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Allgemeine Endokrinologie und der Begriff „Hormon“

2 Allgemeine Literaturübersicht

2.1 Allgemeine Endokrinologie und der Begriff „Hormon“

Die Entwicklung des Fachgebietes Endokrinologie kann laut Hillier (2005) in fünf Phasen eingeteilt werden. Die ersten vier Forschungsphasen umschreiben Doisy und MacCorquodale 1936 in ihrem Review „The Hormones“. In der Beschreibung der vier Phasen von Medvei (1993) wurde zuerst die Drüse/ das Organ als Produktionsstätte für die innere Sekretion („Sécrétion interne“, Begriff erstmals 1855 von Bernard verwendet) erkannt, danach kam die Phase der Detektionsmethoden, während der erforscht wurde, wie man die innere Sekretion messen könnte. Anschließend wurde vermehrt nach den einzelnen vermuteten Stoffen gesucht und als dritte Phase die Zeit definiert, ab der aus Gewebe-/

Organextrakten gereinigtes Hormon hergestellt werden konnte. Als vierte Forschungsphase definiert Medvei (1993) schließlich die Phase der Isolation von reinen Hormonen und die Bestimmung ihrer Strukturformeln (Medvei 1993). Die fünfte Phase umfasst die Erforschung der Biologie der Hormon-Signalwege und Rezeptoren und beinhaltet „the diverse and complex field of biological research and clinical practice that we recognise as endocrinology today“ (Hillier 2005). Die aktuelle Forschung beschäftigt sich zum Beispiel mit den Raumstrukturen einzelner Bindungsproteine von Hormonen und mit „endokrinologischen Abhängigkeiten, die Regulation der Bildung und Freisetzung eines Hormons durch verschiedene andere Hormone und zelluläre Regulatoren“ (Kleine und Rossmanith 2014).

Während der ersten Phase der Entwicklung des Fachgebietes der Endokrinologie ist das Wort „Hormon“ 1905 in der Croonian Lecture von Starling als Überbegriff für chemische Botenstoffe („chemical messengers“, Starling 1905) erstmals verwendet worden. Dieser Begriff ist „in der Vergangenheit stets verschieden weit gefasst worden“ (Karlson 1982), wodurch laut Karlson (1982), „jede Abgrenzung des Hormonbegriffs willkürlich [sei], [weswegen] man widersprüchliche Definitionen [finde]“.

Die erste Auffassung des Begriffes „Hormon“ als chemische Botenstoffe aus dem Jahr 1905 wandelte sich mit der Entdeckung der Hormone als „Produkt der endokrinen Drüsen“

(Karlson 1982) zur klassischen Definition, die besagt, dass „Hormone […] besondere Stoffe des menschlichen und tierischen Körpers [sind], die in ganz bestimmten Drüsen gebildet und von diesen direkt oder indirekt in die Blutbahn abgegeben werden, um an einer anderen

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Stelle des Körpers ihre spezifische, für die Aufrechterhaltung der Körperfunktion notwendige Wirkung zu entfalten“ (Ammon und Dirscherl 1938).

Darüber hinaus wurde die klassische Hormondefinition bald um zwei Regulations-mechanismen erweitert. Zusätzlich zum bekannten endokrinen Regulationssystem, bei dem die chemischen Signale auf dem Blutweg die Zielzellen erreichen, führte Feyrter (1946) das parakrine System ein, bei dem die Signale „durch Diffusion im interstitiellen Raum“ (Karlson 1982) ihre benachbarten Zielzellen erreichen. Später wurde dann 1980 durch Sporn und Todaro noch das autokrine System hinzugefügt, bei dem „Wachstumsfaktoren […], die von der Zelle abgegeben werden […] auf zellwandständige Rezeptoren derselben Zelle zurückwirken“ (Karlson 1982). Entgegen der Meinung von Sporn und Todaro (1980) sollten die Wachstumsfaktoren dieses Reaktionssystems allerdings laut Karlson (1982) auf keinen Fall mit den Hormonen gleichgesetzt werden.

Eine weitere Erweiterung des klassischen Hormonbegriffs stellt das Konzept der Neurosekretion dar, das 1928 von Scharrer und Scharrer beschrieben und erforscht wurde.

Dieses stellte zugleich eine weitere Schwierigkeit der Abgrenzung des Hormonbegriffs dar, da unklar ist „wo […] die Grenze […] zwischen Neurosekreten als Hormone und den Neurotransmittern, die an Synapsen abgegeben werden“ (Karlson 1982) zu ziehen ist.

Ergänzt wurde dieses Konzept 1969 durch Pearse um das Konzept der APUD (Amine Precursor Uptake and Decarboxylation)-Zellen, die laut Karlson (1982) biogene Amine produzieren und sezernieren, aber auch „Peptidhormone [wie] Sekretin, Somatomedin, Somatostatin, Insulin [und] viele der Hypophysenhormone“ (Karlson 1982) produzieren . Aufgrund dieser stetig fortschreitenden Erweiterung des Begriffes „Hormon“ und des Fachgebietes der Endokrinologie wurden aus diesen „historischen Gründen unter dem einen Begriff Hormon eine Reihe von Regulationsstoffen zusammengefasst […], die mehr Verschiedenheiten als Gemeinsamkeiten aufweisen“ (Karlson 1982). Außerdem gebe es laut Karlson (1982) Grenzfälle, die sich aktuell nicht den zwei nach Biosynthese und Wirkmechanismus getrennten Gruppen der „Peptid- und Proteohormone und [der]

Steroidhormone“ zuordnen lassen. Karlson (1982) teilt deswegen Hormone einerseits in die vier chemischen Stoffklassen (Amine/ Aminosäuren, Peptide, Proteine und Steroide) und andererseits in sechs Gruppen nach morphologisch- physiologischen Kennzeichen der Signalstoffe ein. Dabei benennt er die Gruppen der „adenotropen Hormone“ und der

„peripher wirkenden glandulären Hormone“ als die klassischen Hormone. Bei der Gruppe der

„Neurosekrete“ sei seit ihrer Entdeckung umstritten, ob man sie zu den Hormonen rechnen

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solle oder nicht, bei der Gruppe der „Neurotransmitter“ sei man sich hingegen hauptsächlich einig, diese nicht zu den Hormonen zu zählen. Die „parakrin wirkenden Signalstoffe“ und die

„Mediatoren“ sollten laut Karlson (1982) „nicht zu den Hormonen gerechnet“ werden.

Schließlich kommt Karlson (1982) auf einen eng an die klassische Hormondefinition angelehnten Definitionsvorschlag: „Endokrine (hormonale) Regulationssysteme sind dadurch gekennzeichnet, dass von endokrinen oder neuroendokrinen Zellen Signalstoffe (Hormone) in den Blutstrom abgegeben werden, die an den Erfolgsorganen auf spezifische Rezeptoren treffen und dadurch Stoffwechselvorgänge oder morphologische Veränderungen steuern“.

Diese Definition stellt immer noch die aktuell vorherrschende Meinung dar, nämlich dass

„Hormone […] Signale [sind]“ (Kleine und Rossmanith 2014), die „ von Drüsen- und Nervenzellen sezerniert [werden] und […] über den Blutweg zu ihren Zielzellen [gelangen]

[…], [wo] sie an ihre Rezeptoren [binden] und […] so eine Zellantwort [bewirken], die für die Aufrechterhaltung physiologischer Funktionen unerlässlich ist“ (Meinecke 2010). Von den Hormonen abgegrenzt werden durch Kleine und Rossmanith (2014) „die Neurotransmitter […] deren Wirkung sich auf den synaptischen Spalt zwischen zwei Nervenzellen beschränkt“, die „Zytokine und Lymphokine, […] [die] Botenstoffe und Regulatoren von Zellen des Immunsystems [sind]“, die „Prostaglandine und Thromboxane, die aus Arachidonsäure gebildet werden […] [und] deren Abbau im Blut sehr schnell erfolgt“, sowie die „Pheromone, die nicht innerhalb eines Organismus wirken, sondern außerhalb“ (Kleine und Rossmanith 2014). Anstatt in vier, wie bei Karlson (1982), schlagen Kleine und Rossmanith (2014) die Einteilung in drei chemische Stoffklassen vor. Dieses sind die Protein-/ Peptidhormone, die Terpene (Steroidhormone) und die Aminosäurederivate.

Meinecke (2010) teilt zwar ebenfalls in drei Gruppen ein, allerdings in Proteo-/

Polypeptidhormone, Steroidhormone und in die Gruppe der Prostaglandine, die bei Kleine und Rossmanith (2014) dagegen „aus praktischen Gründen vom Hormonsystem ausgegliedert“ werden.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass man sich in den letzten Jahren zwar bei der grundsätzlichen Definition des Hormonbegriffs einig war, diese Begriffsdefinition aber mit teilweise ganz verschiedenen Inhalten gefüllt wird (wie z.B. durch die oben genannten zwei unterschiedlichen Stoffklassen- Einteilungen, durch die die Prostaglandine bei Meinecke (2010) mit zum Hormonsystem gezählt werden, und bei Kleine und Rossmanith (2014) nicht). Daher existiert aktuell eine sehr viel breitere und schwer greifbare Definition des Begriffes „Hormon“, die dadurch auch mehr Moleküle umfasst, als bei der klassischen Definition berücksichtigt wurden. Diese Erkenntnis muss bei der Literatursuche für diese

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Arbeit berücksichtigt werden und könnte sich auf das Verständnis der Endokrinologie des peripartalen Stoffwechsels der Milchkuh auswirken, da bei der Suche nach Primärdaten davon ausgegangen werden muss, dass die entsprechenden Autoren den Hormonbegriff ebenfalls verschieden definieren und damit das Gebiet der Endokrinologie verschieden weit gefasst haben könnten.