe gerichteter amöboider Bewegungen sowie proteolytischer Enzyme penetriert.

Mithilfe noch unbekannter Mechanismen gelingt es der Onkosphäre, der Immunantwort zu entgehen und über Mesenterialvenen und Lymphgefäße in die Leber zu gelangen. Dort entwickelt sie sich zunächst zu einem bläschenförmigen Vesikel und umgibt sich mit einer PAS-positiven Laminarschicht, die sie nun auch gegenüber spezifischen immunologischen Effektormechanismen abschirmt. Durch Bildung von

granulomatöser Entzündungsherd, begleitet von einer wirtseigenen Fibrogenese und Kollagenese. Diese raumfordernde tumorartige Läsion schreitet solange voran, bis es zu Funktionsstörungen des befallenen Organs kommt. Bei einem Drittel der Patienten wird die AE erst bei medizinischen Untersuchungen festgestellt, bei der unspezifische Symptome wie Erschöpfung, Gewichtsverlust, Hepatomegalie oder auffällige Laborbefunde abgeklärt werden sollen. Bei einem weiteren Drittel der Patienten äußert sich die Erkrankung in cholestatischem Ikterus; ein anderes Drittel gibt Schmerzen im Oberbauch an (GOTTSTEIN et al. 1992; PAWLOWSKI et al. 2001; ECKERT u.

DEPLAZES 2004).

Im Gegensatz zur zystischen Echinokokkose ist im Rahmen der alveolären Echinokokkose die Bildung primär extrahepatischer Infektionen sehr selten. Bei 99,0

% der AE-Patienten mit nur einem involvierten Organ betreffen die Veränderungen die Leber, grundsätzlich kann jedoch jedes Gewebe infiziert werden. In den meisten Fällen ist der rechte Leberlappen betroffen; daneben wird aber auch häufig eine Einbeziehung des Leberhilus zusammen mit ein bis zwei Leberlappen beobachtet. In benachbarte oder weiter entfernte Organe gelangen die Metacestoden durch Infiltration oder Metastasierung; letztere ist auf Aussaat von Zellen der Germinativschicht auf dem Blut- oder Lymphweg zurückzuführen und tritt vornehmlich in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien auf. Es wird angenommen, dass von den Ausläufern des Finnenbläschens abgelöste Zellverbände nach hämatogener Verbreitung zur Bildung von Fernmetastasen führen (DROLSHAMMER et al. 1973; REUTER et al. 2000b).

Fernmetastasen werden am häufigsten in der Lunge (AKINOGLU et al. 1991;

NISHIOKA et al. 1992; BRESSON-HADNI et al. 1996; REUTER et al. 2000b) und im Gehirn beobachtet (AMMANN u. ECKERT 1996; TUZUN u. HEKIMOGLU 1998; REUTER et al. 2000b; YANG et al. 2005). Seltenere Lokalisationen sind beispielsweise Skelettsystem (HONMA et al. 1982; MERKLE et al. 1997; REUTER et al. 2000b), Weichteilgewebe (MERKLE et al. 1997; REUTER et al. 2000b), Haut (BRESSON-HADNI et al. 1996) oder parenchymatöse Organe wie Milz, Pankreas und Nebenniere (HONMA et al. 1982; BRESSON-HADNI et al. 1991; LAMPL u.

HAMPERL 1992; AMMANN u. ECKERT 1996; REUTER et al. 2000b;

PAWLOWSKI et al. 2001). In Anlehnung an die Klassifikation hepatischer Neoplasien mithilfe des TNM-Systems (Tumor-Node-Metastasis) wurde von der WHO das PNM-System zur klinischen Klassifizierung der AE etabliert. Dieses umfasst drei Kategorien zur Beschreibung des anatomischen Ausmaßes der Erkrankung und bildet die Entscheidungsgrundlage für das therapeutische Vorgehen. P beschriebt die hepatische Lokalisation des Parasitengewebes, N die Einbeziehung benachbarter Organe und M potenziell vorhandene Metastasen, wobei insgesamt vier Stadien unterschieden werden (PAWLOWSKI et al. 2001; KERN et al. 2006).

Die AE zeichnet sich in der Regel durch eine asymptomatische Inkubationsphase von fünf bis fünfzehn Jahren aus, die in eine spontane Ausheilung oder in einen progressiven Verlauf münden kann. In der progressiven Phase können klinische Symptome auftreten, die auf großflächige parasitäre Infiltration der Leber beziehungsweise Beeinflussung wichtiger Organfunktionen zurückzuführen sind. Die initialen Symptome sind unspezifisch und umfassen neben abdominalem Schmerz, Ikterus, Hepatomegalie, Fieber und Anämie auch Gewichtsverlust und pleuralen Schmerz (AMMANN u. ECKERT 1996; ECKERT u. DEPLAZES 2004). Das proliferierende Metacestodengewebe ähnelt in seinem biologischem Verhalten dem einer malignen Neoplasie und führt schließlich zum Tode durch Leberversagen, bzw.

Invasion benachbarter Strukturen oder seltener durch raumfordernde Metastasen im Gehirn (WILSON u. RAUSCH 1980; GOTTSTEIN 2005; KERN et al. 2006; MORO u. SCHANTZ 2009).

Bei unbehandelten Patienten führt die AE nach einem schleichenden, progredienten Krankheitsverlauf in 52 % bis 95 % der Fälle innerhalb von 10 bis 14 Jahren nach Diagnosestellung zum Tode (AMMANN u. ECKERT 1996; CRAIG 2003; KERN et al. 2004; GOTTSTEIN 2005). Neben dem progredienten Verlauf existieren jedoch auch Berichte über einen abortiven Verlauf der AE, der durch Degeneration und Kalzifizierung gekennzeichnet ist und letztlich zum Absterben des Finnengewebes führt. Eine spontane Ausheilung der AE, insbesondere im frühen Erkrankungsstadium, ist demzufolge möglich, allerdings ist nicht bekannt, wie häufig dieses Phänomens auftritt. Als Grund für diesen abortiven Verlauf wird eine früh-zeitige adäquate Immunantwort des Wirtes und eine daraus resultierende Abtötung des Finnenstadiums vermutet (RAUSCH et al. 1987). So konnte gezeigt werden, dass die effektive Abtötung des Parasiten in frühen Stadien durch eine zelluläre, also Th1-vermittelte Immunantwort induziert wird, während die Th2-vermittelte, antiinflammatorische IL-10-Sekretion mit einer Progression der AE einhergeht (GODOT et al. 2000a; GODOT et al. 2000b; VUITTON 2003). In diesem Zusammenhang spielen vor allem immungenetische Aspekte eine Rolle (EIERMANN et al. 1998), welche auch die Häufung von AE-Fällen unter Blutsverwandten in endemischen Gebieten erklären (YANG et al. 2006).

In der Therapie der AE gilt die radikale (vollständige) Resektion der parasitären Läsionen als Goldstandard. Im Anschluß an die radikale Resektion erhalten die Patienten eine Chemotherapie über einen begrenzten Zeitraum. Im Falle nicht-radikaler (unvollständiger) Resektionen sowie bei inoperablen Patienten und nach Lebertransplantationen ist eine Langzeitchemotherapie indiziert (PAWLOWSKI et al.

2001). Den größten Heilungserfolg verspricht laut verschiedener Studien die

durchführbar (AMMANN 1991; PAWLOWSKI et al. 2001; KADRY et al. 2005;

BRUNETTI et al. 2010), da zum Zeitpunkt der Diagnose das Metacestodenwachstum bei einem Großteil der Patienten bereits weit fortgeschritten ist (BRESSON-HADNI et al. 2003; KERN et al. 2003). BUTTENSCHOEN et al. (2001) nennen unter anderem den langstreckigen Befall großer Gefäße wie Aorta oder Vena cava sowie ausgedehnten Zwerchfellbefall als Gründe, die eine vollständige Resektion des Metacestodengewebes unmöglich machen.

Seit der Einführung von Benzimidazolen zur Therapie der AE 1976 ist eine deutliche Verbesserung der Prognose der AE zu verzeichnen (SCHANTZ et al. 1982; WILSON et al. 1992; KADRY et al. 2005). Obwohl Benzimidazole lediglich parasitostatisch wirken, führt ihre Anwendung bei 80 % der Patienten zu einer deutlichen Verbesserung, mindestens aber einer Stabilisierung des klinischen Zustandes (PAWLOWSKI et al. 2001). Allerdings muss die Therapie mit Benzimidazolen zum Einen lebenslang und zum Anderen in hohen täglichen Dosierungen (>10 mg/kg/Tag) erfolgen, um eine signifikante Verlängerung der Überlebenszeit des Patienten zu erreichen (CRAIG 2003). Neben der Chemotherapie haben vor allem eine frühzeitige Diagnose im Zuge verbesserter bildgebender Verfahren sowie optimierte chirurgische Methoden und medizinische Versorgung der Patienten zu einer verlängerten Überlebenszeit beigetragen, wobei Rezidive und Komplikationen nach wie vor auftreten können (AMMANN u. ECKERT 1996; BRESSON-HADNI et al. 2000;

BRESSON-HADNI et al. 2003; CRAIG 2003; KADRY et al. 2005; KERN et al.

2006; BRUNETTI et al. 2010). Insgesamt ist jedoch in Europa ein Anstieg der Lebenserwartung von AE-Patienten ab dem Zeitpunkt der Diagnose auf 20 Jahre zu verzeichnen, welcher vor Einführung der Benzimidazole in den 1970er Jahren bei lediglich drei Jahren angesiedelt wurde (TORGERSON et al. 2008; BRUNETTI et al.

2010).

2.2.3.2 Pathologische und histologische Merkmale

Die AE des Menschen ist charakterisiert durch ein sehr langsames, in der Regel Jahre andauerndes Wachstum des Metacestodengewebes (LUDER et al. 1985; AMMANN u. ECKERT 1996; PAWLOWSKI et al. 2001).

Die Leber ist in nahezu allen Fällen das primär befallene Organ, wobei die Läsionen zwischen kleineren Herden von nur wenigen Millimetern Durchmesser und großflächigen Läsionen variieren. Das proliferierende Metacestodengewebe von E.

multilocularis neigt neben der Invasion angrenzenden Wirtsgewebes zur Bildung von Fernmetastasen und verhält sich damit biologisch wie eine maligne Neoplasie (AMMANN u. ECKERT 1996; CRAIG 2003; KERN et al. 2006).

Das makroskopische Erscheinungsbild der parasitären Läsionen in der Leber ist gekennzeichnet durch die typische multivesikuläre Struktur mit zahllosen irregulären

Vesikeln zwischen 1 und 30 mm Durchmesser. Letztere weisen keine scharfe Begrenzung gegenüber dem umliegenden Gewebe auf und sind mit einem gallertigen Inhalt gefüllt. In zentralen Anteilen der Läsion können Hohlräume entstehen, die Flüssigkeit oder nekrotisches Material enthalten, was zu einer Verwechslung mit der zystischen Echinokokkose führen kann. Neben vorwiegend vesikulärem Parasitengewebe werden auch ein solides Wachstum bzw. Mischformen aus beidem beobachtet. Ein Großteil der Läsionen weist charakteristische Kalzifikationen auf (MIGUET u. BRESSON-HADNI 1989; SEITZ u. FROSCH 1994; AMMANN u.

ECKERT 1996; PAWLOWSKI et al. 2001).

Bei der histologischen Untersuchung zeigt sich, dass die parasitären Vesikel von einer dünnen, Laminarschicht begrenzt werden, welche Periodic-Acid-Schiff (PAS)-positiv ist (MIGUET u. BRESSON-HADNI 1989; ORIHEL u. ASH 1995; AMMANN u.

ECKERT 1996; PAWLOWSKI et al. 2001). In der H.&E.-Färbung ist die Laminarschicht in der Regel weniger deutlich vom umliegenden fibrösen Bindegewebe des Wirtes zu unterscheiden (ORIHEL u. ASH 1995). Bei der Laminarschicht handelt es sich um eine stark glycosylierte, multivesikuläre, azelluläre Struktur (Glycocalix), die den Parasiten gegen physiologische und immunologische Reaktionen des Wirtes abschirmt (GOTTSTEIN u. FELLEISEN 1995; GOTTSTEIN u. HEMPHILL 1997). Die Germinativschicht, die die Laminarschicht auskleidet, wird im menschlichen Fehlzwischenwirt in vielen Fällen nicht ausgebildet oder ist lediglich als äußerst feine Schicht mit wenigen Zellen zu erkennen. Dennoch besitzt dieses Metacestodengewebe noch Proliferationspotential. Feinste Ausläufer der Germinativschicht führen zu dem charakteristischen infiltrativen Wachstum und höchstwahrscheinlich auch zur hämatogenen bzw. lymphogenen Metastasierung des Parasiten (MIGUET u. BRESSON-HADNI 1989; SEITZ u. FROSCH 1994;

AMMANN u. ECKERT 1996; PAWLOWSKI et al. 2001; CRAIG 2003).

Ultrastrukturelle Untersuchungen ergaben, dass sich die Germinativschicht aus Bindegewebe, Muskelzellen, Glycogenspeicherzellen sowie undifferenzierten Zellen zusammensetzt (HEMPHILL u. GOTTSTEIN 1995).

In vielen Fällen bestehen die parasitären Läsionen beim Menschen lediglich aus kollabierten vesikulären Strukturen, die durch gefaltete, teils fragmentierte Laminarschichten gekennzeichnet sind, umgeben von wirtseigenem Bindegewebe (ORIHEL u. ASH 1995). Beim Menschen ist die Bildung von Brutkapseln und Protoscolices innerhalb der parasitären Läsionen selten, es handelt sich also überwiegend um steriles Metacestodengewebe (SEREDA et al. 1961; MIGUET u.

BRESSON-HADNI 1989; AMMANN u. ECKERT 1996; PAWLOWSKI et al. 2001).

Auch Kalkkörperchen sind lediglich vereinzelt nachweisbar oder fehlen völlig

innerhalb von 2 bis 4 Monaten Protoscolices sowie Kalkkörperchen ausbildet (ORIHEL u. ASH 1995; CRAIG 2003).

Das multiloculäre Metacestodengewebe ist umgeben von nekrotischem Gewebe sowie chronischen Entzündungszellinfiltraten mit Beteiligung von Histiozyten und Lymphozyten, teilweise sind auch eosinophile Granulozyten und Plasmazellen nachweisbar. Die chronische Entzündungsphase ist gekennzeichnet durch die Beteiligung mehrkerniger Riesenzellen vom Fremdkörpertyp sowie Fibrose und Verkalkungen in der Umgebung der Läsion. Bei einigen Patienten kann die fibrotische Proliferation sehr ausgeprägt sein (SEREDA et al. 1961; SEITZ u. FROSCH 1994;

PAWLOWSKI et al. 2001; CZERMAK et al. 2008; LI et al. 2008). ALI-KHAN und RAUSCH (1987) konnten zudem im angrenzenden Wirtsgewebe neben einer Atrophie des Leberparenchyms eine portale Fibrose sowie Amyloidablagerungen nachweisen.

Verschiedentlich wurden auch abortive Verlaufsformen der AE beobachtet (RAUSCH et al. 1987; GOTTSTEIN et al. 1991; BRESSON-HADNI et al. 1994). Die hyaline Laminarschicht abortiver Läsionen zeichnet sich histologisch durch den Verlust der PAS-Reaktivität bzw. eine lediglich schwache Anfärbbarkeit aus. Häufig ist zudem eine Vakuolisierung der Vesikelwand zu beobachten. Ein weiteres Merkmal abortiver Läsionen stellt eine dicke, kollagenreiche Demarkierung der parasitären Läsion gegenüber dem Wirtsgewebe dar. Außerdem ist eine dichte, kompakte Kalzifizierung zu beobachten, die sich deutlich vom diffusen Verkalkungsmuster aktiver Läsionen unterscheidet und in einigen Fällen die gesamte Läsion betrifft. In einigen Fällen kann zudem ein von einer dichten fibrösen Kapsel umschlossener Hohlraum mit amorphem nekrotischen Inhalt und gelegentlichem Nachweis gefalteter Laminarschichten nachgewiesen werden (RAUSCH et al. 1987; CZERMAK et al. 2008).