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Archiv "Die Berliner Ambulatorien und die Sozialisierungsfrage" (30.01.1975)

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Bericht und Meinung THEMEN DER ZEIT

Die Berliner Ambulatorien und die Sozialisierungsfrage

In der Presse der Kr?nkenkassen wird der Ärzteschaft ein Vorwurf darüber gemacht, daß sie die Ein- richtung der Ambulatorien und die Politik eines Teiles der Kranken- kassen als den Plan und den Weg zu einer Sozialisierung des Gesund- heitswesens betrachte. Wenn auch u. E. in dieser verallgemeinerten Form weniger von der Ärzteschaft als der Tagespresse darüber ge- schrieben worden ist, so wirft es doch ein interessantes Licht auf den Wahrheitswert dieser Abstreitungen und Entgegnungen, wenn man nun einiges aus erster Quelle über die wahren Gründe und die Absichten der Entstehung der Berliner Am- bulatorien erfährt.

Der Vorstand der Berliner Orts- krankenkasse, Herr Direktor Albert Cohn, hat dieser Tage, einer Einla- dung des „Vereins sozialistischer Ärzte" folgend, in einem Kreise von Ärzten sich über die Ambulato- riumsfrage und die Sozialisierungs- frage geäußert.

Der Kern der Rede dieses alten Sozialisten war eine Verteidigung.

Er erklärte, daß die Ambulatorien aus einer Zwangsmaßnahme und nicht als Kampfmaßnahme gegen die Ärzteschaft entstanden seien.

Er begründete die Notwendigkeit der Ambulatorien damit, daß er den „Klein-Gewerbebetrieb" des Arztes für überholt halte durch den ärztlich-technischen Großbetrieb.

Er sah also in den Ambulatorien die zukünftige ärztliche Versorgung der Bevölkerung. Es bedarf also keines Zweifels, daß der Gedanke der Ambulatorien der Ideologie der sozialistischen Gesellschaftsauffas- sung entstammt und die mehrfache Betonung des Redners, daß seine lebenslängliche Tätigkeit unter dem Gesichtspunkte sozialistischer Einstellung erfolgt sei, muß genü- gen zu der Erklärung, daß seine Absichten und Wünsche sich in der

Durchsetzung solcher Maßnahmen bewegt haben.

Die angebliche Zwangslage der Krankenkassen war nur die günsti- ge Gelegenheit zur Einrichtung dieser Maßregel im Gegensatz zur Ärzteschaft. In dem Kreise soziali- stischer Ärzte, in dem nur wenige

Gäste anwesend waren, wurde in diesem Sinne auch gegen das Am- bulatorium als solches keine Stel- lung genommen, sondern dasselbe als eine mögliche Form einer So- zialisierung des Gesundheitswe- sens von allen Rednern betrachtet.

Es ist also unverständlich, wie sei- tens gewisser Krankenkassen die Bezeichnung einer solchen Ent- wicklung mit ihrem richtigen Na- men geleugnet werden kann.

Allerdings stellten sich die soziali- stischen Ärzte von den Mehrheits- sozialisten bis zu den Kommunisten

insofern in einen Gegensatz zu dem nichtärztlichen sozialistischen Herrn Direktor Cohn, als sie seine

„Kampfmaßnahme gegen die Ärzte", die Einrichtung dieser Ambulatori- en, in aller entschiedenster Weise bekämpften, weil sie ihren Ge- sichtspunkten von der Sozialisie- rung des Heilwesens in keiner Wei- se entspreche. Die außerordentlich bemerkenswerten Ausführungen der Kollegen Löwy-Hattendorf, Teilhaber, Klauber, Biber, Röder, Lothar Wolf, um nur einige der so- zialistischen Sprecher zu nennen, brachten folgendes klar zum Aus- druck: Sie verurteilten als Soziali- sten, daß ein werktätiger Stand, die Ärzte, in der jetzigen Form der Am- bulatorien zum Angestellten ge- macht würde, während er bei der in Rußland erfolgten Lösung der Frage den Leiter oder zum minde- sten den Mitleitenden dieser Un- ternehmungen darstelle. Sie spre- chen auf Grund ihrer Anschauung dafür, daß die Versicherten und der Arzt die maßgebenden Persön- lichkeiten darstellen, unter deren

Gesichtspunkten die Leitung der Ambulatorien nur erfolgen könne:

Der Versicherte, dem geholfen werden solle, und der Arzt, der die werktätige Gruppe zur Hilfe der Versicherten darstelle. Im Gegen- satz dazu hat die Lösung der Am- bulatorien in der Berliner Kranken- kasse den werteschaffenden Fak- tor, die Ärzteschaft, zum Angestell- ten einer Kassenbureaukratie ge- stempelt. Man verurteilte aufs schärfste, daß ein sozialistischer Direktor mit Unternehmerallüren

„Streikbrecher" gegen einen ge- werkschaftlich organisierten, um seine Lebensrechte kämpfenden Stand ausspielt. Daß er mit einer Anzahl „minderwertigerer" (die Ausdrücke in der Versammlung waren wesentlich schärfer) vorge- bildeter Ärzte die Solidarität ihrer Berufskollegen zum persönlichen Vorteil ausnutzender, in dem Gewerkschaftsleben sonst gehaßter Abtrünniger, die Bevölkerung un- genügend versorgt. Man be- mängelte des weiteren sehr hef- tig, daß ein sozialistikhes Unter- nehmen eine „gelbe Gewerk- schaft" schaffe und unterhalte.

Wenn man in den Kreisen der so- zialistischen Ärzte, wie gesagt, auch gegen die Idee des Ambula- toriums nicht Front machte, so be- tonte man doch mit aller Entschie- denheit, daß die Leitung der Ambu- latorien nur von der Ärzteschaft ausgehen könne und daß die Kampfmaßnahme der Krankenkas- sen gegen die Ärzteschaft auch den heftigsten Widerstand der ärzt- lich vorgebildeten Sozialisten fin- den würde und finden wird. Den unpolitischen Standpunkt, der von der Mehrheit der Ärzte Deutsch- lands geteilt wird, vertrat als Gast San.-Rat Dr. Sternberg, der in aus- gezeichneter Weise die Vorwürfe des Direktors der Ortskrankenkas- se Berlin gegenüber der Ärzte- schaft zu entkräften verstand.

Es ist in diesem Zusammenhange interessant, auf eine Schrift vom Kollegen Dr. Karl Kollwitz in den sozialistischen Monatsheften im Dezemberheft hinzuweisen, in dem der Kampf zwischen Krankenkas- sen und Ärzten in seinen dynami-

DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 5 vom 30. Januar 1975 249

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Die Information:

Bericht und Meinung

Berliner Ambulatorium

schen Verhältnissen sehr klar ge- schildert wird und in dem er von seiner sozialistischen Anschauung zur Lösung des Konflikts zwischen Ärzten und Krankenkassen kommt, die in den wesentlichsten Punkten außerordentlich nahe den Ansich- ten stehen, die man in einem gro- ßen Teile bürgerlicher Ärzte zur Lösung des kassenärztlichen Pro- blems in der sozialen Versicherung hegt ... Dr. Finkenrath

Spätestens im letzten Absatz wird der Leser bemerkt haben, daß der vorstehende Bericht nicht eine Ver- anstaltung der letzten Wochen be- trifft. Er ist vielmehr im Heft 3 der

„Ärztlichen Mitteilungen" des Jahr- ganges 1925 erschienen, also vor genau fünfzig Jahren. Dr. Karl Koll- witz, Gatte von Käthe Kollwitz, war damals Kassenarzt in Berlin.

Aber: Hat sich seitdem im Denken mancher Krankenkassen-Funktio- näre, Gewerkschafter, sozialisti- scher „Gesundheitsreformer" viel geändert? Doch wohl kaum, wenn man die Argumente von damals mit denen vergleicht, die heute noch benutzt werden — und das gilt nicht nur für die Argumente, son- dern ebenso für die Ziele. Was sonst als die damals selbst von sei- nen Parteifreunden dem Herrn Kassendirektor vorgeworfene Poli- tik der Machtergreifung gegenüber den Ärzten kann heute noch ein Motiv dafür sein, noch immer die

„Eigeneinrichtungen" der Kassen zu propagieren? Und: Schon vor fünfzig Jahren mußte die falsche Behauptung, die Einzelpraxis sei überholt, als Begründung für die Forderung nach Ambulatorien her- halten — doch der „Klein-Gewer- bebetrieb" hat trotz der „Kampf- maßnahmen gegen die Ärzte"

überlebt.

Offensichtlich also hat das Ambu- latorium einen Bart wie Karl Marx.

Und es fällt schwer, die immer wie- der stereotyp auftretende Wieder- holung des Wortes „Ambulato- rium" heute nicht als bedingten Reflex zu deuten. bt

HÖRFUNK UND FERNSEHEN

Interessantes aus Sendereihen

(Gesundheitsmagazin Praxis).

ZDF, 3. 2., 20.15

Symposion über Alkoholismus (Kongreßbericht). Deutschland- funk, 3. 2., 22.05

Berufswege ohne Hochschule (Abiturient wohin?). ZDF, 4. 2., 17.10

Leberschäden und Leberproble- me (Die Sprechstunde). Drittes Fernsehen Nord, 4. 2., 18.45

Gesund schlafen (Die Sprech- stunde). Drittes Fernsehen Bay- ern, 4. 2., 19.15

Streß und Hetzarbeit als medizi- nisches Problem (Forum der Wissenschaft). RB II, 4. 2., 21.15

Evolution - Schöpfung ohne Ende (Wissenschaft und For- schung heute). Drittes Fernsehen Südwest, 7. 2., 21.00

Sonntag, 2. Februar

19.30: Trocken durch Glauben

—Die anonymen Alkoholiker. WDR III, Thomas Sartory

Die „Anonymen Alkoholiker" erregen mit ihren neuen psychologischen The- rapiemethoden und Intensivprogram- men zur Behandlung des Alkoholismus zunehmend Achtung und Anerkennung in der Suchtmedizin. Der Beitrag ver- sucht die Wirkung dieser „Anonymen"

aufzuspüren, die zu den erfolgreichsten Abstinenzverbänden der Welt gehören.

Bemerkenswert, daß der große Psycho- analytiker Carl Gustav Jung 1931 einen der späteren Gründer, der hoffnungslos dem Alkohol verfallen war, als unheil- bar aufgeben mußte.

20.30: Vermißte in der Bundesrepu- blik „Vermutungen über Wolfgang P.". NDR III, Carl Heinz Trinckler Unsere moderne Industriegesellschaft wird in ihrer Sozialstruktur und Büro- kratie immer unübersichtlicher und ver- leitet nicht wenige Menschen zum

plötzlichen Wechsel ihrer äußeren Le- bensformen. Dieses plötzliche Ver- schwinden in der Anonymität, dieses Sich-Herauslösen aus sozialen und fa- miliären Verpflichtungen hat in den USA schon bedenkliche Ausmaße er- reicht. Der Autor hat sich eines noch fast völlig unerforschten Themas in der Publizistik und Sozialwissenschaft an- genommen.

Montag, 3. Februar

18.45: In erster Linie schlafen

—Über das Feierabend-Verhalten von Industrie-Arbeitern. Drittes Fernse- hen Nord, Jürgen Schröder-Jahn 3,8 Stunden am Tage bleiben einem In- dustriearbeiter in einem Walzwerk wirk- lich als „Freizeit". Das deckt den klaf- fenden Widerspruch zwischen der an- geregten wissenschaftlichen Diskussion um Freizeit und der harten Wirklichkeit auf. Mit dieser Sendung beginnt eine fünfteilige Reihe über das Thema „Frei- zeit". Die weiteren Folgen werden sich mit dem Urlaubsverhalten junger Men- schen, mit der mangelhaften Vorberei- tung der Rentner auf den Freizeit-Über-

Tip der Woche

Der Titel des Fernsehfilms

„Grenzstationen: Skiflugschanze Planiza" läßt kaum erahnen, was sich dahinter verbirgt. Geboten wird kein 08/15-Sportfilm, son- dern eine sorgfältig aufbereitete filmische Analyse über Todes- angst und Körperekstase sowie über eine Sportanlage, die nur dem Weltrekord dient und nicht mehr berechenbar ist. Es ist ein Film über eine physisch-psychi- sche „Grenzstation" und den besten Skiflieger, den es je ge- geben hat: Den Schweizer Wal- ter Steiner, 22 Jahre alt, von Beruf Bildschnitzer. Steiner gibt zu, daß er das Gefühl habe, sich in eine Arena hinunterzu- stürzen, wo 70 000 darauf warten,

„daß ich zerschelle". Er hat Angst, er spricht vom „Erpro- ben des Todes". Und dennoch springt er, trainiert fleißig, springt zur Schau und zum Nervenkitzel der Massen und zur Bestätigung des eigenen Ichs. (ARD, 2. Fe-

bruar, 21.55). HC

Hörenswert — Sehenswert

250 Heft 5 vom 30. Januar 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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