A 1808 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 34–35|
29. August 2011 Susanne, 14 Jahre, soll ihreMathematikhausaufgaben an die Tafel schreiben. Ei- gentlich ist ihr Heft leer, aber sie versucht es trotz- dem. Ihr Lehrer gibt ihr das Feedback, dass die erste Aufgabe falsch ist. Susanne macht bei dem Versuch, die zweite Aufgabe zu lösen, den gleichen Fehler. Sie nimmt wieder den falschen Lösungsansatz. Ganz schön dumm? Nein, so die Auto- rin Evelin Crone, das ist keinesfalls das Ergebnis mangelnder Intelligenz. Su- sannes Gehirn ist aufgrund von Umbauarbeiten nicht in der Lage, zu erkennen, dass sie die zweite Aufgabe anders lösen muss.
Ihr Kortex ist noch nicht ausgereift.
Die Hirnregion, die bei Erwachse- nen für zielgerichtetes Handeln zu- NEUROLOGIE
Umleitungen aufgrund von Umbautätigkeiten
ständig ist, befindet sich bei Susanne noch im Umbau.
Eveline Crone, Professo- rin für Entwicklungspsycho- logie an der Universität Lei- den und Amsterdam, stellt in ihrem Buch anschaulich und verständlich die einzigarti- gen Umbauprozesse der Hirnstruktur vor, die sich in der Pubertät ereignen. Ihre Ergebnisse in der Hirnfor- schung verbindet sie mit Beispielen aus der Praxis. Übersicht- liche Grafiken und anatomische Skizzen geben auch dem Nichtmedi- ziner Orientierung bei der Vielzahl der unterschiedlichen vorgestellten
Hirnregionen. Die Autorin schafft es durch ihre einleuchtenden Erklärun- gen, Verständnis für die Verhaltens- weisen Jugendlicher zu erzeugen und zeigt Wege auf, wie man durch die eigenen Reaktionen auf ihr Verhalten sie sanft anleiten kann, sich trotz ih- rer Entwicklungsdefizite in der Welt zurechtzufinden.
Susannes Beispiel geht noch wei- ter: Die nächsten beiden Aufgaben löst ihre Banknachbarin, sie versucht einen anderen Lösungsweg. Die ers- te Aufgabe ist richtig, der Lehrer lobt sie. Das motiviert sie. Was hat das zur Folge? Sie strengt sich noch mehr an, weitere Aufgaben zu lösen.
Eveline Crone konnte nachweisen, dass bei Jugendlichen mehr Hirnak- tivität vorhanden ist, wenn Motivati- on und Bestätigung erfolgen. Von daher bleibt nur der Rat an alle be- troffenen Eltern: Wenn das nächste Mal das Zimmer nicht so aufge- räumt ist, wie man es als Erwachse- ner tun würde, keine negativen Ver- stärker absondern, sondern die klei- nen Fortschritte loben. Das motiviert
zu mehr. Catrin Marx
Eveline Crone: Das pubertierende Gehirn. Wie Kinder erwachsen werden.
Droemer Knaur, München 2011, 208 Seiten, Klappenbroschur, 14,99 Euro
Siegfried Gänsler, Thors- ten Bröske: Die Gesund- arbeiter. Warum Gesund- heit der entscheidende Er- folgsfaktor in Unterneh- men ist. Murmann Verlag, Hamburg 2010, 232 Sei- ten, gebunden, 18 Euro Es kommt nicht oft vor, dass Vor-
stände einer gesetzlichen Kranken- kasse sich umfangreich und sub- stanziell in der Diskussion über die Herausforderungen, vor denen das Gesundheitswesen steht, zu Wort melden. Umso bemerkenswerter und auch erfreulicher ist der von Siegfried Gänsler und Thorsten Bröske vorgelegte Band „Die Ge- sundarbeiter“, in dem das enge und durch vielerlei Kausal- und Kondi- tionalbeziehungen geprägte Verhält- nis von Arbeitswelt und individuel- lem Gesundheitszustand beschrie- ben und diskutiert wird. Dabei neh- men die Autoren eine gleichermaßen originelle und pragmatische Per- spektive ein, indem sie Gesundheit als Unternehmenswert definieren, der über entsprechende Investitio- nen und kluges Management zu stei- gern ist. Hieraus ergibt sich eine GESUNDHEIT
Sachlich, aber unterhaltsam
wichtige und sehr dynamische Wechselbeziehung, in der der Un- ternehmer und das Unternehmen als soziale Organisation die Vorausset- zungen schaffen für die individuelle Gesunderhaltung oder Gesund- heitsförderung und das Individuum als Nutznießer dies durch bessere und damit höhere Wertschöpfung im Unternehmensprozess zurück-
zahlt. Dieses prinzipiell symbioti- sche und synergetische Verhältnis ist in der modernen Arbeitsorgani- sation zahlreichen Störfaktoren ausgesetzt, die es zu identifizieren und im Management entsprechend zu adressieren gilt.
Mit einer Vielzahl von neuesten Studienergebnissen, praktischen Po- sitiv- wie Negativbeispielen und konkreten Handlungsempfehlungen liegt ein in sich geschlossenes und sehr gut handhabbares Buch vor, das sowohl für Personalverantwortliche, Betriebsärzte und Arbeitsmediziner, Gesundheitsmanager in Kranken- versicherungen, aber auch jeden praktischen Arzt, für den die Sozial- anamnese erfreulicherweise noch ei- ne Rolle spielt, eine vorzügliche Re- ferenz darstellt. Erfreulich ist, dass die Autoren an keiner Stelle in das traditionelle Lagerdenken verfallen, sondern sehr sachlich, aber biswei- len durchaus pointiert und unterhalt- sam auf manch vermeid- und beheb- baren Missstand im Sozialwesen hinweisen. Matthias P. Schönermark