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Allgemeines zum Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin

2. Literaturübersicht

2.1 Allgemeines zum Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin

In Deutschland ist es Tierärzten durch das Dispensierrecht erlaubt, Arzneimittel zu erwerben und sie für die Behandlung von Tieren abzugeben.

Seit 2011 muss die pharmazeutische Industrie die jährlichen Abgabemengen von Arzneimitteln an Tierärzte an ein zentrales Register melden. Dies betrifft insbeson-dere Antibiotika. Die DIMDI-Arzneimittelverordnung von 2010 stellt die Grundlage hierfür dar, während die Datenauswertung durch das Bundesamt für Verbraucher-schutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Berlin durchgeführt wird. Im Jahre 2015 wurden insgesamt 805 t Antibiotika von pharmazeutischen Unternehmen an Tier-ärzte abgegeben. Im Vergleich zum Jahr der ersten Erhebung (2011) mit einer Ab-gabemenge von 1706 t entspricht das einer Reduktion von minus 53 % (BVL 2015).

2015 am meisten abgegeben wurden Penicilline (299 t) und Tetracycline (221 t) – wie auch in den Jahren zuvor –, gefolgt von den Polypeptidantibiotika (82 t). Die Abgabemenge der Fluorchinolone betrug 2011 8,2 t. Bis zum Jahre 2014 erhöhte sich diese stetig auf 12,3 t. Im Jahre 2015 war ein Rückgang der Abgabemenge von Fluorchinolonen auf 10,6 t zu verzeichnen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine Verminderung von 1,8 t. Die Zunahme innerhalb der fünf Jahre seit Datenerfas-sung lag allerdings bei 2,4 t.

Die Arbeitsgruppe GERMAP dokumentiert seit 2008 den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Tiermedizin in Deutschland. Allerdings wird weder die Spezies, die Indikation noch die Applika-tionsart, Dosierung oder Behandlungsdauer des eingesetzten Antibiotikums festge-halten. Deshalb stufen MERLE et al. (2012) den Wert von der GERMAP bezüglich der Lebensmittelqualität und -sicherheit als begrenzt ein.

Durch die 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) wird eine gezielte,

ganzheit-Literaturübersicht

ein staatliches Antibiotikamonitoring-Programm eingeführt. Das Monitoringprogramm verpflichtet Tierhalter von Schwein, Rind und Geflügel ab einer bestimmten Be-standsgröße, „ihre individuellen Kennzahlen zur Therapiehäufigkeit mit Antibiotika mit bundesweiten Therapiehäufigkeitszahlen“ zu vergleichen (BMEL 2013; BVL 2017).

Mehr als die Hälfte aller eingesetzten Antibiotika steht mit der Produktion lebensmit-telliefernder Tiere in Verbindung. Weltweit werden sie nicht nur für therapeutische Zwecke bei landwirtschaftlichen Nutztieren eingesetzt, sondern auch zur Pro- und Metaphylaxe sowie außerhalb der Europäischen Union (EU) in bestimmten Regionen noch zur Wachstumsförderung (AARESTRUP 1999; WITTE et al. 1999; SCHWARZ et al. 2001; LOOFT et al. 2012). In der EU ist die Verwendung antimikrobieller Sub-stanzen zur Wachstumsförderung bereits seit 2006 aufgrund der zunehmenden Re-sistenzproblematik verboten (AVGUŠTIN 2012).

Die Anwendung von Antibiotika bei Nutztieren ist eng mit der Entwicklung bakterieller Resistenzen verknüpft. Das betrifft nicht nur pathogene Keime wie Salmonella oder Campylobacter spp., sondern auch die Kommensalen wie z.B. E. coli oder Ente-rococci, die natürliche Darmbewohner von Mensch und Tier sind. Bei diesen handelt es sich um sogenannte Zoonoseerreger, also Erreger, die vom Tier auf den Men-schen übergehen können, wobei aber auch der umgekehrte Weg möglich ist. Gene-rell ist das mikrobielle Ökosystem von Mensch und Tier eng miteinander verknüpft.

So können antibiotikaresistente, möglicherweise pathogene Bakterien wechselseitig zwischen Tier und Mensch übertragen werden. Gerade Bakterien mit zoonotischem Potential sind einer der Hauptgründe für den Anstieg fehlgeschlagener Behand-lungen in den vergangenen Jahren (WITTE 1998; AARESTRUP 1999; KÄSBOHRER u. HECKENBACH 2006; KÄSBOHRER et al. 2012; SCHWARZ et al. 2016).

Der Großteil veterinärmedizinisch eingesetzter Antibiotika fließt in die Schweine- und Geflügelproduktion (CROMWELL 2002). An dieser Stelle soll jedoch aufgrund der Thematik der Arbeit nur auf die Anwendung im Schweinesektor eingegangen wer-den. In Deutschland wurden laut letzter Erhebung am 3. November 2016 rund 27,3 Millionen Schweine gehalten, wobei sich der Großteil der Tiere auf etwa 24.400 Betriebe verteilte (DESTATIS 2016). MERLE et al. (2012) kontrollierten in einer Stu-die den Antibiotikaverbrauch in Nutztierbeständen bei verschiedenen Tierarten in Niedersachen auf Grundlage der angenommen definierten Tagesdosis pro Tier

(De-Literaturübersicht

fined Daily Dose Animal, DDDA). Diese wird als Richtwert für die Verordnung einer Arzneimittelmenge pro Tier und Tag verwendet und kann entsprechend berechnet werden. Tetracycline machten den Großteil angewendeter Antibiotika beim Schwein aus, gefolgt von der Gruppe der ß-Lactame. Im Vergleich dazu wurden deutlich weni-ger Fluorchinolone eingesetzt. Es ist jedoch zu beachten, dass bspw. Tetracycline in weitaus höheren Dosierungen an Schweine verabreicht werden als Fluorchinolone.

Aufgrund dieser Tatsache kann es bei der Betrachtung der verabreichten Fluorchino-lonmenge zu einer versehentlichen „Verharmlosung“ der Lage kommen (MERLE et al. 2012). Die eingesetzte Wirkstoffmenge gibt keinen Aufschluss darüber, welche Tierart bzw. wie viele Tiere behandelt werden. Auch fehlen u.a. Informationen zur Art der Applikation oder der Indikation. Die Anwendung der DDDA wäre ein möglicher Ansatz, diese unabsichtliche „Verharmlosung“ zu vermeiden (VAN RENNINGS et al.

2013).

In den vergangenen Jahren erhielten in den USA etwa 70–80 % der Schweine zu Beginn bzw. 50–60 % der Schweine zum Ende der Mast sowie 40–50 % der Sauen Antibiotika über das Futter (CROMWELL 2002). Diese werden anschließend vor v.a.

über den Kot und Urin der Tiere ausgeschieden. Im Falle der Fluorchinolone werden bis zu 80 % des Wirkstoffes unverändert oder in Form von Stoffwechselprodukten über den Urin eliminiert (LOMAESTRO u. BAILIE 1995). Die biliäre Elimination macht einen geringeren Anteil aus. Bei Cipro- und Ofloxacin beträgt sie bspw. weniger als 1 % (BERGAN et al. 1988). Die ausgeschiedenen Antibiotika gelangen zusammen mit den Fäkalien u.a. in die Gülle (WIDYASARI-MEHTA et al. 2016). Zeitgleich treten auch antibiotikaresistente Keime in der Gülle auf. HÖLZEL et al. (2010) wiesen verschiedene resistente Bakterien in der Schweinegülle nach. 52,2 % der unter-suchten E.-coli-Isolate aus der Gülle waren multiresistent, 13,4 % davon sogar gegen mehr als drei Antibiotikaklassen (HÖLZEL et al. 2010). Als multiresistent werden Bakterien bezeichnet, die Resistenzen gegen drei oder mehr Antibiotikaklassen auf-weisen (MAGIORAKOS et al. 2011). Neben Ampicillin-, Colistin- und

Cefoxitin-Literaturübersicht

Auch Plasmide, über die Antibiotikaresistenzen übertragen werden können, wurden in der Schweinegülle detektiert (BINH et al. 2008). Gülle wird wiederum in der Landwirtschaft als Düngemittel verwendet und direkt auf die Felder ausgebracht, wodurch die ausgeschiedenen Tierarzneimittel in die Umwelt gelangen (HAMSCHER et al. 2002). Die höchsten Antibiotikakonzentrationen werden in der Gülle (mg/kg) und in der Erde (µg/kg) gemessen. In Abhängigkeit von den physikalischen Eigen-schaften des Bodens bzw. des Wirkstoffes sind diese auch in Spuren in Oberflächen- und im Grundwasser detektierbar (< µg/l). Auch im Staub wurden Antibiotikarück-stände nachgewiesen, auf die an späterer Stelle noch im Speziellen eingegangen wird (HAMSCHER et al. 2003). In Abb. 1 ist der Zusammenhang zwischen resisten-ten Bakterien und Resisresisten-tenzgenen bei Mensch und Tier schematisch dargestellt.

Abb. 1: Ökologischer Zusammenhang zwischen antibiotikaresistenten Bakterien und Re-sistenzgenen nach WITTE (1998); Pfeile = Übertragungswege

Das Hauptproblem des Antibiotikaeinsatzes für die Therapie bakterieller Infektionen ist, wie schon erwähnt, die Entwicklung von Resistenzen. Bisher hat jede Einführung einer Antibiotikaklasse bzw. eines Antibiotikums eine Resistenzentwicklung nach sich gezogen. Bei einigen Stoffen entwickeln sich nach deren Einführung sehr schnell Resistenzen, wohingegen es bei anderen Stoffen Jahre bis Jahrzehnte dauern kann.

Literaturübersicht

Am Beispiel des Fluorchinolons Enrofloxacin stieg nach dessen Zulassung im Jahre 1989 die Anzahl resistenter Salmonella typhimurium in Deutschland an. Im Vereinig-ten Königreich wurde die Anwendung dieses Antibiotikums aufgrund der zunehmen-den Resistenzproblematik bereits im Jahre 1993 auf bestimmte Indikationen be-grenzt. Erste Tetracyclin-Resistenzen wurden in den USA neun Jahre nach deren Einführung detektiert, methicillinresistente Bakterien sogar bereits zwei Jahre nach deren Zulassung (AARESTRUP 1999; DEUTSCHE AKADEMIE DER NATUR-FORSCHER LEOPOLDINA 2013; CENTERS OF DISEASE CONTROL AND PRE-VENTION 2013).

Angesichts der weltweiten Resistenzproblematik spricht die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina Empfehlungen aus, um die Dringlichkeit der Erforschung von Antibiotikaresistenzen und der Entwicklung neuer Wirkstoffe zu verdeutlichen.

Sie fordert u.a. die „Stärkung der Grundlagenforschung“, eine „Verbesserung der strukturellen Voraussetzungen für Innovationen“, eine „Einschränkung des Einsatzes von Antibiotika in der Tiermedizin und im Pflanzenschutz“ sowie die „Stärkung der sozioökonomischen Forschung“ (DEUTSCHE AKADEMIE DER NATURFORSCHER LEOPOLDINA 2013).