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Lexikon ökonomischer Werke

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650 wegweisende Schriften von der Antike bis ins 20. Jahrhundert von

Dietmar Herz, Veronika Weinberger

1. Auflage

Lexikon ökonomischer Werke – Herz / Weinberger

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Thematische Gliederung:

Wirtschaftsgeschichte – Wirtschaftsgeschichte

Wirtschaft und Finanzen 2006

Verlag C.H. Beck im Internet:

www.beck.de ISBN 978 3 87881 158 9

Inhaltsverzeichnis: Lexikon ökonomischer Werke – Herz / Weinberger

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A

Achenwall, Gottfried

Gottfried Achenwall (20. Oktober 1719 bis 1. Mai 1772), Professor für Geschichte, Natur- und Völker- recht, Politik und Statistik an der Universität Göttingen, galt lange Zeit als »Vater der Statistik«, verstanden als ei- ner »Lehre von der Staatsverfassung eines oder mehrerer einzelner Staaten [Staatskunde, Staatsbeschreibung, his- torische Staatslehre]«. Zusammen mit Johann Stephan Pütter ist er Autor des weit verbreiteten LehrbuchsEle- menta Iuris Naturae, auf dessen Grundlage u. a. Kant seine Naturrechtsvorlesungen hielt.

Die Staatsklugheit nach ihren ersten Grundsätzen

Entworfen von Gottfried Achenwall ordentlichem Lehrer des Natur- und Völker-Rechts wie auch der Politick auf der Universität zu Göttingen

EA:Göttingen: Vandenhoeck, 1761;41779 (»mit stark vermehrter Bücherkunde«).

Achenwall bezeichnet sein Werk als eine »Theorie im Schattenriß«, einen »Entwurf über die Politik«, kon- zipiert als »Leitfaden« seiner »Vorlesungen über die Poli- tick«, der zunächst nicht mehr als »eine blosse Anzeige aller zu dieser Wissenschaft gehörigen Hauptmaterien in einer bequemen Ordnung« liefern sollte, auf Anre- gung seiner Zuhörer aber in weiten Teilen ausgebaut wurde. Praxisnähe ist das oberste Ziel der Studie, die den Mitgliedern der Kurfürstlich Braunschweig-Lüne- burgischen Landesregierung gewidmet ist: Aus der em- pirischen Analyse der europäischen Staatenwelt sollen allgemeine »Regeln der Staatsklugheit« hergeleitet wer- den, die sich »leicht, genau und sicher anwenden lassen«.

Dementsprechend liefert Achenwall keinen theoreti- schen Traktat, sondern ein allgemeinverständliches Brevier, eine Sammlung von Stichworten, simplen Defi- nitionen, empirischen und generalisierenden Feststel- lungen, offen gelassenen Fragen sowie pragmatischen Klugheitsregeln. Das Werk besteht aus drei Büchern: I.

Von der Grundverfassung, II. Von der Landesregierung, III. Von den auswärtigen Staatsgeschäften. Zur »Landes- regierung« (heute: Innenpolitik) gehört die »Staatswirt- schaft«, die im Wesentlichen in folgenden »Hauptstü- cken« behandelt wird: Vom Nahrungswesen und Gewerbe (III), Von der Landwirthschaft (IV), Von Handwerken, Manufacturen, Fabricken (V), Vom Han- del (VI), Vom Fuhrwesen und der Schiffahrt (VII), Vom Gelde und Münzwesen (VIII), Von einigen vorzüg-

lichen Beförderungsmitteln des Handels (IX), Von dem Finanz- oder Cameralwesen (XIII), Von den verschiede- nen Arten der Staats-Einkünfte (XIV), Von den ver- schiedenen Arten der Staats-Aufgaben (XV).

Das Niveau der Ausführungen reicht von Banalitäten (»§ 19. Zu allem Handel werden Waaren und deren Ver- trieb erfordert«) überCommon-sense-Aussagen zu Dar- stellungen, die das als gesichert geltende wissenschaftli- che Wissen der Zeit wiedergeben. Innovativ ist das Werk nur insofern, als die Staatswissenschaft empirisch ausgerichtet wird: Politische Maximen werden nicht aus abstrakten Grundsätzen deduziert, sondern aus dem Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse in den europäi- schen Staaten gewonnen.

Georg Achilles bemerkt, in der Literatur sei von Achenwalls Staatslehre, seinen nationalökonomischen Ansichten und seiner Methodologie »so gut wie gar nichts vorhanden«, und in der Tat ist Achilles’ 1906 vor- gelegte Dissertation nach wie vor die einzige Monogra- phie zum Thema (dabei nur 73 Seiten lang und inhalt- lich wenig befriedigend).

Lit.:G. Achenwall:Vorbereitung zur Staatswissenschaft, Göttin- gen: Vandenhoeck, 1748; G. Achilles:Die Bedeutung und Stel- lung von Gottfried Achenwall in der Nationalökonomie und der Statistik, Göttingen: Huth, 1906.

Marc Schattenmann

Aglietta, Michel

Michel Aglietta wurde am 18. Februar 1938 in Cham- béry geboren und studierte an der Ecole Polytechnique.

Zur Zeit der Abfassung vonRégulation et crises du capita- lismewar er am Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques (INSEE) beschäftigt, später erhielt er einen Ruf als Professor für Wirtschaftswissenschaften an die Universität Paris X-Nanterre. Aglietta war von 1997 bis 2003 Mitglied des französischen Sachverstän- digenrats.

Régulation et crises du capitalisme L’expérience des Etats-Unis

EA:Paris: Calmann-Lévy, 1976.AA:2., überarb. Aufl., Pa- ris: O. Jacob, 1997 (mit »Nachwort«).EEA:A Theory of Ca- pitalist Regulation. The US Experience, London: NLB, 1979 (Neuaufl.: London et al.: Verso, 1987).DA:Nach- wort in M. Aglietta: Ein neues Akkumulationsregime, Hamburg: VSA, 2000 (nur »Nachwort«).

1 Aglietta, Michel

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Das Werk wurde angeregt durch das Ende des Nach- kriegsbooms und beeinflusst sowohl von makroöko- nomischen Planungsdiskursen mit Bezug auf Robinson als auch von der nach dem Mai 1968 vorgebrachten

»operaistischen« Kritik am strukturalistischen Marxis- mus à la Louis Althusser. Agliettas theoretischer An- spruch war es, die grundlegenden Veränderungen des Lohnverhältnisses zum Ausgangspunkt einer Neuinter- pretation der historischen Entwicklungsphasen des Kapitalismus (Akkumulationsregime) zu machen. Zen- trales Abgrenzungskriterium ist die Art der Mehrwert- produktion (absolut bzw. relativ), wobeiRégulation et crises du capitalismefür letztere die Notwendigkeit um- fassender Veränderungen in den Lebensbedingungen der Lohnabhängigen systematisch herausarbeitete. Der Be- griff »Regulation« steht weder für einen Gleichgewichts- zustand noch für staatliche Regulierung, sondern bezieht sich auf die prekäre Reproduktion des Waren- und des Lohnverhältnisses. Wachstum, so Aglietta, gehe mit Brü- chen in den Produktionsmethoden und Lebensweisen einher. Komme es dennoch zur Kapitalakkumulation, dann müsse ein Entsprechungsverhältnis zwischen den jeweiligen Veränderungen vorliegen. Regulation bedeute somit Systemveränderung bei Systemerhalt. Dabei ist Regulation aufgrund der diesen Verhältnissen einge- schriebenen Interessenkonkurrenz nicht das Resultat bewusster Steuerung. Anschauungsmaterial war die US-Wirtschaft, wobei die Phase von 1930 bis 1970 als

»Fordismus« interpretiert wurde, die auf der relativ gleichläufigen Entwicklung von industrieller Massen- produktion und standardisiertem Massenkonsum der Lohnabhängigen basierte. Die Massenproduktion ver- dankte sich dem tayloristisch-fordistischen Produktions- modell. Der Massenkonsum basierte auf der Koppelung von Reallöhnen und Produktivität, die durch Tarifver- träge, Sozialversicherungen, Oligopolisierung bzw. staat- liche Regulierung wichtiger Märkte und antizyklische Konjunktursteuerung institutionell gesichert wurde. Als Krisenursachen identifizierteRégulationvor allem sozio- technische Grenzen tayloristischer Rationalisierung.

Régulation et crises du capitalismegab Impulse für die Ecole de la régulation, deren Anhänger auch als Regie- rungsberater fungierten. Ein Teil dieser Schule (z. B.

Alain Lipietz) befasste sich auf marxistischer Grundlage u. a. mit der Inflationsproblematik. Ein stärker histo- risch-institutionell arbeitender Teil (z. B. Robert Boyer) suchte nach neuen »postfordistischen« Regulationswei- sen. Außerhalb Frankreichs regte Régulation gesell- schaftstheoretische Analysen akkumulationsregime-spe- zifischer Herrschaftsformen (z. B. Joachim Hirsch, Bob Jessop), industriesozio-politologische (Frieder Naschold, Charles F. Sabel) und wirtschaftsgeographische Arbeiten (Adam Tickell) an. Kritik innerhalb des Paradigmas setzte an der mangelnden handlungstheoretischen Fun-

dierung sowie an der Fixierung auf nationalstaatliche Makrokreisläufe an. Von außen wurde die Bedeutungs- zuschreibung für Institutionen hinterfragt.

Lit.:R. Boyer:The Regulation School. A Critical Introduction, New York: Oxford UP, 1990; K. Hübner:Theorie der Regula- tion. Eine kritische Rekonstruktion eines neuen Ansatzes der Politi- schen Ökonomie, Berlin: ed. sigma, 1989; B. Jessop (Hg.):Regu- lation Theory and the Crisis of Capitalism, 5 Bde., Cheltenham:

E. Elgar, 2001; A. Labrousse/J.-D. Weisz:Institutional Econo- mics in France and Germany. German Ordoliberalism versus the French Regulation School, Berlin: Springer, 2000; K. Waringo:

Die Internationalisierung der Produktion in der französischen Re- gulationstheorie, Frankfurt: Campus, 1998.

Christoph Scherrer

Akerlof, George Arthur

George A. Akerlof wurde am 17. Juni 1940 in New Ha- ven (USA) geboren. Nach dem Studium an der Yale University folgten im Jahre 1966 die Promotion am MIT und mehrere Forschungsaufenthalte an renom- mierten Institutionen, u. a. an der Harvard University und der LSE. Seit 1980 ist er Professor für Volkswirt- schaftstheorie an der University of California (Berke- ley), wo er für die Bereiche Makroökonomie und Geldtheorie zuständig ist. Sein derzeitiger Forschungs- schwerpunkt ist die Theorie der Arbeitslosigkeit. Im Jahre 2001 wurde Akerlof zusammen mit Michael Spence und Joseph Stiglitz »für ihre Analyse von Märk- ten mit asymmetrischer Information« mit dem Nobel- preis für Wirtschaftswissenschaft ausgezeichnet.

The Market for »Lemons«

Quality Uncertainty and the Market Mechanism

EA: in: Quarterly Journal of Economics, 84, 1970, S.488–500.AA:in T. Cowen/E. Crampton (Hg.):Market Failure or Success. The New Debate, Cheltenham: E. Elgar, 2002, S.66–78.

Ein Hauptinteresse von Akerlofs frühen Arbeiten lag auf Märkten mit asymmetrisch verteilten Informationen zwischen den Marktteilnehmern und der daraus resultie- renden Unsicherheit. Bereits im Alter von dreißig Jahren untersuchte er die Besonderheiten solcher Märkte in sei- nem Aufsatz »The Market for ›Lemons‹. Quality Uncer- tainty and the Market Mechanism«. Im Gegensatz zur heute als Unsicherheitsökonomie bezeichneten For- schungsrichtung, bei der die sog. technische Unsicher- heit der Marktteilnehmer exogen über den möglichen Eintritt von Umweltzuständen hervorgerufen wird (un- vollständige Informationen), resultiert die sog. Markt- unsicherheit aus dem Verhalten der Marktteilnehmer bei ungleich (asymmetrisch) verteilten Informationen.

Die Informationsökonomie befasst sich somit mit Unsi-

Akerlof, George Arthur 2

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cherheitszuständen, die marktendogen bestimmt wer- den. Die Arbeit von Akerlof beschäftigte sich mit Märkten, in denen die Nachfrager und Anbieter unter- schiedliche Informationen über die Qualitätseigenschaf- ten von Gütern besitzen. Behandelt werden insbeson- dere Situationen, in denen die Nachfrager nicht in der Lage sind, zwischen guten und schlechten Qualitäten zu unterscheiden, da eine Beurteilung der Eigenschaften vor dem Tausch technisch oder ökonomisch nicht mög- lich oder sinnvoll ist (sog. Erfahrungseigenschaften).

Die Folge dieser Situation ist das Problem der »Adverse- Selection« (auch: Fehlauswahl/Negativauslese), das Akerlof am – heute als klassisch geltenden – Beispiel des Gebrauchtwagenmarktes verdeutlicht. Dabei geht er von folgenden Annahmen aus: (a) Die Qualitäten der (Gebraucht-)Wagen sind nicht homogen; (b) die An- bieter kennen diese Qualitäten zwar, die Nachfrager können jedoch vor dem Tausch nicht zwischen ihnen unterscheiden, sondern gehen, da sie die Wahrschein- lichkeitsverteilung der Qualitäten kennen, von einer Durchschnittsqualität aus; (c) Kommunikation (Sig- naling und Screening) ist mit prohibitiv hohen Kosten verbunden und eine Informationsübertragung somit nicht möglich. Aufgrund dieser Annahmen folgert Aker- lof, dass alle Autos zu einem identischen Preis angeboten und nachgefragt werden. Wenn alle Gebrauchtwagen zu einem einheitlichen Preis gehandelt werden, ist ein Ver- kauf für den Besitzer eines schlechten Gebrauchtwagens (»lemon«) besonders attraktiv. Dies hat zur Folge, dass Verkäufer guter Qualitäten sich als Anbieter vom Markt zurückziehen, da sie keinen wertentsprechenden Preis erzielen. Nur Anbieter schlechter Qualitäten sind bereit, ihr Angebot aufrecht zu erhalten, was zu einer weiter sinkenden Durchschnittsqualität führt. Diese preisindu- zierten Qualitätseffekte begründen entweder ein infor- mationsbedingtes Marktversagen oder ein Gleichge- wicht mit niedrigerem Qualitätsniveau, da in Analogie (allerdings nicht vollständiger) zu Greshams Gesetz die Anbieter guter Qualitäten durch die Anbieter schlechter Qualitäten verdrängt werden.

Die allgemeine Einsicht, dass asymmetrische Infor- mation zu ineffizienten Zuständen führen kann, ist auch für das Verständnis von Versicherungs- und Kre- ditmärkten oder von statistischer Diskriminierung (z. B.

auf Arbeitsmärkten) relevant. Der »Lemons«-Aufsatz hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die moderne Informationsökonomik entwickeln konnte. Er ist heute einer der meistzitierten ökonomischen Aufsätze über- haupt. An diesem Aufsatz lässt sich aber auch zeigen, wie schwer es neue, bahnbrechende Ideen oft haben.

Akerlof verfasste den Aufsatz 1966 und schickte ihn zu- erst an dieAmerican Economic Review (abgelehnt, da

»trivial«), dann zumJournal of Political Economy(abge- lehnt, da »falsch«), weiter zurReview of Economic Studies

(abgelehnt, da »trivial«). Schließlich wurde der Aufsatz 1970 imQuarterly Journal of Economicsveröffentlicht.

Obwohl die empirische Überprüfung der Untersuchung bis heute nicht gelungen ist, hat Akerlof mit seiner Ana- lyse die theoretische Forschung auf besondere Weise be- reichert und auf die Notwendigkeit der Betrachtung vonSignaling und Screeningzum Abbau von Marktun- sicherheit aufmerksam gemacht.

Lit.:M. Hopf:Informationen für Märkte und Märkte für Infor- mationen, Frankfurt a.M.: Barudio & Hess, 1983; H. Milde:

»Die Theorie der adversen Selektion«, in:Wirtschaftswissen- schaftliches Studium, 17/1, 1988, S.1–6.

Arnd Busche/Michael Welling An Economic Theorist’s Book of Tales Essays that Entertain the Consequences of New Assumptions in Economic Theory

EA:Cambridge-New York-Sidney: Cambridge UP, 1984.

An Economic Theorist’s Book of Talesist eine Sammlung von acht Aufsätzen, die in den Jahren 1970 bis 1984 pu- bliziert wurden. Die Aufsatzsammlung bietet einen zur traditionellen neoklassischen Analyse alternativen Zu- gang zu zentralen wirtschaftlichen und gesellschaftli- chen Fragen wie Arbeitslosigkeit und Diskriminierung.

Anstatt das neoklassische Standard-Modell der Öko- nomie zu verwenden, um »außermarktliches« Verhalten zu erklären (wie z. B. Gary S. Becker), integriert Akerlof Elemente der Sozialwissenschaften in die traditionelle ökonomische Analyse. Insbesondere lotet er die Kon- sequenzen »neuer« Annahmen auf die Voraussagen der ökonomischen Theorie aus. Diese Annahmen sind aus Disziplinen wie Psychologie, Anthropologie und Sozio- logie entlehnt. Um seine Annahmen zu begründen, be- zieht sich Akerlof auch auf empirische Evidenz aus die- sen Disziplinen. So werden z. B. Experimente von Psychologen angeführt, um die Existenz kognitiver Dis- sonanz oder Loyalitätsbeziehungen zu begründen. Die einzelnen Aufsätze haben eine einheitliche Struktur: Zu- nächst wird ein Verhaltensmuster bzw. ein gesellschaft- liches Phänomen beschrieben, das durch die (damals) üblichen Standard-Annahmen nicht erklärt werden kann. In jedem der Aufsätze wird ein einfaches formales Modell verwendet, um das unerklärte Phänomen zu analysieren. Dies erlaubt es, das sich einstellende Gleich- gewicht z. B. im Hinblick auf seine Effizienz-Eigen- schaften zu untersuchen. Schließlich werden die so erhaltenen Folgerungen verallgemeinert, ein institutio- neller Bezug hergestellt oder (wirtschafts-)politische Im- plikationen abgeleitet. Im Folgenden werden zwei der Aufsätze kurz besprochen. Der oben bereits ausführlich besprochene Aufsatz »The Market for ›Lemons‹: Quality Uncertainty and the Market Mechanism« behandelt die Konsequenzen asymmetrischer Information auf Märk-

3 Akerlof, George Arthur

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ten. Es wird unterstellt, dass die (potentiell) angebote- nen Güter (z. B. Gebrauchtwagen) von unterschiedli- cher Qualität sind. Da die Käufer diese Qualität jedoch nicht kennen, ist der Verkauf schlechter Gebraucht- wagen (»lemons«) besonders gewinnbringend. Die Käu- fer wissen dies und gehen davon aus, dass die durch- schnittliche Qualität der angebotenen Gebrauchtwagen schlechter sein wird als die durchschnittliche Qualität aller Gebrauchtwagen und sind daher nur bereit, einen relativ niedrigen Preis zu bezahlen. Dadurch wird es für Besitzer guter Gebrauchtwagen noch weniger attraktiv, ihren Wagen anzubieten. Mit fallenden Preisen wird schließlich die »schlechte Qualität die gute Qualität ver- drängen« und es resultiert ein ineffizientes Marktergeb- nis. Der Markt für Gebrauchtwagen dient im Aufsatz nur als illustratives Beispiel. In »Labor Contracts as Par- tial Gift Exchange« (1982) präsentiert Akerlof ein expli- zit soziologisch inspiriertes Modell unfreiwilliger Ar- beitslosigkeit, da seine Erklärung auf der Existenz einer sozialen Reziprozitäts-Norm basiert. Demnach bieten gewinnmaximierende Firmen hohe Löhne (ein »Ge- schenk«) in Erwartung eines »Gegengeschenks« in Form höherer Arbeitsleistung von Seiten der Arbeitnehmer.

Unter bestimmten Bedingungen entstehen so über dem markträumenden Lohn liegende, gleichgewichtige (Effi- zienz-) Löhne.

Akerlof hat wichtige Anstöße zur Entwicklung der modernen Informations- und Arbeitsmarktökonomik, in seinem späteren Werk auch zur Makroökonomik ge- leistet. Darüber hinaus kann er als einer der Pioniere vonBehavioral Economicsgelten, die bestrebt sind, Ein- sichten aus anderen Sozialwissenschaften (v. a. der Psy- chologie) für die Analyse ökonomischer Fragestellungen fruchtbar zu machen.

Lit.: G.S. Becker: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens, Tübingen: J.C.B. Mohr (Siebeck),

21993; R. Swedberg:Economics and Sociology. Redefining their Boundaries, Princeton, NJ: Princeton UP, 1990.

Jean-Robert Tyran

Åkerman, Johan Henrik

Der Schwede Johan Henrik Åkerman (31.3.1896 bis 12.7.1982), jüngerer Bruder des ebenfalls berühmten Ökonomen Gustaf Åkerman, studierte in Stockholm und an der Harvard University. 1929 wurde er an der Universität Lund, an der er bis 1961 als Professor tätig sein sollte, promoviert. In seiner Dissertation machte er den Versuch, die Spektralanalyse für die Untersuchung von Zeitreihendaten in der Wirtschaftswissenschaft an- zuwenden. Åkerman, der seit der Kindheit fast vollstän- dig ertaubt war, trug wesentlich zur Diskussion über

ökonomische Fragen in Schweden bei und nahm dabei häufig Positionen ein, die denen der Stockholmer Schule widersprachen.

Das Problem der sozialökono- mischen Synthese

EA:Lund: C.W.K. Gleerup, 1938.AA:Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen, 1997. (Faks. d. EA).

Seinen unbestrittenen Platz in der ökonomischen Dog- mengeschichte erwarb sich Åkerman spätestens mit der Veröffentlichung seines BuchesDas Problem der sozial- ökonomischen Synthese. Dass Åkerman das Werk in deut- scher Sprache veröffentlichte, zeigt, dass die bis zum Ers- ten Weltkrieg jahrzehntelang große Bedeutung der deutschen Sozialwissenschaften in Europa, vor allem in den skandinavischen Ländern, noch immer als Echo nachhallte. Im ökonomischen Diskurs wirkte nach wie vor der Einfluss der deutschen Historischen Schule, ob- wohl sich die deutsche Kultur durch die Herrschaft der Nationalsozialisten und deren ideologische Gleichschal- tung allen Denkens zum Zeitpunkt der Veröffent- lichung von Åkermans Buch bereits entscheidend von den Entwicklungen der modernen Wissenschaften ent- fernte. Der Geist des disziplinenübergreifenden Den- kens der Historischen Schule, der sich in einem wissen- schaftlichen Ansatz ausdrückte, der geschichtlichen und gesellschaftlichen Wirkungen auf ökonomische Ent- wicklungen nachspürte, findet jedoch auch in diesem Werk seinen Niederschlag. Die im Hauptstrom der da- maligen Wirtschaftswissenschaften vorherrschende rein ökonomisch-mathematische Analyse sah Åkerman nur als eine von mehreren Möglichkeiten, um die Komple- xität ökonomischer Zusammenhänge zu begreifen. Da- her stellte die Suche nach allgemein gültigen Gesetzen von Wirtschaftsabläufen für ihn nur eines von vielen Er- kenntnisobjekten dar. Insofern grenzte sich Åkerman bewusst von den Vertretern der berühmten Stockholmer Schule um Bertil Ohlin, Gunnar Myrdal und Erik Lin- dahl mit ihrer Betonung der mathematisch-theoreti- schen Methode ab. Diese Differenzierung führte dazu, dass Åkermans Denkweise oft auch als »Schule von Lund« bezeichnet wurde. Åkermans Blickwinkel und Hauptanliegen verrät sich schon in dem TitelDas Pro- blem der sozialökonomischen Synthese. In diesem Buch, wie überhaupt in seinem Denksystem, strebt er danach, Erkenntnisse aus allen wissenschaftlichen Gebieten, de- ren Erkenntnisobjekte auch auf wirtschaftliche Fragen treffen, zu vereinen. Diese Synthese versuchte er durch die Verbindung von Elementen aus der Mathematik, Statistik, Soziologie, Politologie und Geschichtswissen- schaft herzustellen. Åkermans besondere Leistung in diesem Buch ist der Versuch, den permanenten Dualis- mus in den Wirtschaftswissenschaften aufzubrechen und zu harmonisieren. Vielleicht ließe sich die Erkennt-

Åkerman, Johan Henrik 4

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nis des griechischen Philosophen Protagoras, dass es über jede Sache zwei entgegengesetzte Aussagen gebe, dahingehend auf die Wissenschaft übertragen, dass man auch jedes Phänomen auf zwei Arten betrachten kann.

Diese zwei Arten zusammenzuführen war zumindest Åkermans Ziel. Die Lösung sah er konkret in der Syn- these von klassischen Kalkulationsmodellen (mit ihrem Versuch, kausale Zusammenhänge herzustellen) mit den Erklärungsversuchen der Historischen Schule (die bei Ursache-Wirkungs-Beziehungen ansetzte). Åkermans Erörterungen sind interessant, führen jedoch nicht zur endgültigen Lösung.

Åkermans Wirkung auf die Lehre auf dem europäi- schen Festland war nicht vehement, aber nachhaltig;

sein Versuch der Vermittlung zwischen zwei Polen bleibt anregend. Für die deutsche Wirtschaftswissenschaft im- mer ein stiller Star, wurde er erst allmählich im angel- sächsischen Raum entdeckt, insbesondere im Umfeld des Institutionalismus, der manche Schnittstelle zu Åkermans Werk aufweist. Nicht von ungefähr gilt Åker- man in der dogmengeschichtlichen Einordnung als ei- ner der Hauptvertreter des skandinavischen Institutio- nalismus.

Lit.:H. Hesse:Ökonomen-Lexikon, Düsseldorf: Verlag Wirt- schaft und Finanzen, 2003; G. Eisermann/G.M. Hodgson/L.

Mjøset:Johan Åkermans »Das Problem der sozialökonomischen Synthese« – Vademecum zu einem Klassiker des skandinavischen Institutionalismus, Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen, 1997; K. Vellupilai: »Åkerman, Johan Henrik«, in:The New Palgrave. A Dictionary of Economics, London: Macmillan, 1987.

Helge Hesse Ekonomisk teori

(»Ökonomische Theorie«)

EA:Bd. 1:De ekonomiska kalkylerna (»Ökonomische Be- rechnungen«), Lund: Gleerup, 1939; Bd. 2:Kausalanalys av det ekonomiska skeendet (»Kausalanalyse des öko- nomischen Geschehens«), Lund: Gleerup, 1944.

Zu Anfang des Buches zeigt Åkerman eine der grund- legenden Entscheidungen auf, die der Wirtschaftswis- senschaftler zu treffen hat: Er kann dem Gleichge- wichtsansatz der klassischen und neoklassischen Ökonomie folgen, wobei sich ausgehend von auf Na- turphilosophie und Utilitarismus begründeten Annah- men ein System konstruieren ließ, das für die Anwen- dung auf die damaligen Institutionen geeignet schien.

Åkerman jedoch geht einen anderen Weg: Er überdenkt grundsätzlich die ökonomischen Annahmen und Me- thoden seiner Zeit, was ihn zu Zweifeln an der Gleich- gewichtstheorie führt, die in der Zwischenkriegszeit bereits die einflussreichste der ökonomischen Denk- schulen war und in der Nachkriegszeit endgültig das Feld dominierte. Aus Åkermans Sicht bestehen inner- halb der neoklassischen Gleichgewichtstheorie starke Spannungen. DasRealitätsproblembeschreibt das Span-

nungsverhältnis zwischen einer allgemeingültigen, lo- gisch »reinen« Theorie und dem Fluss empirischer Er- eignisse. Das Aggregationsproblem besteht in der Spannung zwischen einer Theorie individueller Wirt- schaftspläne und einer Theorie der makroökonomi- schen Entscheidungen. Die Gleichgewichtstheorie ver- sucht die Spannung durch den Rückgriff auf die dem 18. Jh. entstammende Vorstellung einer natürlichen Ordnung aufzulösen. Das Realitätsproblem wird um- gangen, weil der natürlichen Ordnung zufolge die logi- sche Definition von Konzepten gleichgesetzt wird mit der Umsetzung individueller ökonomischer Pläne (Strategien, ökonomische Berechnungen). Das Aggre- gationsproblem wird ebenso verdrängt, da die Summe dieser individuellen Pläne eine Beschreibung wirt- schaftlicher Entwicklungen im Allgemeinen darstellt.

Laut Åkerman ist dies eine »a priori-Synthese«, die zu- nehmend irrelevant wird in einer fortschrittlichen In- dustriegesellschaft, geprägt von Wirtschafts- und Bevöl- kerungswachstum, technischem Wandel und immer neuen Moden. Hielte man an dieser Synthese fest, bliebe die Ökonomie unterteilt in Gleichgewichtstheo- rie, angewandte empirische Ökonomie und Wirt- schaftsgeschichte. Nur wenn diese Zweige durch einen soziologischen und kognitiven Ansatz zusammenge- führt würden, der Lebensweisen, Motive und Verhalten sozialer Gruppen berücksichtige, könne dies in eine realistische, widerspruchsfreie Synthese münden, die je- doch lediglich einen Trend – einen Regulierungsgedan- ken – beschreibe und sich nie abschließend vervollstän- digen lasse.Ekonomisk teoristellt eine solche Synthese vor. Der erste Band besteht aus drei Teilen. Im ersten diskutiert Åkerman die schon erwähnten grundlegen- den philosophischen Fragen, wobei er scharfsinnig die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft aus wissens- soziologischer Perspektive analysiert. Der zweite Teil enthält eine Typologie von Wirtschaftsplänen, die je- doch nicht abstrakt und allgemein, sondern vielmehr aus dem damaligen Verhalten ökonomischer Gruppen hergeleitet sind. Der dritte Teil zeigt die Abhängigkeit dieser ökonomischen Prinzipien vom institutionellen Kontext der Zwischenkriegszeit. Während der erste Band einen analytischen Rahmen liefert, bietet der fünfteilige zweite Band eine Kausalanalyse wirtschaftli- cher Veränderung durch die Industrialisierung von 1814 bis in die späten 1930er Jahre. Im ersten Teil wer- den die Hauptkonzepte für die beabsichtigte kausale Rekonstruktion dargestellt, während der dritte Teil die verschiedenen Konzepte definiert, die zur Analyse von Konjukturzyklen benötigt werden. Der fünfte und letzte Teil ist eine synthetische Rekonstruktion der In- dustriezyklen. Den größten Raum nehmen der zweite und vierte Teil ein. Der zweite Teil ist eine Unter- suchung der treibenden Kräfte industrieller Entwick-

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lung. Für die Zeit vor 1914 muss laut Åkerman der Blick vor allem auf die Kräfte gerichtet werden, welche die vorindustrielle »Kreislauf-Gesellschaft« (circular flow-society) unterminieren: technische Veränderung, demographische Entwicklungen, veränderte Motiva- tion (die Verbindung von öffentlichen und privaten Motiven) sowie politische Veränderungen (insbeson- dere der Einfluss von Kriegen). Sekundär, jedoch im 20. Jh. von zunehmender Bedeutung, sind das Wäh- rungssystem, Unternehmenskonzentrationen, Bezie- hungen zwischen Agrar- und Industriesektor und die Entwicklung der Einkommensverteilung. Der vierte Teil mit über 300 Seiten besteht aus einer detaillierten empirischen Analyse von 14 Konjunkturzyklen über ei- nen Zeitraum von 120 Jahren in den vier wichtigsten Industriestaaten England, Frankreich, Deutschland und USA. Åkerman arbeitet mit Zeitreihendaten, be- zogen auf den Standardkonjunkturzyklus von 7 bis 10 Jahren. Er schätzt Indikatoren des Standardkon- junkturzyklus vom Tal bis zur Spitze des Zyklus (»Auf- schwungindikator«) und in entgegengesetzter Richtung (»Abschwungindikator«). Anhand theoretischer Über- legungen wählt und kombiniert er diese Langzeitdaten (z. B. das Verhältnis von Rohstoffpreisen und Zinsen, von landwirtschaftlichen Einkommen im Konjunktur- auf- und -abschwung) und legt damit Perioden fest, in denen ökonomische Mechanismen relativ unverändert waren. Åkerman sieht dies durchaus als ökonomische Theorie, da sein Theoriebegriff nicht nur die Erklärung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, sondern auch die Be- schreibung von Mechanismen umfasst, die nur wäh- rend begrenzter Zeiträume konstant bleiben. Darüber hinaus betrachtet Åkerman seine Daten auch noch aus einer anderen Perspektive, indem er für jeden Zyklus die Indikatoren von Handlungen verschiedener sozialer Gruppen kombiniert (z. B. Industriearbeiter, Bauern, Investoren, Händler, Banken, Zentralbank). Diese

»Gruppendiagramme« geben einen Eindruck davon, wie die verschiedenen Gruppen von den Entwicklun- gen eines Zyklus betroffen waren.

Åkerman, der seine wichtigsten Werke in den Jahren zwischen 1928 und 1960 verfasste, wurde von den füh- renden Ökonomen der Zeit zunehmend als isolierter Exzentriker gesehen. Er hielt jedoch hartnäckig an sei- nem institutionellen und interdisziplinären Ansatz fest und wurde somit zu einem Pionier des Institutionalis- mus, wofür ihm heutzutage wieder mehr Anerkennung gezollt wird.

Lit.:G. Eisermann/G.M. Hodgson/L. Mjøset:Johan Åkermans

»Das Problem der sozialökonomischen Synthese«, Vademecum zu einem Klassiker des skandinavischen Institutionalismus, Düssel- dorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen, 1997; B. Carlson/B. Hø- glund (Hg.):Johan Åkerman i blickfältet, Lund: University of Lund; R. Kamitz: »Johan Åkermans Beitrag zur Konjunktur-

theorie«, Zeitschrift für Nationalökonomie 21, 1961/62, S.204–215.

Lars Mjøset Aus dem Englischen von Wibke Reger

Alchian, Armen Albert

Armen Albert Alchian, geboren am 12.4.1914 in Fres- no, Kalifornien, war von 1958 bis 1985 Professor an der University of California, Los Angeles; 1996 wurde er

»Distinguished Fellow« der American Economic Asso- ciation. Neben seinen Arbeiten zur evolutionären Per- spektive der Wirtschaft lieferte Alchian u. a. wichtige Beiträge zur ökonomischen Analyse des Rechts, zur Thematik der Transaktionskosten und zur Organisa- tionstheorie.

Uncertainty, Evolution, and Economic Theory

EA:in:Journal of Political Economy, 58, 1950, S.211–221.

AA:in: U. Witt (Hg.):Evolutionary Economics, Aldershot:

Brookfield, 1993, S.65–75 (Nachdr.).

Ein häufiges Thema in Alchians Werken ist das Bild des rational handelnden und die Zukunft antizipierenden Individuums. Dabei sieht er rationales Handeln von In- dividuen oder Unternehmen als Ergebnis und nicht als Voraussetzung des Wirtschaftsprozesses. Diese evolutio- näre Betrachtungsweise findet sich auch in seinem Arti- kel »Uncertainty, Evolution, and Economic Theory«.

Alchian unterstellt hier – in Abgrenzung zur orthodoxen ökonomischen Theorie – unvollständige Information und Unsicherheit und verweist auf die Schwierigkeiten, die mit dem Versuch verbunden sind, diese Annahme in ein Modell der herkömmlichen Theorie zu integrieren.

Ebenso lehnt er die Standardannahme des profitmaxi- mierenden Verhaltens der Unternehmen ab: In einer un- sicheren Welt kann Profitmaximierung keine sinnvolle Beschreibung von Verhaltensweisen sein, weil die Hand- lungsergebnisse dem Entscheidungsträger nicht von vornherein mit Sicherheit bekannt sind. In Anlehnung an die biologischen Prinzipien der Evolution und natür- lichen Selektion entwickelt Alchian ein Modell des Wirtschaftssystems als Mechanismus, der bestimmte Verhaltensweisen ex post als überlebensfähig selektiert und andere ablehnt. Selektionskriterium ist nicht die Maximierung von Profiten, vielmehr müssen Unterneh- men, um zu überleben, lediglich »positive Profite« er- wirtschaften. Positive Profite können somit analog zu den Kriterien der natürlichen Selektion in der Biologie betrachtet werden: Unternehmen, die Gewinne erwirt- schaften, werden von der Umwelt ausgewählt und ange- nommen, andere scheiden aus und gehen unter. Für die- sen Mechanismus ist es zunächst gleichgültig, ob die

Alchian, Armen Albert 6

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Unternehmen bewusst das Ziel der Gewinnerwirtschaf- tung verfolgen oder ob ihr Verhalten ziellos und zufällig ist. Denn auch im extremen Fall eines vollständig zufäl- ligen Verhaltens aller Wirtschaftseinheiten werden ei- nige Unternehmen relativ erfolgreicher sein als andere, mithin Gewinne erwirtschaften und überleben. Solche Firmen werden aufgrund ihrer Gewinne ein Wachstum verzeichnen, während nicht erfolgreiche Firmen schrumpfen bzw. aus dem Markt ausscheiden. Damit werden die zufällig entstandenen, aber von der Umwelt favorisierten Verhaltensweisen und charakteristischen Eigenschaften einzelner Firmen in der Gesamtpopula- tion der Unternehmen einen höheren Anteil haben, als in der Ausgangsposition. Ohne intentionales Verhalten eines einzigen Wirtschaftssubjekts hat sich damit die Struktur der Unternehmenslandschaft in die Richtung höherer ökonomischer Effizienz entwickelt. Die zusätz- liche und realistische Annahme vom adaptiven und in- tentionalen Verhalten der Unternehmen erweitert das extreme Modell des vollständig zufälligen Verhaltens und lässt die Erklärung von intendierten Verhaltenswei- sen unter Unsicherheit zu. Wenn Firmen unter Unsi- cherheit den Versuch machen, Gewinne zu erwirtschaf- ten, haben sie ein klares Motiv, Verhaltensweisen anderer, die sich in der Vergangenheit als erfolgreich er- wiesen haben, zu adaptieren. Dies erklärt die Entste- hung von Verhaltensregeln als Imitation erfolgreicher Strategien. Hierin findet sich eine weitere Begründung für die Ausbreitung effizienter Verhaltensweisen in der Gesamtpopulation der Unternehmen. Das Nach- ahmungsverhalten der Unternehmen übernimmt in Al- chians Modell die Rolle der genetischen Vererbung. Im Zuge dieser Imitation von Verhaltensweisen kommt es auch zu nicht-intendierten Innovationen, wenn etwa die Verhaltensweisen nicht exakt kopiert oder in einen an- deren Kontext übertragen werden. Zusammen mit den intendierten, risikobehafteten innovativen Handlungen bildet diese Art der Innovationen die Analogie zur Mu- tation in der Biologie. Beobachtbare Muster bei der Ver- breitung von Verhaltensweisen sind im Rahmen von Alchians Modell in Abhängigkeit von der Wahrschein- lichkeit vorhersagbar, dass erstens eine bestimmte Ver- haltensweise ausprobiert wird, und diese zweitens auch zu Erfolgen führt. Vieles spricht in diesem Kontext da- für, dass die Wahrscheinlichkeit für das Ausprobieren eines Handlungsmusters von der Wahrscheinlichkeit seines Handlungserfolgs abhängt. Der Evolutions- mechanismus bringt also Reaktionen auf Umweltbedin- gungen in Form der Ausbreitung effizienter Handlungs- muster innerhalb der Population der Unternehmen hervor, die in Einklang mit den Vorhersagen der ortho- doxen Theorie stehen. Seine Argumentationslinie sieht Alchian als vernünftigen Leitfaden für den Einsatz von Standardwerkzeugen der ökonomischen Analyse.

Alchians Idee, obwohl mit Zustimmung bedacht, fand in der orthodoxen ökonomischen Theorie wenig Niederschlag. Sogar Alchian selbst geht in vielen seiner späteren Arbeiten zur Firmentheorie wieder vom Bild des profitmaximierenden Unternehmens aus. Dagegen ist Alchians Aufsatz für die moderne evolutorische Ökonomik von hoher Bedeutung, insbesondere als di- rekter Vorläufer von Nelsons und Winters evolutori- scher Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (Nel- son/Winter 1982).

Lit.:A.A. Alchian: »Reliability of Progress Curves in Airframe Production«, in:Econometrica, 31, 1963, S.679–693; R.R.

Nelson/S.G. Winter: An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge-London: Belknap Press, 1982; E.T. Penro- se: »Biological Analogies in the Theory of the Firm«, in:Ame- rican Economic Review, 42, 1952, S.804–819.

Daniel Eissrich

Allais, Maurice

Maurice Allais wurde am 31.5.1911 in Paris geboren. Er begann 1931 ein Studium der Mathematik, das er 1933 erfolgreich abschloss. Nach einigen Jahren im Staats- dienst und einem Kriegseinsatz arbeitete er an seinen ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen, ohne al- lerdings seine Tätigkeit in der Verwaltung aufzugeben.

Maurice Allais wurde 1988 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet.A la recherche d’une discipline économiquewar sein Erstlingswerk.

A la recherche d’une discipline économique

EA:2 Bde., Paris: Ateliers Industria, 1943; 2. erw. Aufl.:

Traité d’économie pure, 5 Bde., Paris: Imprimerie Nationa- le, 1952.AA:Paris: Juglar,31994 (Nachdr. der 2. erw.

Aufl.).

Das Werk erschien zuerst in zwei Bänden, wobei der erste Band das Hauptwerk darstellt und der zweite die Anhänge enthält. Bei der zweiten Auflage wurden aus den ursprünglich zwei Bänden fünf, wobei sich aber die neue Auflage inhaltlich von der ersten nur durch eine 63-seitige Einführung unterscheidet.A la recherche d’une discipline économiqueentstand unter dem Einfluss von Walras und Pareto, und man kann mit Recht behaup- ten, dass Maurice Allais die Lausanner Schule weiterge- führt hat. Er verband in dieser Arbeit das paretianische System mit den modernen Ansätzen der Wohlfahrtsöko- nomik. Zunächst beschäftigt sich Allais mit mikroöko- nomischer Theorie. Dabei geht er auf die Begriffe der Substituierbarkeit und Komplementarität von Größen ein. Er gibt eine alternative Interpretation zum neoklas- sischen Verständnis nach Slutsky und Hicks und zeigt,

7 Allais, Maurice

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dass Komplementarität und Substituierbarkeit keine ab- soluten, sondern eher relative Konzepte sind. Wichtig sind des Weiteren die wirtschaftspolitischen Empfeh- lungen von Allais. So demonstriert er, dass natürliche Monopole unter staatliche Aufsicht zu stellen oder bes- ser in staatliches Eigentum zu überführen sind. Eine weitere wirtschaftspolitische Forderung betrifft Renten (d. h. Einkommen), die nicht aufgrund marktlicher Ak- tivitäten entstanden sind. Die Entstehung derartiger Renten ist nach Allais zu bekämpfen. Allais beschäftigt sich auch – ganz der walrasianischen Theorie verpflich- tet – mit der Frage, wie sich die Wirtschaft auf neue sta- bile Gleichgewichtssituationen zubewegt. Im Gegensatz zu seinen Vorläufern war sich Allais bewusst, dass die Stabilität in der Gleichgewichtssituation äußerst fragil und komplex ist. Allais erachtete die Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingungen von Walras als zu statisch.

Er trat für eine Dynamisierung desTâtonnement-Prozes- ses im Sinne von Walras ein. Nach Allais war dessen Hypothese, dass im Fall der Zerstörung einer Gleichge- wichtssituation auf einem Teilmarkt der Preismechanis- mus und Rückwirkungen von anderen Märkten ein neues (stabiles) Gleichgewicht herbeiführen, eher ein Spezialfall und an restriktive Prämissen geknüpft. Er zeigt, dass die walrasianische Theorie nur dann gilt, wenn die Angebots- und die Nachfragefunktionen ho- mogen hinsichtlich Preis und Einkommen sind. Allais

»rettet« Walras’ Homogenitätsprämisse aber, indem er von der Behauptung eines einzigen ökonomischen Gleichgewichtspunktes abrückt und Gleichgewichtsfel- der einführt, die mehrere Gleichgewichtspunkte in un- mittelbarer Nachbarschaft zulassen.

Allais’ Erstlingswerk erreichte zwar nie den Bekannt- heitsgrad seiner entscheidungstheoretischen Schriften, die das sog. Allais-Paradoxon behandeln, aber sein Ein- fluss auf die neo-walrasianische Theorie sollte nicht un- terschätzt werden. Auch der Stellenwert, den der Verfas- ser selbst diesem Werk beimaß, ist beachtlich. Das Buch war nur als Teil eines umfassenden monumenta- len Werkes geplant. Vorgesehene weitere Teile waren eine Zins- und Geldtheorie, eine Theorie des interna- tionalen Handels, eine Theorie des ökonomischen Un- gleichgewichts und schließlich eine Rekonstruktions- theorie, die den Wiederaufbauprozess der europäischen Wirtschaft zum Thema haben sollte. Das vorliegende Werk ist gerade auch insoweit von außerordentlicher Bedeutung, als es zwei seiner Schüler, Gérard Debreu und Edmond Malinvaud, maßgeblich anregte, die neo- walrasianische Theorie weiter zu entwickeln und als Schule zu etablieren.

Lit.:B. Murier (Hg.):Markets, Risk and Money. Essays in Ho- nour of Maurice Allais, Dordrecht-London: Kluwer, 1993; M.

Boiteux (Hg.):Marchés, capital et incertitude. Essais en l’honneur

de Maurice Allais, Paris: Economica, 1986; M. Allais/O. Hagen (Hg.):Cardinalism. A Fundamental Approach, Dordrecht-Lon- don: Kluwer, 1994.

Thomas Pfahler

Álvarez Osorio y Redín, Miguel Miguel Álvarez Osorio y Redín war ein berühmter An- walt aus Valladolid. Seine Arbeiten stellen die umfas- sendste und tiefgehendste Analyse der Ursachen für den Niedergang der spanischen Wirtschaft im 18. Jh. dar.

Paradoxerweise erreichte der spanische Merkantilismus des 17. und 18. Jh.. unter Osorio seine höchste Stufe, während zur selben Zeit die wirtschaftliche Situation ih- ren absoluten Tiefpunkt erreichte.

Extensión política y económica, 1686 (»Politische und ökonomische Erweiterung«)

Discurso universal de las causas que ofenden la Monarquía y remedios eficaces para todas, 1686

(»Allgemeiner Diskurs über die Sach- gründe, welche der Monarchie schaden, und effektive Gegenmaßnahmen«) El Zelador General, para el bien comun de todos, 1687

(»Der Generalaufseher für das Gemeinwohl aller«)

EA:in: Pedro Rodríguez de Campomanes y Sorriba:Apén- dice a la educación popular, 4 Bde., 1775–77, Bd. I: 1775, Madrid: Sancha, S.7–206; S.311–432; S.207–310.

Wie die anderen spanischen Merkantilisten verlangt auch Osorio, man solle eine Politik der Importsubstitu- tion betreiben, indem man den Import ausländischer Konkurrenzgüter verbiete. Dies sei nämlich die Voraus- setzung für eine Wiederbelebung der Binnenproduk- tion, zu der auch sein Plan zum flächendeckenden Aus- bau der Infrastruktur beitragen soll. Der Plan ist – typisch für die spanischenarbitrístas– höchst detailliert, aber bezüglich der quantitativen Kalkulationen ziemlich unrealistisch. Der analytische Ansatz jedoch überzeugt.

Osorio setzt sich für den Bau von Bewässerungskanälen ein, die eine Steigerung der Nahrungsmittelproduktion und damit ein Anwachsen der Bevölkerung ermöglichen würden. Der wahre Reichtum einer Nation werde durch die Menschen geschaffen und eine Steigerung des Bevöl- kerungswachstums sei die größte ökonomische Heraus- forderung Spaniens. Osorio schlägt vor, mit staatlicher Hilfe die Produktion von Flachs und die Züchtung von

Álvarez Osorio y Redín, Miguel 8

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Seidenraupen zu beginnen. So könnten in jeder Ort- schaft Textilmanufakturen entstehen. Um dies zu er- leichtern, müssten die Steuern auf Investitionen abge- schafft werden. All das führe zu Bevölkerungswachstum und zu einem Anstieg der Einkommen und damit zu höheren Steuereinnahmen. Würden im ganzen König- reich 300.000 Webstühle aufgestellt, könnte laut Osorio auf den Import von Stoffen verzichtet werden. Er regt an, örtliche Komitees zu gründen, die die Einrichtung von Manufakturen unterstützen sollten. Auch dieser Vorschlag Osorios blieb wie die Anregungen der ande- ren spanischen Merkantilisten bis in die 1770er Jahre hi- nein ungehört. Allerdings beeinflussten die Ideen Oso- rios viele Jahre später die Reformen Campomanes’. Wie andere vor ihm beklagt Osorio die zu große Zahl der Geistlichen, die die Wirtschaft schwer belasteten, indem sie von Renditen oder Almosen lebten und Steuer- freiheit genössen, ebenso die große Zahl von Zwischen- händlern, Angestellten des öffentlichen Dienstes und Anwälten. Hinsichtlich der Händler schlägt er vor, nur den direkten Verkauf an Produzenten zu erlauben; be- züglich der Angestellten fordert er, einen Teil von ihnen in produktive »würdevolle« Arbeitsbereiche umzusetzen, und mit Blick auf die Anwälte verlangt er, diesen den Berufseinstieg für mindestens fünf Jahre zu versperren.

Das Thema, in dem Osorios Analyse brilliert, ist je- doch die ökonomische Kultur. Mit wissenschaftlicher Kälte – wie er selbst es ausdrückt – untersucht der Autor die Mechanismen der Korruption, die innerhalb von Jahrzehnten eine parasitäre Kultur erzeugt hätten und inzwischen tief im Lande verwurzelt seien. Jene, die Steuerbefreiungen und Staatsdarlehen erhalten hätten, besetzten Positionen in Verwaltungsorganen, die für die Bewilligung dieser Privilegien zuständig seien, und hät- ten somit sich selbst zu kontrollieren. Es sei ihnen daher möglich, für ihre Staatsdarlehen viermal höhere Zinsen festzuschreiben als auf dem Markt üblich. Außerdem stellten sich viele von ihnen betrügerischerweise als An- gehörige von Konventen oder Kircheneinrichtungen dar, um von der Steuer befreit zu werden. Wer auf diese Weise reich werde, bekomme auch Macht – und die Gauner protegierten sich gegenseitig, hätten andererseits jedoch keine Skrupel, dem einfachen Bürger sechsmal so hohe Abgaben aufzuerlegen wie erlaubt. Dies sei der Grund, warum Geschäfte und Ackerland verwahrlosten.

Gut zwei Drittel aller Häuser des Königreiches stünden verlassen, da ihre Inhaber gezwungen gewesen seien, sie aufzugeben. Die Spekulanten lauerten jedoch schon da- rauf, sich dieser Besitzungen zu bemächtigen. Öffent- liche Aufträge würden an jene vergeben, die das höchste Bestechungsgeld zahlten. Die Steuereintreiber tauchten nach dem Eintreiben der Abgaben oft unter, so dass der König gerade ein Zehntel von dem erhalte, was den Un- tertanen genommen werde. Nach weiteren Beobachtun-

gen zu den Beziehungen von Korruption und wirtschaft- licher Depression behauptet Álvarez Osorio einerseits, es sei unmöglich, einen wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten, ohne in diese Mechanismen einzugreifen und die Privilegien abzuschaffen, die sie erzeugt hätten.

Andererseits aber stellt er fest, die Forderung nach stren- gen Strafmaßnahmen gegen die Korruption sei sinnlos, da diese längst alltäglich geworden sei. Wer nämlich – wenn auch indirekt – Vorteile aus der Korruption zöge, versuche sich in jedem Fall zu schützen, indem er ehr- liche Kontrolleure verfolge. Die einzige Lösung bestehe daher darin, alle möglichen Mittel zu nutzen, um die Bauern zu stärken und mit ihrer Hilfe einen umfassen- den Wachstumsprozess auszulösen.

Álvarez Osorio gehört wie z. B. auch Pedro Fernandez Navarrete zu der Gruppe der spanischen Ökonomen im 17. Jh., die klarsichtig die Übel anprangerten, die zum Niedergang des Landes führten. Ihre Reformvorschläge verhallten jedoch ungehört.

Cosimo Perrotta Aus dem Italienischen von Christopher Wertz

Antonelli, Giovanni Battista

Der italienische Ingenieur Giovanni Battista Antonelli wurde 1858 in Pisa geboren. Er studierte Mathematik und leistete mitSulla teoria matematica dell’ economia politicaeinen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der mathematischen Theorie der Ökonomie. Nach der Ver- öffentlichung widmete sich Antonelli jedoch ausschließ- lich der Arbeit als Ingenieur. Er starb 1944.

Sulla teoria matematica dell’ economia politica

(»Über die mathematische Theorie der Volkswirtschaftslehre«)

EA: Pisa, 1886. AA: Mailand: Malfasi, 1952 (Nachdr.

1886).

Diese Arbeit wurde als erstes Kapitel eines größeren, un- vollendet gebliebenen Werkes über die Wirtschafts- mathematik veröffentlicht und ist vor allem wegen der Lösungsansätze für das Problem der Integrierbarkeit be- merkenswert. Laut Antonelli ist die Anwendung von Mathematik zum Studium der Volkswirtschaft möglich, auch wenn man (zumindest unmittelbar) nicht erwarten könne, dass mit ihr sehr komplizierte ökonomische Phä- nomene vollständig erklärbar seien. Außerdem erschei- nen dem Autor die existierenden mathematischen An- wendungen noch nicht als ausreichend genau, weshalb seine Arbeit auch als Beitrag zur Verbesserung der Aus- sagekraft dieser Untersuchungen gedacht ist. Die erste Frage, die Antonelli behandelt, betrifft die Situation zweier Güter und zweier Individuen, die er mit Hilfe

9 Antonelli, Giovanni Battista

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von Nutzenfunktionen (auf der Basis der anfänglich be- sessenen Mengen und den Preisen in freier Konkurrenz) darstellt, indem die Kombinationen der präferierten Mengen, an die man durch Handel gelangt, miteinan- der verbunden werden. Diese sollen, so die Hypothese des Autors, durch Experimente nachweisbar unabhän- gig von der Nutzenfunktion existieren. Als zweites und sowohl originellstes wie auch wichtigstes Thema wird der Handel mit drei oder mehr Gütern unter den Bedin- gungen freien Wettbewerbs behandelt. Auch in diesem Fall ist die Konstruktion von Präferenzkurven möglich, doch müsste die Nutzenfunktion, sofern sie existiert (sie ist in diesem Fall willkürlich festgelegt), sowohl differen- zierbar als auch integrierbar sein. Die Hypothese der Stetigkeit jener Funktion impliziert, dass sie nur auf kol- lektivem Niveau Gültigkeit entwickelt, in dem Bereich also, in dem die Anzahl der gehandelten Güter so hoch ist, dass man trotz approximativer Berechnungen ausrei- chend genaue Ergebnisse erhält. In jedem Fall hänge die Nutzenfunktion von der Menge aller Güter ab und sei eine Ordinalfunktion, so Antonelli, der damit gegen die Hypothese einer additiven und kardinalen Nutzenfunk- tion von Jevons und Launhardt Stellung bezieht. Damit kommt Antonelli zu der Bedingung für eine Funktion der Marktnachfrage, die aus der Marktnutzenfunktion abgeleitet wird. Diese Bedingung wird erfüllt, wenn die Individuen parallele Engel-Kurven haben. Das dritte, deutlich kürzere Argument beschäftigt sich mit den Gleichgewichtsbedingungen des Monopols, einer Marktform, die als Spezialfall von (für den Tausch von Gütern) geschlossenen Märkten dargestellt wird. Zu- letzt behandelt der Autor die Überprüfung des Effekts, den eine Einrechnung der Handelskosten, inklusive der Zölle, auf die gehandelten Warenmengen (und auf die Existenz des Handels selbst) haben kann – die Thematik der Produktion müsste diesem Argument eigentlich vo- rausgehen, Antonelli hat sich aber in der Folgezeit nicht mehr mit dieser Frage beschäftigt.

Während Antonellis Werk zu seiner Zeit kaum Reso- nanz fand, hat Paul A. Samuelson Mitte des 20. Jhs. die Bedeutung von Antonellis Leistung hervorgehoben.

Lit.:J.S. Chipman et al. (Hg.):Preferences, Utility and Demand, New York: Harcourt, Brace & Jovanonvich, 1971; P.A. Samuel- son: »The Problem of Integrability in Utility Theory«,Econo- mica, 17, 1950, S.355–385.

Fiorenzo Mornati Aus dem Italienischen von Christopher Wertz

Aquin, Thomas von

Der auf einer Burg nahe dem italienischen Aquino ge- borene Thomas von Aquin (?1225 bis 7.3.1274) ent-

stammte einem Grafengeschlecht. Wie damals in adli- gen Kreisen üblich, wurde er von früher Kindheit an von Mönchen erzogen. In ihm weckte das nicht nur Wissensdurst, sondern ließ die frühe Überzeugung rei- fen, seine Berufung gefunden zu haben: Gegen den Wil- len seiner Eltern trat er in den Dominikanerorden ein.

Fortan studierte und lehrte Thomas von Aquin an den bedeutenden Hochschulen seiner Zeit. In Paris nahm sich kein Geringerer als Albertus’ Magnus seiner an, der große Denker jener Tage. Albertus’ Lehre sollte einen wesentlichen Teil des Fundaments für Thomas’ Ideen bilden. Wie sein Lehrer, der ihn schließlich überlebte, entwickelte er sich zu einem Denker der Scholastik, die versuchte, kirchliche Dogmen mit den Ideengebäuden der griechischen Antike zu vereinen. Vor allem das um- fangreiche Werk von Aristoteles trat seinerzeit zuneh- mend in den Mittelpunkt des Interesses der Lehrer und Schüler in den Klosterschulen. Thomas’ Werk ist so- wohl Höhepunkt als auch Beginn der Überwindung der Scholastik.

Summa theologiae (»Summe der Theologie«)

EZ:1265/66–1273.AA:J. Bernhart (Hg.), 3 Bde., Bd 1 u.

2: Leipzig: Kröner, 1935 u. 1938, Bd. 3: Stuttgart: Kröner, 1938;Ökonomie, Politik und Ethik aus Summa theologiae, Faksimile in Auszügen der 1496 in Nürnberg erschiene- nen dreibdg. Koberger-Ausgabe, Düsseldorf: Verlag Wirt- schaft und Finanzen, 1991.

Thomas von Aquin gelang es, Kirchendogmen und Aristoteles’ Sicht der Welt in ein Gesamtsystem zu fas- sen. Dies schlägt sich vor allem in seinem voluminösen WerkSumma theologiaenieder. Begonnen hatte er die Arbeiten daran im Jahr 1265 oder 1266. Als Thomas 1273 die Arbeit einstellte, hatte er die beiden ersten Teile abgeschlossen; ein dritter war noch nicht beendet.

Vermutlich zwangen ihn Krankheit und Erschöpfung zum Abbruch der Arbeit; kurz darauf starb er. So blieb das Werk letztlich unvollendet. Die Summa theologiae schlägt einen Bogen von den Themenkreisen Gott und Schöpfung über den Menschen und das Heil bis hin zur Ethik und der Ordnung der Gesellschaft. Für Thomas von Aquin lag allem gesellschaftlichen Leben der Wille Gottes als ewiges Gesetz (lex aeterna) zugrunde. Das Na- turgesetz (lex naturalis) wolle es, dass der Mensch durch seine Vernunft Teil der Gesellschaft werden könne. Auf- gabe des Menschen sei es, Naturgesetz und ewigem Ge- setz zu folgen und im praktischen Leben zum Wohl der Gemeinschaft nach diesen Vorgaben ein menschliches Gesetz (lex humana) zu schaffen und damit eine staatli- che Ordnung herbeizuführen. Als natürliche Staatsform sah Thomas von Aquin die Monarchie. Den Königen übergeordnet seien der Kaiser und der Papst. Beide hät- ten das Gottesrecht zu sichern. Der Staat selbst sei davon jedoch abzukoppeln, da er seine Gesetzmäßigkeiten

Aquin, Thomas von 10

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nicht aus kirchlichen Belangen, sondern vom Natur- recht herleite. Thomas’ ökonomische Überlegungen spiegeln die seinerzeit äußerst dynamische Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens wider. Gute klimatische Verhältnisse in Mitteleuropa begünstigten hervor- ragende Ernten, der Handel blühte auf, alte Römerstra- ßen wurden ausgebessert. Handelsstädte kamen zu Macht und Reichtum. Das Wirtschaftsleben gewann eine neue Dynamik. Dies führte zu einem zunehmen- den Hinterfragen des Umgangs mit Geld; auch die Hal- tung zu Preisen und zur Zinsnahme wurde vermehrt dis- kutiert. Thomas von Aquin versucht diese Fragen aus Sicht der Kirchenlehre zu beantworten. So widmet er sich explizit der Frage des »gerechten Preises« und weist der gesellschaftlichen Stellung eines Produzenten einen wichtigen Einfluss auf die Wertbestimmung eines Gutes zu. Ähnlich wie sein Lehrer Albertus Magnus lässt er bei der Bestimmung des Preises auch die geleistete Arbeit in die Wertbestimmung einfließen. Für diese müsse ein ge- rechter Lohn gemäß der gesellschaftlichen Stellung ge- zahlt werden. In Bezug auf den Handel billigt er einen Gewinn, wenn dieser in Maßen bleibt. Was das Verlei- hen von Geld betrifft, tritt er für das Zinsverbot der Kir- che ein. Geld dürfe man nicht durch Verleihen verdie- nen, egal ob das verliehene Geld für Konsum- oder Produktionszwecke gebraucht werde. Diese Haltung ist auch eine konsequente Fortführung seiner Überzeu- gung, dass das Geldverdienen durch pures Kaufen und Verkaufen ohne eine weitere Leistung des Kaufmanns (etwa des Transports) nicht statthaft sei.

DieSumma theologiaegehört zweifellos zu den ein- flussreichsten Büchern der Menschheitsgeschichte, sein Verfasser zu den bedeutendsten Denkern der Philoso- phie. Noch das Zweite Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965 berief sich in seinen ökonomischen Aussagen auf Thomas von Aquin. Über Jahrhunderte prägten seine Lehren die abendländische Wissenschaftsauffas- sung. Die katholische Kirche erhob sie sogar zur Dok- trin.

Lit.:D. Berger:Thomas von Aquins »Summa theologiae«,Darm- stadt: Wiss. Buchges., 2004; G. Kolb:Geschichte der Volkswirt- schaftslehre, München: Verlag Franz Vahlen, 2004; H. Hesse:

Ökonomen-Lexikon, Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finan- zen, 2003; H.C. Recktenwald (Hg.):Ökonomie, Politik und Ethik in Thomas von Aquins »Summa theologiae«. Vademecum zu einem Klassiker der Wirtschaftsethik, Düsseldorf: Verlag Wirt- schaft und Finanzen, 1991; U. Horst: »Über die Frage einer heilsökonomischen Theologie bei Thomas von Aquin. Ergeb- nisse und Probleme der neueren Forschung«, in:Münchner Theologische Zeitschrift, 12, 1961, S.97–111.

Helge Hesse

Aristoteles

Aristoteles (384–322 v. Chr.), Sohn des Leibarztes des makedonischen Königs, wurde in Stageira an der Ost- küste der Halbinsel Chalkidike geboren. Im Alter von siebzehn Jahren ging er nach Athen, um an Platons Aka- demie zu studieren. Aristoteles blieb dort zwanzig Jahre und entwickelte ein eigenes philosophisches System.

Nach dem Tod Platons verließ er aufgrund von Diffe- renzen mit dessen Nachfolger die Akademie und grün- dete in Atarneus in Kleinasien seine eigene Schule. Seit 343 v. Chr. unterrichtete er den Sohn des makedo- nischen Königs Phillip II., Alexander (später Alexander der Große). Als Alexander 335 v. Chr. König wurde, kehrte Aristoteles nach Athen zurück, wo er erneut eine Schule gründete: das Lykeion, später meist Perípatos ge- nannt. Nach dem Tod Alexanders musste der Philosoph aus Athen fliehen, da er als Vertrauter des Königs galt und deshalb verfolgt wurde. In Chalkis, dem Geburtsort seiner Mutter, starb er 322 v. Chr.

Politika (»Politik«)

EZ:ca. 340–335 v. Chr.DA:in:Werke in deutscher Über- setzung, hg. von H. Flashar, übers. v. E. Schütrumpf, Bd. 9:

Politik, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005.

Politikabesteht aus acht Büchern, die die Frage zu be- antworten suchen, wie ein Staat beschaffen sein muss, damit seine Bürger ein gutes und glückliches Leben füh- ren können. Diese zentrale Ausgangsfrage wird in sechs – argumentativ oft nur lose miteinander verbundenen – Schritten behandelt: Im ersten Buch entwirft Aristoteles als Basis seiner Überlegungen eine teleologische Anthro- pologie. Der Mensch besitzt, so argumentiert er, einen prinzipiellen Drang zum Zusammenleben, der dem Se- xual- und Selbsterhaltungstrieb entspringt. Darüber hi- naus haben die Menschen den Wunsch, in einer geord- neten Gemeinschaft (polis) zu leben, weil sie sich als einzige Lebewesen Vorstellungen von Recht und Un- recht machen können. In einer solchen politischen Ge- meinschaft, die nach außen unabhängig und autark sein muss, soll die Gesetzgebung gewährleisten, dass keine materielle Not herrscht, die Bürger eine gute Erziehung erhalten und am politischen Leben teilnehmen können.

Dazu sind Institutionen und eine die Aufgaben und Rechte der Bürger sichernde Verfassung notwendig. Pri- vates und öffentliches Leben sind strikt voneinander ge- trennt; nur in der Polis ansässige Männer sind volle Bürger, nur sie nehmen am politischen Leben teil. Den Sklaven (deren Status ihrer Natur, nicht ihrer recht- lichen Stellung entspringt) spricht er jegliche Vernunft- begabung ab – und damit die Bürgerrechte. Im zweiten Buch folgen eine Untersuchung des Staatsaufbaus in der Staatstheorie Platons und ein Vergleich bestehender Ver- fassungen. Aristoteles analysiert hierzu die ihm bekann- ten Verfassungen und stellt somit den ersten der Nach-

11 Aristoteles

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