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s gibt in der Geschichte der Börsen nur ganz we- nige Spekulanten, die reich gestorben sind. Bern- hard Baruch, im Nebenberuf amerikanischer Präsidenten- berater, war so einer. Der starb schwerreich, und das meiste der Knete hat er zu- sammenspekuliert. Als er auf seinen phänomenalen Erfolg angesprochen wurde, sagte er schlicht: „Ganz einfach; ich habe immer zehn Prozent zu früh verkauft.“Sieh mal einer an! Welch Unterschied zu den heutigen Börsen-Assen, die immer ge- nau zu wissen glauben, wann es denn Zeit zum Aussteigen ist. Ich bin immer wieder ver- blüfft, daß viele Leute mei- nen, man könnte „rechtzei-
tig“ verkaufen; dann nämlich, wenn die Kurse zu fallen be- ginnen. Das kann allerdings so nicht klappen.
Erstens weiß man sowieso nicht, wann genau die Notie- rungen den Abflug beginnen, und zweitens induziert jede Welle nach unten die nächste.
So wie in Ehren ergraute Bör- sianer wissen, daß in guten Zeiten Kurssteigerungen sich aufschaukeln („geht Butter, geht Käse“), so gibt es eben auch kein Halten mehr, wenn der Börsenzug in die andere Richtung abdampft. Dann nährt die Baisse die Baisse.
Daß die hohe Kunst des Verkaufs naht und angemes- sen ist, zeigt sich im Großen wie auch im Kleinen. Daß der deutsche Aktienindex DAX
beispielsweise mit einem Sprung nach oben reagiert, weil die amerikanische Ar- beitslosenquote um 0,2 Pro- zentpunkte weniger stark als erwartet angestiegen ist, kann nur noch als Überhitzungsin- diz angesehen werden.
Oder aber, wenn dem Vor- stand eines Unternehmens die Interessen seiner Ak- tionäre völlig schnuppe sind und die Kurse dieser Gesell- schaft trotzdem (zu) hoch sind. So geschehen bei der Metallgesellschaft. Auf ei- nem Analystentreffen An- fang dieses Monats strotzte der Chef des Unternehmens nur so vor Arroganz. Dafür fehlte es aber an der nötigen Transparenz der Bilanzzah- len. Dem Börsenkurs würde
ich in den nächsten Monaten nicht über den Weg trauen.
Hochmut kommt be- kanntlich immer vor dem Fall. Den klugen Börsianer aber zeichnet ein Quentchen Bescheidenheit aus. Und das gebietet jetzt Vorsicht.
Langfristig bringt das sicher
mehr. Börsebius
[36] Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 8, 21. Februar 1997
S C H L U S S P U N K T
Post Scriptum
Das „Unwort“ des ver- gangenen Jahres heißt
„Rentnerschwemme“. Wie der Sprachforscher Horst Dieter Schlosser in Frank- furt am Main bekanntgab, wählte die von ihm geleitete Jury der „ Sprachkritischen Aktion“ das in der aktuellen Rentendebatte verwendete Wort unter rund 1 130 aus der Bevölkerung vorge- schlagenen Begriffen aus.
Das sprachliche Bild „Rent- nerschwemme“ vermittle den „falschen und inhuma- nen Eindruck, es handele sich bei der gestiegenen Zahl von Menschen, die An- spruch auf eine angemes- sene Altersversorgung ha- ben, um eine nicht vor- hersehbare Naturkatastro- phe, gegen die man sich mit ,unpopulären‘ Maßnahmen schützen müsse“.
Zur „Gesundheitsre- form“ erklärte die Jury, damit werde der allgemein positiv be- setzte Begriff „Re-
form“ mißbraucht, um eine tatsächliche Verschlechte- rung von gesundheitspoliti- schen Bedin-
gungen aus- zudrücken.
Auch „Um- bau des So- zialstaates“
sei als Bild aus dem Bauhand- werk falsch,
weil es positiv verstan- den werde. Ein Umbau ziele „in der Realität stets auf Verbesserungen und nicht auf Ein- schränkungen, die hinter dem politi- schen Schlagwort offen- bar ver- steckt werden sollen“. Die Jury rügte die Begriffe
„Flexibilisie- rung“ und
„Outsour- cing“ aus der Ar- beits- welt;
aus der
Debatte über den Umgang mit Straftätern stieß der
„Sprachkritischen Aktion“
der Ausdruck „Sozial- hygiene“ unangenehm auf, der an die von den Na- tionalsozialisten propagier- te „Rassenhygiene“ erinne- re und absolut unannehm- bar sei.
Die Wahl zum „Unwort des Jahres“ hatte in den vergangenen Jahren mehr- fach für Aufregung ge- sorgt. Im vergangenen Jahr hatten die Mitglieder der an der Frankfurter Goethe-Universität behei- mateten Aktion „Diätenan- passung“ zum „Unwort des Jahres“ gekürt, mit dem Bonner Politiker ihre For- derung nach höheren Be- zügen bezeichnet hatten.
In dem Gremium waren in diesem Jahr außer vier Sprachforschern als stän- dige Mitglieder die beiden Schriftsteller Bernd-Lutz Lange und Erich Loest
vertreten. afp
„Rentnerschwemme“
Unwort des Jahres 1996 Börsebius zu Aktien
Die hohe Kunst des Verkaufs
Leserservice: Börse- bius-Telefonberatung – Wie an jedem 1. Samstag im Monat können Sie auch am 1. März 1997 in der Zeit von 9 bis 13 Uhr Börsebius (Rein- hold Rombach) anrufen.
Wenn Sie also rund ums Geld der Schuh drückt, wählen Sie bitte die 02 21 / 35 15 87. Die ko- stenlose Telefonberatung ist ein spezieller Service des Deutschen Ärzte- blattes für seine Leser.