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Archiv "Chemotherapie: „Wir müssen belegen, dass wir gute Arbeit leisten“" (15.10.2004)

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wärtig noch nicht ausreichend evaluiert.

Dies gilt sowohl bezüglich der Frage, wie zuverlässig der Schutz des Patienten un- ter dieser Kombination tatsächlich ist, als auch dafür, inwieweit der gastroin- testinale Sicherheitsgewinn hierunter wieder reduziert wird. Bedenkt man, dass belastende Daten bisher nur bei Langzeiteinnahme gefunden wurden, in der Realität aber die Mehrheit der Pati- enten mit RA und Arthrose Coxibe nicht in fixer Dosis über zwölf oder 18 Monate nimmt, sondern bedarfsweise, dann erscheint es verwunderlich, wenn beim derzeitigen Kenntnisstand Exper- ten aus den Studienergebnissen und Verschreibungszahlen in ungewohnt un- wissenschaftlicher Weise spektakuläre Zahlen von betroffenen Patienten und Todesfällen hochrechnen, die von der Regenbogenpresse sofort aufgegriffen werden („Schmerzmittel-Skandal – Hunderte Tote in Deutschland?“).

Verfolgt man die Pharmabranche in den letzten Jahren, fällt auf, dass Inno- vationen in zunehmendem Maße mit Hindernissen und Risiken zu kämpfen haben, die die Entwicklung zu einem Glücksspiel werden lassen. Auf der ei- nen Seite sind die Erfordernisse für die Entwicklung neuer Medikamente im- mer höher geschraubt worden. Rund 800 Millionen Dollar sind heute pro Neuentwicklung zu veranschlagen. Auf der anderen Seite droht das US-Rechts- wesen den Pharmakonzernen mit Scha- densersatzansprüchen in Milliarden- höhe. So bleibt der „lange Atem“ für die Weiterentwicklung einer Substanz und den Erkenntniszuwachs bezüglich der optimalen Anwendung immer mehr auf der Strecke; Blitzentscheidungen wie bei Rofecoxib sind die Folge.

Viele der Substanzen, welche heute als unverzichtbar oder gar Goldstan- dards gelten, hätten vermutlich keine Überlebenschance, würde ihre Neuent- wicklung in die Gegenwart versetzt.

Methotrexat, in der Rheumatologie das unumstritten führende Basistherapeu- tikum, wurde in der Anfangszeit in viel zu hoher Dosierung verwendet, drama- tische (zum Beispiel hepatische) Ne- benwirkungen mit Todesfällen waren die Folge. Es benötigte rund zwei Jahr- zehnte, um die optimale Anwendungs- weise der Substanz zu finden und ihren tatsächlichen Wert zu erkennen.

Heute würde die Substanz wohl die Zulassung nicht erreichen oder nach kürzester Zeit vom Markt genommen.

Ein ähnliches Schicksal wäre sicherlich den nach wie vor unentbehrlichen Cor- ticoiden, mit einem breiten Spektrum an Risiken versehen, vorbehalten. Glückli- cherweise besitzen die einzelnen Coxibe aufgrund vorhandener therapeutischer Alternativen nicht den Unverzichtbar- keitsstatus der genannten Substanzen, die Rofecoxib-Blitzentscheidung wird die Patienten daher langfristig nicht ent- scheidend benachteiligen. Grundsätz-

lich jedoch wächst die Befürchtung, dass heute Substanzen verschwinden, bevor ihr Nutzen und die optimale Anwen- dungsweise überhaupt erkannt sind, oder – schlimmer noch – die Neuent- wicklung von Medikamenten bei Abwä- gung von Erfolgsaussicht und Risiken irgendwann einmal als nicht mehr loh- nend angesehen werden könnte.

Prof. Dr. med. Klaus Krüger Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Sektion Pharmakotherapie

St. Bonifatius Straße 5, 81541 München E-Mail: klaus.krueger@med.uni-muenchen.de M E D I Z I N R E P O R T

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A2790 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4215. Oktober 2004

P

rof. Dr. med. Dieter Hölzel hält mit seinen Ansichten des Öfteren nicht hinter dem Berg. Der aktuelle Be- richt seines Krebsregisters ist dafür ein gutes Beispiel. Die Einführung der Disease-Management-Programme und Brustkrebsfrüherkennung kommentiert der Leiter des Tumorregisters München mit Sätzen, die bei vielen Fachleuten Zu- stimmung finden würden. Dass der Epi- demiologe Hölzel jetzt aber ins Zentrum eines Streits vor allem mit Onkologen ge- raten ist, liegt an dem Kapitel auf Seite 55 des Berichts (www.krebsinfo.de). Dort versucht er anhand von Patientendaten aus der Region München die Frage zu beantworten, ob es in den letzten 20 Jah- ren Behandlungsfortschritte bei häufi- gen metastasierten Krebserkrankungen gegeben hat. Und seine Antwort ist für Brust-, Lungen-, Prostata- und kolorek- tales Karzinom ein klares „Nein“.

„Die Überlebenskurven der Patien- ten vor 1990 und ab 1991 sind praktisch deckungsgleich“, sagt Hölzel, „wir kön- nen keinen Fortschritt feststellen.“ Seine provokante Schlussfolgerung hat Hölzel

auch dem Magazin Spiegel erläutert, das daraus die generelle Nutzlosigkeit der Chemotherapie bei vielen fortgeschrit- tenen Tumoren folgerte. Auch wenn der Artikel mit dem Titel „Giftkur ohne Nutzen“ die Kritik ausdrücklich auf die Therapie metastasierter Tumoren ein- schränkt, hat er viele Ärzte aufgebracht.

Dabei geht es auch um die grundlegende Frage, welche Schlussfolgerungen sich aus Hölzels Daten überhaupt ziehen las- sen. Der Gynäkologe Prof. Dr. med.

Michael Untch (Universität München) von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkolo- gische Onkologie (AGO) glaubt nicht, dass Hölzels Daten zur Beurteilung der Chemotherapie taugen: „Wir müssen uns zuerst anschauen, wie diese Daten erhoben wurden“, sagt er.

Doch Hölzels Daten sind durchaus ernst zu nehmen. Das Münchner Krebs- register gilt als das beste Deutschlands, weil es epidemiologische mit klinischen Daten verknüpft. Hölzel hat ausgewer- tet, wie lange Patienten nach der Dia- gnose von Metastasen überlebt haben.

Nach fünf Jahren leben je nach Tumor

Chemotherapie

„Wir müssen belegen, dass wir gute Arbeit leisten“

Onkologen und Gynäkologen warnen vor pauschalen

Schlussfolgerungen aus Daten des Tumorregisters München

zu metastasierten Karzinomen.

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zwischen fünf (Bronchialkarzinom) und 20 Prozent (Mammakarzinom) der Patienten, daran hat sich seit Anfang der 80er-Jahre nichts geändert. Tatsäch- lich bezweifelt niemand den Verlauf der Kurven, der Streit geht aber darum, welche Schlussfolgerungen man daraus ziehen kann. „Wir müssen der Frage nachgehen, warum sich am Überleben der Patienten nichts geändert hat, ob- wohl der medizinische Aufwand immer weiter zunimmt“, sagt Hölzel.

Das Problem ist allerdings, dass sol- che historischen Vergleiche grundsätz- lich nicht zur Anschuldigung einzelner Ursachen taugen, weil sich immer viele Faktoren überlagern. Dass es auf Details ankommt, zeigt das Beispiel Brustkrebs.

Nach Hölzels Daten sind seit 1991 die Frauen nach Metastasierung sogar eini- ge Wochen schneller gestorben: Eine Hypothese ist, das könne an der Toxizität der zunehmend häufiger eingesetzten Chemotherapie liegen. Untch vermutet einen ganz anderen Grund: 1995 wurden in Deutschland die Mammakarzinom- Nachsorgerichtlinien geändert.

Positive Studien

Bis dahin wurden Frauen mit Brust- krebs ein- bis zweimal im Jahr mit Ul- traschall, Röntgen und Szintigraphie kontrolliert, ein Teil der Absiedlungen wurde also gefunden, bevor sie Sym- ptome machten. Doch 1995 wurde die apparative Nachsorge aufgegeben, weil sie die Überlebenschancen nicht ver- bessert hatte. Das lege nahe, dass Meta- stasen seitdem später entdeckt würden, nämlich erst, wenn sie durch Symptome auffallen, sagt Untch. „Somit wird die Frist zwischen Diagnose einer Metasta- se und Tod zwangsläufig kürzer.“

Auch bei den anderen von Hölzel un- tersuchten Tumoren komme es auf De- tails an, sagt Prof. Dr. med. Michael Bam- berg, Präsident der Deutschen Krebsge- sellschaft: „Es existieren diverse Phase- III-Studien, die die Wirksamkeit der Che- motherapie bei metastasierten, fortge- schrittenen Organkarzinomen belegen.“

Auch Prof. Dr. med. Ulrich Abel von der Universität Heidelberg, der vom Spiegel als Kronzeuge gegen die Che- motherapie zitiert wird, verweist ge- genüber dem Deutschen Ärzteblatt auf

solche neueren Studien. Seine im Spie- gel wiedergegebenen Zitate stammten laut Abel aus einer Analyse von 1995, die er selbst heute als „überholt“ ein- ordnet: „Das hatte ich dem Spiegel auch vor Abdruck des Artikels gesagt.“ Die Frage, ob eine Therapie das Leben ver- längert, könnten nur randomisierte kon- trollierte Studien beantworten. Beim metastasierten Mammakarzinom gebe es gerade seit etwa 1995 „entscheidende Fortschritte“, sagt Prof. Dr. med. Man- fred Kaufmann (Frankfurt/Main) für die AGO. So zeigen Studien, dass bei metastasiertem Brustkrebs durch Che- motherapie das mediane Überleben um drei bis neun Monate verlängert werden kann. Sowohl bei metastasiertem, nicht- kleinzelligem Bronchialkarzinom als auch bei kolorektalem Karzinom gibt es ei- nen Zeitgewinn von einigen Wochen.

Gerade letzte Woche sind im New England Journal of Medicine zwei Stu- dien erschienen, die zum ersten Mal ei- ne Lebensverlängerung bei metastasier- tem Prostatakarzinom belegen. Aller- dings zeigen gerade diese Studien das Dilemma der Chemotherapie. In einer Studie (NEJM 2004; 351: 1513) waren 338 Patienten mit Docetaxel und Estra- mustin, 336 mit Mitoxantron und Pred- nison behandelt. Die Zeit, bis die Hälfte der Patienten verstorben war, betrug in der Mitoxantron-Gruppe etwa 470 Tage, in der Docetaxel-Gruppe 530 Tage. Und auch diesen kleinen Zeitgewinn hatte nur eine Minderheit der Behandelten:

Nach zwei Jahren waren in der Taxan- Gruppe 67 von 100 Patienten gestorben, in der Mitoxantron-Gruppe waren es 73 von 100; nach vier Jahren waren in bei- den Gruppen fast alle Patienten verstor- ben. Solche Zahlen beschreiben nüch- tern die Bilanz der Chemotherapie.

„Ein metastasiertes Mammakarzinom ist nicht heilbar“, sagt Untch, „wir sagen unseren Patientinnen auch, dass wir ih- nen nicht versprechen können, dass die Therapie ihr Leben verlängert.“ Vor- rangiges Ziel der Behandlung sei des- halb die „Linderung von Beschwer- den“, ergänzt Kaufmann, um die Le- bensqualität zu erhalten.

Doch auch wenn die Therapien nur einer Minderheit das Leben verlängern, hat jeder Patient die Hoffnung, dass ge- rade er zu dieser Minderheit gehört. Of- fen ist allerdings, ob Patienten ehrlich über die Bilanz aufgeklärt werden und ob eine Änderung der Aufklärung den Umgang mit Chemotherapie verändern würde.

Obwohl Hölzels Analysen nicht be- weisen können, dass die Chemothera- pie bei Metastasen nutzlos ist, werfen sie ernste Fragen nach dem Umgang damit auf. Das Beispiel Hodenkarzi- nom zeigt, dass es selbst bei Therapien, die sich in Studien als lebensrettend er- weisen, Jahre dauert, bis sie breit an- gewendet werden (DÄ, Heft 39/2004).

Die Verzögerung hat in den 80er- Jahren etwa 1 000 Männern das Leben gekostet.

Es stelle sich die grundlegende Fra- ge, ob die „Patienten entsprechend den Leitlinien mit den modernen Zytostati- ka behandelt“ wurden, kritisiert der Se- kretär der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, Prof. Dr.

med. Mathias Freund (Universität Ro- stock). Untch ist angesichts des Kosten- drucks skeptisch, dass die Bedingungen für die Einhaltung von Therapiestan- dards besser geworden sind. Deshalb sei es durchaus möglich, dass von dem in Studien nachgewiesenen Nutzen einer Chemotherapie tatsächlich im breiten Einsatz kaum noch etwas zu sehen ist.

Gerade weil es Beispiele für Qualitäts- mängel gebe, reiche es nicht aus, Analy- sen wie die von Hölzel nur entrüstet ab- zulehnen. „Wir müssen in die Offensive gehen“, sagt Untch, „und aktiv belegen, dass wir gute Arbeit leisten.“ Klaus Koch M E D I Z I N R E P O R T

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A2792 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4215. Oktober 2004

Häufige Lokalisationen von Metastasen bei Mammakarzinom

Foto:Aventis

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