Die Information:
Bericht und Meinung
DER KOMMENTAR
ten über die Schwerpunkte der Inve- stitionstätigkeit; es heißt lediglich, diejenigen Bereiche der ambulanten und stationären Betreuung sollten Vorrang erhalten, die die Bürger ständig betreuen und die von ihnen am häufigsten in Anspruch genom- men werden. gb
Ärzte schreiben an das Zentralkomitee der SED
Unter der ungewöhnlich neutralen Überschrift „Ärzte schreiben an das ZK der SED" veröffentlichte das SED-Organ „Neues Deutschland"
ein Schreiben der Teilnehmer der zentralen Konferenz der Bezirks- und Kreisärzte der DDR, die im Fe- bruar in Klein machnow stattfand, an den Generalsekretär des ZK, Erich Honecker. In dem Schreiben heißt es unter anderem, die Mitarbeiter des Gesundheitswesens sähen ihre be- sondere Verpflichtung darin, daß die Bürger in den Begegnungen mit Ärzten, Zahnärzten, Schwestern und anderen Mitarbeitern „das zutiefst humanistische Wesen des real exi- stierenden Sozialismus erleben"
und „die ständige umfassende Sorge der Partei der Arbeiterklasse und des sozialistischen Staates" für Erhaltung, Förderung und Wieder- herstellung der Gesundheit spüren.
Das SED-Organ veröffentlicht dieses Schreiben ohne jeden Kommentar;
man kann also nur vermuten, daß eine solche „Ergebenheitsadresse"
der Ärzte an die Partei wieder einmal für notwendig gehalten wurde. Da- bei muß man allerdings bedenken, daß die Bezirks- und Kreisärzte Mit- glieder der entsprechenden Verwal- tungsorgane sind. Am Schluß des Schreibens danken die Absender Erich Honecker persönlich „und in seiner Person der Parteiführung" für die Unterstützung und Hilfe der Mit- arbeiter des Gesundheitswesens bei der Durchführung ihrer Aufgaben und versprechen, daß sie auch in Zukunft ihre ganze Kraft für die Ver- wirklichung der Gesundheitspolitik der SED einsetzen werden. gb
Gefährliche Parallelen
Eine Warnung
für das Krankenversicherungs-
„Kostendämpfungsgesetz”
So fing es drüben an: Im „Vertrag zur Regelung medizinischer Hilfe durch freiberuflich tätige Ärzte in der DDR" vom 26. Februar 1952 steht in § 5, Abs. 2 lediglich der Satz:
„die Ärzte sind zur wirtschaftlichen Verordnung von Arzneien, Heil- und Hilfsmitteln auf der Grundlage des Verordnungsbuches verpflichtet."
Der Satz klingt harmlos; er erinnert den deutschen Kassenarzt an die Bestimmungen, die er in seiner Pra- xis bei der wirtschaftlichen Verord- nungsweise derzeit zu beachten hat.
Trotzdem bestehen bei uns bis heute zwei bemerkenswerte Unter- schiede:
Noch gibt es in der „BRD" kein Verordnungsbuch und
I> noch immer ist die Leitlinie für den deutschen Kassenarzt, daß er
„nach den Regeln der ärztlichen Kunst" handeln muß. Bei der Ver- ordnung von Arzneimitteln hat noch immer die Wirksamkeit den Vorrang vor dem Preis.
Drüben stiegen die Kosten für die Arzneiverordnungen, wie bei uns.
Also wurde mit den dort gebräuchli- chen politischen Mitteln die Bremse weiter angezogen.
Am 7. Februar 1958 faßte der Magi- strat von Groß-Berlin — das bekannt- lich die Hauptstadt der DDR ist . . . — einen wichtigen Grundsatzbeschluß über die weitere Entwicklung des Gesundheitsschutzes in Berlin. Er wurde in der „Berliner Ärztliche Rundschau" als „Plan für die weite- re Entwicklung des Gesundheitswe- sens in Berlin" erläutert. In Wirklich- keit handelte es sich dabei aber, wie die weitere Entwicklung zeigte, wohl um einen Modellversuch, der auf die ganze DDR hätte ausgedehnt wer- den sollen — falls er sich bewährt hätte.
Planinstrumente . .
Welches waren die Instrumente die- ses Planes zur weiteren Entwicklung des Gesundheitsschutzes in der DDR im Bereich der Arzneiverord- nung?
1. Stufe:
„Die Sozialversicherung wird solche Ärzte, die den im Kreis üblichen Durchschnitt überschreiten, auf- grund des Vertrages zur Regelung medizinischer Hilfe, vor den Be- schwerdeausschuß laden."
Diese Stufe gilt für uns in der „BRD"
in durch das Kassenarztgesetz von 1955 etwas modifizierter Weise. Bei uns hat der Kassenarzt den Rechts- weg der Sozialgerichtsbarkeit bis zur höchstrichterlichen Instanz of- fen, falls er mit den Entscheidungen der Prüfinstanzen nicht einverstan- den ist. In den Prüfungs- und Be- schwerdeausschüssen sind auch die Krankenkassen nicht nur antragsbe- rechtigt, sondern direkt vertreten.
Auch ihnen steht gegen die Ent- scheidungen dieser Ausschüsse der Rechtsweg über die Sozialgerichte offen. Bis heute!
Drüben stiegen die Arzneikosten- ausgaben der Krankenversicherung, wie bei uns. Also kam die 2. Stufe des Modellversuches zur Anwen- dung:
2. Stufe:
„Es wird ein gewisses Monatskon- tingent bekanntgegeben, das von den Ärzten im Jahresdurchschnitt eingehalten werden soll."
Hier stutzt der Leser in der „BRD".
Im Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zum „Kostendämpfungsge- setz" heißt es in § 368, Abs. 6: „Im Gesamtvertrag ist für einen zu ver- einbarenden Zeitraum ein Höchst- betrag der im Rahmen der kassen- ärztlichen Versorgung zu Lasten der beteiligten Krankenkassen zu ver- ordnenden Arzneimittel zu bestim- men. ... im Gesamtvertrag ist fer-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 15 vom 14. April
1977 987Die Information:
Bericht und Meinung
Gefährliche Parallelen
ner, für den Fall, daß die Summe der Aufwendungen der beteiligten Kran- kenkasse der auf kassenärztliche Verordnung abgegebenen Arznei- mittel im Vereinbarungszeitraum den Höchstbetrag übersteigt, eine Regelung über die Art und den Um- fang des Ausgleiches durch Anrech- nung auf die Gesamtvergütung [nämlich der Kassenärzte! der Ver- fasser] zu treffen."
Wie sich die Bilder gleichen!
Wer hat hier von wem gelernt? Der Modellversuch wurde 1958 (!) in Ost- berlin gestartet. Er endete mit einem Mißerfolg. Der Kostenanstieg konnte dadurch nicht gedämpft werden, weil er dort wie hier andere Ursa- chen hatte und hat.
Bei uns sieht aber heute — 1977 (!) — die Bundesregierung eine Regelung vor, die eine Kollektivhaftung aller Kassenärzte für ihre Verordnungs- kosten vorsieht. Der Kassenarzt müßte die seiner Kassenärztlichen Vereinigung auferlegten Abzüge für angeblich zu viel oder zu aufwendig verordnete Arzneimittel mit einem Abzug von seinem Honorar selbst tragen. Dies könnte je nach Ausge- staltung des Gesamtvertrages auch dann erfolgen, wenn der Arzt z. B.
als Röntgenologe oder als Laborarzt mit der Verordnung von Arzneimit- teln überhaupt nichts zu tun hat.
Dies wäre eine Regelung in der
„BRD", die die bestehenden Bestim- mungen in der DDR fast in den Schatten stellt! Sachlich gesehen, würde sich dies so auswirken: nicht der einzelne soll für sein Zuviel an Wasserverbrauch zur Kasse gebeten werden, sondern das Wasserwerk, weil es das benötigte Wasser liefer- te. Eine umwerfende Logik!
Drüben hatte diese Pseudotherapie, wie zu erwarten war, keinen Erfolg.
Deshalb startete man die 3. Stufe des Modellversuches.
3. Stufe:
In einer Broschüre der Sozialversi- cherung der DDR mit dem Titel „Ma-
terial zum Kampf für die Verbesse- rung des Gesundheitsschutzes in Betrieben" heißt es dazu, die Thera- pie sei „im allgemeinen durch Ärzte in eigener Praxis erfolgt, die vonein- ander und von den stationären Ein- richtungen isoliert, ihre Arbeit durchführen", und weiter: „die am- bulante Versorgung in unseren Wohngebieten muß verstärkt wer- den. Wir stehen dabei auf dem Standpunkt, daß dies nicht durch Niederlassung von Ärzten in eigener Praxis, sondern durch Ambulatorien erfolgen muß, in denen praktische Ärzte, bzw. Internisten, Frauenärzte und Kinderärzte, kollektiv zusam- menarbeiten."
Nachdem also die Beschränkung der Arzneimittelverordnung der Ärzte auf ein Verordnungsbuch, die Festsetzung eines Höchstbetrages für die Verordnung im Rahmen von Monatskontingenten die ansteigen- den Kosten nicht dämpfen konnte, machte man nun die Ärzte selbst zu Befehlsempfängern als Angestellte in Ambulatorien. Da dies damals so- gar in der DDR auf Widerstand stieß, versprach die Broschüre großzügig:
„Es denkt niemand daran, die beste- henden ärztlichen Praxen aus dem allgemeinen Gesundheitsdienst aus- zuschalten. Allerdings werden Neu- zulassungen in der Regel nicht mehr erfolgen."
Fragen,
die nach Antwort verlangen
Die Entwicklung hat gezeigt, daß diese 3. Stufe des Ostberliner Mo- dellversuches inzwischen tatsäch- lich in der gesamten DDR verwirk- licht wurde. Sie zeigt aber auch, daß selbst dann noch die Verordnungs- kosten in der DDR prozentual ge- nauso gestiegen sind wie in unserer Sozialversicherung, weil sie nämlich dort wie hier von dem notwendigen Behandlungsumfang der auftreten- den Erkrankung bestimmt werden.Auch dieses Rezept war also un- wirksam.
Trotzdem beschreitet die Bundesre- gierung mit Herrn Ehrenbergs Ent- wurf zu einem Krankenversiche-
rungs-„Kostendämpfungsgesetz"
diesen Holzweg.
Verfolgt sie damit etwa auch das gleiche Endziel? Der Verdacht ist nicht einfach von der Hand zu wei- sen, nachdem sie bei uns durch die- ses Gesetz die Krankenhäuser eben- falls zu Ambulatorien machen will, zumindest für die Diagnostik von solchen Erkrankungen, für die eine Krankenhausbehandlung notwendig erscheint, und ebenso für die Be- handlung von bisher im Kranken- haus behandelten Patienten im An- schluß an die Entlassung nach Hause.
Hier geht es ja nicht mehr um Ko- stendämpfung, denn bekannterwei- se sind aus gutem Grund die Kran- kenhäuser die teuersten Einrichtun- gen unseres Gesundheitswesens.
Wenn man sie jetzt noch mit ambu- lanten Behandlungsaufgaben bela- stet, trägt dies ganz sicher nicht zur Kostendämpfung, sondern zum Ko- stenanstieg in unserer Krankenver- sicherung bei.
Was also ist die wirkliche Absicht dieses Gesetzes?
Niemand wird der sozial-liberalen Regierung der Bundesrepublik Deutschland unterstellen, daß sie ein kommunistisches Gesundheits- wesen bei uns einführen will. Aber:
Sollen wir dann diesen Weg — wie in der DDR — bis zum bitteren Ende der vollständigen Sozialisierung mitge- hen? Ist man sich dessen bewußt, daß bis jetzt die Sozialisierung eines Staates immer mit dem Gesund- heitswesen begann? Hat man ver- gessen, daß dies genau der Lenin- schen Strategie entspricht?
Der Gesetzgeber wird die Antwort auf diese Fragen geben müssen.
Prof. Dr. med. Siegfried Häussler, 1. Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nord-Württemberg, Lehrbeauftragter für Allgemein- medizin an der Universität Ulm, Jahnstraße 30
7000 Stuttgart