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Abschließende Reflexionen: Ganztagsschule als Raum der Aushandlung von Qualität ganztägiger Bildung? Zur

Im Dokument Soziale Arbeit im Kontext Schule (Seite 34-38)

Zur Qualität ganztägiger Bildung Nina Thieme

4. Abschließende Reflexionen: Ganztagsschule als Raum der Aushandlung von Qualität ganztägiger Bildung? Zur

(möglichen) Bedeutsamkeit der Kinder- und

Jugendarbeit

In bildungspolitischen Forderungen von Qualität ganztägiger Bildung materi-alisiert sich ein objektivistisches Qualitätsverständnis, gemäß dem versucht wird, Qualität „in Bezug auf inhaltliche Aspekte des Gegenstandsbereichs zu bestimmen“ (Oelerich 2005, S. 5). Demgegenüber werden mit einem relatio-nalen Qualitätsverständnis „vielmehr die Aushandlungsprozesse zwischen den beteiligten Akteuren um die Qualität eines Angebots in den Mittelpunkt“

(ebd.) gestellt.

Ein solches Qualitätsverständnis zugrunde legend, stellt sich mit Blick auf ganztägige Bildung (zunächst) weniger die Frage, was als Qualität gilt, son-dern ob Ganztagsschule, auch durch die Beteiligung einer strukturell bedingt eher aushandlungsorientierten Kinder- und Jugendarbeit, zu einem Raum wird, in dem Akteurinnen und Akteure, vor allem Lehrkräfte, Professionelle der Sozialen Arbeit und Schülerinnen und Schüler, ihre Interessenlagen artiku-lieren und damit verbundene Perspektiven auf die (auszuhandelnde) Qualität ganztägiger Bildung im Prinzip gleichberechtigt einbringen können.

Die Beantwortung dieser Frage hängt von verschiedenen, auf unter-schiedlichen Ebenen angesiedelten und zusammenhängenden Faktoren ab:

Auf der organisationalen Ebene ist vor allem von Bedeutung, inwieweit durch die Einführung des Ganztags eine strukturelle Veränderung von Schule erfolgt. Wenn primär „nur mehr vom Gleichen geboten [wird]“ (Oelkers 2010, S. 46; Hervorheb. im Original), erscheint es vor dem Hintergrund der vornehmlich strukturell bedingten „sehr ungleichen Beziehung“ (Uhlich 2001, S. 77; Hervorheb. im Original) zwischen Schülerinnen sowie Schülern und Lehrkräften eher unplausibel, dass Ganztagsschule zu einem Raum der Aushandlung von Qualität ganztägiger Bildung wird. Erfolgt demgegenüber eine Öffnung von Schule derart, dass Bildungsangebote außerschulischer Partner, vor allem der Kinder- und Jugendarbeit, einbezogen werden, dürfte die Gestaltung der Verbindung von Unterricht und außerunterrichtlichen An-geboten eine Rolle spielen: Im Rahmen eines additiven Modells, in dem Un-terricht und außerunUn-terrichtliche Angebote „eher unverbunden nebeneinan-der [ge]stellt“ (Oelerich 2007, S. 18; Hervorheb. im Original) sind, werden Aushandlungsmöglichkeiten von Qualität potentiell eher auf Seiten der Kin-der- und Jugendarbeit verbleiben. Wenn, einem integrativen Modell entspre-chend, dagegen „eine systematische Integration von unterrichtlichen und nicht-unterrichtlichen Anteilen“ (ebd.; Hervorheb. im Original) erfolgt, wäre

35 zunächst in den Blick zu nehmen, wie sich die multiprofessionelle Zusam-menarbeit von Lehrkräften und Professionellen der Sozialen Arbeit faktisch gestaltet.

Bezüglich dieser Ebene lassen sich im Diskurs über multiprofessionelle Kooperation in pädagogischen Handlungskontexten zwei Argumentationsli-nien identifizieren (vgl. u.a. Kunze 2018; Silkenbeumer, Thieme & Kunze 2017): Einem „Integrationsansatz“ (Kunze 2018) folgend, werde davon aus-gegangen, dass sich multiprofessionelle Kooperation durch eine „Kopplung und Verschmelzung der unterschiedlichen Expertisen und Reflexionsmuster der Beteiligten“ (ebd.) kennzeichne. Demnach könnte eine multiprofessionel-le Kooperation mit Blick auf die Profession der Lehrkräfte für diese das Po-tential eröffnen, aushandlungsorientierter zu werden. Geht man, gegenläufig dazu, von einem „Differenzierungsansatz“ (ebd.) aus, ist anzunehmen, dass durch multiprofessionelle Kooperationen fachliche und aufgabenbezogene Differenzen gerade nicht aufgelöst, sondern aufrechterhalten werden. In dem Fall erscheint es plausibel, dass eine Aushandlungsorientierung auf Seiten der Kinder- und Jugendarbeit verbleiben dürfte.

Grundsätzlich legen die Ausführungen nahe, dass unter bestimmten Vo-raussetzungen eine strukturell bedingt eher aushandlungsorientierte Kinder- und Jugendarbeit einen bedeutsamen Beitrag dazu leisten könnte, Ganztags-schule zu einem Raum der Aushandlung von Qualität ganztägiger Bildung werden zu lassen. Die konkrete Ausgestaltung eines solchen Beitrags zu klä-ren – unter Berücksichtigung der angeführten Faktoklä-ren –, bleibt jedoch letzt-lich eine empirische Aufgabe.

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Wie Schulsozialarbeit und Schule kooperieren: Fünf

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