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Archiv "Ärztestreik und Ambulatorien" (23.05.1997)

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zinische Gesellschaft und der Frank- furter Ärzteverein, dessen Vorsitzen- der Victor Cnyrim sich zum Sprecher der Ablehnungsfront machte und eine Ärzteordnung überhaupt ab- lehnte.

Der schließlich auf dem Ärztetag von 1882 verabschiedete Entwurf be- inhaltete Kriterien für die Zulassung als Arzt bzw. für den Approbations- entzug, legte die Rechte und Pflichten der Ärzte fest, lieferte Vorgaben für die Einrichtung von staatlich aner- kannten Standesvertretungen sowie von ärztlichen Ehren- und Schiedsge- richten. Das angestrebte Ziel war mit- hin nicht die Unabhängigkeit vom Staat, sondern die Mitbestimmung. In diesem Sinne reflektierte der Entwurf die Hinwendung zum Staat in den nachliberalen Jahrzehnten des Kai- serreichs: Er suchte Rückendeckung zur Durchsetzung standespolitischer Ziele. Dies entsprach einem Zeit- trend, der von den liberalen Prinzipi- en der Gewerbeordnung immer wei- ter wegführte, hin zum Protektionis- mus und Wiederanknüpfen an zünft- lerische Bestrebungen, wie sie eben- falls durch den Übergang vom Frei- handel zum Schutzzoll in der Wirt- schaftspolitik gefördert wurden.

Ablehnung Bismarcks

Auch die politischen Institu- tionen waren keineswegs einer Mei- nung. Nach jahrelangen Diskussio- nen, in deren Verlauf der Reichstag Zustimmung signalisierte, zahlreiche deutsche Länder jedoch eine reichseinheitliche Regelung ablehn- ten, entschied sich im Jahre 1889 Reichskanzler Bismarck definitiv ge- gen eine Deutsche Ärzteordnung.

Vielmehr sollten die staatlich aner- kannten ärztlichen Interessenvertre- tungen – soweit Bedarf bestünde – auf einzelstaatlicher Ebene ausgebaut werden. Dieser Weg wurde in der Fol- gezeit beschritten, so daß am Ende des Kaiserreichs der Großteil der deutschen Länder über solche Ein- richtungen verfügte. Dabei drängte die Ärzteschaft vor dem Hintergund der steigenden Medizinerzahlen und der schwachen Verhandlungsposition gegenüber den Krankenkassen ver- stärkt auf die Übertragung von Diszi-

plinarbefugnissen. Besonders heftig wurde in diesem Zusammenhang über die Einrichtung von Ehrenge- richten in Preußen gestritten, die schließlich 1899 erfolgte. Widerstand regte sich vor allem auf seiten der So- zialdemokratie und der Krankenkas- sen sowie der Naturheilbewegung, die – nicht zu Unrecht – die Instrumenta- lisierung der Ehrengerichte zur Aus- schaltung gegensätzlicher standespo- litischer und fachlicher Meinungen befürchteten. Munition dafür liefer- ten nicht zuletzt die Standesvertreter selbst, wenn sie, wie der Vorsitzende Graf in einer Eingabe 1895, eine straf- fere Organisation der Ärzteschaft in

Preußen damit rechtfertigten, „dass das Gift der Sozialdemokratie mehr und mehr in die Reihen der Aerzte eindringe“. Weniger prominente Kol- legen wählten noch drastischere Wor- te: Ein anonymer Autor forderte 1900 einschneidende gesetzliche Änderun- gen, denn die Ärzte wollten „keine Dienstmänner der rothen Internatio- nale sein“, sondern vielmehr „das Recht haben, im Quarré zu stehen, an dem sich die rothe Gefahr zerschellen soll“. Trotzdem gelang es den Stan- desvertretern, bis zum Ersten Welt- krieg in den meisten deutschen Län- dern eine staatlich anerkannte Ehren- gerichtsbarkeit durchzusetzen.

A-1420 (48) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997

T H E M E N D E R Z E I T DAS BESONDERE BUCH

D

ie Jahre 1923 und 1924 treten in der Geschichte der ärztlichen Standesorganisationen in der Weimarer Republik besonders hervor, und wieder war ein Streik der Ärzte das äußerlich auffallendste Ereignis.

Zum 1. Dezember 1923 rief der Leipzi- ger Verband zum Streik der niederge- lassenen Kassenärzte auf, der bis zum Januar 1924 dauern sollte und auch breit befolgt wurde. Es war der letzte große und überaus öffentlichkeitswirk- same Konflikt dieser Art. Anders als im Jahre 1919 aber verweigerten die Ärzte die Behandlung ihrer Patienten nicht grundsätzlich, sie verlangten von den Kassenpatienten lediglich soforti- ge Barzahlung. Ebenfalls anders als im Jahre 1919 ging es in dieser politisch wieder aufgewühlten Zeit nicht um all- gemeinpolitische Fragen, sondern, wie vor dem Ersten Weltkrieg, im Prinzip erneut um die Selbständigkeit der ärzt- lichen Berufsausübung, Fragen der Vergütung und um das Machtverhält- nis zwischen Ärzteschaft und Kran- kenkassen. Mit anderen Worten: Der Streik deckte die ganze Palette ärztli- cher Standesinteressen ab.

Daß es zum Streik kam, hatte ver- schiedene Ursachen. Zum einen war das Berliner Abkommen ausgelaufen und keine Einigung über eine Verlän- gerung in Sicht. Deshalb griff der Staat auf dem Verordnungsweg in das Ver- hältnis zwischen den Krankenkassen und den Ärzten ein, was von seiten der Kassen lediglich als Fortführung des Abkommens von 1913 in Form einer Überführung großer Teile in die Reichsversicherungsordnung angese- hen, von ärztlicher Seite hingegen als dessen grundsätzliche Veränderung interpretiert wurde.

Konflikt mit Krankenkassen

Zum anderen waren die Kranken- kassen – bedingt durch die Inflation – gegenüber den Ärzten mehrfach in Zahlungsschwierigkeiten gekommen, u. a. weil die Arbeitgeberbeiträge nur vierteljährlich und damit bereits ent- wertet bei ihnen eingingen. Mehrfach hatte die Ärzteschaft deshalb bereits mit Streik gedroht, hatte doch auch sie, zumal die selbständig praktizierenden

Ärztestreik und Ambulatorien

Eberhard Wolff

Mit dem Berliner Abkommen vom Dezember 1913 war den ärztlichen Spitzenverbän-

den ein erster Einbruch in die bisherige Zulassungsautonomie der Krankenkassen ge-

lungen. Die Bestimmungen des Abkommens bedeuteten einen wichtigen Schritt hin zu

kassenärztlichen Kollektivverträgen. Nach Ablauf des für einen Zeitraum von zehn

Jahren geschlossenen Abkommens kam es erneut zu heftigen Auseinandersetzungen.

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Kollegen, unter den Folgen der Inflation zu lei- den.

Eigentlicher Auslöser des Streiks war die Verordnung, die die Regierung Stresemann, ge- rade an die Macht gekom- men, auf dem

Höhepunkt der Wirtschaftskrise und Inflation im Oktober 1923 zugunsten der Krankenkassen erlassen hatte und die die freie Arztwahl wie auch sonsti- ge Freiheiten der ärztlichen Berufsaus- übung einschränkte. Vor allem erhiel- ten die Kassen Kompetenzen, Ärzte wegen unnötiger Behandlungen zu kontrollieren und entsprechende Richtlinien aufzustellen. Angesichts solcher beruflicher Einschränkungen befürwortete anfangs sogar der Verein Sozialistischer Ärzte diesen Streik.

Noch im Jahre 1928 nannte Karl Haedenkamp (1889–1955), einer der einflußreichsten ärztlichen Standespo- litiker dieses Jahrhunderts, die (bis da- hin noch nicht ganz zurückgenomme- nen) Maßnahmen „tiefeinschneidende Eingriffe“, die „das ärztliche Berufs- und Standesleben erschüttert“ hätten.

Reizthema Ambulatorien

Mit der Zeit jedoch änderte sich die hauptsächliche Stoßrichtung des Streiks und wandte sich nun gegen die Krankenkassen. Diese hatten auf den Ausstand der Ärzte mit einem effizi- enten Gegenmittel geantwortet, in- dem sie nämlich an einigen Orten, vor allem in der Reichshauptstadt Berlin, eigene therapeutische Einrichtungen eröffneten. In diesen sogenannten

„Ambulatorien“ waren Ärzte unter- schiedlicher Fachrichtungen von den Krankenkassen direkt angestellt wor- den. Im Gegenzug behandelten die streikenden Ärzte nun keine Mitglie- der von Krankenkassen mehr, die Am- bulatorien betrieben.

Ihre gesundheitspolitische Stoß- richtung war es vor allem, die die Am- bulatorien zu einem weiteren „roten Tuch“ der ärztlichen Standespolitik machte. Die von angestellten Ärzten

ausgeübte ärztliche Ambulanz stelle, so Haedenkamp 1928, eine „Vernich- tung der Selbständigkeit des Arztes“

dar und bedeute die Aufgabe der ärzt- lichen „Berufsidee“. Darüber hinaus seien sie vom damaligen Hauptgegner der Vertreter des freien Arzttums, den Krankenkassen, angestellt und damit von diesen mehr oder weniger abhän- gig. Schließlich seien die Ambulatori- en ein weiterer Schritt hin zu einer Entwicklung, an deren Ende wieder- um nur das verstaatlichte Gesund-

heitssystem stehen könne. Aus diesen Gründen war die Beseitigung der Am- bulatorien eine der wichtigsten Aufga- ben der ärztlichen Standesverbände.

Ein Riß durch die Ärzteschaft

Der Kampf der großen Standesor- ganisationen richtete sich indes nicht allein gegen die Kassen und ihre Ein- richtungen, sondern gleichzeitig gegen die Berufskollegen, die dort arbeite- ten. Diesen sogenannten „Nothelfern“

wurde vorgeworfen, als Streikbrecher aufzutreten und die ärztlichen Interes- sen zu mißachten. Es gab z. B. Versu- che, die Ambulatoriumsärzte aus den Mitgliedsvereinen des Ärztevereins-

bundes auszuschließen. Dies allerdings machte lediglich deutlich, daß unter der Ärzteschaft offensichtlich zuneh- mend unterschiedliche Vorstellungen darüber bestanden, was denn die ärzt- lichen Interessen seien. Mit anderen Worten: Es existierten unter ihnen zwei gesundheitspolitische Lager. Wie bereits anhand der Auseinanderset- zungen während des Ersten Weltkriegs gesehen, stellte der Ärztestand mit sei- ner stetig anwachsenden Zahl an Be- rufsvertretern hinsichtlich seines be- ruflichen und wirtschaftlichen Status sowie seiner gesundheits- und allge- meinpolitischen Interessen immer we- niger eine Einheit dar.

Die Ambulatorien waren in der Tat mehr als nur ein Kampfinstrument der Krankenkassen gegen den Ärz- testreik. Sie waren ein herausragendes Symbol gesundheitspolitischer Ziel- vorstellungen der linken Parteien, und so wurden sie zum Kristallisationskern einer Gesundheitspolitik, die sich der Politik der großen Ärzteverbände ent- gegenstellte. Nach den sozialpoliti- schen Vorstellungen linker Parteien wie der Sozialdemokratie sollte der Staat ebenso fürsorglich wie patriar- chalisch mittels eines zentralisierten Gesundheitssystems über die Gesund- heit des einzelnen wachen.

Für die sozialmedizinisch enga- gierten Ärzte dieses Lagers war der angestellte Arzt – zum Beispiel am Ambulatorium – ein alternatives Be- rufsmodell, und entsprechend arbeite- ten hier häufig sozialdemokratische oder kommunistische Ärzte. Viele von ihnen hatten ein berufliches Selbstver- ständnis, das sich recht grundsätzlich von dem der großen Standesvertre- tungen unterschied. Im Vordergrund stand hier nicht so sehr der hohe ge- sellschaftliche Status und die Freiheit des einzelnen Arztes sowie die Auto- nomie des ganzen Berufsstandes gegenüber der nichtärztlichen Öffent- lichkeit. Im Gegenteil legten diese Ärzte, so Haedenkamp 1928, „unse- ren Wunsch nach Selbstbehauptung, Selbstbestimmung und Selbstdisziplin als Kastengeist und Standesdünkel“

aus. Wesentliches Merkmal ihrer ärzt- lichen Berufsauffassung war die Ein- bindung des Arztes in eine allgemeine gesundheitspolitische Konzeption, in der der Staat für das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger Sorge trägt.

A-1421 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997 (49)

Julius Moses (1868–1942 KZ Theresienstadt), in der Weimarer Republik enga- gierter Gesund- heitspolitiker und Kontrahent der großen Stan- desorganisatio- nen (Foto-Pri- vatarchiv Prof.

Dr. K. Nemitz) Blick in einen Wartesaal des Ambulatoriums Berlin-Alexanderplatz, um 1928

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