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ie Firma Knoll feierte ihr einhundertjähri- ges Bestehen. Aus diesem Anlaß veranstalte- te sie Ende Oktober in Ludwigshafen ein inter- national besetztes Sym- posium zu dem Thema„Therapie und Prävention mit Kalziumantagoni- sten". Die Entwicklung ' des ersten Kalziumant- agonisten Verapamil (Isoptie stellt zweifellos eine der Sternstunden in der Firmengeschichte dar.
Da durften beim Jubilä- umssymposium zwei nicht fehlen: Den Vorsitz hatten Prof. A. Flecken- stein, Freiburg, der das Prinzip des Kalziumant- agonismus entschlüssel- te, und Prof. F. Bender, Münster, der Verapamil in die Klinik einführte -wäh- rend viele seiner Kollegen die Substanz wegen ihrer Wirkung auf Sinus- und AV-Knoten anfänglich mit Skepsis betrachteten.
Bender setzte Verapamil erst als Antiarrhythmikum und dann auch als Anti hy- pertonikum ein.
Die Synthese des gefäßre- laxierenden Verapamils fiel in die Zeit der Beta- blocker-Euphorie, und so dachte und hoffte man zunächst, einen Vertreter dieser Stoffklasse entwik- kelt zu haben. Flecken- stein aber deckte Anfang der sechziger Jahre auf, daß mit der neuen Sub- stanz etwas völlig Neuar- tiges gelang, nämlich
„das letzte pharmakolo- gisch beeinflußbare Glied in der Kette vasokonstrik- torischer Reaktionen zu blockieren".
Es wird heute gemeinhin akzeptiert, daß die intra- zelluläre Kalziumkonzen- tration die zentrale Stell- größe bei der Regulation des Gefäßtonus ist. Kalzi- umantagonisten inhibie- ren den Kalziumeinstrom
in die Gefäßmuskelzelle und wirken damit in kau- saler Weise vasodilatie- rend. Ihre stärksten Effek- te zeigen sie, abgesehen von den peripheren Wi- derstandsgefäßen, an den extramuralen Koronarge- fäßen, was sie zur Be- handlung der Angina pec- toris, und zwar insbeson- dere der vasospastischen
Formen, prädestiniert.
Die Steigerung der Koro- narreserve ist aber auch in der Hochdrucktherapie von Vorteil. Wie Prof. B.
Strauer, Marburg, ermit- telte, weist schon das jugendliche, normal gro-
ße und im Koronaran- giogramm unauffällige Hochdruckherz eine ver- minderte Koronarreserve auf und ist damit isch- ämiegefährdet. Sind Kal- ziumantagonisten über ihre gefäßrelaxierende und antiischämische Wir- kung hinaus vielleicht auch noch in der Lage, die Arteriosklerose zu be- einflussen? Dies wäre in der Tat das Tüpfelchen auf dem i. Fleckenstein konnte an hypertensiven Ratten zeigen, daß sich arteriosklerotische Ge- fäßveränderungen durch Kalziumantagonisten auf- halten lassen.
Allerdings lagen die ver- wendeten Dosen weit über dem für den Men- schen geltenden thera- peutischen Bereich. Und außerdem ist fraglich, ob die tierexperimentelle Ar- teriosklerose für die sich sehr viel langsamer ent- wickelnde Arteriosklero- se des Menschen Modell- charakter besitzt, wenn auch nachgewiesen ist, daß beim Menschen in ähnlicher Weise mit dem Alter zunehmend Kalzium und parallel Cholesterin in die Gefäßwände einge- lagert werden.
Es laufen derzeit zwei prospektive Doppelblind- Studien, die die Frage der
antiarteriosklerotischen Wirkung von Kalziumant- agonisten klären sollen.
In einer dieser Studien wird Verapamil in einer Dosis von dreimal täglich 120 mg an zweihundert Patienten nach aortoko- ronarer Bypassoperation geprüft. Zwei Kontrollan- giographien - ein Jahr und drei Jahre nach dem Eingriff - sollen den The- rapieerfolg verifizieren.
Die durch die Kalziumant- agonisten erwachsenden therapeutischen Möglich- keiten sind wahrschein- lich noch längst nicht ausgereizt. Diskutiert wird, daß diese multipo- tenten Wirksubstanzen auch auf die Thrombozy- ten Einfluß nehmen, de- ren Aktivität hemmen.
Zahlreiche weitere Vertre- ter der erfolgreichen Sub- stanzklasse sind in der Mache. Eine Novität aus der Knoll-Forschung: Ani- pamil ohne Wirkung auf den AV-Knoten und mit außergewöhnlich langer
Eliminations-Halbwert- zeit. An „seinen" spon- tanhypertensiven Ratten konstatierte Professor Fleckenstein eine kräftige Blutdrucksenkung bei nur einmaliger Applika- tion pro Woche. vi
Einhundert Jahre Knoll in Ludwigshafen
Halten Kalziumantagonisten die Arteriosklerose auf?
Mit dem deutschen Reichspatent Nummer 39887 für ein Ver- fahren zur Umwandlung von Morphin in Codein hat es ange- fangen. Am 15. Oktober 1886 gründete der Erfinder Albert Knoll (links) zusammen mit seinem Bruder Hans (Mitte) die Firma Knoll in Ludwigshafen, die heute zu den großen, welt- weit repräsentierten Pharmaunternehmen der Bundesrepu- blik zählt. Knoll-Schwager Max Daege (rechts) kam zwei Jahre nach der Firmengründung als dritter Gesellschafter hinzu. Bereits 1905 wurden in New York und London die er- sten ausländischen Niederlassungen etabliert. Die Produkt- palette von Knoll enthält auch heute noch neben hochmo- dernen Therapeutika wie Verapamil (Isoptin®) zahlreiche Spezialitäten, die schon vor Jahrzehnten entwickelt worden sind. In ihrem Zweigwerk in Minden betreibt die Knoll AG, die seit einigen Jahren zur BASF-Gruppe gehört, die größte Ephedrin-Fabrik der Welt und eine der größten Produktions- anlagen für Coffein und Theophyllin. Auch in die Gentechnik ist die Firma eingestiegen — speziell mit dem Ziel, neuartige Wirkstoffe gegen Tumorerkrankungen und Herzinfarkt zu synthetisieren. Die Gesamtaufwendungen für Forschung und Entwicklung beliefen sich 1985 auf 109 Millionen Mark
AUS INDUSTRIE UND FORSCHUNG
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
3324 (94) Heft 47 vom 19. November 1986 83. Jahrgang Ausgabe A