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Abgrenzung von Einzel- und Gruppenentscheidungen

3. Entscheidungsfindung von Gruppen

3.1. Erforschung von Gruppenentscheidungen Die Erforschung des Phänomens Entscheidung hat eine

3.1.1. Abgrenzung von Einzel- und Gruppenentscheidungen

Jedoch kann konstatiert werden, dass dies eine sehr all-gemeine Sicht ist, die aber im Konkreten zu untersuchen ist. Vor diesem Hintergrund soll aber im Folgenden das Gruppenverhalten in Abgrenzung vom individuellen Ent-scheidungsverhalten dargestellt werden. Anschließend sollen sich ausgewählte Entscheidungsdefekte explizit auf den Gruppenentscheidungsprozess beziehen, um exemplarisch die Verzerrung des Entscheidungsverhal-tens auf kollektiver Ebene darzustellen. Komplexität und Qualität sowie Besonderheiten des kollektiven Akteurs sind dabei flankierende Themen, um das Investigations-feld „Entscheidungen in Gruppen“ abzurunden.

3.1.1. Abgrenzung von Einzel- und Gruppenentscheidungen

Einfluss auf die Entscheidungsfindung der Gruppe haben neben individuellen Faktoren auch soziale Mechanismen (vgl. Schäfer-Pietig 1995, S. 16). Zunächst scheinen aber kollektive Problemlösetechniken einen Widerspruch in sich zu tragen. Probleme können zwar gemeinsam gelöst werden, aber die Techniken scheinen nur dem

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um vorbehalten. Auch die verhaltenspsychologische Ent-scheidungsforschung legt einen Schwerpunkt auf das individuelle Entscheidungsverhalten. Dieses wurde hin-reichend intensiv erforscht, und daraus ergaben sich va-lide Befunde (vgl. Auer-Rizzi 1998, S. 159). Entschei-dungen werden aber, wie bereits erwähnt, selten von einer zentralen Machtinstanz getroffen, sondern von Ent-scheidungskollektiven in Form von Gruppen, Ausschüs-sen oder ArbeitskreiAusschüs-sen. Alleinentscheidender bedienen sich des Organisationskollektivs zur Entscheidungsvor-bereitung, zur Informationsgewinnung oder als Vor-schlagsgrundlage. Auf allen Entscheiderplattformen be-wegen sich Organisationsteilnehmende mit unterschied-lichsten Merkmalen (Hierarchieebene, Bildung, Persön-lichkeit etc.) zum Zwecke der gegenseitigen Abstim-mung, Beratung und letztlich der Entscheidungsfindung.

Oft sind die Gruppen9 in Organisationen formalisiert und

9 Unter einer Gruppe soll eine Ansammlung von Individuen verstanden werden. In der sozialen Gruppe interagieren die Gruppenmitglieder für einen längeren Zeitraum miteinander (vgl.

Lindstädt 1997, S. 1). Eine andere gängige sozialpsychologische Definition ist die von Tajfel und Turner (1986, S. 24). Sie definieren eine „Gruppe als eine Ansammlung von Individuen, die sich selber als Mitglieder derselben sozialen Kategorie wahrnehmen, die ein

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standardisiert. Es sind in der Regel mehrere Personen an Problemlösung und Entscheidungsfindung beteiligt, um unterschiedliche Sichtweisen, Lebensvorstellungen und Wissensbestände einzubringen und sich auch auf Pro-zessebene (Handlungsschritte) abzustimmen (vgl. Boos 1996, S. 9). Da Probleme in der Organisation meist meh-rere Organisationseinheiten, Abteilungen oder Spezial-gebiete betreffen, soll von einer kollektiven Entschei-dungsfindung in Gruppen ausgegangen werden. Auch wenn eine Einzelperson die Verantwortung für die Ent-scheidung trägt und diese vielleicht sogar endgültig trifft, ist der Prozess der Entscheidungsfindung kollektiver Na-tur und deshalb die gegenseitige Abstimmung oft uner-lässlich (siehe u.a. Beispiel in Kapitel 3.1).

Letztlich beherbergt diese Ansicht den Gedanken, dass Organisationsmitgliedern in leitenden Positionen die Auf-gabe der Gruppenführung, Moderation oder inhaltlichen Lenkung zukommt (u.a. Prozessgestaltung und -lenkung,

gewisses Maß an emotionaler Bindung an diese Kategorie aufweisen und die über einen gewissen sozialen Konsens verfügen“.

Die Bezeichnungen für Kollektive Gemeinschaften, wie Teams, Gruppen oder Gremien, werden aber im Folgenden synonym verwendet.

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Vorgaben definieren, Mitarbeiter/-innen führen etc.). Die-se Ansicht nimmt der Organisation damit dennoch nicht die hierarchisch-finale Entscheidungsgewalt oder gibt ihr etwa ein sozialistisches Gesicht („alle entscheiden mit“), sondern sie spiegelt sich die Vorbereitung und die Betei-ligung unterschiedlicher Organisationsakteure an der Entscheidung wider. Mitarbeiter/-innen werden in Ent-scheidungen der Organisation einbezogen, und durch dieses Involvement können motivationale Dynamiken wie Commitment gegenüber der Gruppe o.Ä. entstehen und kooperativ organisationale Ziele verfolgt werden (vgl.

Drewes 2013, S. 145). In vielen Organisationen wird es als gewünschtes Führungsverhalten gesehen, die Mitar-beiter/-innen mit „ins Boot“ zu holen, z.B. durch die orga-nisationalen Vorgaben aus Führungsleitlinien.

Gruppen sind aufgrund ihrer Vernetzung innerhalb der Organisation schwer abgrenzbar. Sie neigen dazu, durch vielerlei Einflüsse zu variieren. Selbst Laboruntersuchun-gen vermöLaboruntersuchun-gen nicht alle Variablen konstant zu halten.

Die Modellierung von Gruppenentscheidungen in Untsuchungen kann dabei eine beachtliche Komplexität

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reichen (vgl. Sauermann 2012, S. 81). Außerdem gibt es in der Organisationsrealität keine Kollektiventscheidung als einstimmige Gruppenmeinung, wie es im politischen Sozialismus idealiter der Fall wäre. Auch wenn die Ziele der Organisation äußerlich eine Einigkeit darstellen, blei-ben sie abstrakt und sind nicht explizit als Präferenzen oder Meinungen bei den Organisationsakteuren veran-kert. Im Gegenteil, Präferenzen konkurrieren miteinander bzw. stehen in einem Konflikt zueinander (vgl. Eisenhardt 1992, S. 27). Gruppenentscheidungen sind also die Summe divergierender Meinungen und deshalb schwer vorhersagbar, da jedes Individuum innerhalb der Gruppe unterschiedliche Präferenzen und Bezugssysteme hat.

Sauermann (2012, S. 81 ff.) hat sich mit der Frage be-schäftigt, wie sich individuelle von kollektiven Entschei-dungen unterscheiden (drei Erklärungsansätze). Mit die-ser Frage beschäftigt sich auch die Sozialpsychologie im Rahmen des Gefangenendilemmas. Die Ergebnisse fin-den eine Erklärung u.a. im Diskontinuitätseffekt, fin-den Ins-ko und Schopler (1972) beschrieben haben, die auch den Unterschied zwischen individuellem und kollektivem Handeln darstellen. Der Diskontinuitätseffekt besagt,

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dass das Individuum weniger Vertrauen in eine Fremd-gruppe hat und sich nicht mit ihr identifizieren kann, weil es aus der Eigengruppe mehr Unterstützung erfährt. Im Rahmen ihrer Untersuchung wurden Entscheidungen von Einzelpersonen mit den Entscheidungen von Gruppen verglichen. Dabei fiel das Verhalten der Gruppenent-scheidung im Vergleich zur EinzelentGruppenent-scheidung insge-samt kompetitiver aus, weil das Eigeninteresse durch den „social support“ der Gruppe gestärkt wird (vgl. Ins-ko/Schopler 1972, S. 135).

Dafür kann es drei Erklärungsansätze geben (vgl. Sau-ermann 2012, S. 819 f.):

1) Die Mitgliedschaft in Gruppen erschwert die Zuschrei-bung individueller Verantwortung: Das Individuum ist in der Gruppe schwerer identifizierbar, als wenn es allein handeln würde. Deshalb ist der/die Einzelne in der Grup-pe weniger geneigt, egoistisch zu handeln. Die Verant-wortung des einzelnen Organisationsmitgliedes wird bei der kollektiven Entscheidung an die Gruppe abgegeben.

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2) Die Gruppendynamik bestärkt die einzelnen Akteure/-innen in ihrem Entscheidungsverhalten: Die Gruppenmit-glieder bestärken sich gegenseitig darin, dass ihr Ent-scheidungsverhalten in Ordnung ist, das möglicherweise sogar eine Verletzung von Organisationsnormen darstel-len kann. Die (normverletzende) Entscheidung wird dann durch die Gruppe eher legitimiert, als eine Einzelent-scheidung dies tun würde. Beispiel: Die Gruppe fährt zu einer Tagung und überschreitet dabei das vorgegebene Reisekostenlimit. Da aber alle Gruppenmitglieder mit die-ser Abweichung von der Organisationsrichtlinie konform gehen, fühlt sich der/die Einzelne bestätigt und hat durch die Gruppenlegitimation kein Störgefühl (wie Unrechts-bewusstsein o.Ä.).

3) Egoistisches Verhalten gegenüber der Umwelt: Akteu-re/-innen in Gruppen senken ihre Kooperationsbereit-schaft gegenüber der Umwelt, weil die Meinung

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herrscht, sich gegenüber anderen Gruppen abgrenzen zu müssen (verstärktes Konkurrenzdenken/Wettbewerb).10

Diese Erklärungsbeispiele verdeutlichen die Grundlagen des Entscheidungsverhaltens in der Gruppe. Der wesent-liche Unterschied zwischen individuellem und kollektivem Verhalten liegt im sozialen Prozess (vgl. Schäfer-Pietig 1995, S. 12), d.h., die Entscheidung findet in einem inter-aktiven Kontext statt. Deshalb stellt sich die Frage, ob es neben aller Individualität des Entscheidens auch einen gemeinsamen Organisationshorizont in Organisationen gibt, der Gruppen beim Entscheiden leitet?

10 Siehe auch die Theorie der sozialen Identität von Turner und Tajfel (1986), in der (Inter-)Gruppenprozesse analysiert werden.

Auch Festingers (1954) Theorie des sozialen Vergleichs kann als Basistheorie zur Erklärung sozialer Prozesse durch Vergleiche mit anderen Leistungen oder als Meinung zur Verifizierung der eigenen Sichtweise in Ermangelung objektiver Normen herangezogen wer-den.

3.1.2 Besonderheiten des kollektiven