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j. Abgrenzung der Haftung nach LFG zu anderen Ansprüchen

Art. 64 Abs. 1 LFG statuiert eine verschuldensabhängige Haftung für Personen- und Sachschäden von Haltern von Nano-, Mikro- und Kleindrohnen.803 Bei einem Schadensereignis können gleichzeitig weitere ausservertragliche Haftungsnormen und die vertragliche Haftung infrage kommen.

1)  Abgrenzung zur ausservertraglichen Haftung des OR und ZGB Zwischen den spezialgesetzlichen Gefährdungshaftungen, wie diejenigen von Art. 64 ff. LFG, und den ausservertraglichen Haftungstatbeständen des OR und des ZGB804 besteht grundsätzlich Anspruchskonkurrenz.805 Gerade im Hinblick auf die verhältnismässig kurzen Verjährungsfristen von Art. 68 LFG können die ausservertraglichen Haftungsgrundlagen nach OR und ZGB von Bedeutung sein.806 Bei Schäden durch autonome Nano-, Mikro- und Kleindrohnen fehlen allerdings häufig Anspruchsvoraussetzungen für eine parallele Haftung nach den Bestimmungen des OR bzw. ZGB.807

2)  Abgrenzung zur strassenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung (Art . 58 SVG)

Art. 7 Abs. 1 SVG definiert ein Motorfahrzeug als «jedes Fahrzeug mit eigenem Antrieb, durch den es auf dem Erdboden unabhängig von Schienen fortbe-wegt wird.» Es stellt sich die Frage, inwieweit Luftfahrzeuge dem SvG unter-stehen, wenn sie sich auf der Erde bewegen.

Unstreitig dürfte sein, dass sog. hybride Fahrzeuge, die für einen Betrieb in der Luft und auf Strassen ausgelegt sind,808 unter Art. 7 Abs. 1 SVG fallen, wenn sie sich auf der Erde bewegen.809

803 Ziff. III.A.2.b Gefährdungshaftung nach Art. 64 LFG, 81 f.

804 Siehe z.B. die Haftungstatbestände in: Ziff. Iv.B.3.c Keine analoge Anwendung von Haftungen für Dritte, 164–167.

805 Fellmann, Band II, N 1549; Fellmann/ Kottmann, Band I, N 12; Honsell/ Isenring/

Kessler, § 20 N 24; Schwenzer, Rz. 54.04. A.M.: Deschenaux/ Tercier, § 32 Rz.

2–20; Keller/ Gabi/ Gabi, 162; Oftinger/ Stark, Allgemeiner Teil, § 13 N 33; Rey, Haftpflichtrecht, N 1247.

806 Zur Verjährung: Ziff. III.A.2.l Verjährung, 116 f.

807 Ziff. Iv.B.3.c Keine analoge Anwendung von Haftungen für Dritte, 164–167.

808 Z.B.: https:// www.heise.de/ newsticker/ meldung/ Tragschrauber- PAL-v- nimmt-Bestel-lungen- fuer-sein-fliegendes -Auto-entgegen- 3626699.html und http://robohub.org/

flying- cars-are-coming-what-will-they-mean/.

809 Giger, OFK-SvG, Art 7 SvG N 4; Oftinger/ Stark, Gefährdungshaftungen, § 24 Rz. 52.

III. Haftung für Personen- und Sachschäden am Boden

108

Bei Luftfahrzeugen, die grundsätzlich für einen Betrieb in der Luft ausgelegt sind und die sich auf dem Boden bewegen, ist diese Frage umstritten.

Eine Lehrmeinung begründet die Subsumtion von Luftfahrzeugen unter Art . 7 Abs. 1 SVG damit, dass sich Luftfahrzeuge entsprechend der Legaldefi-nition mit eigenem Antrieb auf dem Boden fortbewegen können.810 Als Konsequenz würde der Halter, wenn sich das Luftfahrzeug in Betrieb, aber nicht im Flug befindet,811 nach Art. 58 Abs. 1 SVG haften.812 Zudem wäre der Halter unter den Voraussetzungen von Art. 58 Abs. 2 SVG schadenersatzpflich-tig, falls das nicht in Betrieb befindliche Luftfahrzeug einen verkehrsunfall ver-ursachen würde.813

Die wohl überwiegende Meinung stützt sich auf das Kriterium, dass ein Motorfahrzeug hauptsächlich «auf dem Erdboden (…) fortbewegt wird» (Art. 7 Abs. 1 SVG) und schliesst damit Luftfahrzeuge vom Anwendungsbereich des SVG aus.814

Zwar sind hybride Nano-, Mikro- und Kleindrohnen denkbar, welche die Anforderungen von Art. 7 Abs. 1 SVG erfüllen und deren Halter somit der Haftung des SvG unterliegen. Aufgrund der Konstruktionsweise heute gän-giger Nano-, Mikro- und Kleindrohnen815 ist davon i.d.R. nicht auszugehen.

Somit sind Halter von Nano-, Mikro- und Kleindrohnen nicht nach dem Strassenverkehrsrecht haftpflichtig. Eine Konkurrenz zur luftrechtlichen Haftung fällt deshalb ausser Betracht.

810 Brehm, responsabilité, Rz. 154; Fellmann, Band II, Rz. 1550. In Keller, 269 f., wird für rollende Luftfahrzeuge ebenfalls die Haftung des SvG als anwendbar erklärt. Allerdings wird anschliessend ebd., 286, wohl die Auffassung vertreten, dass Luftfahrzeuge nicht in den Anwendungsbereich des SvG fallen.

811 Zur Frage, wann sich ein Luftfahrzeug im Flug befindet: Ziff. III.A.2.c Wann befindet sich ein unbemanntes Luftfahrzeug im Flug?, 82–85, und Ziff. III.A.2.h.1) Konstellationen bei Kollisionen von Luftfahrzeugen, 100–102.

812 Weiterführend zu Art. 58 Abs. 1 SvG: Haftpflichtkommentar-Giger, Art. 58 SvG N 3–60; Giger, OFK-SvG, Art. 58 SvG N 1–54.

813 Weiterführend zu Art. 58 Abs. 2 SvG: Haftpflichtkommentar-Giger, Art. 58 SvG N 61–62; Giger, OFK-SvG, Art. 58 SvG N 55–56.

814 Deschenaux/ Tercier, § 15 Rz. 35; Jeanneret, Fn. 117; Müller/ Mauchle, AJP, 480;

Oftinger/ Stark, Gefährdungshaftungen, § 24 Rz. 52; Rey, Haftpflichtrecht, Rz. 1280;

Werro, responsabilité, Rz. 901. Keller, 286, vertritt wohl ebenso diese Auffassung, er postuliert aber ebd., 269 f., für Luftfahrzeuge auf dem Rollweg die Anwendung der Haftung des SvG (siehe auch Fn. 809, 107).

815 Weiterführend: Ziff. II Eigenschaften autonomer Drohnen, 9–73.

A. Luftfahrthaftpflicht

109

Selbst wenn Nano-, Mikro- und Kleindrohnen auch unter die Haftung des SvG fallen würden, bestünde keine Anspruchskonkurrenz zur luftrechtli-chen Haftung. Sobald sich Luftfahrzeuge im Flug befinden, käme Art. 64 ff.

LFG zur Anwendung – während ausserhalb dieser Zeit Art. 58 ff. SVG ange-wendet werden könnte.816

3)  Anspruchskonkurrenz bei Ansprüchen aus spezialgesetzlicher Haftung wie dem PrHG

Inwieweit zwischen spezialgesetzlich geregelten Gefährdungshaftungstatbe-ständen Anspruchskonkurrenz herrscht, ist teilweise umstritten.817 Sofern ein spezialgesetzlicher Haftungstatbestand keine exklusive Anwendung vor-sieht,818 wird vorliegend von Anspruchskonkurrenz ausgegangen. Im LFG ist bezüglich anderer spezialgesetzlicher Haftungen keine Exklusivität vorge-sehen. Ein solcher vorbehalt fehlt auch im PrHG819 im verhältnis zum LFG.

Folglich ist zwischen Haftpflichtansprüchen aus dem LFG und dem PrHG von Anspruchskonkurrenz auszugehen.

4)  Anspruchskonkurrenz bei parallelen vertraglichen Entschädigungsansprüchen

Wenn Nano-, Mikro- und Kleindrohnen einen Personen- oder Sachschaden verursachen, können in einigen Fällen neben der ausservertraglichen Haftung auch vertragliche Ansprüche bestehen.

Denkbar ist z.B., dass ein Arbeitnehmer eines Logistikunternehmens durch eine beim Start fehlgeleitete Paketdrohne seines Arbeitgebers verletzt wird.820 Grundsätzlich sind Arbeitnehmer gegen Unfälle an ihrem Arbeitsplatz

816 Weiterführend zu einer Haftung von Luftfahrzeugen nach SvG: Fellmann, Band II, Rz. 1551–1553.

817 Fellmann/ Kottmann, Band I, Rz. 1225. Für das PrHG eine Anspruchskonkurrenz ablehnend: BBl 1993 I 805, 806; Borsari, 47 f.; Jäggi, AJP, 1423. Für das SvG ablehnend:

Oftinger/ Stark, Gefährdungshaftungen, § 25 Rz. 78. Eine Anspruchskonkurrenz im Fall des PrHG befürwortend: BSK OR I-Fellmann, Art. 11 PrHG N 4; Fellmann/

Kottmann, Band I, Rz. 1225; Hess, SHK-PrHG, Art. 11 PrHG N 13; Rey, Haftpflichtrecht, Rz. 1236.

818 Zur Gesetzeskonkurrenz bei Exklusivität: Oftinger/ Stark, Allgemeiner Teil, § 13 Rz. 4. Zur Kollision verschiedener Kausalhaftungen: ebd., § 13 Rz. 20–29.

819 Ausführlich zur Anwendung des PrHG auf Nano-, Mikro- und Kleindrohnen: Ziff. III.B.1 Produkthaftpflicht, 117–130.

820 Hänsenberger, AJP, 169.

III. Haftung für Personen- und Sachschäden am Boden

110

obligatorisch versichert (Art. 1a Abs. 1 lit. a UVG821).822 Personenschäden trägt somit in erster Linie die Unfallversicherung des Arbeitgebers. Gleichzeitig hält Art. 77 Abs. 1 LFG fest, dass obligatorisch unfallversicherten Personen die luftrechtlichen Haftungsansprüche (Art.  64  ff. LFG) gewahrt blei-ben.823 Dasselbe gilt für einen allfälligen Rückgriff des versicherers auf den Arbeitgeber (Art. 77 Abs. 1 LFG).

Für die übrigen Fälle paralleler vertraglicher Haftung, welche nicht zum Anwendungsbereich von Art. 77 LFG zählen, können nach dem Wortlaut von Art. 69 LFG keine Ansprüche nach Art. 64 ff. LFG geltend gemacht werden.824 Demnach blieben z.B. dem Arbeitnehmer, dessen Brille durch eine Drohne des Arbeitgebers beschädigt wird, Ansprüche nach Art. 64 ff. LFG verwehrt.

Der Grund liegt darin, dass es sich um einen Sachschaden handelt und dafür keine obligatorische versicherungspflicht des Arbeitgebers besteht.825 Ebenso könnte der Eigentümer einer Liegenschaft keine Ansprüche nach LFG gel-tend machen, dessen Fenster durch eine Kameradrohne eines beauftragten Fotografen zu Bruch geht.826

Allerdings geht die überwiegende Lehre,827 entgegen der Auffassung des Bundesgerichts,828 von einer Anspruchskonkurrenz zwischen vertragsrecht und spezialgesetzlichen Gefährdungshaftungen aus. In der Botschaft wurde die Exklusivität von vertraglichen Ansprüchen gemäss Art. 69 LFG mit einem

821 Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UvG), SR 832.20.

822 Als Ausnahmen gelten mitarbeitende Familienmitglieder ohne Barlohn und AHv-Pflicht (Art. 1a Abs. 2 UvG i.v.m. Art. 2 verordnung über die Unfallversicherung (Uvv), SR 832.202). Weiterführend zur UvG-versicherungspflicht und zur bundesgerichtli-chen Rechtsprechung: Rumo-Jungo/ Holzer, 9–14.

823 A.M. allerdings noch zum alten Recht: Keller, 271.

824 In BBl 1945 I 341, 363 wird der Inhalt von Art. 69 LFG damit begründet, dass nur unbeteiligte Dritte von der scharfen Kausalhaftung profitieren sollen.

825 Arbeitsvertragliche Haftungsansprüche könnten sich z.B. auf Art. 328 OR stützen.

Weiterführend: Streiff/ von Kaenel/ Rudolph, Art. 328 N 13, m.w.H.

826 Haftungsansprüche aus einem Auftrag könnten sich z.B. auf Art. 398 Abs. 1 und 2 OR stützen. Weiterführend: BSK OR I-Weber, Art. 398 OR N 18–35.

827 Fellmann/ Kottmann, Band I, N 11; Gauch/ Schluep/ Schmid/ Emmenegger, Rz. 2944; Oftinger/ Stark, Allgemeiner Teil, § 13 N 43; Rey, Haftpflichtrecht, N 44;

Schwenzer, Rz. 54.04. A.M. Mühlbauer, N 195, allerdings ohne die abweichenden Lehrmeinungen zur Anspruchskonkurrenz zu erwähnen. Zur Exklusivität der Eisenbahnhaftpflicht gegenüber dem vertragsrecht: BGE 113 II 246, 251 E. 8.

828 BGE 113 II 246, 251 E. 8; 106 II 75, 77 E. 2.

A. Luftfahrthaftpflicht

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«logischen vorbehalt betreffend das vertragsrecht»829 begründet. Mit Blick auf die aktuelle Lehre ist ein solcher vorbehalt nicht mehr zu erkennen.830 Demzufolge ist zwischen vertraglicher Haftung und der luftrechtlichen Gefährdungshaftung nach Art. 64 ff. LFG, entgegen dem Wortlaut von Art. 69 LFG, von Anspruchskonkurrenz auszugehen.831

Somit können sich geschädigte vertragspartner, wie der Arbeitnehmer und der Eigentümer in den vorstehenden Beispielen, neben vertraglichen Ansprüchen auch auf Art. 64 ff. LFG berufen.832

k.  Gerichtsstand und anwendbares Recht bei nationalen und