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Archiv "AIDS in den Vereinigten Staaten: Aktuelle medizinische und psychosoziale Aspekte" (21.01.1988)

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Abbildung: Infektionsbereites HIV-I am Rande einer Zelle. Man beachte die Hüllenproteine und den zentralen Teil, der die Ribonuldeinsäure und die reverse Transicriptase enthält.

Endvergrößerung: 135 000x.

Foto: Robert-Koch-Institut, Berlin

Rudolf Gross

AIDS in den Vereinigten Staaten

Aktuelle medizinische

und psychosoziale Aspekte 42 ie

chon vorab läßt sich sagen,

daß es innerhalb der Ver- einigten Staaten von Ame- rika noch keineswegs ein- heitliche medizinische, rechtliche oder ethische Richtlinien bezüglich AIDS gibt (zum Beispiel 1987: 437 verschiedene Verordnungen in 48 von 50 Staaten!) — ja, daß man gera- de im Begriff ist, den Erfolg der un- terschiedlichen medizinischen, so- zialen und psychologischen Maßnah- men zu vergleichen, daß ferner die Aufgliederung der Risikogruppen stark schwankt (zum Beispiel in Los Angeles in der ersten Mitteilung 1981 über 80 Prozent Homo- oder Bisexuelle, in New York 17 bis 30 Prozent Fixer).

Wohl alle deutschen Teilnehmer der einwöchigen Studienreise nach Kalifornien waren stark beeindruckt von dem persönlichen Engagement vieler Freiwilliger und den starken psychosozialen Bemühungen, die Epidemie in den Griff zu bekom- men. Selbstverständlich können in diesem Bericht aus den vielen Daten und Erfahrungen nur einzelne, US- spezifische herausgehoben werden.

1. Epidemiologie

Nach der neuesten Aufstellung der Centers for Disease Control (CDC) in Atlanta, Georgia, waren bis 1986 in den USA 29 000 Perso- nen an AIDS erkrankt, davon 16 300 verstorben. Die noch unvoll- ständigen (15. Oktober) Zahlen für 1987 kommen auf 47 300 AIDS- Kranke mit 26 200 Todesfällen. Für 1991 wurde ein Erwartungswert von 270 000 Kranken und 178 000 Ver- storbenen angenommen. Man er- wartet für 1991, daß landesweit 2 Prozent aller chirurgischen und in- ternistischen Betten, in New York rund 8 Prozent, in San Francisco rund 16 Prozent mit AIDS-Patienten belegt sein werden.

Die Zahl der Test-Positiven wurde sowohl für 1986 wie für 1987 mit 1,0 bis 1,5 Millionen angegeben (keine Schätzung für 1991!).

Per 30. November 1987 kamen die gleichen Quellen US-weit auf die folgenden Ursachen: (1) Homo- oder Bisexuelle: 65 Prozent, (2) Mißbrauch intravenöser Injektio- nen: 17 Prozent, (3) = (1) + (2): 8

Prozent zusammen zusätzlich, (4) Substitution bei Blutungsstörungen wie Hämophilie usw.: 1 Prozent, (5) heterosexuelle Übertragungen: 4 Prozent, (6) Blutübertragungen: 2 Prozent, (7) unbekannte Ursache: 3 Prozent. Für homosexuelle Jugend- liche wurden so differente Schätzun- gen wie 68 und 24 Prozent Infizierter genannt

Die Frage der Übertragung am Arbeitsplatz ist strittig: 10 Prozent aller amerikanischen Unternehmen verlangen vor der Einstellung einen negativen Test; 90 Prozent sind noch unentschieden.

Bis 50 Prozent der Kinder HIV- infizierter Mütter (und nur von die- sen!) bekommen AIDS, das sich dann im Unterschied zu den Er- wachsenen innerhalb weniger Mona- te manifestiert. Von den 40 000 bis 50 000 Fixern verwenden nach ame- rikanischen Angaben etwa 20 000 dieselben Nadeln, also eine Art von Ritual. Die Amerikaner halten des- halb wenig von den (zum Beispiel in Holland eingeführten) kostenlosen Abgaben von Einmal-Kanülen und -Spitzen. Nach der Meinung der Dt. Ärztebl. 85, Heft 3, 21. Januar 1988 (29) A-77

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Referenten ist AIDS in San Francis- co vorzugsweise eine Krankheit der Mittelklasse und der gehobenen Schichten bei den Homosexuellen.

2. Kosten

Die Kosten für einen AIDS- Kranken liegen bei 5000 bis 105 000 Dollar bei durchschnittlich drei bis fünf Krankenhausaufenthalten im Jahr mit einem jeweiligen Mittel von 10,7 Tagen. Die Krankenhauskosten liegen etwa fünf Prozent über dem Durchschnitt anderer Kranker, die Laborkosten um etwa 2,5 Prozent.

In San Francisco verteilen sich die Kosten auf private Bezahlungen

= 37 Prozent, auf „Medicare" (ge- setzliche Versicherung für über 65jährige) = 23 Prozent, auf „Medic- aid" (gesetzliche Versicherung für Mittellose) = 13 Prozent, auf die zum Teil staatlich subventionierten Krankenhäuser = 31 Prozent, auf andere, besonders auf das Versiche- rungssystem „Blaues Kreuz" =

3. Tests

Bis heute ist — wie bei uns — der Nachweis von Antikörpern der Test der Wahl, der aber in den ersten Wochen sowie in den Terminalsta- dien negativ sein kann. Neu ent- deckt werden Testpositive bei 16 Prozent aller Untersuchten; 84 Pro- zent sind negativ. Diese Zahlen sind ein Durchschnitt und ändern sich mit hoher Prävalenz, zum Beispiel bei den Homo- oder Bisexuellen.

48 Prozent der befragten Ärzte sind zur Zeit für einen allgemeinen obligaten Test. Bis heute ist aber, wie in der Bundesrepublik, der „in- formed consent" des Probanden er- forderlich. Auch besteht ärztliche Schweigepflicht, deren Umfang ebenso umstritten ist wie hier (zum Beispiel Information des Ehepart- ners, wenn der Testpositive die Wei- tergabe der Information an seine Ehefrau verweigert, und ähnliche Probleme).

Der ELISA-Test ist für den Pro- banden kostenlos und am gleichen Tag verfügbar (tatsächliche Kosten drei bis fünf Dollar). Im negativen

rund 15 Prozent (Zahlen durch Auf- teilung über 100 Prozent).

Die Kosten steigen stark an, wenn die neuen und wirksamen Me- dikamente zur breiten Anwendung kommen. „Medicare" und „Medic- aid" zahlen bei einer Betreuung zu Hause nur beschränkt, zusammen etwa 29 Prozent statt der erwarteten 40 Prozent, und von diesen Summen entfallen 85 Prozent auf fünf Staa- ten. Davis, Cleveland, schätzt die Gesamtkosten der USA für 1987 auf 1,1 Milliarden Dollar (= 1 Prozent der Gesundheitsaufwendungen), für 1991 auf 8 bis 11 Milliarden Dollar (= knapp 2,2 Prozent). Rund 47 Prozent der Kosten entstehen durch hoffnungslose Fälle. Angestrebt werden kostengünstigere besondere Zentren für AIDS-Kranke, die mit häuslicher Versorgung verbunden sind — ferner eine möglichst frühe Behandlung der Komplikationen.

Der bisherige Arbeitsausfall wird nach Schätzungen der Mobil Oil auf etwa 10 Milliarden Arbeitstage an- gesetzt.

Fall sollte er mindestens einmal nach vier bis sechs Wochen (eventuell mehrfach) wiederholt werden.

Empfindlicher und spezifischer, aber etwa doppelt so teuer und erst nach drei Tagen verfügbar, ist der sogenannte Western-Blot. In San Francisco wird in der Regel der etwa gleichwertige Immunfluoreszenz- Test durchgeführt. Die nicht selten falsch-positiven ELISA-Tests sollten (einmal und allein durchgeführt) nicht zu der (sonst obligaten) Auf- klärung des Probanden führen.

Umstritten ist, ob ein Chirurg den negativen Test zur Bedingung eines (nicht wegen Lebensgefahr dringlichen) Eingriffes machen darf.

Bis heute schützt sich das Opera- tions-Personal durch Kleidung, Mundschutz, doppelte (?!) Hand- schuhe, Augengläser Ähnlich wie in der Bundesrepublik werden in etwa die Vorsichtsmaßnahmen wie bei Hepatitis B eingehalten.

Infektionen im Krankenhaus gelten als selten. Gefährdet durch Nadelstiche sind vor allem „Help- coworkers" , wie Schwestern und Pflegepersonal. Von diesen verwei-

gert ein Teil die Arbeit an AIDS- Kranken — ein bemerkenswerter Ge- gensatz zu den vielen freiwilligen Helfern, die aus eigener Initiative AIDS-Kranke pflegen.

4. Krankheitsbilder

Nach der überwiegend über- nommenen Einteilung der CDC un- terscheidet man.

1. Akute Infektion vom Typ der Mo- nonukleose (rund 30 Prozent), 2. symptomfreie, test-positive Pro- banden,

3. persistierende Lymphadenopa- thien,

4. AIDS: Systemisch — Neurologisch

— Sekundärinfektionen — Tumoren — andere Erscheinungen

(1) bis (4) schließen sich nach dieser Systematik wechselseitig aus.

Neu und für die Frühdiagnose wich- tig ist, daß — neben dem typischen und vielseitigen ZNS-isolierten Be- fall — häufig (über 50 Prozent) frühe und passagere diskrete Symptome am Zentralnervensystem auftreten können, fast stets mit positivem Nachweis von Antikörpern im Li- quor.

Im Mittel tritt AIDS 2,5 Jahre nach der Infektion auf, andere Refe- renten kommen auf ein Mittel von 16 Monaten. Die Grenze nach oben ist noch nicht abzusehen. Die wahr- scheinlich längste, bisher beobachte- te Inkubationszeit beträgt fünf Jah- re. Von den Kranken in Chicago sind bei Infektion 1983 heute noch 20 Prozent, bei Infektion 1987 heute noch 70 Prozent am Leben. Die mittlere Überlebenszeit hat durch die moderne Behandlung um etwa ein Drittel zugenommen

An Komplikationen wurden in absteigender Reihenfolge genannt:

Pneumocystis-carinii-Pneumonie, Tuberkulose (einschließlich der durch Mycobacterium tuberculosis avium!), Cytomegalie (oft mit Cho- rioretinitis!), Kaposi-Sarkom (rück- läufig, auch von dem in Afrika endemischen Verlauf zu trennen), Pilzinfektionen, Toxoplasmose, Non-Hodgkin-Lymphome, seltener M. Addison, HVL-Insuffizienz, A-78 (30) Dt. Ärztebl. 85, Heft 3, 21. Januar 1988

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Abbildung: Eisenhower Medical Center in Rancho Mirage, Kalifornien. In dem Rundbau befindet sich das „Annenberg Center for Health Sciences"

Immunthrombozytopenie, Sepsis.

Gegen die gefährliche Pneumo- cystis-Pneumonie haben sich das py- rimethamin-haltige Fansidar® und Bactrim®= Trimethoprim + Sulfa- methoxazol unterschiedlich be- währt. Auffallend ist der starke Trend zur Inhalation von Pentami- din. Ob daneben die Substitution von Granulozyten oder T-Zell-Kon- zentraten hilfreich ist, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.

5. Chemotherapie

Die eigentliche, gegen das Virus selbst gerichtete Chemotherapie umfaßt neben länger bekannten Mit- teln wie Ribavarin zur Zeit vor allem das Azidothymidin (AZT = Ziuvi- din, hier: Retrovir®), dazu die be- kannten, in 2- und 3-Position substi- tuierten Nukleoside Adenosin und Thymidin.

Randomisierte und kontrollierte Studien liegen in Kenntnis des Be- richterstatters für AZT vor mit fol- genden Ergebnissen: Für AIDS-To- desfälle 1/145 (gegenüber 16/127 bei AZT-freien Kontrollen), für AIDS- related complex 0/60 (gegenüber 5/62 bei sonst gleich behandelten Kontrollen). AZT wird, wie die mei- sten bisher angewandten Mittel, oft nicht gut vertragen, so daß die kür- zeste Behandlungszeit wenige Wo- chen, die längste bisher bekannte über 24 Monate beträgt. Ob bei die- sem Ergebnis größere, zum Teil schon im Ausland im Versuch be- findliche Studien möglich sind, ist auch eine ethische Frage, zumal die später umgesetzten „Kontrollen"

nicht mehr so gut ansprechen.

6. Prävention

In den USA unterscheidet man zwischen „safe sex" (Monogamie, nur oberflächliche Küsse und ähn- liches) und „safer sex" = Benut- zung von Kondomen (bisher keine Zahlen über die Sicherheit vor In- fektionen, die bei korrekter Anwen- dung etwa bei > 90 Prozent liegen dürfte). Nach Angaben von Mrs.

Madison sollen auch die amerikani- schen katholischen Bischöfe im Hin-

blick auf die Epidemie der Anwen- dung von Kondomen zugestimmt haben.

Dextransulfat scheint das CD 4 (ein Rezeptorprotein auf T4-Lym- phozyten) zu besetzen und damit zu schützen.

Ob in absehbarer Zeit eine spe- zifische Vakzine gegen AIDS ent- wickelt werden kann, wird schon an- gesichts der hohen genetischen Va- riabilität des Virus bezweifelt. Selbst in den USA gilt die Zahl der für die Entwicklung eines Impfstoffs erfor- derlichen (sensiblen) Schimpansen als zu gering.

Über sichere HIV2-Infektionen wurde nichts mitgeteilt; dieser Erre- ger von AIDS soll „Afrika und die Affen" bevorzugen.

7. Psychosoziale Probleme

Wie in keinem anderen Land hat man sich in den USA dieser Sei- te der Epidemie angenommen

„Education" , „Confidence" ,

„Cooperation" sind ständig ge- brauchte Begriffe. In den amerikani- schen Zeitungen erschien 1980 keine einzige AIDS-Arbeit, 1987 waren es im Tagesdurchschnitt sieben.

AIDS wird als multidisziplinäres Problem angesehen — zur Zeit mehr als Pflegeproblem denn als ein medi- zinisches Problem. Die Eingliede- rung symptomfreier und testpositi- ver Personen in das Arbeits- und Gesellschaftsleben ist nicht leicht, die Isolierung im Freundeskreis bei Bekanntwerden der Infektion häu- fig. Wie schon betont, spielen die Hauspflege oder sogenannte „Hos-

pices" (in San Francisco allein 52 Gruppen professioneller und freiwil- liger Helfer und Helferinnen!) eine große Rolle. 500 Kranke kosten bei dieser Art der Pflege rund drei Mil- lionen Dollar/Jahr, von denen 47 Prozent vom Staat, der Rest aus pri- vaten Spenden stammen. Das Shan- ti-Projekt mietet Häuser für AIDS- Patienten mit vier bis fünf Zimmern, einer Küche, ein bis zwei Bädern mit einem Aufwand von etwa 17 Millio- nen Dollar im Jahr.

8. Resümee

Während im rein medizinischen Bereich (Testung, Therapie, Prä- vention) gegenüber der Bundesre- publik nur einiges Neue und eine bessere Systematik zu erkennen wa- ren, sollten wir uns ein Beispiel an der psychischen und sozialen Hilfe nehmen, die mit unvergleichlich grö- ßerem Einsatz betrieben wird Eini- ge Rechtsfragen sind auch in den USA offen und werden von Staat zu Staat verschieden gehandhabt (wie etwa die obligate Testung vor Einge- hen einer Ehe).

Professor Gelderblom vom Robert-Koch- Institut in Berlin sei herzlich für die elek- tronenmikroskopische Aufnahme eines ex- pandierenden AIDS-Virus, Herrn Verwal- tungsdirektor L. Greska/Dachau für die Überlassung von Fotogrammen aus Diapo- sitiven, den Virologen und Professoren Eggers/Köln und Maass/Münster für eine Durchsicht des Berichtes gedankt

Professor Dr. med.

Rudolf Gross

Herbert-Lewin-Straße 5 5000 Köln 41

85, Heft 3, 21. Januar 1988 (33) A-79 Dt. Ärztebl.

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