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Archiv "Körperbilder: Luc Tuymans (*1958) – Triebhaftigkeit und Intuition" (11.03.2011)

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[] Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 10

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11. März 2011

KÖRPERBILDER: LUC TUYMANS (*1958)

Triebhaftigkeit und Intuition

K

ulturgeschichtlich haftet der Nase kein Wohlge- ruch an. Das Riechorgan des Menschen war lange Zeit verfemt, galt Philosophen wie Hegel oder Kant als Sinnbild der Geistlosigkeit und Triebhaftigkeit. Als ani- malisch und lüstern wurde derjenige angesehen, der Kör- perausdünstungen von sich gab oder seine Nase in frem- de Aromen steckte. Das hing nicht nur mit körperfeind - lichen christlichen Traditionen zusammen, sondern auch mit dem Irrglauben, dass Krankheiten – wie die Pestepi- demien des Mittelalters – von üblen Gerüchen verursacht würden. Als Zugangsweg für Genuss- und Suchtmittel stand die Nase für das von niederen Instinkten dominierte Unbewusste. Dass der Geruchssinn eine wichtige Rolle für die Intuition spielt, hat erst die Pheromonforschung eindrucksvoll nachgewiesen – und damit die Nase als er- kenntnisförderndes Sinnesorgan rehabilitiert.

So widersprüchlich wie ihre Geschichte ist, verwei- gert sich auch Luc Tuymans „The Nose“ eindeutigen Wahrheiten. „Ein gutes Kunstwerk ist still, löst weitere Bilder im Betrachter aus“, sagt er. In seinem Antwerpe- ner Atelier malt er zwar schnell und aus dem Bauch heraus, aber im Vorfeld recherchiert er für ein Gemälde oft monatelang. Seine Motive beschäftigen sich mit politischen, sozialen und historischen Themen wie dem

11. September, dem Holocaust oder der belgischen Kolonialgeschichte. In seinen Bildern reflektiert er das Phänomen der Macht und deren versteckte Gesichter, Krankheit und Körper sowie die Banalität des Alltäg - lichen. Tuymans spricht von der „Vorahnung gesell- schaftlicher Prozesse“, die er auf die Leinwand bringt.

Doch so politisch ambitioniert der Flame auch ist, dass es ihm mit seinen gegenständlichen, in kreidig-redu- zierter Farbigkeit gemalten Bildern gelingt, die Welt in ihrer Nichterfassbarkeit und Doppeldeutigkeit abzu - bilden, macht gerade ihre Faszination aus.

„The Nose“ schuf er 2002, als er gerade einem in- ternationalen Publikum bekanntwurde. 2004 war er der erste Belgier, dem die Londoner Tate Modern je- mals eine eigene Werkschau widmete. Die Ehrung galt nicht nur seinem komplexen Œuvre, Tuymans hatte auch zur Wiederbelebung der figurativen Kunst einen großen Beitrag geleistet, indem er sich in den 80er Jahren der Vorherrschaft der Abstraktion wider- setzte. Aktuell wird sein Werk in Brüssel – einzige Station in Europa – gezeigt. Die Retrospektive, die zuvor durch Amerika tourte, zeichnet mit 73 Expona- ten seinen 30-jährigen Schaffensprozess zwischen 1978 und 2008 nach. Sabine Schuchart

Luc Tuymans, „The Nose“, 2002, Öl auf Leinwand (29,9 × 24,1 cm): Kühn ragt der mächtige Zinken, der dem Gemälde den Titel gab, aus dem Gesicht heraus. „Ein Künstler projiziert immer die eigene physische Beschaffenheit auf sein Werk“, sagt Luc Tuymans, der seit seiner Teilnahme an der Biennale 2001 in Venedig und der Documen - ta 11 im Jahr 2002 international zu den bedeutends - ten Malern der Gegenwart gehört. Ob – angesichts gewisser Ähnlichkeiten – diese Übertragung eigener Körpermerkmale auf den Porträtierten auch für

„The Nose“ gilt, lässt der Belgier bewusst offen.

Tuymans malte das Bild kurz nach dem 11. Septem- ber 2011 nach einem Foto. Es zeigt das angeschnit- tene Gesicht eines dunkelhäutigen Mannes, der aus Nahost, aber auch aus dem abendländischen Kultur- kreis stammen könnte. „Es könnte ein Terrorist sein, aber es ist keiner“, erklärte der Künstler einmal.

Die große, gekrümmte Nase beherrscht das gesamte Bild. Der Gesichtsausdruck wirkt in sich gekehrt, eher pessimistisch, auf jeden Fall nicht entzifferbar.

Foto: Collection of Jill and Dennis Roach, © Luc Tuymans

AUSSTELLUNG

„Luc Tuymans.

Retrospektive“

Bozar Expo, Palais des Beaux-Arts, Rue Ravenstein 23, B-1000 Bruxelles;

Di.–So. 10–18, Do. 10–21 Uhr;

www.bozar.be;

bis 8. Mai 2011

S C H L U S S P U N K T

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