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er wichtigste Leitsatz bei pädiatrischen Notfällen sei eigentlich viel zu ba- nal, um ihn zu wiederholen, aber ein Kind werde häufig noch immer für einen kleinen Erwachsenen gehalten, sprach Prof. Hartmut Hagemann (Hannover) beim 5. Interdiszi- plinären Kongress für Inten- sivmedizin und Notfallmedi- zin in Hamburg ein grundsätz- liches Missverständnis an. Ha- gemann konzentrierte seinen Vortrag auf den Volumener- satz nach Trauma – seiner Aussage nach ein zentrales Problem, weil in der „emotio- nal aufgeladenen Situation“die spezifische Physiologie von Säuglingen und Kleinkindern häufig unberücksichtigt bleibt.
Eine wesentliche altersab- hängige Variable, die auch die sehr geringe Toleranz erklärt, ist das ungünstige Verhältnis von kleinem intravasalen Vo- lumen und großem Extrazel- lulärraum (Anteil beim Säug- ling etwa 60 Prozent gegen- über 15 Prozent beim Er- wachsenen oder Schulkind).
„Stress frisst Volumen“ – die- ser erhöhte Flüssigkeits- und Elektrolytumsatz beziehungs- weise die Umverteilung über das „capillary leak“ in den so genannten dritten Raum müs- se erst einmal ausgeglichen werden, bevor es überhaupt zum Ersatz des Blutverlustes käme, forderte Hagemann ei- ne großzügige Volumensubsti- tution.
Die Beurteilung des post- traumatischen intravasalen Volumenstatus ist schwierig.
Um zuverlässige Messdaten zum zenralen Venendruck zu erhalten, sollte ein Katheter von mindestens 22 G verwen- det werden. Das ist bei Säug- lingen meist aber nicht mög- lich. Daher muss man sich weitgehend auf den klinischen Befund verlassen. Anhalts- punkte geben unter anderem Lokalisation und Ausmaß von Weichteilverletzungen oder Frakturen sowie Kolorit und Turgor der Haut. Wertvolle Hinweise liefern Veränderun- gen der Herz-Kreislauf-Para- meter, also Entgleisungen von Blutdruck, Herzfrequenz oder Herzrhythmus.
Allerdings würden häufig zu schnell Katecholamine ver- abreicht, meldete Hagemann Bedenken an. Kinder benötig- ten zunächst Volumen und erst in zweiter Linie Katechol- amine – zumal deren Wirkung sich erst dann voll entfalten könne, wenn annähernd Nor- movolämie erreicht worden sei. Kritisch werde es erst, wenn der kolloidosmotische Druck unter zehn sinke.
Mit Hydroxyethylstärke auf der sicheren Seite
Die verschiedenen zum Volu- menersatz zur Verfügung ste- henden Alternativen sind nach Ansicht von Hagemann für die spezielle Situation beim traumatisierten Kind nicht gleichermaßen tauglich. Kri- stalloide Lösungen haben nur eine kurze intravasale Ver- weildauer. Um den Blutver- lust adäquat zu decken, ist mindestens die dreifache Vo- lumenmenge und immer eine kontinuierliche Infusion er- forderlich. Sie haben zwar keinen direkten Effekt auf
die Rheologie, es kann aber über die starke Verdünnung zu einer Verarmung an Ge- rinnungsfaktoren kommen.
Natürliche Kolloide hält Hagemann für den primären Volumenersatz beim Kind für ungeeignet. Sie wirkten sich ungünstig auf die Gerinnung aus, und ihre Verweildauer im Gefäßsystem sei schwierig zu beurteilen. Aufgrund der ho- hen transkapillären Aus- tauschrate können schnell in- terstitielle Ödeme entstehen, die – anders als die durch kri- stalloide Lösungen induzierten – schlecht mobilisierbar sind.
Von den künstlichen Kol- loiden bietet sich nach Aussa- ge von Hagemann der Einsatz von Dextranen nicht an, weil sie hyperonkotisch sind und man bei Kindern eine Plas- maexpansion vermeiden will.
Die Gabe von Gelantine-De- rivaten ist aufgrund der kur- zen, ähnlich wie bei kristalloi- den Lösungen, intraversalen Verweildauer ebenfalls nicht empfehlenswert.
Hagemann bevorzugt die Substitution mit Hydroxy-
ethylstärke. Seine Präferenz begründete er mit der relativ großen Chance auf eine ad- äquate intravasale Volumen- füllung. Das rheologische Gleichgewicht wird nicht be- einflusst, es kommt sogar zu ei- ner Verbesserung der Fließ- eigenschaften. Die allergene Potenz ist gering, die Aus- scheidungskinetik gut. Durch die Stabilisierung des kolloid- osmotischen Drucks konsoli- dieren sich rasch die kardiozir- kulatorischen Funktionen und damit die Sauerstoffversor- gung der Organe. Das Mole- kulargewicht sollte allerdings nicht zu hoch sein. Ob 70 000 oder 130 000 MW, macht nach den bisher vorliegenden Er- fahrungen kaum einen Unter- schied.
Bei niedrigem Hb-Wert ist die Rheologie verbessert
Die Indikation für die Gabe von Erythrozyten-Konzentra- ten richtet sich nach dem Hä- moglobin-Spiegel (Hb). Bei Säuglingen sollte ein Hb von 10 g/dl nicht wesentlich un- terschritten werden, beim Kleinkind liegt die Grenze bei 6 g/dl. Hagemann erin- nerte daran, dass bei niedri- gem Hb die Rheologie und die Sauerstoffabgabe im Ge- webe deutlich besser sei. Des- halb sollte man, wenn im- mer möglich, zunächst das Volumen auffüllen und dann erst Erythrozyten substitu- ieren. Gabriele Blaeser-Kiel V A R I A
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A624 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 10½½9. März 2001
Pädiatrischer Notfall
Stress „frisst Volumen“
Bei der Erstversorgung traumatisierter Kinder Flüs- sigkeits- und Elektrolytverschiebung in den „dritten Raum“ berücksichtigen
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