[68] Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 14, 7. April 2000
S C H L U S S P U N K T
Post Scriptum
A
uf Kosten der Gesundheit gab es die „eingenistete Heilkunde“, die – so der Schwabacher Amtsarzt Dr. Franz Kreitner 1850 – „ge- gen jede Krankheit ein unfehlbares Heil- mittel kannte“. Der Markt Erlbacher Kol- lege führte den Hang der bäuerlichen Be- völkerung zu Badern und anderen Heils- bringern auf „die Scheu vor ärztlichen und Apothekerrech- nungen und leider dieUnwirksamkeit vieler ärztlicher Heilversu- che“ zurück. Zudem war der Aberglau- be noch stark ver- breitet: „Kropf und Cretinismus wurden auf Gipslager und kalkhaltiges Wasser, Rheumatismus und Gicht auf ungünstige Windeinfälle zurück- geführt.“
Aus Schillings- fürst wird berichtet, dass „mehr als die Hälfte der Verstorbe- nen aus Armuth, aber auch theilweise aus
Geiz keine ärztliche Be- handlung erfahren hat“.
Und die Einstellung war auch in Beilngries nicht an- ders: „Bei Säuglingen trö- stet man sich, dass man ih- nen sowie nicht viel helfen kann, weil sie nicht spre- chen können und sie oh- nehin gleich in den Himmel kommen.“ Die Landfrauen waren reserviert gegenüber dem Arzt: „Weibervorur- theile haben schon viele Kinder ins Grab gebracht und Arztes Hülfe wird für den kränklichen Kleinen selten oder gar nicht ge- sucht.“ Die Ursachen der Kindersterblichkeit waren einfach „göttliche Vorse- hung“. 40 Prozent der Kin- der starben damals in Bay- ern bereits im ersten Jahr, und die Hälfte der Kinder erlebte das 14. Lebensjahr nicht. Häufige Todesursa- chen waren Konvulsionen, toxische Entzündungen, Ner- venfieber, Auszehrung und Wassersucht. Werner Falk
Physikatsberichte
„„A Arrzztteess H Hüüllffee w wiirrdd sseelltteenn ggeessuucchhtt““
Die Historikerin Edeltraud Loos hat kürzlich die „Physikatsberichte“ der Gerichtsärzte (vergleichbar mit den späteren Chefs der staatlichen Ge-
sundheitsämter) in Mittelfranken wis- senschaftlich aufgearbeitet und ihr Er- gebnis imJahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken veröffentlicht.
Charles-Emile Jacques karikierte die Hydrotherapie (um 1880).Foto: National Library of Medicine, Bethesda, Maryland
W
ährend ich gerade die- sen Börsebius schrei- be, schwitzen Börsen- zocker allerorten Blut und Wasser. Der Neue Marktin- dex Nemax, das hoch gejubel- te Segment für Wachstums- werte, fiel in den letzten drei Stunden um fast 10 Prozent.Nach alter Sprachregelung al- so ein veritabler Börsencrash.
Selbst Infineon tauchte soeben unter die Marke von 60 Euro. Blankes Entsetzen bei denen, die Kurse von weit über 100 Euro vorhersagten.
Aber auch viele unerfahrene Anleger, die blauäugig mein- ten, es ginge mit dem Börsen- zug immer weiter nach oben, starren verwundert auf die Kurstafeln in den deutschen Börsensälen. Nicht wenige In- vestoren, die ihre Wertpapier- deals über Kredit finanziert haben, erhielten schon den dezenten Hinweis ihrer Bank, Kapital nachzuschießen, das sie natürlich nicht haben.
Zwangsverkäufe drohen also.
Dabei haben manche Banker kaum Hemmungen, die Kun- den weiterhin auf die High- tech-Linie einzuschwören. In ihrer jüngsten Studie soll die Deutsche Bank für die Neu- emission T-Online einen ange- messenen Wert von 50 Euro ermittelt haben. Eine Chuzpe ohnegleichen, falls durch sol- che gewagten Prognosen die Kunden zum Zeichnen verlei- tet werden sollen. Fundamen- tal trägt die Telekom-Tochter nie und nimmer eine solche Bewertung.
Ich höre auch von mehre- ren Instituten, die den Infine- on-Geschädigten, die bei der Emission nicht berücksichtigt wurden, zum Einstieg in ihre
hauseigenenen Technologie- oder Internetfonds raten. Mir liegt im Übrigen auch ein Brief der Kreissparkasse Köln an eine Kundin vom 24. März vor.
Mit der Überschrift „Kei- ne Zuteilung bei Infineon Technologies AG! Zum Glück?“ wird der völlig über- raschten Anlegerin – unge- fragt – der Einstieg in den Fonds Deka-Technologie CF/
TF empfohlen. Dies sei auch deswegen so attraktiv, weil man sich dann den „Stress“
und so manchen Ärger bei ei- ner Aktien-Neuemission er- sparen könne.
Bei allem Verständnis für Cleverness halte ich solche Werbebriefe für durchaus un-
anständig. Wo die Chancen riesengroß, sind es die Risi- ken eben auch. Die Kunden haben auch einen Anspruch darauf, darauf hingewiesen zu werden. Wenn dann in sol- chen Mailings kein Wort dar- über verloren und nur noch gejubelt wird, entspricht das einfach nicht dem Verhalten eines ehrbaren Kaufmannes.
Dabei ist an der Börse der- zeit alles, was mit Internet, Telekommunikation oder Biotechnologie zu tun hat, hochgradig gefährdet. Das Verlustpotenzial schätze ich mit aktuell 30 bis 40 Prozent derzeit deutlich höher ein als die kurzfristigen Chancen.
Es scheint an der Zeit, sich wieder auf solide Titel der „old economy“ zu besin- nen. Dazu gehören meines Erachtens RWE, Schering, Degussa-Hüls und Henkel.
Diese Aktien eignen sich gut als Rettungsleine in stürmi- scher See. Börsebius